Eine Reise nach Jerusalem
Jakob Pammer pilgerte 1859 von Traunstein ins Heilige Land

Jerusalem

Nazareth

Das Innere der Kirche des heiligen Grabes.
Das Bändchen »Reise nach Jerusalem und Rom« nimmt in meiner Sammlung Öffentlicher Schulpreise Bayerns aus dem 19. Jahrhundert nicht viel Platz ein. Kaum anderthalb Zentimeter ist das mit blauem Papier überzogene, goldgeprägte Buch stark, bei Abmessungen von 17,5 mal 10,5 Zentimetern. Der »Oeffentliche Schul-Preis« – so der Prägeaufdruck inmitten eines ovalen Blumenkranzes auf dem Cover – wurde am 27. Juni 1860 in Tittmoning von der dortigen »Kgl. Lokal-Schulen-Inspektion« einem »Obernweger (?) Sebastian« zuerkannt. Er erhielt den 1. Preis im »Vorb. Kurs«, der thematisch nicht näher gekennzeichnet wird. Im untern rechten Eck drückte sich verschämt Sebastians Lehrer mit seiner leider nicht genau identifizierbaren Unterschrift auf die Widmungsseite.
Ein Traunsteiner Bürger
Abgesehen vom Wert für eine »Schulpreis«-Sammlung ist das Büchlein für die Heimatgeschichte von einiger Bedeutung. Zum einen ist es in Traunstein 1860 erschienen, wie aus der (unnötiger Weise doppelt eingebundenen) Schmutztitelseite hervorgeht: »Druck von A. Miller«. Zum anderen zeigt sich als Autor ein Traunsteiner Bürger namens Jakob Pammer, der hiermit sein erstes und wohl auch letztes Buch, das er selbst verfasste, erscheinen ließ. Seine »Reise nach Jerusalem und Rom, unternommen und beschrieben im Jahre 1859« (so wörtlich auf dem Innentitel zu lesen) war ihm anscheinend so wichtig, dass er durch seine persönliche, immerhin 20 Kapitel auf 110 Druckseiten umfassende Schilderung auch andere teilnehmen lassen wollte, die nicht in den Genuss einer solchen Pilgerfahrt kamen oder kommen dürften. Das Druckhaus Miller in Traunstein versah das Buch mit vier Ansichten (braun getönten Radierungen). Sie zeigen Jerusalem, Nazareth, »Das Innere der Kirche des heiligen Grabes« und Bethlehem. Die Aufnahme von Jakob Pammers Buch in die Reihe bayerischer Öffentlicher Schulpreise bedeutete eine Auszeichnung für Autor und Druckerei. Erreichte Pammer doch dadurch Schülerinnen und Schüler, denen seine Wallfahrt als Vorbild diente und möglicherweise den Anstoß gab, selbst eine Reise ins Heilige Land und nach Rom zu unternehmen.
Jakob Pammer war ein leidenschaftlicher Pilger. 1847 war er schon einmal in Rom (und Loretto), vorher bereits in Maria Zell und im schweizerischen Einsiedeln. Bis er sich eine so weite Reise an den Jordan leisten konnte, musste er sparen und sich einschränken. Außerdem waren die Gefahren und Strapazen einer solchen Unternehmung nicht zu unterschätzen, wie er bekennt. Wie alt Pammer im Jahr seiner Hl.-Land-Fahrt war, lässt sich nicht feststellen. Wohl aber, dass er ein gläubiger Katholik und ausgemachter Türkenhasser, ein sowohl gesunder als auch geselliger Mann voller Gottvertrauen war und offenen Auges durch die Welt gegangen sein muss. Die Niederschrift seiner Erlebnisse auf großer Pilgerfahrt niederzulegen, war für ihn nicht eben eine Sache, die ihm große Überwindung kostete. Seine Darstellung liest sich flüssig, witzig, ist detailreich und mit angelesenem Wissen ebenso angefüllt wie mit Fakten und Daten, die er auf Führungen erfuhr.
