Jahrgang 2003 Nummer 6

Ernst Udet – der »Clown der Lüfte«

Der weltbekannte Flugakrobat zeigte auch in Traunstein seine Künste

Udet vor seiner Maschine auf der Wartberghöhe.

Udet vor seiner Maschine auf der Wartberghöhe.
Udet als Oberleutnant im ersten Weltkrieg.

Udet als Oberleutnant im ersten Weltkrieg.
In der Zeit vom 4. mit 12. September 1926 feierte Traunstein das wohl größte Fest seiner Geschichte: Die Heimatschau Traunstein anlässlich des 800-jährigen Jubiläums der Stadt. Dieses Ereignis wurde von Helmut Kölbl bereits 1996 ausführlich beschrieben.(1) Eine Veranstaltung dieser Festtagsreihe soll jedoch hier herausgehoben und eingehend dargestellt werden und zwar die Flugschau am 9. September nachmittags auf der Wartberghöhe. Es war die erste Flugschau in Traunstein und Akteur war kein Geringerer als der berühmte frühere Kampfflieger und Oberleutnant der Reserve Ernst Udet.

Es ist verständlich, dass sich der Traunsteiner Festausschuss bei der Planung für eine Flugschau entschied, denn der Stadtrat war der Fliegerei gegenüber aufgeschlossen. Dies beweist schon allein die Tatsache, dass die Stadt am 4. März 1926 der Süddeutschen Aero Lloyd ein geeignetes Grundstück anbot, um für die damals geplante Fluglinie München – Berchtesgaden regelmäßige Zwischenlandungen in Traunstein zu ermöglichen. Diese Fluglinie kam aber dann doch nicht zustande.(2) Bereits im Mai 1926 fragte der Stadtrat Traunstein den damals in München wohnenden Ernst Udet, ob dieser grundsätzlich bereit wäre, in Traunstein Schauflüge durchzuführen. Mit Schreiben vom 9. Juni 1926 teilte Udet sein Einverständnis mit, übergab sein Programm und schlug als Honorar 1000,00 RM für den An- und Abflug und 1500,00 RM für die Schauflüge vor. Am 4. August 1926 waren die Vorgespräche abgeschlossen, mit denen Stadtrat Mitterer beauftragt war, und Udet schrieb: »... Ich werde demgemäß den fliegerischen Teil der Veranstaltung, wie in meinem Programm festgelegt, für die feste Vergütung von M 2000,- bestreiten. Die Frage des Flugplatzes, der Absperrung, des Kassendienstes, Musik usw. ist durch den Stadtrat selbst zu regeln. Zu diesem Zweck bin ich bereit, Ihnen meinen Herrn Angermund zur Verfügung zu stellen. ...«(3)

Das Bayerische Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe genehmigte mit Entschließung vom 3. September 1926 die geplante Flugschau unter zahlreichen Auflagen. Zum Beispiel mussten Drahtzäune niedergelegt werden, es war nur die Verwendung von Udet-Flamingoflugzeugen zugelassen und nur Udet selbst durfte fliegen. Außerdem wurde die Anwesenheit von mehreren Ärzten und Sanitätsmannschaften gefordert.

Udet verwendete für jede Flugschau Plakate mit gleichbleibendem Motiv. Davon stellte er auch dem Stadtrat Traunstein eine Menge zur Verfügung. Nach Ergänzung durch den Text über Ort und Zeit der Veranstaltung wurde entsprechend plakatiert.

Am 9. September war es dann soweit. Nach Helmut Kölbl war dies der »Tag der nach oben gerichteten Köpfe«. Der Beginn der Flugschau war auf 14.00 Uhr festgesetzt, aber schon Stunden vorher wanderten unglaublich viele Zuschauer zu dem Flugplatz auf der Wartberghöhe. Über 10 000 Personen sollen es gewesen sein, die hier aus nah und fern kamen, um das Spektakel zu erleben. Flugtage mit Ernst Udet waren seit dessen erster Flugschau am 12. April 1925 in Regensburg viel besprochene und beschriebene Ereignisse. Allein 1925 gab es 17 Flugtage und 1926 waren es sogar 25. Aber zurück zur Wartberghöhe: Um 13.00 Uhr kam der rote Doppeldecker mit Ernst Udet am Steuerknüppel. Nach ein paar Begrüßungsrunden über der Zuschauermenge setzte die Maschine auf. Es war ein zweisitziger Doppeldecker aus der Serie Udet U 12 Flamingo, dem bekanntesten und meistgebauten Flugzeug aus den Udet-Flugzeugwerken. Udet flog die Maschine mit der Kennung D-822, mit der er in Traunstein war, von 1926 bis 1934. Hier einige technische Daten: Spannweite 10 m, Länge 7,38 m, Rüstgewicht 560 kg, Höchstgeschwindigkeit 200 km/h, Leistung 80 PS.

