Jahrgang 2011 Nummer 16

Ein unvergesslicher Ostermontag

Kindheitserinnerungen an ein besonders schönes Osterwochenende

»Der Heiland erstand – die Nacht ist verschwunden – der Tod überwunden – Alleluja – Alleluja!«

Als bei der feierlichen Auferstehungsfeier am Karsamstagabend, bei der keiner aus unserer großen Familie fehlte, plötzlich der Heiland aus dem Grab vorne am Altar verschwunden ist und kurz darauf hinter ihm emporgekommen war, da ist für mich jedes Jahr fast ein Wunder geschehen. Als genau in dem Moment der Herr Hauptlehrer auf der Orgel das Lied »Der Heiland erstand« angestimmt hatte, habe ich mit den vielen Kindern und Erwachsenen laut und froh mitgesungen. Es war schon finster, als wir uns alle zusammen schnellstens auf den Heimweg machten, denn zum Ratschen war für die Kirchgänger, die von den vielen Einöden und Weilern alle in Hart zusammengekommen waren, am morgigen Ostersonntag noch genügend Zeit.

Kirchgänge an Ostern

»Christ ist erstanden von der Marter alle... Kyrieleis, da wollen wir alle froh sein – Christ soll unser Trost sein ... Kyrieleis«

Jedes Jahr am Ostersonntag stand ich schon zeitig mit den Tanten auf, und während sie noch bei der Stallarbeit waren, zog ich mein schönstes »Kirchgwand« an. Meine Großmutter hat inzwischen in den großen »Speiskorb « mehrere gefärbte Eier und einen Laib Brot gelegt, das gebackene Osterlämmchen durfte ich hineinstellen. Bad darauf sind wir alle zusammen rechtzeitig zum feierlichen Hochamt in unserer Pfarrkirche gewesen. Ich war stolz und aufgeregt, den Osterkorb zum Weihen fast ganz bis zum Altar tragen zu dürfen. Die Speisenweihe war etwas ganz Besonderes und ich passte auf, dass der Herr Pfarrer auch genug Weihwasser auf unseren »Speiskorb« gesprenkelt hat. Gleich nach dem Gottesdienst fragten mich meine beiden Freundinnen Muschi und Mattei, was mir der Osterhase »gelegt« habe. »Schöne gefärbte Eier natürlich«, erzählte ich freudig, »noch viele ganz kleine bunte Zuckereier und einen kleinen Osterhasen aus Stoff«.

Meine Großmutter, die mit den Tanten nach einem kurzen Gebet an unserem Grab zu uns Dirndln kam, drängte uns zum Heimweg, weil die »Gamerin « bestimmt schon mit dem guten Mittagessen, das es am Ostersonntag nach der langen Fastenzeit gab, auf uns wartete.

Meine Freundinnen sind in den schmalen Seitenweg eingebogen und haben mir noch zugerufen, dass sie am Nachmittag zum »Oascheibn« zu uns kommen, mein Großvater könne die beiden Holzrechen, die wir dazu brauchen, schon herrichten.

Gleich nach dem Essen habe ich mit meinem Großvater »Oa' gebeckt - Osch an Osch«, so lange, bis eins zerbrochen ist. Zur Brotzeit am Nachmittag hat meine Großmutter ein Haferl heißen Lindenblütentee und ein Stück vom Osterkuchen zu uns auf den großen Tisch in die Stube gestellt.

Am Ostermontag fanden sich wieder alle zum Amt in der Pfarrkirche ein. Nach dem Mittagessen kamen jedes Jahr die »Gödleut« (Paten) nach Pittersdorf zu Besuch. Meine Tante und »Gon« Mathilde, die beim Herrn Pfarrer in Dienst gewesen ist, hat mir mein Osternest gebracht. Sie hat mir erzählt, dass sie gut aufgepasst hat, damit bei dem steilen und steinigen Berg am Anfang des Holzes kein Ei kaputt geht und das rote Fähnlein vom Osterlamm nicht abbricht. So ist der Ostermontag beim Ratschen und einer guten Brotzeit sowohl für die Erwachsenen als auch für mich viel zu schnell vergangen.