Anspruchslose Erzählung
Es ging Pammer nicht um wissenschaftliche Akribie; die überließ er Berufeneren. Die bringe auch, wie er im Vorwort sagt, »sehr wenig Nutzen und Vergnügen bei deren Lesung«. Er als Nichtstudierter habe nicht den Ehrgeiz besessen, es den Profis gleich zu tun, sondern weist darauf hin, »dass diese Beschreibung meiner Pilgerfahrt nur eine anspruchslose Erzählung und einfache Schilderung« sei. Am Ende bittet Pammer gar den »lieben christlichen Leser dieses Werkleins« wegen seiner Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit um Nachsicht und darum, »auf den guten Willen Rücksicht zu nehmen, den ich bei Abfassung desselben hatte. Ich habe alles getreulich erzählt, wie ich es selbst gesehen und wie es mir von den Führern erklärt wurde.« Es gäbe ja ohnehin nichts unter der Sonne, was ohne Fehler wäre. Fern aller Eitelkeit und jeglichen Hochmuts war es Pammers erklärte alleinige Absicht, »zur größeren Ehre Gottes« seine Schrift verfasst zu haben.
Los ging’s für Jakob (der ausgerechnet den heiligen Jakobus zum Schutzheiligen hat) Pammer und seine beiden Gefährten Jakob (!) Leeb, »Bauerssohn von Brunnader bei Rottalmünster und Franz Burgstaller, Austragswirth bei Ried im Innviertel« am 10. März 1859. Die drei hören in Traunstein eine Frühmesse, empfangen die heilige Kommunion und kleiden sich mit Stab und Kürbisflasche wie Pilger; fahren nach München; bringen dort ihre Pässe in Ordnung (»was anderthalb Tage dauerte«); machen einen Abstecher nach Augsburg und nehmen am 12. März mittags den Zug nach Innsbruck. In einem Stellwagen gelangen sie über Brixen nach Bozen, von wo aus sie per Bahn nach Trient kommen. Über den Gardasee, Verona, Vicenza, Padua erreichen sie (16. März abends) Venedig: »15 000 Häuser, 120 000 Einwohner, 29 Pfarrkirchen und 7 Synagogen. Hier giebt es keine Wägen, keine Pferde und keine Straßen, dafür aber 400 Kanäle mit 450 Brücken ...« – Pammer ist ein Zahlenfetischist. Er erkundigt sich quantitativ auf der Reise stets sehr genau, um möglichst authentisch und aktuell zu sein. Mit dem Dampfschiff sind Pammer & Co. in sieben Stunden in Triest. Schwindel, Kopfweh und Erbrechen ...!
Sparsam, aber gebefreudig
Jakob Pammers Reise-Erzählung enthält viele hübsche Anekdoten, manches Kuriose, was man ihm nicht so ohne weiteres abnimmt, aber auch sehr gewissenhafte Passagen, insbesondere dann, wenn es um Glaubensdinge geht, um Heilige (wie etwa den verehrten Antonius von Padua) oder um die heiligen Stätten und Gnadenorte. Reizend sind die Anschlüsse der drei aus Traunstein Abgereisten an Gruppen, auf die sie entweder per Empfehlungsschreiben oder per Zufall treffen, die ihnen weiterhelfen, wo sie übernachten und sich erholen können, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Pammer ist ein äußerst sparsamer, jedoch gebefreudiger Pilger, den Priestern und Klosterbrüdern zugetan, bei denen er und seine beiden Kumpanen des öfteren nächtigen.
Die Reiseroute: Triest – Smyrna – Beirut – Nazareth. »Beyrut« verlassen sie am Morgen des 31. März: »Es waren 800 Personen auf dem Schiffe«, viele Türken dabei, »die nach Mekka reisten, weil jeder Muhamedaner einmal in seinem Leben die Geburtsstadt des Propheten Muhamed besuchen soll ..., auch zwei Judenweiber, von denen jede schon über 100 Jahre alt war ..., sie reisten nach Jerusalem, um dort bis zu ihrem Tode zu verbleiben weil sie glaubten, dass ihre Leiber nicht von den Würmern verzehrt würden, wenn sie in der Erde des gelobten Landes begraben würden«. (Ob Jakob Pammer ähnliche Vorstellungen für sich und seine Freunde hatte?)
