Jahrgang 2011 Nummer 4

Edle Rösser und heiliges Abendmahl

Waldkraiburgs neu eröffnetes Glasmuseum zeigt schöne Stücke aus der alten böhmischen Heimat

Deckelpokale, Steinschönau und Karlsbad, teils überfangen, geschliffen, graviert, um 1850, Karl Pfohl bzw. Emanuel Hoffmann zuge

Deckelpokale, Steinschönau und Karlsbad, teils überfangen, geschliffen, graviert, um 1850, Karl Pfohl bzw. Emanuel Hoffmann zugeschrieben.
Auguste Splitek in ihrer Gravurwerkstatt, gezeichnet von R. Görtler, Haida 1944.

Auguste Splitek in ihrer Gravurwerkstatt, gezeichnet von R. Görtler, Haida 1944.
Glasschleifer bei der Arbeit, Steinschönau, um 1920

Glasschleifer bei der Arbeit, Steinschönau, um 1920
Nach Waldkraiburg zogen viele Sudetendeutsche und Egerländer nach ihrer Ausweisung während oder Ende des Zweiten Weltkriegs, als es Waldkraiburg noch gar nicht gab. Die jetzt 60 Jahre alte, oberbayerische »Stadt im Grünen« wurde vielen Sudetendeutschen zur zweiten Heimat. In Bunkern führten sie - respektabel viele Kunsthandwerker - hier in den Gründerjahren das weiter, was sie in ihrer verlassenen Heimat begannen. Als Instrumentenbauer zum Beispiel oder - als Glasbläser. Ihre Tradition wurde von klugen, weitsichtigen, aber auch konservativen Kräften aufgegriffen. Es entstand ein Museums-Förderverein, der sich um den Erhalt der Handwerkskünste des Glasherstellens, -veredelns und -verarbeitens sorgte.

Bald schon wurden - mit den Mitteln aus öffentlichen Kassen, Firmenspenden und privaten Leihgaben - Initiativen für eine vorzeigbare Sammlung ergriffen. Ungeachtet der angespannten Haushalts-Situation konnte Waldkraiburgs Erster Bürgermeister Siegfried Klika durchsetzen, dass seine Kommune ein richtiges Glasmuseum innerhalb des Stadtmuseums erhält. Der erste Bauabschnitt konnte nun, unter Aufgebot aller Kräfte, rechtzeitig zum Abschluss gebracht und mit Dankesreden, schöner Musik und Bekundungen der Unterstützung seitens der Leitung der nichtstaatlichen Museen Bayerns der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dass es dem Förderverein, wie Altbürgermeister Jochen Fischer verkünden durfte, gelang, die famose Summe von 15 000 Euro zur Fertigstellung der noch anstehenden Arbeiten zur Verfügung zu stellen, verdient Bewunderung.

Wie funktionierte eine Glashütte? Aus welchen Teilen besteht Glas? Wie wurde Glas veredelt - also graviert, bemalt, geschliffen? Wie und unter welchen Schwierigkeiten arbeiteten böhmische Glasfachschulen und Glasveredelungswerkstätten? Diese Fragen werden dem Besucher des neuen Glasmuseums Waldkraiburg im Haus der Kultur anschaulich mit bildlichen, textlichen und gegenständlichen Beispielen beantwortet.

Ein Rundgang durch den vom Münchner Architekten Erich Hackl designten Raum mit Schaukästen und Vitrinen kann den Besucher eine kleine Stunde beschäftigen. Dass er sich noch ein wenig gedulden muss, bis auch die beiden letzten Drittel des »ganzen« Glasmuseums fertig sein werden, weiß er. Jetzt kann er sich - dank der geleisteten Neu-Einrichtungsarbeit durch Museumsleiterin Elke Keiper und ihrem Mitarbeiterstab - schon einmal vorbereitend klug machen für das, was ihn erwartet: Biedermeier-Glas mit seinen spezifischen Glasverarbeitungstechniken sowie seine Fortführung über Historismus und Jugendstil bis in die 1950er Jahre hinein, in denen es - vielen ist das erst jetzt bekannt geworden - auch in Waldkraiburg noch eine Glashütte gab, die Bläser, Graveure und Maler ins Brot setzte.

Deutlich wird dem Besucher, dass Schönheit leiden muss. Edle Rösser, Paradiesvögel, idyllisch gelegene Bauernhöfe oder auch das heilige Abendmahl nach Leonardo da Vincis berühmtem Gemälde - Motive, die wir auf den Objekten immer wieder antreffen - lassen zunächst an ein gehobenes Kulturmetier denken. Doch die Ausstellungsmacher wollten keine Augenwischerei betreiben und nichts schönfärben. Sie streuen in die Herrlichkeiten all der gezeigten Deckelpokale, Trinkgefäße, Konfekt-Schalen, Vasen und Karaffen da und dort Zeugnisse der »harten« handwerklichen Wirklichkeit ein.

