Jahrgang 2003 Nummer 51

Ein friedlicher Siegeszug: Der Christbaum

Historiker sind sich in der Zuordnung eines Ursprungsdatums keineswegs einig

Wer sich mit der Geschichte des Christbaums befasst, wird schnell feststellen, dass er den Wald vor lauter (Tannen-) Bäumen nicht mehr sieht. Selbst die angesehensten Historiker sind sich in der Zuordnung eines Ursprungsdatums keineswegs einig. Doch kommt es darauf an? Gewiss nicht. Wichtiger und entscheidend ist doch seine friedvolle, Freude und Hoffnung spendende Wirkung auf den Menschen. Wer sich selbst noch erinnert oder in die beim ersten Anblick des Weihnachtsbaums strahlenden Kinderaugen sieht, kann an der spirituellen Kraft dieses Symbols für Freude, Frieden und Hoffnung nicht zweifeln.

Die ganz gründlichen Historiker beziehen all seine Vorläufer mit ein und gehen so sehr weit in die graue Vorzeit zurück, als gerade die Bäume eine große Rolle in den Religionen, in Volkskunst und Brauchtum spielten. So ist beispielsweise auf altägyptischen Wandmalereien zu sehen, wie die Göttin Hathor die Verstorbenen mit der Speise und dem Trank der Unsterblichkeit erquickt ... aus einem Baum. Bäume wurden von altersher weiblichen Gottheiten zugeordnet. Es ist also gar nicht verwunderlich, dass der Theologe Konrad Mengenburg Maria, die Mutter Gottes, um 1350 in seinem Buch der Natur mit der Zeder, Olive und Zypresse verglich. So genannte »heidnische«Vorstellungen verbanden sich mit christlichen. In den indogermanischen Mythen gibt es den Welten- und Lebensbaum, in der volkstümlichen Spiritualität den Geisterglauben der Mittwinterzeit mit den unter Bäumen hausenden Schutzgeistern, in den christlichen Imaginationen den biblischen Paradiesbaum (noch heute wird der Christbaum in manchen Gegenden Paradies genannt) und bald verbanden die Christen – von frühesten Anfängen bis in die Neuzeit – den Lebensbaum, später den Christbaum, auch mit dem aus einem Baum stammenden Kreuz, an das Christus geschlagen wurde.

Keineswegs erst der Christbaum im Mittelalter und in der Neuzeit wurde in besonderer Weise geschmückt: Schon den Kultbaum des indogermanischen Mittwinterfestes zierten Äpfel, Nüsse und Zuckerwerk.

Lange hielt sich der Volkstumsbrauch, die Stube in der Weihnachtszeit mit Zweigen von Misteln, Stechpalmen, von Nadelbäumen wie Tanne, Eibe und Wacholder zu schmücken, aber auch mit Zweigen von Kirsch-, Weichsel- oder anderen Laubbäumen. Das Aufhängen des Mistelzweiges ist heute noch – in erster Linie in Großbritannien – ein aus der Weihnachtszeit nicht wegzudenkender Brauch – er geht zurück bis in urgermanische Zeiten. Und was Männern und Frauen widerfährt, wenn sie zusammen unter den Mistelzweig zu stehen kommen, ist weithin bekannt: dass man sich küsst, ist obligatorisch und nicht nur das ... sind beide ledig, so gilt das als Zeichen für eine baldige eheliche Verbindung der beiden, was freilich heute von den Briten nicht wie zu den Zeiten der Druiden als verpflichtendes Omen gesehen wird, sondern Anlass zu Heiterkeit und diversen Anzüglichkeiten gibt.

Wieder andere Historiker sehen den Beginn der Christbaum-Tradition in den Ende des 16. Jahrhunderts aufgestellten und geschmückten Bäumen – strengere unter ihnen legen den Ursprung des unseren heutigen Christbäumen am nächsten kommenden Weihnachtsbaum auf die zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum ersten Mal mit Kerzen ausstaffierten und damit im Lichterglanz erstrahlenden Weihnachtsbäume.