In »Kaifa« hatte der österreichische Konsul für ein Fahrzeug gesorgt, »auf dem zwei Franziskaner, Pater Wenzeslaus Kiechl, ein Tyroler, und Bruder Damian aus Mähren uns entgegen kamen ...« Jetzt beginnt eine turbulente Seefahrt, der sich eine Strecke mit einer berittenen Karavane auf den Berg Karmel anschließt, wo Pammer nachts um 22 Uhr anlangt. Am 2. April um zwei Uhr nachmittags »wurde nach Nazareth aufgebrochen ... Der Weg war sehr steil und beschwerlich und die Nacht überfiel uns. Nach neun Uhr endlich hörten wir das heftige Bellen vieler Hunde, wir bemerkten hie und da ein Licht, und der Ruf: ‘Nazareth! Nazareth!’ erscholl aus dankerfüllter Brust.«
Aus Mangel an Geld zogen es Pammer und Begleiter jeweils vor, Fußmärsche zu machen, »während die (sie begleitenden) Mitglieder des Severinus-Vereines beritten waren«. Pferde sind, besonders zur österlichen Zeit, kostspielig (pro Tag über fünf Gulden das Tier). »Ich sagte zu meinen zwei Kameraden: ‘Der liebe Heiland hat auch diese Wege nicht zu Pferde gemacht und so wollen auch wir aus Liebe zu ihm uns ein wenig anstrengen und einigen Schweiß für ihn vergießen’«.
In »tief ergreifender Ehrfurcht«
Immer zu Opfern bereit, niemals müde bei Besichtigungen, Messenbesuchen, Gebetsverrichtungen, stets wach und aufgeschlossen erlebte Jakob Pammer die heiligen Stätten. Am 7. April ging’s von Nazareth nach Jerusalem weiter. Das VI. Kapitel ist dem ersten großen Ziel der Pilgerreise ganz gewidmet, getragen vom »heiligen Schauder und tief ergreifender Ehrfurcht«. Kreuzweg und Grabeskirche, ein Abstecher zum Jordan und zum Toten Meer (zusammen mit circa 50 Personen) am 12. April bei unerträglicher Hitze und notorischem Wassermangel, die Palmsonntagsfeier und die Wanderung nach Bethlehem am 18. April, die Abschreitung des Ölbergs und weiterer »heiliger Orte in und um Jerusalem« in der Karwoche des Jahres 1859, Gottesdienste an den Osterfeiertagen mit Prozessionen des katholischen Patriarchen (»... an der Stelle, wo der Heiland siegreich aus dem Grabe erstand, erscholl das fröhliche Alleluja«) – Pammer hatte erhabene Eindrücke seiner Reise ins Gelobte Land. Er kannte vieles aus dem Religionsunterricht (so ist anzunehmen), war wohl auch sehr aufmerksam in Predigten und las einiges – denn sonst würde er auf weniger Einzelheiten seiner Beschreibung eingegangen sein. Er ließ ja sein Büchlein erst »überarbeitet von einem katholischen Geistlichen« hinausgehen, wie auf dem Innentitel vermerkt ist.