Dutzende Menschen arbeiteten in einer Glasschleiferei, etwa in der von Steinschönau in den 1920er Jahren, auf engstem Raum im Schichtbetrieb. Schleifscheiben mussten ausgetauscht werden und bearbeitet, Ware kontrolliert, gewaschen und verpackt. Spezialisten waren für die unterschiedlichen Arbeitsschritte in den industrialisierten Veredelungsbetrieben tätig. Die Nachbildung einer Werkstatt-Situation konnte nach einer Zeichnung von Richard Görtler, Haida 1944, angefertigt werden. Sie zeigt Auguste Splitek an der Gravurmaschine. 1860 geboren, lernte sie bei ihrem Vater Franz Rasche in Arnsdorf das Gravurhandwerk. Mit 18 Jahren machte sie ihren Meister. Danach übernahm sie die väterliche Werkstatt und arbeitete für die Firma Carl Goldberg. Elf Jahre lebte und arbeitete sie in Nimes/Frankreich, bis sie 1904 zurückkehrte. Auguste Splitek wurde 91 Jahre alt.

Ihr Arbeitstisch war wegen des unverzichtbar guten Lichteinfalls, wie das üblich war, am Fenster aufgestellt. Als Graveurin musste sie das Werkstück gegen das Licht halten können, um Feinheiten oder Unebenheiten ihrer Arbeit zu erkennen. Was für Auguste Splitek galt, war bereits Tradition. Im nordböhmischen Gablonz arbeitete einer der besten Glasgraveure seiner Zeit: Anton Simm (1799 bis 1873). Zu Lebzeiten erzielte er für seine Arbeiten leider nicht die Spitzenpreise wie etwa seine Kollegen in den böhmischen Kur- und Badeorten. Erst nach seinem Tod wurde die überragende Qualität seiner Leistung als Glasgraveur erkannt. Gekonnt ist die Kombination von Schliff und Gravur an dem honigfarbenen Fußbecher Anton Simms (um 1840) mit da Vincis »heiligem Abendmahl«.

Beliebte Gravur-Motive um die Mitte des 19. Jahrhunderts: Reiter mit Pferd, Beduine mit Ross, Wild auf Lichtung. Die im Waldkraiburger Glasmuseum gezeigten drei Deckelpokale, teils rot überfangen, geschliffen und graviert, teils mit Gelbbeize hergestellt, werden bedeutenden Glaskünstlern jener Zeit zugeschrieben, etwa Emanuel Hoffmann oder Karl Pfohl. Solche Gegenstände waren Schaustücke für die Vitrine im Glasschrank. Verwendung im Alltag? Eher nicht. Dazu waren sie zu teuer erstanden, als dass man sie, wie vorgesehen, für Konfekt oder Plätzchen hernahm.

Einer der bedeutendsten Glasgestalter der 1920er Jahre war Alexander Pfohl (1894 - 1953). Sein Schüler Pursch verewigte ihn im Kreis von Mitschülern. Als besonders begabt erwies sich der junge Pfohl bereits auf der Haidaer Fachschule. Er hatte das Glück, auf die Kunstgewerbeschule nach Wien zu kommen, wo ihn Koloman Moser unterrichtete, einer der großen Jugendstil-Künstler. Nach dem I. Weltkrieg leitete Pfohl die Entwurfs-Abteilung der schlesischen Josephinenhütte in Schreiberhau. Seine Gläser wurden preisgekrönt. Traditionelles und modernes Design wusste Alexander Pfohl jun. wie kein zweiter seiner Zunft glücklich zu verbinden.

Dass die Kunst des Glasblasens und die damit in den meisten Fällen verbundenen Künste des Bearbeitens und Veredeln von Glas sich noch da und dort erhalten haben - fern der einst berühmten böhmischen, im Waldkraiburger Glasmuseum besonders berücksichtigten Orte Haida und Steinschönau - zeigte man bei der Eröffnung mit der Einladung des Glasbläsermeisters Sigi Franz. Er hat sich seit mehreren Jahren in Burghausens »Grüben« niedergelassen, wo er im »Glaspunkt« seine Kreationen erarbeitet, ausstellt und zum Kauf anbietet.

Die Öffnungszeiten des Waldkraiburger Glasmuseums: Dienstag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr.

Dr. Hans Gärtner



4/2011