Feier in der Stallgasse wird zum Mysterienspiel Christi Geburt
Heuer wird bei den Gebirgsjägern die »Bad Reichenhaller Stallweihnacht« zum 60. Mal aufgeführt








Das Einsatz- und der Ausbildungszentrum für Gebirgstragtierwesen 230 (EAZ) inszeniert zusammen mit Volksmusikanten und Sängern aus der Region in der Reithalle der Kompanie wieder die »Reichenhaller Stallweihnacht« – heuer bereits zum 60. Mal. Die Vorstellungstermine sind am 7. Dezember um 17.30 Uhr (Kinderstallweihnacht), Freitag, 9. Dezember, um 19.30 Uhr und am Samstag, 10. Dezember, um 16.30 und 19.30 Uhr.
Nur 2020 fiel die Vorstellung wegen Corona aus. Im Jahr 2021 konnte das Spiel nur im kleinen Rahmen im Kreise der Soldat/innen stattfinden. Dass sich aus einer internen, soldatischen Weihnachtsfeier im Jahr 1962, zwischen den Mulis und der sie betreuenden Soldaten in der Stallgasse der Bad Reichenhaller Kaserne, ein so bedeutendes, alpenländisches Mysterienspiel zur christlichen Weihnachtsgeschichte entwickeln würde, hätte sich damals sicher niemand der Initiatoren gedacht. Weihnachts-, Krippen- und andere Inszenierungen zur Geburt Christi, aber auch die alten Nikolausspiele gehören volkskundlich in die Gruppe der geistlichen Volksschauspiele, die in der christlichen Liturgie wurzeln.
Die Anfänge reichen bis in das 13. Jahrhundert zurück. Aus dem Bemühen einer möglichst anschaulichen Versinnbildlichung des Heilsgeschehens in der Krippe entstanden während des Mittelalters, szenische Darstellungen mit Maria, Josef und dem Christkind. Der Legende nach ließ der Kirchenheilige Franz von Assisi in einem Wald bei Greccio in Italien im Jahr 1223 das erste Mal das Weihnachtsevangelium, im kleinen, bescheidenen Rahmen, in Form einer lebenden Krippe darstellen. Auch in Bad Reichenhall fing also alles klein und bescheiden an.
Heute ist das EAZ die einzige Einrichtung dieser Art in der Bundeswehr. Damals war es lediglich ein abgesetzter Tragtierzug der Tragtierkompanie in Mittenwald. Im Advent 1962 hatte Stabsunteroffiziers a. D. Erwin Bögner die Idee, eine kleine Adventfeier zusammen mit den Tragtieren im Stall zu organisieren. Im Mittelpunkt stand ein mit einem Weihnachtsbaum geschmückter Haferkarren in der Stallgasse. Angesteckt von dieser besonderen Art und Weise, die Tragtiere mit in eine weihnachtliche Feier einzubinden und sie mit Brot zu »beschenken«, wollten immer mehr Soldaten anderer Kompanien und Familienangehörige an der Feier teilnehmen.
Dies war der Grund, zu Weihnachten 1966, von der Stallgasse in die geräumigere Reithalle in der Artilleriekaserne umzuziehen. Dort war nun eine einfache Krippe, eine Art Rindenkobel aufgebaut, links und rechts flankiert von den Tragtieren und ihren Führern. Über der Krippe schwebten Girlanden und große Sterne, vor dem Standbild der Krippe mit Hirten, Schafen und einer männlichen Maria traten der Nikolaus auf und die Kinder der Kompanieangehörigen wurden beschenkt. In diesen Anfangsjahren sangen die Soldaten noch selber Weihnachtslieder.