Ohne »Thränen der Wehmuth« schied Jakob Pammer nicht aus der heiligen Stadt Jerusalem, sagte herzlich Lebewohl seinen Verköstigern, den »lieben Franziskanern«, die, wie er hervorhebt, stark unterstützt werden müssen von den bayerischen Kirchen, besonders aber vom Münchner Ludwig-Missions-Verein, »der alle Jahre 6000 fl. nach Jerusalem schickt«. Osterdienstag (26. April) 1859 ging die Reise von Jerusalem über Jaffa, Alexandria, Malta, Messina, Neapel nach Rom weiter, das am 18. Mai erreicht wurde. Pammer wird nicht fertig, Rom zu preisen und seine Leser mit Zahlen zu füttern: 180 000 Einwohner, 54 Pfarreien, 365 Kirchen und Kapellen, 35 Tore, 37 Kardinäle und Bischöfe, 1330 Welt-, 2400 Ordensgeistliche, 1872 Klosterfrauen, »ferners gegen 8000 Juden«.
Beim Heiligen Vater
Es ist köstlich, wie Pammer sich – in seinen Zahlenrecherchen unübertroffen – genauestens informiert und penibel alles mitteilt. Natürlich auch jeden Schritt, den er in Rom als Pilger unternimmt, vom Besuch der Peterskirche bis hin zu einer Papstaudienz am 3. Rom-Tag. Der Heilige Vater »hatte einen weißen Talar an mit einem rothsammtenen Kragen, ein rothes Käppchen auf dem Haupte und rothe Schuhe an den Füßen, auf welche ein Kreuz gestickt ist mit Reliquien, das wir kniend küssten. Da er nicht deutsch versteht, so fragte er durch den Kaplan einen Jeden, aus welchem Land er sei ...«
Am letzten Maitag sehen wir Pammer & Co. schon in Assisi, von wo aus sie den Marienwallfahrtsort Loretto besuchten. Die Franziskaner und ihr Ordensgründer lagen Pammer wohl sehr am Herzen. Aber auch vom Loretto-Gnadenbild war er begeistert: Es sei aus Zedernholz vom Berg Libanon geschnitzt und kostbar geschmückt, »aber durch das hohe Alter und den Dunst der Lampen ziemlich geschwärzt.« An Christi Himmelfahrt empfangen Pammer und seine beiden Freunde die heilige Kommunion, um sich für die Rückreise geistlich zu rüsten. Nun ging es rasch gen Heimat. Von Ankona aus (wo man »noch den deutschen Bierwirth aus Tyrol besucht« hatte) nach Sinigaglia, dem Geburtsort des damaligen Papstes Pius IX., Fano, Pesaro, Rimini, Forli, Faenza, Bologna mit der ältesten Universität der Welt, Ferrara. »Hier hatten wir das theuerste Nachtquartier während der ganzen Reise«: 1 Gulden pro Person »Schlafgeld«. Alle diese oberitalienischen Städte erreichten die drei Pilger per pedes. Österreichisches Militär hinderte sie daran, rasch vorwärts zu kommen. Regen setzte ein. Manchmal ließen sie fahrende Bauern aufsitzen. In Padua langten sie »in der Frühe vor Kälte erstarrt« an, nachdem sie nachts ein heftiges Gewitter unter freiem Himmel überrascht hatte. Zwei österreichische Offiziere waren so beeindruckt, Jerusalem- und Rom-Pilger vor sich zu haben, dass sie es möglich machten, sie mit dem Militärzug nach Trient zu befördern.
2400 Stunden unterwegs
Pfingstsonntag 1859, am 12. Juni, reiste Jakob Pammer mit seinen Begleitern über den Brenner nach Innsbruck, weiter nach Kufstein »und über Sacherang (!) und Aschau« zu Fuß weiter bis Grassau. Hier übernachtete unser Gewährsmann ein letztes Mal, ging nächsten Tags »sogleich nach Maria Eck, um der Muttergottes meinen innigsten Dank abzustatten, weil sie mich immer mütterlich beschützt hat; denn ich hatte es versprochen, wenn ich wieder glücklich von Jerusalem zurückkomme, sogleich nach Maria Eck und Altenötting zu wallfahrten.«
Nach dreizehn Wochen langte Jakob Pammer »gesund und wohlbehalten« in Traunstein an. Resümee: 2400 Stunden unterwegs, davon 800 zu Land und 1600 zu Wasser. Typisch Pammer – er rechnet schon wieder! In seiner lustigen Pilger(ver)kleidung »und wegen meines bärtigen Gesichtes« erkannten ihn selbst seine Freunde kaum. Daran hatte der Mann seinen Spaß. Ein Wermuthstropfen: Kurz vor Drucklegung erreichte Jakob Pammer die Nachricht vom Tod seines Reisegefährten Franz Burgstaller. »Möchten wir uns einst Alle im himmlischen Jerusalem wieder sehen«: mehr bleibt Pammer am Schluss seines langen Berichts nicht zu wünschen.