Eine aufregende und schöne Zeit waren für mich jedes Jahr die Kartage und das Osterfest. Manchmal denke ich mir, wie sehr sich ein Kind heutzutage darüber freuen würde, in diesen einfachen, aber doch mit Eindrücken so gefüllten Tagen aufwachsen zu dürfen - den Gang über die Wiesen- und Waldwege ins Pfarrdorf und das Gefühl, dazuzugehören.

Ein unvergesslicher Ostermontag

Es war Ostern im Jahre 1946, als der Krieg knapp ein Jahr zu Ende war. Ich weiß es noch so genau, weil ich im vergangenen Herbst 1945 endlich in die kleine Dorfschule in Hart gehen durfte. Der Ostermontag sollte dieses Mal ein ganz außergewöhnlicher werden.

Die älteren Mädchen aus den kleinen Ortschaften Tabing und Fehling, die mit mir in die Schule gingen, hatten schon über eine Woche, wie sie uns »Kleinen« in der Pause erzählten, geprobt, denn sie wollten an jenem Ostermontag ein Theaterstück aufführen. Alles Mögliche musste natürlich nicht auf einer großen Bühne, sondern auf einer Wiese hinter einem alten Stadel aufgestellt werden – ein Kasten, ein paar Stühle, einige Decken für die »Bühne«. Die »Großen« aus Tabing luden uns, Muschi, deren ältere Schwester Luise, meine zweite Freundin, das Bubenbauern Mattei und mich zu einem Theater ein. Es war ein milder Ostermontag, als nach dem Mittagessen die drei zu mir nach Pittersdorf kamen. Wir nahmen das kleine Leiterwagerl mit, damit Luise, die um vieles größer war als wir, uns abwechselnd mit dem Wagerl ziehen konnte. Meine Großmutter meinte noch, ich solle das warme Strickjackerl mitnehmen, denn sie traue dem schönen Wetter nicht. – »Eine dreiviertel Stund werds scho braucha. D' Luise woaß ja an Weg, hat's gsagt, und denkt's fei boid gnua ans Haomgeh«, sagte mein Großvater noch zu uns.

So machten wir vier uns, das noch leere Leiterwagerl hinter uns herziehend, auf den langen Weg nach Tabing, welches auf der gegenüberliegenden Seite von Hart liegt. Meine Großmutter schrie uns hinterher, dass wir auch unser Butterbrot und nicht nur die Ostereier aufessen und die Kanne voll kalter Milch nicht ausschütten sollten, denn Durst würden wir bestimmt auch bekommen. Die kleine Leitn von Pittersdorf nach Kötzing, dem Bauernhof am Waldrand, rannten wir und das Wagerl schepperte laut hinter uns her. Die Strecke durch den Wald fürchteten wir uns nicht, wir waren ja schließlich zu viert und die Sonne schien zwischen den hohen Bäumen hindurch. Ungefähr die Hälfte des Weges waren wir gegangen, als Muschi, die eineinhalb Jahre jünger als das Mattei und ich war, auf einmal stehen blieb. Mit einem Sprung war sie im Leiterwagen und wollte keinen einzigen Schritt mehr gehen: »Also gut«, meinte Luise und zog nun das bedeutend schwerer gewordene Wagerl auf dem holprigen Feldweg weiter hinter sich her.