Ab 1968 untermalten unter anderem der Männerchor aus Strub und die Gebrüder Resch aus Anger die Feier. Kinder des Reichenhaller Trachtenvereins »D'Saalachthaler« agierten noch bis 1976 als Hirten. Unterdemdamaligen Leiter der 1972 aufgestellten Tragtierkompanie, Oberstabsveterinär Dr. von Braunmühl, entwickelte sich die Stallweihnacht ab 1972 entscheidend weiter. Bereits seit 1967 verbrachten die Tragtierführer je ein Sommer- und ein Winterbiwak mit ihren Tieren in Unterwössen im Achental. Zu diesem Aufenthalt gehörte auch eine Feldmesse, die der dortige Pfarrer Franz Niegel hielt. Feldwebel Werner Zeininger, selbst begeistert von der alpenländischen Volksmusik, den bodenständigen Liedern und der alpenländischen Volkskultur, hatte schon lange die Idee, das Standbild musikalisch zu ergänzen. Er konnte sich jedoch mit diesem Gedanken in der Kompanie nicht durchsetzen.
In Pfarrer Franz Niegel, ebenfalls ein Volkskulturbegeisterter, fand Zeininger ab 1970 schließlich einen tatkräftigen Unterstützer. Niegel organisierte schon seit langem hochkarätige Advent-, Passionsoder Erntedanksingen in seiner Kirche und pflegte gute Kontakte mit namhaften Volksmusikanten und Gesangsgruppen. Er griff den Grundgedanken des Feldwebels auf und schlug vor, aus dem Standbild ein regelrechtes Krippenspiel, auf der Grundlage des Textes des Lukas-Evangeliums zu machen und in diese Handlung passende Gesangs- und Musikstücke und Weisen einzubauen.
In diese Überlegungen flossen auch Gedanken von Annette Thoma ein. Sie hatte nämlich schon länger vor, zwischen Hinterwössen und Oberwössen, vier Szenen des Lukas-Evangeliums mit lebendigen Standbildern darzustellen, konnte diese aber nie umsetzen.
Bereits 1972 war es dann aber in Bad Reichenhall so weit. Vor der Krippe sangen erstmals die Roaner Sängerinnen, die Walschschmied-Buam, die Weber Hausmusi aus Inzell sowie der Kirchenchor und eine Bläsergruppe aus Unterwössen (beide bis 1998) unter Leitung von Jochen Langer. Regie führte ab diesem Jahr, bis ins Jahr 2000, Werner Zeininger. Bis 1996 sprach Pfarrer Franz Niegel die Texte des Lukasevangeliums. Als Maria fungierte immer noch ein Soldat. Neben den Schafen bei den Hirten standen jetzt bereits auch ein Ochse und ein Tragtier im Stall.
Im Jahr 1972 öffnete die Stallweihnacht ihre Pforten auch für die Öffentlichkeit. Seit diesem Jahr gibt es zudem eine eigene Aufführung für Kinder. Mit großem Engagement war Zeininger in den folgenden Jahren bestrebt, das Bühnenbild, die musikalische Ausgestaltung und den Ablauf des Krippenspiels ständig zu verbessern und zu verfeinern. Dabei tauschte er sich intensiv mit Pfarrer Niegel und den Mitwirkenden aus, prüfte die Ideen auf ihre Umsetzbarkeit und verwirklichte diese, wenn sie einen Fortschritt für das Krippenspiel brachten. Störendes, wie die ständig gackernden Hühner, die Lautsprecherkabel fressende »Goaß« oder ein beißenden Rauch produzierendes Lagerfeuer, schaffte er auch wieder ab.
Nach dem Rindenkobel und einer Spitzhütte erfuhr das Bühnenbild 1981 eine wunderbare Ergänzung. Die Besitzer des Datzmannlehens in der Ramsau schenkten der Kompanie einen alten Almkaser. Dieser wurde auf der Lattenberg-Alm abgebaut und im Reitstall der Kaserne wieder aufgestellt. Seither kommt das Christkind dort jedes Jahr symbolisch neu zur Welt. Einige Jahre später wurde das Bühnenbild für die Hirtenszene mit einem zweiten, kleineren Kaser ergänzt.