HG
19/2003
Ein Traunsteiner Bürger
Abgesehen vom Wert für eine »Schulpreis«-Sammlung ist das Büchlein für die Heimatgeschichte von einiger Bedeutung. Zum einen ist es in Traunstein 1860 erschienen, wie aus der (unnötiger Weise doppelt eingebundenen) Schmutztitelseite hervorgeht: »Druck von A. Miller«. Zum anderen zeigt sich als Autor ein Traunsteiner Bürger namens Jakob Pammer, der hiermit sein erstes und wohl auch letztes Buch, das er selbst verfasste, erscheinen ließ. Seine »Reise nach Jerusalem und Rom, unternommen und beschrieben im Jahre 1859« (so wörtlich auf dem Innentitel zu lesen) war ihm anscheinend so wichtig, dass er durch seine persönliche, immerhin 20 Kapitel auf 110 Druckseiten umfassende Schilderung auch andere teilnehmen lassen wollte, die nicht in den Genuss einer solchen Pilgerfahrt kamen oder kommen dürften. Das Druckhaus Miller in Traunstein versah das Buch mit vier Ansichten (braun getönten Radierungen). Sie zeigen Jerusalem, Nazareth, »Das Innere der Kirche des heiligen Grabes« und Bethlehem. Die Aufnahme von Jakob Pammers Buch in die Reihe bayerischer Öffentlicher Schulpreise bedeutete eine Auszeichnung für Autor und Druckerei. Erreichte Pammer doch dadurch Schülerinnen und Schüler, denen seine Wallfahrt als Vorbild diente und möglicherweise den Anstoß gab, selbst eine Reise ins Heilige Land und nach Rom zu unternehmen.
Jakob Pammer war ein leidenschaftlicher Pilger. 1847 war er schon einmal in Rom (und Loretto), vorher bereits in Maria Zell und im schweizerischen Einsiedeln. Bis er sich eine so weite Reise an den Jordan leisten konnte, musste er sparen und sich einschränken. Außerdem waren die Gefahren und Strapazen einer solchen Unternehmung nicht zu unterschätzen, wie er bekennt. Wie alt Pammer im Jahr seiner Hl.-Land-Fahrt war, lässt sich nicht feststellen. Wohl aber, dass er ein gläubiger Katholik und ausgemachter Türkenhasser, ein sowohl gesunder als auch geselliger Mann voller Gottvertrauen war und offenen Auges durch die Welt gegangen sein muss. Die Niederschrift seiner Erlebnisse auf großer Pilgerfahrt niederzulegen, war für ihn nicht eben eine Sache, die ihm große Überwindung kostete. Seine Darstellung liest sich flüssig, witzig, ist detailreich und mit angelesenem Wissen ebenso angefüllt wie mit Fakten und Daten, die er auf Führungen erfuhr.
