Epfach - römische Station an der Via Claudia Augusta
Geburtsstätte des Bischofs und heiligen Wikterp von Augsburg




Zwischen Schongau und Landsberg, dort wo der Lech trotz zahlloser Seen und Staubecken seinen aus den Westtiroler und Ostallgäuer Alpen mitgebrachten, wilden Flusslauf nach Norden noch immer nicht ganz verloren hat, liegt an seinem linken Ufer das Dorf Epfach – Lateinisch: oppidum Abodiacum. Abseits der gern frequentierten Romantischen Straße finden nur wenige Urlauber, die alljährlich das bayrische Oberland besuchen, den Weg in den historisch und theologisch interessanten Ort, obwohl er sich nur einen Steinwurf von der Bundesstraße 17 entfernt befindet. Die Schongauer Straße – auf der man nach Epfach hineinkommt –, hat in etwa den Verlauf der antiken Via Claudia Augusta. An dieser Straße steht ein nachgebildeter römischer Meilenstein – ein Miliarium (lat.).
In der Region um Epfach hatten sich bereits lange Zeit vor Christi Geburt Kelten (lat. Galli) aus dem Geschlecht des »Abod« angesiedelt. Während der Jahre 16-15 vor Christus kam es dann zu einer gewaltigen militärischen Unternehmung, die in der Forschung als Alpenfeldzug bekannt ist, über den uns der antike Historiker Cassius Dio berichtete. Unter der Führung der beiden Stiefsöhne des Kaisers Augustus – Tiberius und Drusus – wurde eine große Region im Zentral- und Voralpengebiet erobert, die man später in die römische Provinz Rætia umgewandelt hat. Zeitgleich mit der Anlage des Römerlagers in Augsburg-Oberhausen, das bei diesem Feldzug 15 vor Christus als Nachschubdepot diente, wurde auf dem Lorenzberg bei Epfach eine Militärstation mit circa einer Zenturie, also einer Hundertschaft Legionäre besetzt, die einen wichtigen Lechübergang sicherte.
Zudem erhielt Epfach eine Straßenstation – eine römische mansio –, die die Via Claudia Augusta schützte und Reisenden Rast und Unterkunft bot. Kurz vor Christi Geburt hatte Drusus – der jüngere der Augustus-Söhne –, mit dem Bau der Via Claudia begonnen. Diese Fernstraße, die den Namen ihres Erbauers Nero Claudius Drusus trägt, verband Augsburg mit Verona. An allen römischen Fernstraßen – wie hier in Abodiacum – gab es etwa alle 15 km eine Pferdewechselstation, circa alle 40 km eine Raststation. Kuriere und Händler reisten damals sozusagen an einem Tag von einer mansio bis zur nächsten. Übliche Raststationen waren Gebäudekomplexe mit Binnenhof für Fahrzeuge. Um den Hof gruppierten sich Raumtrakte – wie möblierte und beheizte Quartiere mit Bad, Schenken, Tränken für Zugtiere sowie Scheunen und Ställe. Dazu gehörten heidnische Heiligtümer – in Epfach ist ein Tempel des gallo-römischen Mercurius Cimiacinus, des Gottes der Händler und der Reisenden bezeugt –, in denen man Gelübde einlösen konnte.
Unsere Quelle über Stationen an römischen Magistralen ist die Tabula Peutingeriana. Die Tabula ist die mittelalterliche Kopie einer spätantiken Straßenkarte aus dem 4. Jahrhundert AD. Die in ihr eingezeichneten Straßenverbindungen sind mit roten Linien, Städtenamen und Entfernungsangaben mit dunkler Tinte eingetragen. Selbstverständlich ist auf der Tabula auch die Via Claudia Augusta mit ihrer Route von Augsburg – Schwabmünchen – Eggental – Kempten (Camboduno) nach Epfach (Abodiaco) verzeichnet.
Engagierte Epfacher Bürger entschlossen sich, im ehemaligen Spritzenhaus der Feuerwehr ein Museum Abodiacum einzurichten, das mitten im Ort allen Besuchern unentgeltlich zur Besichtigung offen steht, weil in der Neuzeit zahlreiche römische Relikte im oberbayerischen Boden gefunden worden sind. Texte, Modelle und ausgewählte Funde sind beredte Zeugen aus der Römerzeit. Ein bemerkenswertes Stück ist eine hervorragend erhaltene Büste des prominentesten Sohnes von Abodiacum, des hohen römischen Beamten keltischer Abstammung, Claudius Paternus Clementianus, der als weit gereister Mann und ehemaliger Statthalter der römischen Provinz Noricum (Österreich) in der Siedlung am Lech geboren wurde und auch dort seinen Lebensabend verbracht hat.
