Jahrgang 2003 Nummer 44

Einst war’s das Kaffeeschloss Europas

Das Münchner »Luitpold« schaut auf seine Vergangenheit

Im reich stukkierten Fürstensaal fanden große Diners statt.

Im reich stukkierten Fürstensaal fanden große Diners statt.
Der Dichter Christian Morgenstern, einer der vielen illustren Künstlergäste des Cafés »Luitpold«, mit Skizzenbuch. Selbstbildnis

Der Dichter Christian Morgenstern, einer der vielen illustren Künstlergäste des Cafés »Luitpold«, mit Skizzenbuch. Selbstbildnis, datiert vom 20.3.1890: »Ich bin das ...«
Der Luitpoldblock heute (1998) behielt den Grundriss des Utzschneiderblocks vor circa 200 Jahren bei. Im Hintergrund: Türme von

Der Luitpoldblock heute (1998) behielt den Grundriss des Utzschneiderblocks vor circa 200 Jahren bei. Im Hintergrund: Türme von Theatiner- und Salvatorkirche.
Tassen- und Kannenscherben hängen dekorativ an Plastikschnüren von der Decke. Auf dem Fußboden die dazugehörigen ganz gebliebenen Ess- und Dessertteller, Schälchen und Untertassen, dicht an dicht aufgestellt. Ein schmaler Gang ist frei, um durch den Tellersee zu gehen und in die Räume zu gelangen, die das Münchner Café »Luitpold« gerade für einen langen Blick in die eigene bewegte Vergangenheit ausgestattet hat. Mit Fotos, Dokumenten, echten alten Menükarten, einigen Dekors witziger Art in Vitrinen, Schaukästen und an den Wänden. »Nicht alles Schokolade ...« heißt die kleine Ausstellung über das alte Café »Luitpold« im neuen »Luitpoldblock« in der Briennerstraße 13, die man als Stadtbummler mal so zwischendurch mitnehmen kann, um in ein Stück Münchner Kulturgeschichte für ein paar Minuten einzutauchen.

»Selten – vielleicht auf der ganzen Welt niemals mehr – ward eine Gaststätte so zum Begriff ihrer Zeit«, schrieb Fritz Basil über das weltoffene, kosmopolitisch bestimmte Münchner Kaffeehaus, das 1888 eröffnet wurde. Am 1. Januar. Feierlich, festliche, überschwänglich – versteht sich. Im breiten Profilrahmen prunken faksimilierte Zeugnisse dieses gesellschaftlichen Events am 1.1.1888 – ein Datum, das im Gedächtnis bleibt. 115 Jahr’ sind’s her ...

»Das Leben ist eine Begleiterscheinung des Kaffeehauses«, soll der Schriftsteller Erich Mühsam geäußert haben. Nicht nur er – viele aus der Zunft der Literaten und Künstler haben im Café »Luitpold«, benannt nach dem gleichnamigen hochverehrten Prinzregenten, gesessen, gesonnen, gespeist, gezeichnet, vor allem geschrieben: Carossa und Morgenstern, Ricarda Huch und Stefan George, Ludwig Thoma und Otto Julius Bierbaum, Meyrink, die Reventlow, Heinrich Mann, Frank Wedekind, Ganghofer, Eduard Grützner, Henrik Ibsen sogar. Ihre Fotos füllen eine Wand.