Anspruchslose Erzählung
Es ging Pammer nicht um wissenschaftliche Akribie; die überließ er Berufeneren. Die bringe auch, wie er im Vorwort sagt, »sehr wenig Nutzen und Vergnügen bei deren Lesung«. Er als Nichtstudierter habe nicht den Ehrgeiz besessen, es den Profis gleich zu tun, sondern weist darauf hin, »dass diese Beschreibung meiner Pilgerfahrt nur eine anspruchslose Erzählung und einfache Schilderung« sei. Am Ende bittet Pammer gar den »lieben christlichen Leser dieses Werkleins« wegen seiner Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit um Nachsicht und darum, »auf den guten Willen Rücksicht zu nehmen, den ich bei Abfassung desselben hatte. Ich habe alles getreulich erzählt, wie ich es selbst gesehen und wie es mir von den Führern erklärt wurde.« Es gäbe ja ohnehin nichts unter der Sonne, was ohne Fehler wäre. Fern aller Eitelkeit und jeglichen Hochmuts war es Pammers erklärte alleinige Absicht, »zur größeren Ehre Gottes« seine Schrift verfasst zu haben.
Los ging’s für Jakob (der ausgerechnet den heiligen Jakobus zum Schutzheiligen hat) Pammer und seine beiden Gefährten Jakob (!) Leeb, »Bauerssohn von Brunnader bei Rottalmünster und Franz Burgstaller, Austragswirth bei Ried im Innviertel« am 10. März 1859. Die drei hören in Traunstein eine Frühmesse, empfangen die heilige Kommunion und kleiden sich mit Stab und Kürbisflasche wie Pilger; fahren nach München; bringen dort ihre Pässe in Ordnung (»was anderthalb Tage dauerte«); machen einen Abstecher nach Augsburg und nehmen am 12. März mittags den Zug nach Innsbruck. In einem Stellwagen gelangen sie über Brixen nach Bozen, von wo aus sie per Bahn nach Trient kommen. Über den Gardasee, Verona, Vicenza, Padua erreichen sie (16. März abends) Venedig: »15 000 Häuser, 120 000 Einwohner, 29 Pfarrkirchen und 7 Synagogen. Hier giebt es keine Wägen, keine Pferde und keine Straßen, dafür aber 400 Kanäle mit 450 Brücken ...« – Pammer ist ein Zahlenfetischist. Er erkundigt sich quantitativ auf der Reise stets sehr genau, um möglichst authentisch und aktuell zu sein. Mit dem Dampfschiff sind Pammer & Co. in sieben Stunden in Triest. Schwindel, Kopfweh und Erbrechen ...!
Sparsam, aber gebefreudig
Jakob Pammers Reise-Erzählung enthält viele hübsche Anekdoten, manches Kuriose, was man ihm nicht so ohne weiteres abnimmt, aber auch sehr gewissenhafte Passagen, insbesondere dann, wenn es um Glaubensdinge geht, um Heilige (wie etwa den verehrten Antonius von Padua) oder um die heiligen Stätten und Gnadenorte. Reizend sind die Anschlüsse der drei aus Traunstein Abgereisten an Gruppen, auf die sie entweder per Empfehlungsschreiben oder per Zufall treffen, die ihnen weiterhelfen, wo sie übernachten und sich erholen können, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Pammer ist ein äußerst sparsamer, jedoch gebefreudiger Pilger, den Priestern und Klosterbrüdern zugetan, bei denen er und seine beiden Kumpanen des öfteren nächtigen.
Die Reiseroute: Triest – Smyrna – Beirut – Nazareth. »Beyrut« verlassen sie am Morgen des 31. März: »Es waren 800 Personen auf dem Schiffe«, viele Türken dabei, »die nach Mekka reisten, weil jeder Muhamedaner einmal in seinem Leben die Geburtsstadt des Propheten Muhamed besuchen soll ..., auch zwei Judenweiber, von denen jede schon über 100 Jahre alt war ..., sie reisten nach Jerusalem, um dort bis zu ihrem Tode zu verbleiben weil sie glaubten, dass ihre Leiber nicht von den Würmern verzehrt würden, wenn sie in der Erde des gelobten Landes begraben würden«. (Ob Jakob Pammer ähnliche Vorstellungen für sich und seine Freunde hatte?)
