Ein Hirtenbrief im Kreuzfeuer der Meinungen
Widerstand gegen die Reformvorschläge von Fürsterzbischof Colloredo




Aus allen Teilen seines Erzbistums kamen teils Proteste, teil leisteten Pfarrer und Gläubige passiven Widerstand. Der Fürsterzbischof, Inhaber der höchsten geistlichen wie weltlichen Gewalt in seinem Land, musste sich vorhalten lassen, er verrate mit seinen Reformideen den christlichen Glauben. Unter der Bevölkerung kursierte der Spruch »Wir haben einen Hirten, der uns schert, aber keinen, der uns weidet«. Ein anderer Spottvers lautete: »Der Fürst Colloredo hat kein Gloria und kein Credo«. Aber der Bischof blieb bei seinem Kurs und zeigte zumindestens am Anfang kein Entgegenkommen gegenüber Einwänden. Ein Franziskanerpater aus Salzburg, der eine Gegenschrift gegen das Reformprogramm veröffentlichte, wurde zu acht Jahren Kerker verurteilt, der Drucker des Landes verwiesen.
Fürsterzbischof Colloredo dachte natürlich mit keinem Gedanken daran, die Substanz des Glaubens anzutasten. Im Gegenteil: In dem Maße, wie er versuchte, im Laufe der Zeit entstandene Übersteigerungen, Prunk, übermäßigen Kirchenschmuck, arbeitsfreie Heiligenfeste und teilweise aus heidnischer Zeit stammendes Brauchtum wie Sonnwendfeuer, Wetterläuten und Kräuterweihen abzubauen, wollte er umso mehr die Gläubigen zum inneren Kern des christlichen Glaubens hinführen, zu wahrer Gottesliebe und Nächstenliebe. »Eine von unbiblischen Zutaten gereinigte Religion wird die Sitten des Volkes verbessern und es zu nützlichen Staatsdienern erziehen«, heißt es im Hirtenbrief. Statt zum Beispiel Geld für den übertriebenen Kirchenschmuck aufzuwenden, sollte man es lieber zur Unterstützung der Armen, Kranken, Witwen und Waisen, zur Unterrichtung der Jugend und für die Gründung neuer Seelsorgstellen einsetzen.
Ausdrücklich empfiehlt der Hirtenbrief das Bibellesen und den Gesang deutscher Kirchenlieder. Dagegen wird der barocke Überschwang in der Marien- und Heiligenverehrung ebenso kritisch beurteilt wie Missbräuche im Ablasswesen. Und die Verminderung der kirchlich gebotenen Feiertage liege ganz im Interesse der Volkswirtschaft und werde dazu beitragen, das Volkswohl zu fördern und »dem gedrückten Nahrungsstande einen neuen Aufschwung zu geben«.
Mit dem rigorosen Eingreifen in den religiösen Alltag der Bevölkerung entsprach der Salzburger Erzbischof ganz dem damaligen Zeitgeist der kirchlichen Aufklärung, wie sie der österreichische Kaiser Franz Josef, der Sohn von Maria Theresia, schon seit Längerem in seinem Lande praktizierte. Reformen wurden von ihm ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen und ohne jede Vorbereitung einfach von oben herab verordnet, ohne viel auf Empfindlichkeiten des Volkes, besonders der Landbevölkerung zu achten. Das Motto der Aufklärer hieß: »Alles für das Volk, aber nichts mit dem Volk!« Ihr Angriffsziel war dabei das barocke Frömmigkeitswesen mit den vielen Heiligenfesten, Bruderschaften, Kreuz- und Bittgängen, das eine stark emotional bestimmte Frömmigkeit erkennen ließ.
Großen Wert legt der Hirtenbrief auf die zweckmäßige Einrichtung und auf den Schmuck der Gotteshäuser. Beides sollte einfach und würdig, keinesfalls aber überladen sein. Der Brauch, auf oder neben dem Altar Heiligenstatuen oder -bilder aufzustellen, wird ebenso abgelehnt, wie übermaßiger Kerzenschmuck sowie »das Zieren mit lebenden Büschen, Blumen und Fruchtstöcken«. Bei der Sonntagsmesse sollten künftig nur sechs, bei ausgesetztem Allerheiligsten acht und beim Stundengebet 12 Kerzen brennen. Keine unnütze Vorschrift, wenn man erfährt, dass deren Zahl mancherorts um ein Vielfaches viel höher lag – in Laufen waren es anlässlich des Stundengebets »mindestens 70«, in Waging immerhin 30 Kerzen. Die Bitte der Geistlichen, es bei der bisherigen Praxis zu belassen, wurde in beiden Fällen abgelehnt.