Die Flugschau, die um 14.00 Uhr begann, wurde im Traunsteiner Wochenblatt vom 10. September 1926 ausführlich beschrieben. Hier ein Auszug: »... Udet, angetan mit Knikkerbocker und rotem Hemd, besteigt seine Maschine unter den Klängen der Musikkapelle Pirk. Er startet zum ersten Fluge. Udet ist, wie uns von seinem Begleiter mitgeteilt wird, nicht ganz in Form wie in München. Sein berühmter Sturzflug aus tausend Meter Höhe bei abgestelltem Motor fällt ganz aus. Als Erstes steht auf seinem Programm das Spiel mit Ballons, die er mit seiner Maschine einzeln der Reihe nach zerstört oder in einem zwischen den Tragflächen gespannten Netze auffängt. Seine Seitenflüge, Gleitflüge, Loopings. Rollings und kleinen Sturzflüge beweisen, dass er ganz Herr ist über seinen Motor, und dass die Luft durchaus ein sicheres Element ist, die unter der Hand des Menschen mit Sicherheit beherrscht werden kann. ... Seinen Ausführungen, besonders zwischen den beiden Fesselballons, folgt stürmischer Beifall der Tausende, die mit Spannung und mit einer gewissen Angst seinen Flügen nachblicken. Doch Udet landet nach jedem Fluge mit derselben Elastizität, mit der er startet. Sein roter Vogel ist ganz in seiner Gewalt, er spielt direkt mit seiner Maschine. Der Schlussakt der Flüge erntet ganz besonders stürmischen Beifall. Der Chefpilot der Udet-Werke, Richard Kern aus München, fliegt freihändig mit ausgebreiteten Armen stehend in der Maschine, was bei der Menge eine große Bewunderung hervorruft. Als Udet bei seinem letzten Fluge landet, braust über der Wartberghöhe eine mächtige Welle rauschenden Beifalls, und alles rennt und eilt zu dem landenden Flugzeug, um Udet in der Nähe bewundern zu können. Nur langsam leert sich der Platz und wie eine Völkerwanderung bewegen sich die Massen wieder in die Stadt zurück«. Eine besondere Attraktion war das Ratespiel, das Udet seinen Zuschauern bot. Zu erraten war, wie viele Meter über der Erde sich das Flugzeug zu einem gewissen Zeitpunkt befand. Der Zeitpunkt wurde durch einen Pistolenschuss fixiert und Udet las seine Höhe am Höhenmesser ab. Für die richtige Lösung waren Preise ausgesetzt.

Um 17.00 Uhr verließ Udet die Wartberghöhe und flog nach Budapest zur Durchführung weiterer Schauflüge.

Die Zuschauer von der Wartberghöhe waren vermutlich zufrieden und die Veranstalter wohl auch. Es war viel geboten worden und die Eintrittspreise waren erschwinglich. Eine 1.Platzkarte kostete für Erwachsene 1,00 RM, für Kinder 0,50 RM und eine 2.Platzkarte 0,50 RM für Erwachsene und für Kinder 0,25 RM. Insgesamt betrugen die Einnahmen 3486,80 RM und die Ausgaben 2918,34 RM.(4)

Wenn man über so eine Flugschau wie die auf der Wartberghöhe berichtet, dann muss man natürlich auch den agierenden Luftakrobaten darstellen, und Ernst Udet ist hierfür ein lohnendes Objekt. Wer war diese Persönlichkeit, welcher der Schriftsteller Carl Zuckmayer mit dem Drama »Des Teufels General« ein bleibendes Denkmal setzte?

Ernst Udet wurde am 26. April 1896 als Sohn wohlhabender Eltern geboren. Seine Vorliebe für das Flugwesen zeigte sich schon im Kindesalter. Mit acht Jahren gründete er mit Freunden den »Aero-Club München«. Dort bauten die Jungen Flugmodelle. 1914 ließ sich Udet in München auf eigene Kosten zum Piloten ausbilden und trat dann als Flugzeugführer in den Militärdienst ein. Bei Kriegsende schied er als Oberleutnant der Reserve und Träger des Ordens Pour le Merite (5) aus der Armee aus. Er war mit 62 Abschüssen der erfolgreichste deutsche Jagdflieger, der den Krieg überlebte. Nach seinem Abschied tat er wieder, was er so gut beherrschte, er flog und zwar organisierte er Schauflüge mit ehemaligen Kriegsflugzeugen. Das erste Schaufliegen war am 5. Oktober 1919 vor 10 000 Zuschauern auf einem Flugplatz in München. Der »Versailler Vertrag«(6) beendete diese Flugtätigkeit durch die Einschränkung der militärischen und zivilen Luftfahrt in Deutschland.

