Ein Bauernbub, der die Bibel bebilderte
Vor 150 Jahren wurde der »Panorama«-Maler Gebhard Fugel geboren







Seltsam: drei Bildhauer, die den Maler Gebhard Fugel plastisch der Nachwelt vorstellten, beginnen mit »W«: Vor 100 Jahren hielt ihn August Weckbecker auf einem Relief fest, 10 Jahre später schuf Heinrich Waderé und 1935, vier Jahre vor dem Tod des Dargestellten, Alois Wünsche eine Büste. Wünsches grauer knöcherner Alterskopf mit noch vollem Haar, Schnauzbart und schon müden Augen war noch vor kurzem zwischen Büro- Ordnern und Plastikverpackungen in einer Obergeschoßkammer eines der berühmtesten Kunstwerke der Wallfahrtsstadt Altötting abgestellt, einem Monumental-Opus, das auf Initiative, unter der Regie und hauptsächlichen künstlerischen Mitwirkung dessen entstand, der da den Kammer-Besucher etwas verlorenen, verwundernden Blicks, in Stein gehauen, anschaut: Gebhard Fugel höchst selbst, Schöpfer des »Jerusalem-Panoramas Kreuzigung Christi«.
110 Jahre alt: das »Panorama«
Das denkmalgeschützte Bauwerk, 1902/03 innerhalb von sechs Monaten mit Hilfe einiger Künstler, unter anderem des Palästinakundigen Landschaftsmalers Josef Krieger, unter der Leitung des Münchner Architekten Georg Völkl hochgezogen, steht unter UNESCO- Protektorat. Die Wallfahrtsstadt weist stolz auf »Deutschlands einziges historisches Großraumpanorama« hin, als Attraktion in direkter Nähe des erst Anfang dieses Jahres eröffneten Kultur+Kongress-Forums, wenige Schritte vom Kapellplatz mit Bayerns berühmtester Schwarzer Madonna entfernt.
Der Name des 80-jährigen Priesters, der vor einem halben Jahrhundert die Gedenkrede zu Gebhard Fugels 100. Geburtstag in Altötting hielt, beginnt ebenfalls mit »W«: Josef Weiger. Der Allgäuer Vikar war mit dem großen Theologen und Religionsphilosophen Romano Guardini befreundet, mit dem zusammen er ein Verehrer der Kunst des Gebhard Fugel war. Diesen lernte Weiger um 1915 persönlich kennen. Der um 20 Jahre ältere Fugel strahlte nach Weigers Worten »eine wunderbare Anziehungskraft« aus. »Die liebende und ehrfürchtige Hinwendung zum Gegenstand machte das Zusammensein mit dem Meister reizvoll und fruchtbar. In seinem Auge waltete der Eros. Er konnte die geschaffenen Dinge nicht ohne Teilnahme ansehen, er liebte sie ... Wer von seiner Herkunft aus bäuerlichem Stamm nichts wusste, hätte aus seinem Benehmen nie darauf geschlossen. Er bewegte sich frei, ungehemmt, distinguiert, war ein Christ voll Ehrfurcht, Künstler von höchsten Graden - sparsam, fast scheu im Ausdruck seines inneren Lebens.«
Kleinbauerssohn aus Oberklöcken
Oberklöcken heißt der Weiler der Gemeinde Oberzell, die heute zu Ravensburg gehört, wo Gebhard als neuntes Kind eines Kleinbauern am 14. August 1863 zur Welt kam. 14-jährig besucht er die Zeichenschule in Ravensburg, um anschließend fast acht Jahre in Stuttgart an der Akademie Malerei zu studieren. Claudius Schraudolph d. J. zählte zu seinen Lehrern. München solle die Stadt werden, in der der Oberschwabe seinen Durchbruch erlebte. 1890 zog er nach Schwabing. Im südlichen Württemberg arbeitet er in kleineren Ortschaften im Auftrag von Kirche und Staat, ist dann im altbayrischen Raum tätig – stets als Maler monomentaler Wand- und Deckengemälde.