Zur Kontrolle, ob die Weisungen des Hirtenbriefs auch umgesetzt wurden, führten Mitglieder des Salzburger Domkapitels Visitationen der Pfarreien durch. Es zeigte sich, dass zwei Jahre nach dem Erlass noch manches im Argen lag und beseitigt werden musste. Einige Beispiele aus unserer Region: In Teisendorf ein neben dem Hochaltar hängendes »sehr unschickliches Bild der schwangeren Mutter Gottes« und »ein sehr ungestaltes Bild der Armen Seelen im Fegfeuer«, in Maria Bühel »ein von den ewigen Küssen der herumgehenden Leute ganz schmutziges Marienbild«, in St. Leonhard das Bildnis der säugenden Mutter Gottes, in Weildorf ein Bild des guten Hirten mit geöffneten Herzen, in Otting ein Bild Marias mit einer Heiliggeisttaube auf dem Arm . . . Ärgerlich und der Andacht der Gläubigen nicht förderlich fanden die Visitatoren »die allzu häufig und unschicklich angebrachten Frauenbilder« von Engeln und Heiligen, ihre Zahl solle merklich vermindert werden, sofern das ohne großes Murren und Aufsehen des Volkes geschehen könne, wie die Prüfer anmerken. Für die Kapelle am Gessenberg bei Waging, die mit Votivtafeln und anderen Weihegaben von Wallfahrern angefüllt war, hatten die Visitatoren eine Radikalkur parat: Sie solle »im nächsten Frühjahr ausgeweisselt werden« und bei dieser Gelegenheit seien sämtliche Votivgaben und Tafeln zu entfernen.
Große Schwierigkeiten bereiteten zwei weitere Punkte des Reformkatalogs, gegen die sich in den Pfarreien der stärkste Widerstand formierte: Die Verminderung oder gar Abschaffung von Prozessionen und Umritten sowie die Streichung bisher arbeitsfreier Feiertage. Von beiden war in erster Linie die Landbevölkerung betroffen. Bittgänge und Wallfahrten sollten zahlenmäßig eingeschränkt, Umritte überhaupt verboten sein.
Sowohl im Erzstift Salzburg wie im Rupertiwinkel, der kirchlich zu Salzburg gehörte, waren die Kreuzgänge (so benannt wegen dem vorangetragenen Kreuz) äußerst beliebt. In größeren Gemeinden fanden pro Jahr bis zu zwei Dutzend statt, davon die Hälfte an Werktagen und mehrere zu auswärtigen Wallfahrtsorten. Vom Verbot betroffen waren auch Karfreitagsumzüge mit »Mummereyen« sowie das Mittragen von Bildern und Statuen. Von Umritten mit Pferdesegnung liegen Berichte aus Laufen, Tittmoning, Fridolfing, Palling, Kay und Taching vor. Aus den Unterlagen ist nicht ersichtlich, ob sich alle Orte an das Verbot hielten, jedenfalls ist später verschiedentlich von Ausnahmegenehmigungen die Rede. Auch das Verbot der Kreuzgänge wurde bald wieder gemildert, die Züge sollten aber bis Mittag wieder zurück sein und keinesfalls - aus moralischen Bedenken – länger als einen Tag dauern.
Keinerlei Nachsicht walten ließ der Erzbischof bei der Neuregelung der Feiertagsordnung, obwohl diese, wie jede Kalenderreform, tief in das gesellschaftlichen Leben eingriff. Die bisher 95 kirchlich gebotenen Sonn- und Feiertage wurden radikal um 21 Feiertage gekürzt, an denen künftig gearbeitet werden musste. Die gestrichenen Feiertage waren die Dienstage an Weihnachten, Ostern und Pfingsten, alle 12 Apostelfeste, die Feste Unschuldige Kinder, Silvester, St. Sebastian, St. Michael, St. Anna, Laurentius. Ein harter Schlag für die arbeitende Bevölkerung, die nicht gewillt war, diese Regelung stillschweigend hinzunehmen und sich vielerorts weigerte, an den abgeschafften Feiertagen zu arbeiten. Wohl in Vorahnung des Widerstands hatte sich der Erzbischof in Rom Rückendeckung für seine Maßnahme verschafft und die Zustimmung des Vatikans für die neue Ordnung erhalten.
In einem eigenen Brief wies das erzbischöfliche Konsistorium darauf hin, »dass unsere liebe Mutter, die christkatholische Kirche, in Glaubenssätzen niemals, wohl aber in den zur Kirchenzucht gehörigen Sachen«, zeitgemäße Änderungen vornehmen dürfe. Die Festlegung oder Abschaffung von Feiertagen sei eine reine Disziplinarmaßnahme und habe mit Glaubenssätzen nichts zu tun, müsse also von jedem Gläubigen im Gehorsam gegen die kirchliche Obrigkeit befolgt werden.
Trotzdem dauerte es lange, bis sich die neue Feiertagsregelung allgemein durchgesetzt hatte. In Bayern, wo ebenfalls eine drastische Reduktion der kirchlichen Feiertage vorgenommen worden war, schloss man einen Kompromiss und verlegte die abgeschafften Feiertage auf den darauffolgenden Sonntag. Die bisher an solchen Tagen üblichen Ämter, Predigten, Litaneien und Bittgänge fanden künftig am nächsten Sonntag statt. Aber auch das brachte bei der Landbevölkerung die alten Feiertage nicht völlig zum Verschwinden. »Es bildete sich ein Zustand, der teilweise noch sehr lange fortdauerte. Während in den Städten und Märkten jede Spur von den ehemaligen Feiertagen verschwunden ist, hält das Landvolk an ihnen fest und begeht auch heute noch seine alten Heiligenfeste als sogenannte Bauernfeiertage mit Kirchenbesuch und Arbeitsruhe«, heißt es Jahrzehnte später in einem Bericht aus einem Dorf im Salzburger Land.
Julius Bittmann
14/2017