Jahrgang 2017 Nummer 51

Erinnerungen an die Weihnacht vor 70 Jahren

Eine nachdenkliche Geschichte

Es sind genau siebzig Jahre vergangen, als damals 1947 kurz vor dem Weihnachtsfest, der Postbote schnaufend sein Rad durch den Schnee die Anhöhe zu uns nach Pittersdorf herauf schob. In diesen Tagen hatte dieser des Öfteren eine Weihnachtskarte oder einen Brief von Verwandten und den »Godenkindern« (Patenkindern) dabei. Während ihm die Großmutter ein Haferl heiße Milch und ein Butterbrot brachte, zog er einen Brief aus seiner schwarzen Ledertasche heraus. Ich schaute ihn erstaunt an, als er mir diesen lächelnd in meine kleine Hand drückte. Ich konnte schon gut lesen, so lief ich freudig zum Großvater in die Stube und rief ihm aufgeregt zu: »Großvater schau, d'Elsbeth hot mir g'schrieb'n.« Schnell musste jetzt dieser den Brief mit seinem Taschenmesser aufmachen, konnte ich es doch kaum erwarten zu lesen, was Elsbeth mir alles schrieb.

Elsbeth Simmert hieß das gleichaltrige Mädchen und wir beide hatten auch den gleichen Vornamen. Sie musste mit ihrer Familie aus dem ausgebombten Haus in ihrer Heimatstadt im Norden fliehen und fand damals in Grilling, unweit von Pittersdorf eine Bleibe. Wie viele andere aus den Städten, waren auch sie während und kurz nach dem Krieg, auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. So ist es auch ganz selbstverständlich gewesen, dass eines Tages Elsbeth zu uns zum »Hamstern« gekommen ist. (Der Ausdruck »hamstern«, wurde in den Kriegsjahren von den Menschen die Hunger litten, ebenso benützt, wie von denen, die diesen zu essen gaben.) Wir mochten uns gleich bei unserer ersten Begegnung, als ich sie scheu hinter unserem Stadel hervorkommen sah. Weil die Großmutter eine herzensgute Frau gewesen ist, brauchte Elsbeth nie hungrig nach Hause zu gehen und ihr Sackerl blieb auch nicht leer. So sind wir beide schnell gute Freundinnen geworden, was Muschi, dem Münchner Mädel gar nicht recht gewesen ist. Sogar mein Großvater hatte sie ins Herz geschlossen, hätte er sonst an jenem unvergesslichen Heiligen Abend Elsbeth mit dem Pferdeschlitten von Grilling zu uns nach Pittersdorf geholt?

Es war gut ein Jahr nach Kriegsende, als Elsbeth eines Tages traurig zu mir gesagt hatte, sie müsste weg, denn die Eltern wollten wieder in die Stadt ziehen. So kam es, dass wir bald darauf an einem milden Herbsttag mit dem gegenseitigen Versprechen, gleich zu schreiben, uns zum Abschied weinend ganz fest bei der Hand genommen haben. Oft habe ich an sie gedacht, wie es ihr wohl ging, ob sie immer noch zum »Hamstern« gehen musste? Als es November wurde und unser beider Namenstag nahe war, schrieben wir uns gegenseitig eine Glückwunschkarte, so wie wir es ausgemacht hatten. Dann habe ich an jenem verschneiten Tag kurz vor dem Weihnachtsfest 1947 diesen Brief von Elsbeth in der Hand haltend traurig gelesen, was sie mir geschrieben hatte.

Aus meinen Augen fielen Tränen auf das Papier, als ich mich an den Großvater schmiegte und zu ihm sagte: »Mir derbarmt d'Elsbeth aso.« Der Großvater meinte darauf still: »Mir a'.« Miteinander sind wir zur Großmutter in die Küche gegangen, wo der Großvater ihr den Brief in die Hand gedrückt hat. Diese hat nicht lange zu überlegen brauchen, sie wusste schon, was zu tun war.

Im Söller oben fanden wir endlich eine große, feste Pappschachtel. Dort hinein kam alles Mögliche: Brot, Butter, fest eingewickelte Eier, Mehl und natürlich einige Lebkuchen und Weihnachtsguadln. Auch einige gedörrte Zwetschgen und Birnen haben wir noch dazu gelegt, denn diese hat Elsbeth immer so gerne gemocht. Am nächsten Tag gleich nach der Morgensuppe hat der Großvater die zwei Rösser vor den Ziehschlitten gespannt, sodann das Packerl unter die Rossdecke gelegt und gesagt: »I' muaß beim Schuasta z'Matzing meine Schuah abhoin, nachat gib i' glei' des Packerl für d'Elsbeth auf, bis Mittog bin i' wieder do.«

Als ich das hörte, bettelte ich so lange mich doch mitzunehmen, bis dieser endlich einwilligte. Eiligst rannte ich ins Haus, wo mir die Großmutter half, die wollenen Strümpfe, die festen Schuhe, den dicken Mantel und die warme Zipfelhaube anzuziehen. Ich schlüpfte im Hinausgehen noch schnell in meine schafwollenen Fäustlinge und kletterte flugs zum Großvater auf den Schlitten. Dieser hatte derweil die dicke Rossdecke hergerichtet in die ich mich fest einwickelte. Die Rösser warteten schon ungeduldig auf das »Wüah« des Großvaters und schon ging's dahin, das Bergerl hinunter und auf dem verschneiten Weg dem Wald zu. Ich schmiegte mich fest an den Großvater, als dieser bei einer kleinen Lichtung zu mir meinte, dass da das Christkindl gut auf uns herunterschauen könne. Bei der Bahn und Poststation in Matzing bat ich den Mann am Schalter, unser Packet gleich abzuschicken, weil es sehr wichtig sei. Froh und erleichtert hatte ich mich wieder fest neben den Großvater auf den Schlitten gesetzt. Als unser einsames Gefährt in das Straßerl dem Holz zu einbog und es zu schneien angefangen hatte, meinte der Großvater bedächtig: »Iatzt schaun' ma, dass ma schnell hoamkeman, bevor mia de Spur nimma find'n.« Auf sein lautes »Wüah« hin hat es auf einmal auch den Rössern pressiert, so als freuten sich diese auch auf den warmen Stall. Damals habe ich noch nicht gewusst, dass in diesem Jahr auch für mich in Pittersdorf zum letzten Mal das Christkind gekommen ist. Ich habe nicht so weit fort gemusst wie meine Freundin damals, und dennoch ist es auch für immer gewesen.

 

Elisabeth Mader

 

51/2017