Billard-, Schlachten-, Kuppel-, »Rococo«-, Großer Kramer-Saal – die historistisch-plüschschwer ausgestatteten Räume des damals »allerschönsten Kaffeehauses der Welt« sind heute freilich nur mehr auf Fotos festgehalten. Festdiners, Kongresse, Frauentage, Pingponggesellschaften – neben der bunt-frechen Breitwand-»Love Story with Coconuts« von Sonja Alhäuser, eigens für die Ausstellung kreiert, nehmen sich die Fotos solcher Ereignisse aus vergangenen Tagen, der »guten alten Zeit«, wie man zu sagen pflegt, gar nicht so gestrig aus. Schön und vor allem lustig sind sie anzuschauen, die alten Ansichtspostkarten, Broschüren, München-Leporellos (mit dem berühmte Café »Luitpold« als Sehenswürdigkeit) und Dokument-Fotos, etwa vom Grafen Zeppelin, der am 10. März 1896 im Prinzensaal beim Verein für Luftschifffahrt einen Vortrag hielt. Er war nicht der einzige illustre Redner, der in diesem Groß-Etablissement vor exquisitem Publikum seine Theorien wortreich darlegte. Marika und Paul Buchner, die 26 Jahre das Café »Luitpold« führten, das sie 1989 ihrem Konditormeister Gerhard Brenner übergaben, sammelten alles, was mit ihrem Haus – nun bildet es den Mittelpunkt des »Luitpoldblockes« mit dem gern besuchten Palmengarten – zusammenhängt und über seine Geschichte Auskunft geben kann. Mit Stolz weist man heute darauf hin, dass das Café im Herzen Münchens seit seiner Eröffnung 1888 ein »wichtiger Ort für kosmopolitische Lebenskultur, für sinnliche Genüsse« und ein »Treffpunkt des kulturellen und sozialen Lebens in München« geblieben ist. Die Hautevolée Europas gab sich um die vorletzte Jahrhundertwende hier ein Stelldichein: Künstler, Freigeister, heimische Honoratioren ebenso wie Salonlöwen des internationalen Parketts. Das Haus galt als »Kaffeschloss Europas.«

Heute wird es zum Meetingpoint zunehmend auch jüngerer Leute. Diesen Aspekt betont die hübsche witzige Ausstellung durch die Installationen so bekannter Künstlerinnen und Künstler der gegenwärtigen Szene: Regina Pemsl mit ihren Hänge-»Granatsplittern«, Sonja Alhäuser mit ihren »Negerküssen«, Mark Formanek mit seinem Archivmaterial. Dazu passen die von der Briennerstraße bereits sichtbaren blechernen Eisformen zu den zwölf Tierkreiszeichen, die man wohl vor hundert Jahren in der Konditorei des Hauses noch verwendete und bis heute aufbewahrt hat.

In der »Luitpold Lounge« gibt es seit Anfang dieses Jahres Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst und Kultur. Die ersten Projekte hießen »Gold und Silber der Kelten«, »Mode und Beständigkeit in der Kunst«, »springtime«, »Tunnel – Weg und Grenzlinie«, »Ornament oder Die neue Lust am Verbrechen in der zeitgenössischen Kunst«. Kuratorin Elisabeth Hartung gelangen Performances, die mit ihren eigenwilligen Sichtweisen provozierten. Da nimmt sich »Nicht alles Schokolade ...« geradezu gemütlich dagegen aus. Doch wird diese historische Schau von einem aktuellen Rahmenprogramm begleitet, das sowohl das anspruchsvolle als – womöglich – auch das Lauf-Publikum anspricht. Da ist der Augsburger Kunsthistoriker mit einem Vortrag über das »alte Café Luitpold – Bühne und Schlachtfeld« zu erleben. Da lädt man in den Palmengarten zu dem Kinofilm »Chocolat« (mit Juliette Binoche und Jonny Depp) und zu kleinen Köstlichkeiten aus Schokolade ein. Da hält der Schauspieler Alexander Netschajew eine Lesung zur Literatur der Prinzregentenzeit. Da spielt schließlich ein Orchester Salonmusik aus der Zeit um 1900 live. Und im Palmengarten darf dazu getanzt werden.

Noch etwas ist erlaubt. Jeder Gast darf sich ein nostalgisch anmutendes Büchlein mit nach Hause nehmen: »Das geliebte L«, eine Broschüre, die den »geschätzten Gästen und Kunden« gewidmet ist, ein paar alte Fotos enthält und vor allem ausführliche Informationen zur Geschichte des Hauses von Beate Bentele, die auch ins Englische und Französische übersetzt sind. Schließlich befindet man sich nicht nur in einem großzügigen, sondern auch in einem internationalen Caféhaus von Weltklasse.

HG



44/2003