In »Kaifa« hatte der österreichische Konsul für ein Fahrzeug gesorgt, »auf dem zwei Franziskaner, Pater Wenzeslaus Kiechl, ein Tyroler, und Bruder Damian aus Mähren uns entgegen kamen ...« Jetzt beginnt eine turbulente Seefahrt, der sich eine Strecke mit einer berittenen Karavane auf den Berg Karmel anschließt, wo Pammer nachts um 22 Uhr anlangt. Am 2. April um zwei Uhr nachmittags »wurde nach Nazareth aufgebrochen ... Der Weg war sehr steil und beschwerlich und die Nacht überfiel uns. Nach neun Uhr endlich hörten wir das heftige Bellen vieler Hunde, wir bemerkten hie und da ein Licht, und der Ruf: ‘Nazareth! Nazareth!’ erscholl aus dankerfüllter Brust.«
Aus Mangel an Geld zogen es Pammer und Begleiter jeweils vor, Fußmärsche zu machen, »während die (sie begleitenden) Mitglieder des Severinus-Vereines beritten waren«. Pferde sind, besonders zur österlichen Zeit, kostspielig (pro Tag über fünf Gulden das Tier). »Ich sagte zu meinen zwei Kameraden: ‘Der liebe Heiland hat auch diese Wege nicht zu Pferde gemacht und so wollen auch wir aus Liebe zu ihm uns ein wenig anstrengen und einigen Schweiß für ihn vergießen’«.
In »tief ergreifender Ehrfurcht«
Immer zu Opfern bereit, niemals müde bei Besichtigungen, Messenbesuchen, Gebetsverrichtungen, stets wach und aufgeschlossen erlebte Jakob Pammer die heiligen Stätten. Am 7. April ging’s von Nazareth nach Jerusalem weiter. Das VI. Kapitel ist dem ersten großen Ziel der Pilgerreise ganz gewidmet, getragen vom »heiligen Schauder und tief ergreifender Ehrfurcht«. Kreuzweg und Grabeskirche, ein Abstecher zum Jordan und zum Toten Meer (zusammen mit circa 50 Personen) am 12. April bei unerträglicher Hitze und notorischem Wassermangel, die Palmsonntagsfeier und die Wanderung nach Bethlehem am 18. April, die Abschreitung des Ölbergs und weiterer »heiliger Orte in und um Jerusalem« in der Karwoche des Jahres 1859, Gottesdienste an den Osterfeiertagen mit Prozessionen des katholischen Patriarchen (»... an der Stelle, wo der Heiland siegreich aus dem Grabe erstand, erscholl das fröhliche Alleluja«) – Pammer hatte erhabene Eindrücke seiner Reise ins Gelobte Land. Er kannte vieles aus dem Religionsunterricht (so ist anzunehmen), war wohl auch sehr aufmerksam in Predigten und las einiges – denn sonst würde er auf weniger Einzelheiten seiner Beschreibung eingegangen sein. Er ließ ja sein Büchlein erst »überarbeitet von einem katholischen Geistlichen« hinausgehen, wie auf dem Innentitel vermerkt ist.
Ohne »Thränen der Wehmuth« schied Jakob Pammer nicht aus der heiligen Stadt Jerusalem, sagte herzlich Lebewohl seinen Verköstigern, den »lieben Franziskanern«, die, wie er hervorhebt, stark unterstützt werden müssen von den bayerischen Kirchen, besonders aber vom Münchner Ludwig-Missions-Verein, »der alle Jahre 6000 fl. nach Jerusalem schickt«. Osterdienstag (26. April) 1859 ging die Reise von Jerusalem über Jaffa, Alexandria, Malta, Messina, Neapel nach Rom weiter, das am 18. Mai erreicht wurde. Pammer wird nicht fertig, Rom zu preisen und seine Leser mit Zahlen zu füttern: 180 000 Einwohner, 54 Pfarreien, 365 Kirchen und Kapellen, 35 Tore, 37 Kardinäle und Bischöfe, 1330 Welt-, 2400 Ordensgeistliche, 1872 Klosterfrauen, »ferners gegen 8000 Juden«.