Diese blühende Siedlung wurde im Jahre 233 nach Christus durch einen Einfall von Alemannen zerstört. Daraufhin zogen sich die Römer wieder auf den Lorenzberg zurück, den sie mit einer wehrhaften Mauer umgaben. In den Schutz des Lorenzberges flüchtete sich die verbliebene Bevölkerung aus Abodiacum, nachdem der rätische Limes – die ehemalige Grenze des Reiches von Aalen bis zum Kohortenkastell Eining bei Neustadt an der Donau – zusammengebrochen war. Archäologische Untersuchungen ergaben, dass die Siedlung auf dem Lorenzberg bei dem Alemanneneinfall von 353 n. Chr., spätestens jedoch 357 n. Chr. durch Juthungen (lat.: Iuthungi), ein Teilstamm der Alemannen nördlich von Donau und Altmühl beheimatet, zerstört und verbrannt worden war.
Während der Herrschaft des Kaisers Flavius Gratianus im Westen des Römischen Reiches errichtete man in der Siedlung am Lech zunächst wieder einen einfachen Magazinbau, den Archäologen als zivile Straßenstation deuten. Sie vermuten – aufgrund des Scherbenfundes einer Öllampe mit Christusmonogramm –, dass damals eine erste christliche Kirche, ein rechteckiger Saalbau mit dreigeteiltem Chorabschluss, im Osten des Areals entstanden war. Diese These scheint plausibel, da Gratian zusammen mit seinem Mitkaiser Theodosius dem Großen am 27. Februar 380 mit dem Edikt Cunctos populos das Christentum zur alleinigen Staatsreligion im römischen Imperium erklärt hatte.
Edikt Cunctos populos
»Alle Völker, sollen sich, so ist unser Wille, zu der Religion bekehren, die der göttliche Apostel Petrus den Römern überliefert hat.«
Der Lorenzberg gehört somit zu den am längsten gehaltenen römischen Siedlungspunkten der Spätantike; die Zeugnisse enden in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts. Insgesamt 400 Jahre lang lebten römische Soldaten, donauländische Hilfstruppen und Zivilisten in Abodiacum. Ab 580 n. Chr. wurde Epfach durch Alemannen wieder stärker besiedelt. Aufgefundene Reihengräber, die bis 700 n. Chr. datieren, zeugen von dieser Epoche. Ebenfalls stammt der erste Augsburger Bischof, der heilige Wikterp / Wigbert aus Epfach, der wahrscheinlich in der Laurentiuskirche bestattet gewesen sein soll † 772.
Der heilige Wikterp – erster historisch gesicherter Bischof von Augsburg
Wikterp/Wigbert ist der erste geschichtlich gesicherte Bischof von Augsburg. Er wird zunächst 738 unter dem Namen Wiggo/Uiggo in einem Schreiben des aus Syrien stammenden Papstes Gregor III., der bis zur Wahl von Papst Franziskus im Jahre 2013 der letzte außereuropäische Papst war, an die Bischöfe in Alemannien und Bayern erwähnt. Der erste »offizielle« Augsburger Bischof war ein gebürtiger Bayer, ein Angehöriger aus dem Hause der Agilolfinger – auch wenn die Namen Wigbert und Wiggo auf eine angelsächsische Herkunft schließen lassen. Dafür spricht, dass auch der um 680 in Wessex geborene und um 737 in Fritzlar gestorbene, vom heiligen Bonifatius nach Germanien gerufene, spätere Benediktinerabt Wigbert ein Angelsachse aus dem Kloster Glastonbury gewesen war.
Das römische Augsburg – darüber sind sich eine Mehrzahl der Historiker einig – war bereits im 4. Jahrhundert als Hauptstadt der Provinz Rætia Secunda »inoffizieller« Bischofssitz. Auf dem Stuhl des Bischofs saß damals Dionysius, der Oheim der heiligen Afra, der frühchristlichen Märtyrin und Schutzpatronin des Bistums und der Stadt Augsburg. Unter den Legionären, den römischen Beamten und in der Landbevölkerung Rætiens existierten schon erste christliche Gemeinden. Indessen sind sich die Wissenschaftler unsicher, ob das Bistum Augsburg auch nach der Eroberung durch die Alemannen noch Bestand hatte? Sie nehmen an, dass es um 450 eilig vor den germanischen Invasoren nach Sabiona – dem Kloster Säben bei Klausen in Südtirol – verlegt worden war.