Nun suchte sich Udet einen anderen Wirkungsbereich. Mit finanzieller Hilfe eines amerikanischen Geschäftsmannes gründete er 1921 die Firma »Udet-Flugzeugbau«. Hierfür stand ihm ein Schuppen in Milbertshofen zur Verfügung, in dem zwei Arbeiter und ein Ingenieur tätig waren. Aber im Sommer 1921 verboten die Siegermächte jeglichen Flugzeugbau in Deutschland. Als Folge verlegte Udet die Flugzeugwerft heimlich nach Ramersdorf in eine Fabrik für Bienenkästen und Hühnerställe, die einem Kriegskameraden gehörte. Am 16. Mai 1922 war es dann soweit; die erste Maschine startete erfolgreich. Laut Udet sah sie zwar aus wie eine fliegende Gans, aber sie flog. In der Zwischenzeit war das Bauverbot der Siegermächte aufgehoben worden und Udet konnte in seinem neuen Werk in aller Öffentlichkeit weiterbauen lassen. Und es wurde gebaut; vom kleinen aber robusten Hochdecker Udet-Kolibrie bis zum viermotorigen Großflugzeug U 11-Kondor. Insgesamt wurden 11 verschiedene Flugzeugtypen gefertigt. Besonders erfolgreich war aber der zweisitzige Doppeldecker U 12-Flamingo. Das Flugzeugwerk in Ramersdorf war entsprechend vergrößert worden und das Geschäft ging gut. Udet war aber des Flugzeugbaues überdrüssig geworden und schied aus der Firma aus, um künftig mit seinem Udet-Flamingo bei mittlerweile wieder zugelassenen Flugtagen mitzuwirken. So kam er auch am 9. Septemer 1926 nach Traunstein. Das Jahr 1926 war sein erfolgreichstes. An 25 Flugtagen erzielte er netto 170.000 RM. Dazu kamen noch Werbeeinnahmen und Provisionen von insgesamt 80.000 RM. Aber in einer Biografie ist nachzulesen: »Seine Flugshows mit gewagter Luftakrobatik sind mit jeweils Zehntausenden von Besuchern Kassenmagneten und machen ihn auch international berühmt. Durch sein fliegerisches Können sowie durch sein ausschweifendes Privatleben mit ständigen Alkoholorgien und wechselnden Affären avanciert Udet zu einer der populärsten und schillerndsten Persönlichkeiten der Weimarer Republik. Obwohl er mit Kunstflügen und Werbeaktionen enorme Beträge verdient, ist er aufgrund seines aufwendigen Lebensstils ständig verschuldet.«(7) In diesem Zusammenhang ist die Beurteilung Udets durch die berühmte Sportfliegerin Elly Beinhorn interessant: »Udet war auf das spektakuläre Fliegen ausgerichtet und nicht auf das ganz präzise Fliegen, wie es eben der klassische Kunstflug für die Meisterschaften erfordert. ... Die meisten Frauen haben in vergöttert. ... Man hat eine bestimmte Vorstellung von Helden und der entsprach er in keiner Weise. Er war unter dem Durchschnitt klein, ganz schön beleibt und hatte schon schüttere Haare; er war nicht das Bild eines Helden. ... Aber er war, das muss man sagen, ein Glückskind, sonst hätte er schon tausendmal tot sein müssen. ...«(8).

Im September 1926 übernahmen die Bayerischen Flugzeugwerke in Augsburg den Udet-Flugzeugbau.

In den Jahren 1929 bis 1933 wandte sich Udet dem Film zu. Jeweils an der Seite von Leni Riefenstahl spielte er in den Berg- und Gletscherfilmen »Die weiße Hölle von Piz Palü«, »Stürme über dem Mont Blanc« und dem in Grönland gedrehten »SOS Eisberg« tollkühne Flieger.

1931 erhielt Udet als bester deutscher Flieger eine Einladung zur Teilnahme an den National Air Races in Cleveland/Ohio. Zu Ehren Udets wurde ein »german day« eingelegt und Udet flog mit seiner U 12-Flamingo Kunstflug in Bodennähe. Das konnten die Amerikaner mit ihren stark motorisierten modernen Flugzeugen nicht. In den DAILY NEWS konnte man am nächsten Tag lesen: »Ernst Udet war die Sensation dieses ersten Tages, der mehr als dreißigtausend Zuschauer anlockte. Udet war der Brillanteste und Unübertroffene ... Udet flog Bodenakrobatik wie sie – darin waren sich alle berühmten Veteranen des Flugsports einig – nie zuvor gezeigt worden ist. ... Bei seinen Loopings, bei den Rollen und Turns wirbelte Udet buchstäblich den Staub des Flugfeldes auf. Ein Kabinettstück: er nahm im Fluge mit einem unter der Tragfläche angebrachten Haken ein Taschentuch vom Boden auf. Bis zur Dämmerung blieben die Zuschauer wie gebannt auf ihren Plätzen.«(9)

