Ein Kinokönig in Tittmoning
Der Filmschauspieler Ludwig Trautmann wurde 1922 neuer Burgherr

Vor 95 Jahren haben die Einwohner von Tittmoning ein seltenes Schauspiel erlebt. Im Januar 1922 erregte geschäftiges Treiben am Bahnhof ihre Aufmerksamkeit. Neugierig hatten sie schon eine Kolonne von Möbelwagen beobachtet, die in Richtung Burg unterwegs war. Eine alte Dame »und das Personal machen mit einem Zentner Tafelsilber, mit Kisten und Kasten voll feiner Wäsche, mit Hunden und Katzen, einem Affen und einem Papagei den Beschluß. Drei offene Chaisen stehen auf dem verschlafenen Bahnhof Tittmoning bereit. Die ganze Nachbarschaft hält Maulaffen feil. Keiner möchte den großen Augenblick verpassen, wenn der neue Burgherr Einzug hält. Sie kommen auf ihre Kosten. Einen solchen Wirbel hat das geruhsame Tittmoning noch nicht erlebt«. So wurde 1955 dieses Ereignis in einer Boulevardzeitschrift geschildert. Ein Filmschauspieler, der Kinokönig Ludwig Trautmann, war es, der sich damals Tittmoning als neue Residenz auserkoren hatte. Als die Bewohner erfuhren, wer einzog, gerieten sie fast aus dem Häuschen. Die meisten, besonders die jungen Mädchen und Frauen, kannten ihn von der Kinoleinwand als gut aussehenden Liebhaber oder sportlich draufgängerischen Helden. Sie verehrten ihn, der 1912 als erster deutscher Schauspieler unbekümmert den Wechsel von der Theaterbühne zum neuen Medium Film gewagt hatte. Durch den frühen Stummfilm war er berühmt und reich geworden. In vielen Sensations- und Detektivfilmen, den Vorläufern der Actionfilme, spielte er die Hauptrolle. An der Seite von Henny Porten, Asta Nielsen, Fern Andra u. a. glänzte er mit seiner eleganten Erscheinung. Er verkörperte auch den Bayernkönig Ludwig, den er beeindruckend dargestellt haben soll. Der große Erfolg seiner Filme hatte ihm den Titel Kinokönig eingebracht.
Mit Ludwig Trautmann zogen auch seine Mutter Margaretha und sein jüngerer Bruder Richard ein. Schwägerin Maria führte ihnen den Haushalt. Sie fühlten sich in Tittmoning wohl und Ludwig kehrte nach seinen Tourneen immer wieder gern dorthin zurück. Das Baierische beherrschte er perfekt, was ihm zusätzliche Sympathien einbrachte.
Ludwigs weiteres Leben verlief nicht ohne Tragik. 1926 erfolgte in München seine Verurteilung nach Paragraph 175 (Homosexualität) zu einer Geldstrafe. Danach wollte ihm der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm nicht gelingen. Für ihn begann ein ständiger Kampf ums Überleben. 1928 starb in Tittmoning seine Mutter, wo sie auch beerdigt wurde. Um 1930 musste er das Anwesen wieder aufgeben. Eine Bürgschaft für seinen Bruder soll dafür der Anlass gewesen sein. Er zog zurück nach Berlin und hoffte, an seine einstige Karriere anknüpfen zu können. Stattdessen folgten Verhaftung, Konzentrationslager, Flucht in die Schweiz und nach Frankreich, Berufsverbot. 1941 aus Paris nach Berlin zurückgeführt, wurde er erneut verhaftet und abermals nach Paragraph 175 verurteilt. Die Gefängnisstrafe saß er in Berlin-Moabit ab.
Ludwig Trautmann überstand alle Strapazen und Demütigungen. 1951 wurde er in die Jury der 1. Internationalen Filmfestspiele in Berlin berufen, spielte wieder Theater, erhielt kleine Nebenrollen im Film. Aber ein Comeback, wie er es sich immer erhofft hatte, gab es für ihn nicht. Völlig verarmt starb er am 24. Januar 1957 im Alter von 71 Jahren in einem Berliner Krankenhaus. In diesem Jahr jährte sich zum 60. Mal sein Todestag – Gelegenheit, sich auch an seine Verdienste um den deutschen Film zu erinnern.
Christiane Witzke
12/2017