Beim Heiligen Vater
Es ist köstlich, wie Pammer sich – in seinen Zahlenrecherchen unübertroffen – genauestens informiert und penibel alles mitteilt. Natürlich auch jeden Schritt, den er in Rom als Pilger unternimmt, vom Besuch der Peterskirche bis hin zu einer Papstaudienz am 3. Rom-Tag. Der Heilige Vater »hatte einen weißen Talar an mit einem rothsammtenen Kragen, ein rothes Käppchen auf dem Haupte und rothe Schuhe an den Füßen, auf welche ein Kreuz gestickt ist mit Reliquien, das wir kniend küssten. Da er nicht deutsch versteht, so fragte er durch den Kaplan einen Jeden, aus welchem Land er sei ...«
Am letzten Maitag sehen wir Pammer & Co. schon in Assisi, von wo aus sie den Marienwallfahrtsort Loretto besuchten. Die Franziskaner und ihr Ordensgründer lagen Pammer wohl sehr am Herzen. Aber auch vom Loretto-Gnadenbild war er begeistert: Es sei aus Zedernholz vom Berg Libanon geschnitzt und kostbar geschmückt, »aber durch das hohe Alter und den Dunst der Lampen ziemlich geschwärzt.« An Christi Himmelfahrt empfangen Pammer und seine beiden Freunde die heilige Kommunion, um sich für die Rückreise geistlich zu rüsten. Nun ging es rasch gen Heimat. Von Ankona aus (wo man »noch den deutschen Bierwirth aus Tyrol besucht« hatte) nach Sinigaglia, dem Geburtsort des damaligen Papstes Pius IX., Fano, Pesaro, Rimini, Forli, Faenza, Bologna mit der ältesten Universität der Welt, Ferrara. »Hier hatten wir das theuerste Nachtquartier während der ganzen Reise«: 1 Gulden pro Person »Schlafgeld«. Alle diese oberitalienischen Städte erreichten die drei Pilger per pedes. Österreichisches Militär hinderte sie daran, rasch vorwärts zu kommen. Regen setzte ein. Manchmal ließen sie fahrende Bauern aufsitzen. In Padua langten sie »in der Frühe vor Kälte erstarrt« an, nachdem sie nachts ein heftiges Gewitter unter freiem Himmel überrascht hatte. Zwei österreichische Offiziere waren so beeindruckt, Jerusalem- und Rom-Pilger vor sich zu haben, dass sie es möglich machten, sie mit dem Militärzug nach Trient zu befördern.
2400 Stunden unterwegs
Pfingstsonntag 1859, am 12. Juni, reiste Jakob Pammer mit seinen Begleitern über den Brenner nach Innsbruck, weiter nach Kufstein »und über Sacherang (!) und Aschau« zu Fuß weiter bis Grassau. Hier übernachtete unser Gewährsmann ein letztes Mal, ging nächsten Tags »sogleich nach Maria Eck, um der Muttergottes meinen innigsten Dank abzustatten, weil sie mich immer mütterlich beschützt hat; denn ich hatte es versprochen, wenn ich wieder glücklich von Jerusalem zurückkomme, sogleich nach Maria Eck und Altenötting zu wallfahrten.«
Nach dreizehn Wochen langte Jakob Pammer »gesund und wohlbehalten« in Traunstein an. Resümee: 2400 Stunden unterwegs, davon 800 zu Land und 1600 zu Wasser. Typisch Pammer – er rechnet schon wieder! In seiner lustigen Pilger(ver)kleidung »und wegen meines bärtigen Gesichtes« erkannten ihn selbst seine Freunde kaum. Daran hatte der Mann seinen Spaß. Ein Wermuthstropfen: Kurz vor Drucklegung erreichte Jakob Pammer die Nachricht vom Tod seines Reisegefährten Franz Burgstaller. »Möchten wir uns einst Alle im himmlischen Jerusalem wieder sehen«: mehr bleibt Pammer am Schluss seines langen Berichts nicht zu wünschen.
HG
19/2003