Bei dieser Flugveranstaltung war Udet von der sturzflugfähigen amerikanischen »Curtiss Hawk« (Gulfhawk) so begeistert, dass er unbedingt auch eine haben wollte. Bei dieser Maschine handelte es sich um einen einsitzigen Jagdbomber mit folgenden Daten: Spannweite 9,6 m, Länge 6,88 m, Rüstgewicht 1378 kg, Höchstgeschwindigkeit 325 km/h, Leistung 710 PS. Der Preis betrug 16000 Dollar ohne Motor. Das überstieg die finanziellen Möglichkeiten Udets und so musste er auf das Prachtstück verzichten.

Udet war ein unpolitischer Zeitgenosse, die nationalsozialistische Machtergreifung beeindruckte ihn nicht. Er gab aber dem Werben seines Kriegskameraden Göring nach und trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. Als Folge davon beschaffte ihm Göring das Geld zum Ankauf von zwei Curtiss Hawk – Maschinen. Mit den neuen Flugzeugen trat Udet bei weiteren Flugschauen und auch bei Parteiveranstaltungen auf.(10)

Im Januar 1936 trat Udet als Oberst in die Luftwaffe ein und wurde Inspekteur der Jagd- und Sturzkampfflieger und im Juni 1936 übernahm er das Technische Amt im Luftfahrtministerium. Am 26. April 1937 wurde er zum Generalmajor, am 1. November 1938 zum Generalleutnant und im Juli 1940 zum Generaloberst mit Görings Phantasietitel Generalluftzeugmeister befördert. Glücklich war Udet bei all dem nicht. Er fühlte sich seinen Amtsgeschäften und Aufgaben kaum noch gewachsen und flüchtete sich in Alkoholexzesse, die seine Psyche und Gesundheit erheblich angriffen.(11) 1940 wurde Udet von Hitler und auch von Göring für die deutsche Niederlage in der Schlacht um England und 1941 für die Unzulänglichkeiten der Luftwaffe im Krieg gegen die Sowjetunion als Sündenbock verantwortlich gemacht. Als Folge wählte Udet am 17. November 1941 den Freitod; er schoss sich eine Pistolenkugel in den Kopf. Albert Speer schrieb, die launenhafte Behandlung durch Göring habe Udet in den Tod getrieben.(12) Die Reichsführung verschwieg den Selbstmord, ordnete ein Staatsbegräbnis an und gab bekannt: »...Generalluftzeugmeister Generaloberst Udet erlitt am Montag, den 17.11.1941 bei Erprobung einer neuen Waffe einen so schweren Unglücksfall, dass er an den Verletzungen auf dem Transport verschied. ...«.(13)

Es gäbe noch viel zu erzählen über Udet, den die Amerikaner voller Respekt als »Clown der Lüfte« und die Münchner liebevoll als ihr »Urviech« bezeichneten, aber das würde den Rahmen dieser Arbeit über den Flugtag in Traunstein sprengen.

AS

Quellen:
Herlin Hans, Der Teufelsflieger, Wilhelm Heyne Verlag, München 1974,
Udet Ernst, Mein Fliegerleben, Deutscher Verlag, Berlin 1935,
Cohausz Peter W., Deutsche Flugzeuge bis 1945, Aviatic Verlag, Oberhaching 2001,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 2001,
Internet.
(1)Kölbl Helmut, 800-Jahrfeier und Heimatschau der Stadt Traunstein im Jahre 1926, in: Jahrbuch 1996 des Historischen Vereins für den Chiemgau zu Traunstein, S. 56 – 73,
(2)StA TS: 320/1-3
(3)StA TS: 320/1-3
(4)StA TS: 320/1-3
(5)höchster preußischer Verdienstorden. 1740 von Friedrich II., dem Großen, gestiftet, 1914 –1918 nur an Offiziere verliehen,
(6)der Versailler Vertrag vom 28.Juni 1919 trat am 10.Januar 1920 in Kraft (RGBl. 1919 S.687,
(7)Internet:www.dhm.de/lemo/html/biografien/UdetErnst/,
(8)Bayerisches Fernsehen, Von Flugpionieren und Herrenmenschen, 2002,
(9)Der Teufelsflieger, siehe oben, Seite 162,
(10)Internet, wie oben,
(11)Internet, wie oben,
(12)Speer Albert, Erinnerungen, Weltbild Verlag GmbH, Augsburg, 1993,
(13)Traunsteiner Tagblatt vom 19.11.1941,.



6/2003