Vor 120 Jahren war Gebhard Fugel
zusammen mit Künstlerkollegen – unter anderem mit Georg Busch, der eine Büste von ihm schafft – Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst. Josef Krieger und andere Mitarbeiter konnte er für seine kühne Idee der Kreation eines Monumentalrundgemäldes mit dem Zentrum des Sterbeortes Jesu Christi gewinnen. Am 13. Juli 1903 wurde das Altöttinger »Panorama« feierlich eröffnet. Fugel, der zwei Jahre später zum Königlichen Professor ehrenhalber ernannt wurde, machte sich einen Namen als Erneuerer der christlichen Gegenwartskunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Altöttinger »Panorama « bilden Museum, Gesamtkunstwerk und religiöse Gedenk- und Erbauungsstätte eine Einheit. Moritz Fehr ist seit 2009 eine musikalische Installation zu danken, die zu einem besonderen Raumkunsterleben des Bauwerks führt.
Großprojekt von drei Bibelzyklen
Fugels Münchner Hauptwerk, 14 große Kreuzwegstationen für St. Joseph in München-Schwabing aus den Jahren 1904 und 1908 fielen 1944 den Bomben zum Opfer. Die Folgejahre sind für den Meister erfüllt mit dem Großprojekt von drei Zyklen von insgesamt 136 Bibelbildern, die nach und nach als sogenannte Schulwandbilder religionspädagogische Bedeutung erlangten. Diese hielt nach Fugel- Enkel und -Spezialist Gebhard Streicher, von 1967 bis 2010 Leiter des Altöttinger »Panoramas«, das unter seiner Ägide in den 1980er Jahren umfassend restauriert wurde, bis etwa 1975 an. Das Gottesbild und das Bibelverständnis ganzer Schüler-Generationen der Nachkriegszeit wurden von den »Fugel-Bildern« zur Heiligen Schrift geprägt. Zu ihnen gehört der Passauer Diözesanbischof Wilhelm Schraml, der diesen Sommer Altötting als Alterssitz erhält. Das Freisinger Diözesanmuseum beherbergt die Originale der Fugel-Wandbilder. Immer wieder tauchen Kopien auf, die von aufgelassenen Schuldachböden auf die Flohmärkte kommen.
»Katholischer Malerfürst«
Fast ein halbes Jahrhundert seit dem Tod Gebhard Fugels (München, 26. Februar 1939), dessen zunehmend geschätzte intensive Schaffenskraft sich auch in Volks- und Schul-Bibelillustrationen zeigte, verging, bis 1988 durch die Forschungen der heute in Bonn lebenden Kunsthistorikerin Gabriele Koller das Bibelbilderwerk des »Katholischen Malerfürsten« aus Oberschwaben ins Bewusstsein der gegenwärtigen Kunsttheorie trat. Koller beschäftigt sich in mehreren Publikationen nicht nur mit dem Phänomen der Panoramen im Allgemeinen, sondern speziell mit dem Bibel-Illustrations-Werk Gebhard Fugels. Sie gilt in der jüngeren Kunsthistorikergeneration als Expertin für Altöttings »Panorama«. Ihre Führungen gehen oft auch ins Untergeschoß des von ihr sogenannten »Gesamtkunstwerks«, das sowohl malerisch als auch architektonisch als ein Wunder, zumindest in der Welt der christlichen Kunst der Gegenwart, einzuschätzen ist.
150 Darstellungen in 30 Jahren
Das zum Fugel-Jubiläum erschienene Heft »Historienmalerei christlicher Ikonographie«, herausgegeben von der Stiftung Panorama Altötting, enthält Gabriele Kollers Einschätzungen der »Bibelbilder« Gebhard Fugels. Sie nennt die Verlage, die die Bibelbilder- Zyklen brachten: Kösel in Kempten, Keutel in Lahr, Ars Sacra in München. »Insgesamt entstanden in rund 30 Jahren etwa 150 Darstellungen zur Biblischen Geschichte … Die Originale waren als Vorlagen für Wandbilder zum religionspädagogischen Einsatz im Schulunterricht vorgesehen, eine Verwendung, die Fugel selbst forcierte« (S. 6). Eine »neue expressive Formensprache« habe Fugel bei seiner »Apokalypse«-Serie zu Texten von Jakob Schäfer angewandt, in Klosterneuburg 1933 publiziert – in einer schwierigen Zeit also, besonders für die Entwicklung der den Nazis suspekten, christlichen Kunst.