Aus kirchlicher Sicht wurde es nun in und um Augsburg ungefähr 200 Jahre lang still. Erst nach dem Sieg des Merowingers Chlodwig I. über die Alemannen in der Schlacht von Zülpich im Jahre 496 – über die uns der Bischof und Geschichtsschreiber Gregor von Tours in seiner Frankengeschichte unterrichtete – und der Besetzung ihres Landes zwischen Main und Allgäu kehrten wieder stabile politische Verhältnisse in die einstige rätische Provinz ein. Unter fränkischer Herrschaft kam es dann um die Wende des 6. zum 7. Jahrhunderts zur Wiedererrichtung des Bistums Augsburg. Historisch ist das Bistum aber erst ein Jahrhundert später 738 mit der nun einsetzenden offiziellen Bischofsliste wieder fassbar, die von dem Namen Wigbert angeführt wird.
Wigberts Leben und Episkopat fallen in eine bedeutende historische Epoche, die von der Geschichtswissenschaft als die Geburt des Abendlandes bezeichnet wird. Es sind die Jahrzehnte, in denen der karolingische Majordomus Karl Martell(us), genannt der Hammer, den dekadenten Merowingern Chilperich II., Chlothar IV. und Theuderich IV., dem vorletzten merowingischen Frankenkönig, die politische und militärische Führung immer mehr entzieht und damit den Grundstein für eine neue Dynastie, die der Karolinger, legt.
Sein Sohn – Frankenkönig Pippin III., der Jüngere (der Kleine, Kurze), der Vater Karls des Großen – wird dann diesen Dynastiewechsel im Jahre 751 im nordfranzösischen Soissons, in der historischen Provinz Picardie gelegen, mit der Absetzung des letzten Merowingers Childerich III. und dessen Verbannung als einfacher Mönch in die Abtei Saint-Bertin praktisch vollziehen.
742 hatte Karlmann, Pippins älterer Bruder, auf Anregung des heiligen Bonifatius mit einer Kirchenreform begonnen, die Pippin fortsetzte. Anschließend wurde um 754 durch die nach Pippin benannte Schenkung der Kirchenstaat gegründet. Schließlich erlebte Bischof Wigbert in seinem langen Leben noch die ersten Regierungsjahre Karls des Großen.
Der heilige Wigbert, dem fast 40 Jahre Amtszeit vergönnt waren, machte sich um die Verbreitung des christlichen Glaubens im Allgäu verdient. So unterstützte er seinen Nachfolger im Augsburger Bischofsamt, den heiligen Tozzo und den »Apostel des Allgäus«, den heiligen Magnus (Maginold) von Füssen, indem er für deren Arbeit Missionare aus der altehrwürdigen Benediktinerabtei St. Gallen, dem zweitältesten Kloster auf dem Gebiet der Alemannen, erbat. Ebenso ordnete Wigbert sein Bistum, indem er auf Visitationsreisen ging, sich persönlich um seine Gemeinden kümmerte und Gotteshäuser weihte.
Um 739/40 war er an der Weihe der unter dem Patrozinium St. Jakob und St. Benedikt stehenden Abtei Buron / Benediktbeuern im Voralpenland beteiligt. Einige Jahre später überbrachte Karl der Große die Reliquie vom rechten Arm des heiligen Benedikt den Mönchen. Daraufhin wurde die bisher als Buron bekannte Abtei in Benedictoburanum umbenannt. Nach der Vollendung des Klosterbaus gründete man die Klosterschule und die Bibliothek. Dort wurde u. a. die Carmina Burana aufbewahrt, eine der ältesten Liedersammlungen der Welt – die mittelalterlichen Vagantenlieder stammen aus dem 13. Jahrhundert.
Ebenfalls ist Wigberts Teilnahme an der Gründung der Gotteshäuser in Ellwangen und Wessobrunn bezeugt. Nach der Tradition des vermutlich ältesten Klosters in Bayern, der Benediktinerabtei Benediktbeuern, kamen die ersten fünfundzwanzig Mönche von dort nach Wessobrunn. Kloster Wessobrunn gilt als die Heimat der Wessobrunner Schule. Mehr als 600 Künstler des südbayerischen Barocks zogen von Wessobrunn aus, um in Europa fast 3000 Klöster und Kirchen zu erbauen.