Es würde diesen Rahmen sprengen, ginge man auf all die Ursprünge ein und auf den oft verschlungenen, aber – trotz seiner Widersacher, selbst aus kirchlichen Kreisen! – unaufhaltsamen, weltweiten und friedlichen Siegeszug des Christbaums.

In unserer Zeit geht man – überwiegend – von einer rund vierhundertjährigen Christbaum-Tradition aus.

Folgt man den Historikern, die das Fällen – vor allem von Tannenbäumen – und deren Aufstellen in den Häusern als Ausgangspunkt nehmen, führt uns die Christbaum-Zeitreise zurück in das frühe 16. Jahrhundert ... und ins Elsass. Rechnungsberichte des Jahres 1521 aus Schlettstatt (Sélestat) bezeugen, dass die städtischen Förster Zulagen erhielten, um im Stadtwald die Weihnachtsmaien zu hüten und zu schlagen. Die Oberelsässer Waldordnung der Stadt Ammerschweier von 1561 bestimmt, »dass eyn jeglicher Bürger eine acht Schuh lange Tanne fällen darf«. Vom Elsass zur nordischen Küste: In einer Bremer Zunftchronik des Jahres 1570 findet sich der Bericht von einem Dattelbäumchen, einem kleinen Tannenbaum, der mit Datteln, Äpfeln, Nüssen, Brezeln und Papierblumen geschmückt und im Zunfthaus zur »allgemeyniglichen Freude« aufgestellt wurde. Die Kinder der Zunftgenossen durften das Bäumchen zu Weihnachten schütteln und für sich aufsammeln, was von ihm herunterfiel. Auch aus Bremen, nun aber schon im Jahre 1597, ist das Aufstellen eines Christbaums um die Weihnachtszeit überliefert. Kerzen aber gab es an diesen Weihnachtsbaum-Vorgängern noch nicht. Im selben Jahr wird von einem mit Papierrosen, Äpfeln und sogar Hostien (!) geschmückten Tannenbaum berichtet ... und von fahrenden Schneidergesellen aus Basel, die mit einem »grünen Baum, behangen mit Äpfeln und Käse« zur Weihnachtszeit umherzogen. Allerdings überhaupt nicht uneigennützig: Denn in der jeweiligen Herberge angelangt, stellten sie ihren Weihnachtsbaum zwar auf, plünderten ihn aber selbst und ließen es sich schmecken.

Der Bericht von einem Christbaum, der unsrem heutigen schon sehr nahekommt, stammt von einem unbekannten Reisenden aus dem Jahr 1605: »Auff Weihnachten richtet man Dannenbäum zu Straßburg in den Stuben auff, daran hancket man Rosen aus vielfarbigem Papier geschnitten, Äpfel, Oblaten, Zischgold, Zucker etcetera.« Auch hier ist von Kerzen noch nicht die Rede. 1642 hat sich die Weihnachtsbaum-Tradition vor allem in Straßburg schon so gefestigt, dass der renommierte Straßburger Münsterprediger Johannes Konrad Dannhauer uneingedenk seines Namens (Dannhauer = Tannenhauer!) es für nötig hielt, gegen die nieuwe Unsitte zu wettern – wohl auch deshalb, weil gerade die ersten Weihnachtsbäume durch die Fruchtbarkeitssymbolik des nahrhaften Schmucks, z. B. der Äpfel und Nüsse, noch eng mit den »heidnischen« Ursprüngen verbunden waren. Doch dieses Mal hatten die Theologen und Kleriker das Nachsehen. Im 17. und 18. Jahrhundert zog die Ausstrahlung des Christbaums vor allem die Aristokraten in seinen Bann und von den Fürstenhöfen, Zunft- und Patrizierhäusern ausgehend wurde der weltweite Siegeszug des Weihnachtsbaums unaufhaltsam.

Auf 1605 oder 1611 – da gehen die Meinungen auseinander – wird der erste Lichterbaum datiert, also ein mit Kerzen geschmückter Weihnachtsbaum: Bei der Silvesterfeier der schlesischen Herzogin Dorothea Sybille sollen im Festsaal des Schlosses grüne Tannen mit vielen hundert Wachslichtern gestanden haben. Liselotte von der Pfalz (eigentlich richtig: Elisabeth Charlotte Herzogin von Orléans) hatten es die mit Kerzen geschmückten Buchsbäumchen angetan – der Überlieferung zufolge berichtet sie 1708 davon. Die Kenntnis von diesen kerzengeschmückten Bäumchen geht aber viel weiter zurück, folgt man den Jugenderinnerungen Liselottes an die Zeit am Hannoverschen Hof (1660).