Der ganz andere Gebhard Fugel
Gebhard Fugels »Apokalypse«-Serie zeigte Gebhard Streicher in einer Ausstellung aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des »Panoramas« im August 2003 in der Stadtgalerie Altötting. Hier wird nun auch, beinahe zur gleichen Jahreszeit, der ganz andere Gebhard Fugel ausgestellt, nämlich der Landschafts-, Porträt-, Blumenund Genremaler. »Vom Bodensee nach Jerusalem« heißt die bis 20. Oktober geöffnete Schau, mit Anspielung einerseits auf die Herkunft des Künstlers, andererseits auf dessen bekanntestes Werk. Das Biblische des Gebhard Fugel ist keineswegs vergessen, nur ein bisschen hintan gestellt. Denn das kennt jeder. Fast niemandem aber ist geläufig, dass derselbe Fugel auch ganz anders konnte. Skizzen und Gemälde von Reisen nach Oberitalien sind zu sehen, Genre- und »Heimat«-Bilder mit dem Flair des Heimlichen und Vertrauten, des Abgeschiedenen und des kargen Lebens, mit dem Zauber der in den Jahreszeiten wechselnden Natur und dem ins geheimnisvolle Dunkel sinkenden »Fremden« in Toskana oder am Lago di Garda.
Kleine Leut‘ und große Herren
Einfache Leut‘ und hohe Herrschaften – unter ihnen Bayerns letzter König Ludwig III. – hatten Fugel Porträt gesessen, die eigenen Kinder natürlich, die Gattin eher selten, wie es scheint. Hilde als unbeschwerter Blondzopf, als sittsamer Teenager, als hübsch frisierte, junge Frau im Sonntagsgewand. Maria, die bodenständigere der beiden Fugel-Töchter repräsentiert die bäuerliche Herkunft, hat den Strohhut mit schwarzem Band am Arm und die rosa Festtags-Schleife im strähnigen Haar.
Hilde und Maria, das waren die beiden einzigen Kinder des Ehepaars Gebhard und Maria Fugel, die aus dem niederbayrischen Rotthalmünster stammte, deren Vater Oberamtsrichter war. Beim Tanzen in München haben sie sich kennengelernt. Sie wohnten in Solln, wo es noch einen »kleinen« Kreuzweg von Gebhard Fugel gibt, wie es nicht weit von Rotthalmünster ein Hochaltarblatt gibt, das Fugel malte, eine sanfte »Geburt Christi«, die in der Pfarrkirche von Griesbach zu bewundern ist.
Tochter Maria hatte zwei Buben, Gebhard und Heribert (Streicher). Dr. Gebhard Streicher ist der bekannte Kunsthistoriker, langjährige Panorama-Chef, vielfach von der Stadt Altötting ausgezeichnet und mit einer bekannten Künstlerin verheiratet. Fugel-Tochter Hildegard waren fünf Kinder geschenkt: Ingunn, Margarethe, Gebhard, Georg Michael und Wolfgang (Himmelreich).
Zeichnen als Faulenzerei
Während Gebhard Streicher eine Fülle von Publikationen zu Fugels Persönlichkeit und Werk schuf und der Initiator der Altöttinger Stadtgalerie- Jubiläumsschau ist, erinnert sein Vetter Wolfgang Himmelreich, der die Ausstellung (teilweise aus dem Familienbesitz schöpfend) mit aufbaute, in einer kleinen Skizze an seinen Großvater: Schon mit kaum sechs Jahren zeichnete er. Seine Motive fand er auf dem Hof, der, von Wiesen und Obstbäumen umgeben, nördlich des Bodensees lag. »Eine Farbskizze dokumentiert einen Frühling auf dem Fugel-Hof«, wo das Zeichentalent des Buben, so vermutet Wolfgang Himmelreich, keine Beachtung gefunden hat. »Das Zeichnen und Malen war für die Bauern Faulenzerei … Alle mussten auf dem Hof schuften, also die Schweine füttern, die Kühe melken, Mist ausräumen, den Rübenacker hacken, Gras mähen, Obst von den Bäumen pflücken …« Die Geschwister ließen den zarten kleinen Bruder, der statt Kühe zu hüten lieber zwei Schwestern beim Rübenackern malte, links liegen. Aus Dankbarkeit porträtierte der junge Gebhard Fugel seinen verständnisvollen Vater mehrmals. Der hätte seinen Sohn zwar lieber als Lehrer gesehen, schickte ihn aber, sein Talent erkennend, auf die Zeichenschule ins nahe Ravensburg. Die Arbeit bei Professor Edinger legte den Grund für ein Werk, das seinen Gipfel in Altöttings zweiter Weltberühmtheit fand, dem vor 110 Jahren gebauten »Jerusalem-Panorama«.
Dr. Hans Gärtner
39/2013