Zum Beispiel ist die vor den malerischen Trauchbergen im bayerischen Pfaffenwinkel gelegene und im stilreinen Rokoko im Jahre 1745 errichtete Wieskirche bei Steingaden – die Wallfahrtskirche zum gegeißelten Heiland – eines der großartigsten Bauwerke der Wessobrunner Schule. Bei Wessobrunn befindet sich auch das älteste Naturschutzgebiet Bayerns, der Paterzeller Eibenwald. Im einstigen Klosterwald, dem größten Eibenwald Deutschlands, stehen noch heute Bäume, die aus dem Mittelalter stammen.
Im Jahre 741/42 weihte Wigbert die erste christliche Kirche rechts des Lechs, die vom heiligen Magnus in Waltenhofen am heutigen Forggensee erbaute Kirche St. Maria und Florian und stattete sie mit reichem Besitz aus. Der Legende nach hatte der fromme Einsiedler sein Kreuz an einen Apfelbaum gehangen, womit er den heiligen Ort für den ersten Kirchenbau kennzeichnete. An diese Begebenheit erinnert dort noch immer eine vis-à-vis des Gotteshauses gelegene kleine Kapelle. Der heilige Tozzo (Tosso), der Nachfolger Bischof Wigberts von Augsburg, wurde daraufhin erster Pfarrer Waltenhofens, das damit zu den Urpfarreien des Allgäus gehört.
Kurz darauf weihte Wigbert das frühromanische Marienmünster in Kempten, des ältesten Benediktinerklosters des Allgäus und eines der einflussreichsten des Frankenreiches, das im Dreißigjährigen Krieg zerstört und nicht wieder errichtet worden ist. Deshalb gilt Bischof Wigbert als Neubegründer der Stadt, da das römische Cambodunum, das wahrscheinlich schon in tiberischer Zeit als erste Hauptstadt der Provinz Rætien fungiert hatte, bereits im 8. Jahrhundert völlig zerfallen war. Allerdings war die Klostergründung nicht in den verlassenen Ruinen des antiken Cambodunum, sondern auf der anderen Seite der Iller erfolgt.
Um 753 schenkte König Pippin der Jüngere auf Bitten seines Bruders Karlmann und Bischof Wigberts der vom heiligen Magnus in Füssen gegründeten Klosterzelle mit ihrem Oratorium (Gebetssaal) Güter, aus der sich im späten 8. Jahrhundert das Benediktinerkloster St. Mang entwickelte. Besonders schön sind deren imposante Bibliothek mit dem Refektorium, dem Speisesaal der Mönche, und dessen prächtiger Kaisersaal – der auch Fürstensaal genannt wird –, die ein Beispiel für die überschäumende Dekorationslust und heitere Farbenpracht des bayerischen Barock bilden. In der Ostkrypta ist das älteste in Bayern erhaltene Fresko zu sehen, das zu den großen Kostbarkeiten der frühmittelalterlichen Wandmalerei der Reichenauer Schule zählt. Vermutlich sind hier der heilige Magnus und der heilige Gallus dargestellt, die den Alemannenherzog Gunzo aufsuchen.
Vielleicht amtierte der heilige Wigbert auch als Bischof im oberbayerischen Neuburg an der Donau, das allerdings nur wenige Jahrzehnte Bischofssitz war. Bis ins hohe Alter – er soll über 80 Jahre alt geworden sein – schrieb Wigbert Bücher. Damit erwarb er sich nicht nur als Kirchenmann, sondern auch als Gelehrter Ruhm. Wigbert starb vermutlich am 18. April 772 in Epfach, wo er viel Zeit seines Lebens gewirkt haben soll. Im gleichen Jahr begann Karl der Große seinen ersten Sachsenkrieg, über den uns sein Biograph der fränkische Gelehrte Einhard berichtete.
Möglicherweise wurde Wigbert zunächst in der Laurentiuskirche in Epfach beigesetzt. Dort ruhte der Heilige, bis Bischof Heinrich I. von Augsburg aus dem Geschlecht der Liudolfinger – der Nachfolger des heiligen Bischofs Ulrich I. und Patron von Augsburg – ihn im Jahre 980 erheben und in eine eigene Kapelle umbestatten ließ. 1489 wurden Wigberts Gebeine dann in die Sakristei der Kirche St. Ulrich und Afra nach Augsburg überführt. Sein Gedenktag ist der 18. April. In Epfach ist eine Straße im Neubaugebiet nach dem heiligen Wikterp benannt.
Christian Klam, Historiker
46/2014