Während Zeininger sich vorrangig um diese Dinge kümmerte, war der neue Kompaniechef, Oberstabsveterinär Dr. Wolfram Noreisch, ab seiner Amtsübernahme 1976, nicht nur Feuer und Flamme für die Stallweihnacht sondern bemühte sich intensiv darum, die Stallweihnacht innerhalb der Bundeswehr, in der Region und darüber hinaus bekannt zu machen. Seine Bemühungen fielen schon bald auf fruchtbaren Boden. Bereits 1976 sendete RIAS Berlin ein Tonbild. ARD, ZDF, ORF und der Bayerische Rundfunk folgten mit eigenen Berichten in den darauffolgenden Jahren. Zudem wohnten den Aufführungen zunehmend ranghohe Militärs aus dem In- und Ausland, sowie namhafte Politiker bei. So erlebten zwischen 1992 und 2004 alle jeweiligen Generalinspekteure, 1996 Verteidigungsminister Volker Rühe mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Lee Perry und 2011 Verteidigungsminister Thomas de Maizière die Stallweihnacht.
Thematisch wurde das Krippenspiel schon bald auf zwei Ebenen aufgeteilt.Rechts neben und vor dem großen Stall musizieren der Großteil der Gesangs- und Musikgruppen, der Chor und Bläserensembles. Etwas abgesetzt vom Stall spielt die Hirtenszene mit Erscheinung des Engels. Dazu passend, Gruppen mit eher hirtentypischen Instrumenten wie Okarina, Flöten oder Alphörner. In die Szene wurde von 1973 bis etwa 1977 und wieder ab 1995 das Herbergssuchlied »Maria, ach verzeih es mir« eingebaut.
Unvergessen auch das Gesangssolo während es Hirtenspiels: »Wos is denn do drunt auf'n Land für a Röt'«, gesungen vom Kötzinger Schorsch aus Inzell und später von Hans Holzner aus Weißbach a.d.A. Letzterer schrieb zudem eigens für die Stallweihnacht das Stück: »Jochberger Hirta kemmand«, gespielt von der Hirtengruppe des Weißbacher Trachtenvereins, die seit 1977 bis heute mitwirkt.
Wegen der großen Nachfrage gab es ab 1987, neben der bereits etablierten Kinderaufführung, eine weiter und ab 1991 sogar zwei weitere Aufführung für Erwachsene. Eine Aufwertung erfuhren die Vorstellungen Zug um Zug auch durch den Einsatz professioneller Beleuchtungs- und Beschallungstechnik. Eine musikalische Verfeinerung gab es, als ab 1988 Hansl Auer aus Hammerau mit dem Inzeller Volksliedchor dazustieß. Nahtlose Übergänge und hörenswerte Überleitungen zwischen dem Chor, den Gesangs- und Instrumentalgruppen bringen seither ein einzigartiges musikalisches Gebilde zum Klingen.
Seit 2002, bis heute, gestaltet Thomas Büchele aus Freilassing, die zwei VeranstaltungenamSamstag in ähnlicher Weise. Hans Auer übergab seinen Part 2014 an Steffi Weiß aus Inzell, organisiert aber bis heute die Kinder-Stallweihnacht, in der viele Nachwuchsgruppen zum Einsatz kommen. Anstelle von Steffi Weiß kümmert sich seit 2019 Markus Grommes aus Inzell um die musikalische Gestaltung der Freitagsaufführung.
Nach der »Soldaten-Maria« schlüpfte mit Eva Seifert 1979 erstmals eine Frau diese Rolle, gefolgt von Eva Geretshauser, Rosi Loider und Anita Pfeilschifter, bis auf Seifert allesamt Sekretärinnen in der Kompanie. Seit es Soldatinnen gibt, übernimmt diesen Part, seit einigen Jahren, eine Frau aus den Reihen der Soldaten. Als Sprecher fungierten bis 1989 Pfarrer Niegel, bis 1992 Hans Stangassinger, bis 2000 Werner Zeininger, bis 2003 Martin Ellenberger, bis 2009 Axel Djan und seit 2010 Mathias Havel. Die letzten drei übernahmen ab 2000 auch zusätzlich die Regie.