Dichterfürst Goethe, aber auch sein »Bruder im Genius«, Schiller, spielten direkt und indirekt eine große Rolle bei der Verbreitung des Lichterbaums. Goethe nimmt ihn sogar in sein epochales Werk »Die Leiden des jungen Werther« auf, nachdem er ihn, historischen Quellen zufolge, 1770/71 bei seinem Aufenthalt in Straßburg kennengelernt hatte. Historisch überliefert ist jedenfalls, dass Goethe den Weihnachtsbaum 1775 am Hofe zu Weimar eingeführt hat. Und Schiller fordert schwäbisch-resolut von seiner Braut Lotte von Lengsfeld in einem 1798 an diese gerichteten Brief für seinen bevorstehenden Besuch »Ihr werdet mir hoffentlich einen grünen Baum im Zimmer aufrichten [...]«.

In Berlin soll 1780 der erste Weihnachtsbaum gestanden haben – in Wien und Graz 1813, in Danzig 1815.

Die Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg wurde im Volksmund »Christkindlbringerin« genannt: Die Gattin Erzherzog Karls von Österreich, der Napoleon bei Aspern besiegte, führte den Weihnachtsbaum-Brauch am Heiligabend des Jahres 1816 am österreichischen Hof ein. Anlaß soll ihr erstgeborenes Kind gewesen sein – sie folgte damit einem alten Brauch ihrer rheinländischen Heimat. Der Christbaum wurde mit 12 Kerzen – für jeden Monat eine – geschmückt und wie auch der Name, den die Bevölkerung der beliebten Prinzessin gab, zeigt, nahmen die Österreicher diesen Brauch innerhalb weniger Jahre an. Was dem einen Hof recht war, mußte dem anderen billig sein: 1830 kam mit Therese, der Gemahlin Ludwigs I. von Bayern, der Christbaum in die Münchner Residenz. In Paris entzündete 1840 Augusta Amalie von Bayern, nunmehr Herzogin von Orléans, die Kerzen am ersten Weihnachtsbaum in den königlichen Tuilerien.

An den englischen Königshof kam der Christbaum durch Albert, den deutschen Gatten von Queen Victoria (nachgewiesen durch einen Kupferstich von J. L. Williams aus dem Jahre 1840). 1820 zog der Weihnachtsbaum die Prager Adeligen in seinen Bann und zur selben Zeit via Dänemark den Norwegischen Königshof. Da wollten denn auch die russischen Aristokraten nicht zurückstehen...

An die Zeit der durch die große Not weiter Teile der europäischen Bevölkerung bedingte Auswanderung fällt auch die Überquerung des »Großen Teichs«: 1861 wird der erste Christbaum Amerikas bezeugt; einer elsässischen Familie wird seine Einführung zugeschrieben. Nun hatte er also schon in der Alten wie in der Neuen Welt Fuß gefasst – oder sollte man besser sagen: Wurzeln geschlagen? Tatsache ist jedenfalls seine weltweite Verbreitung und dies im 19. und 20. Jahrhundert beileibe nicht mehr nur an den Fürstenhöfen. In den demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika stand der Lichterbaum 1891 zum ersten Mal vor dem Weißen Haus in Washington.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich der Christbaum samt Schmuck und Kerzen im Weihnachtsfest der deutschen (und nicht nur der deutschen) Familien fest etabliert. Ob Christbaum oder Christmastree, arbre de Noël oder àrbol de Navidad: In einem Großteil der Welt kann sich niemand seiner spirituellen, Freude und Hoffnung schenkenden Ausstrahlung entziehen. Alle Jahre wieder: Nun schon seit (mindestens) über 400 Jahren.

Weitere Informationen über 400 Jahre Christbaum-Tradition unter www.original-nordmann.de



51/2003