Von Zeit zu Zeit schob ich hinten ein bisschen mit. Wir kamen an mehreren Einödhöfen vorbei und als Muschi auf einmal gejammert hat, dass sie Durst hat, da haben auch wir alle aus der Kanne Milch getrunken. Schön kalt ist sie gewesen und so war die Kanne im Nu halb leer. Langsam taten uns die Füße ein bisschen weh, doch das war gleich vergessen, als wir den ersten Bauernhof in Tabing erreichten. Luise ist mit den Mädchen aus Tabing in dieselbe Klasse gegangen und hatte sie auch schon ein paar Mal auf deren Schulweg heimbegleitet. Sie fand den besagten Stadel hinter dem Hof sofort wieder. Bald darauf saßen wir erwartungsvoll inmitten unserer Schulfreundinnen, die gleichfalls von den mehr oder weniger weit entfernten Meilern und Einöden hergekommen sind. Wir setzten uns auf die ausgebreiteten Decken im Gras zwischen Schlüsselblumen und Anemonen, die unter den großen Apfelbäumen blühten. Auf ein Zeichen fing das Theater an. Sie spielten das Märchen vom Dornröschen. Die Spieler hatten schöne Kleider an, und selbst wenn sie ihnen viel zu groß waren, hat dies die Zuschauer nicht gestört. Im Gegenteil, alle haben gespannt zugeschaut und zugehört und auch einige Erwachsene standen schmunzelnd dabei. Nach gut einer Stunde heiratete schließlich der Prinz das schöne Dornröschen und das Theaterstück war zu Ende.

Wir vier aßen nun unser Butterbrot, genüsslich ein Osterei und die Milchkanne ist auch leer geworden. Gerne wären wir noch bei unseren Schulfreundinnen geblieben, doch Luise ermahnte uns, dass wir doch noch so weit zum Heimgehen hätten, nicht dass es noch finster werden würde. Da haben wir beim unbeschwerten Singen und Lachen plötzlich bemerkt, dass die Sonne zwischen dicken, dunkler werdenden Wolken verschwand und es war nicht mehr so warm wie vorher. Alle machten sich nach einem »Pfüadi« schnell in die verschiedensten Richtungen auf den Heimweg.

Gegen halb fünf zur Stallzeit musste es gewesen sein, als die ersten schweren Tropfen herunterfielen und wir zugleich nur ein überraschtes »Renga duats« hervorbrachten. Innerhalb weniger Minuten hat es nicht nur geregnet, geschüttet hat es und im Nu haben wir von oben bis unten getropft. Aber als Muschi, die natürlich wieder im Leiterwagen saß, auf einmal laut zu lachen anfing, da mussten wir alle mitlachen. Nun waren wir beim langen Waldstück angelangt. Dort, im Holz, hatte der Regen das Sträßlein schnell durchgeweicht, sodass die kleinen Holzräder des Leiterwagerls immer tiefer in dem Waldwegerl versanken. Muschi ist jetzt sogar freiwillig herausgehüpft und hinein in den tiefsten Dreck, war ihr aber nicht das Geringste ausmachte. Als wir nach einer halben Stunde das Kötzinger Anwesen von Weitem sahen, waren wir aber doch froh, bald daheim zu sein. Tropfnass und über die Schuhe hinauf voll Dreck, marschierten wir die lang gezogene Anhöhe nach Pittersdorf hinauf. Es hörte auf zu regnen und die Sonne blinzelte wieder durch die sich lichtenden Wolken auf uns herunter. Neben der Holzhütte erkannten wir meinen Großvater, der schon eine Zeit lang nach uns Ausschau gehalten hat. Er war so froh, uns zu sehen, dass er nicht mehr schimpfen konnte, obwohl wir so lange ausgeblieben waren: »Ja, wia schauts denn es aus«, rief er aus.

Schnell machten sich meine Freundinnen Muschi und Luise auf den Weg nach Hause. Sie brauchten nur die gegengesetzte Leite (Abhang) hinunter nach Untermeising laufen. Mattei dagegen brauchte zum Bubenbauern nach Grilling hinüber schon noch eine Viertelstunde.

Am nächsten Nachmittag, als wir vier bei uns auf der Hausbank saßen, waren wir uns einig, dass der gestrige Ostermontag der allerschönste gewesen ist.


Aus dem Buch »Eine Kindheit auf dem Land« von Elisabeth Mader.



16/2011