Mathias Havel veränderte ab 2012 Zug um Zug das Hirtenspiel. Seither sind die Soldaten nicht nur stumme Engel und Hirten, sondern sind sowohl schauspielerisch, wie mit Textpassagen fest in den Ablauf eingebunden. Dr. Wolfram Noreisch übergab sein Amt (übernommen 1974) und sein »geliebtes Kind«, die Stallweihnacht, 2005 an seinen Nachfolger Oberstabsveterinär Dr. Franz Edler von Rennenkampff. Seit April 2017 wird das EAZ nun von Oberfeldveterinärin Heike Henseler geleitet.
Als Nebeneffekt konnten in den zurückliegenden Jahrzehnten, mit den gesammelten Spendengeldern, viele soziale Einrichtungen und durch Härtefälle betroffene Menschen im Landkreis und der näheren Umgebung unterstützt werden. Bemerkenswert ist sicher auch, dass eine solche Veranstaltung auf einem Kasernengelände möglich ist, zumal die Tragtierkompanie und jetzt das EAZ einen ganz anderen militärischen Auftrag hat. Immerhin kommen aktuell zu jeder Vorstellung bis zu 750 Zuschauer, in den Jahren davor sogar wesentlich mehr. Trotzdem merkt kaum jemand, welche großen logistischen Herausforderungen zu meistern sind und welche Sicherheitsvorkehrungen im Hintergrund ablaufen. Seit 2010 wird die Stallweihnacht nun als Gemeinschaftsaufgabe der gesamten Gebirgsjägerbrigade 23 gesehen.
Schon viele Menschen haben sich Gedanken darüber gemacht, was den großen, ungebrochenen Erfolg der Reichenhaller Stallweihnacht ausmacht. Es ist zum einen sicher diese Schlichtheit des Krippenspiel, welches sich nach wie vor am Text des Lukasevangeliums orientiert. Zum anderen schaffen es in dieser einzigartigen Atmosphäre sogar gestresste Menschen, zur Ruhe zu kommen, durchzuschnaufen und die Botschaft des Advents zu spüren. Zum anderen war und ist es sicher die Treue und Verbundenheit aller Sänger, Musikanten, der Hirtengruppen, von Unterstützern und letztendlich das Engagement der Soldaten selber zur Reichenhaller Stallweihnacht aus der sich eine enge, beständige Freundschaft entwickelte. Für alle war und ist es etwas Besonderes dabei zu sein, zu dieser »Familie« zu gehören, egal ob als Sprecher, Sänger, Musikant, Hirte, Engel, Maria, einer der drei Könige, als Lieferant der Bäume für das Bühnenbild, Koch, Beleuchter, Tontechniker, Schminker oder weil die eigenen Schafe mitwirken.
Wie Außenstehende und Mitwirkende die Reichenhaller Stallweihnacht sahen sei an drei Zitaten dargestellt. So schrieb Wastl Fanderl 1987: »...meinen Dank und meine Hochachtung für sehr gutes Gespür, für wahren Volksmusikbrauch bei der wunderschönen Stallweihnacht.« Der Saalfeldener Dreigesang schreibt 1988: »Wir freuen uns auf ein Wiedersehen. Von so einer Veranstaltung, wie es die Eurige ist, zehrt man lange.« Und schließlich schrieb Monsignore Franz Niegel, 1996 an Werner Zeininger: »denn was Du da auf d' Füaß g'stellt hast, das ist doch Verkündigung der Frohen Botschaft.«
Werner Bauregger
48/2022