Dr. Albert Frank entdeckte das Düngemittel Kalkstickstoff
Es revolutionierte weltweit die Landwirtschaft – Frank war einer der Gründerväter der SKW Trostberg






Wer weiß, wie sich Trostberg, Tacherting und der ganze nördliche Chiemgau im vergangenen Jahrhundert ohne Dr. Albert Frank entwickelt hätten? Der Chemiker, der heuer 150 Jahre alt geworden wäre, gilt nicht nur als Entdecker des Düngemittels Kalkstickstoff, sondern ist auch einer der Gründerväter der Bayerischen Stickstoffwerke, dem Unternehmen, aus dem sich letztendlich der heutige Chemiepark in der Alzstadt entwickelt hat. Im Archiv der Nachfolgeunternehmen Evonik und bei der AlzChem in Trostberg finden sich Unterlagen über die Gründerjahre der SKW und über Dr. Albert Frank, dem nicht nur die Region viel zu verdanken hat, sondern die gesamte Landwirtschaft. Zu seinem 90. Geburtstag kam Frank noch einmal in den Chiemgau. In einer Feierstunde im Verwaltungsgebäude der SKW wurden damals seine Verdienste gewürdigt. Der Chemiker emigrierte im Jahre 1938 in die USA, wo er von 1942 bis 1945 als Berater für das Office of War Information und ab 1945 bis zu seinem Tod 1965 für die American Cyanamide Co., New York, tätig war.
Albert Frank stammte aus Staßfurth bei Magdeburg. Er studierte Chemie in München und Berlin, wo er im Jahr 1900 promovierte. Zuvor, ab 1895, war er als Chemiker in verschiedenen Firmen tätig. Zusammen mit Hermann Freudenberg leitete er von 1899 bis 1908 die Cyanidgesellschaft Berlin. Die beiden schlugen 1901 das neu entdeckte Calciumcyanamid unter dem Namen Kalkstickstoff als Düngemittel vor. Ein diesem Vorschlag entsprechender, »streng vertraulicher« Brief des Vaters Adolph Frank an die Gesellschafter-Firma Siemens & Halske ist quasi die »Geburtsurkunde« des Kalkstickstoffs. Seit Gründung der Bayerischen Stickstoffwerke AG im Jahr 1908 war Albert Frank in deren Zentralverwaltung tätig. Nach dem Tod seines Vaters 1916 übernahm er zusammen mit Nikodem Caro die Leitung des Unternehmens. Aus der damaligen Bayerische Stickstoffwerke AG sind 1939 die Süddeutsche Kalkstickstoff-Werke AG (SKW) hervorgegangen, heute AlzChem.
Vater Adolph Frank legte den Grundstock
Vater Adolph Frank und Nikodem Caro entdeckten bei der Forschung nach einem Verfahren zur Herstellung von Cyaniden zur Goldgewinnung, dass Erd- Alkalicarbide bei hohen Temperaturen aus der Luft Stickstoff aufnehmen. Die revolutionäre Tragweite dieses Nachweises war zunächst keinem bewusst. Erst drei Jahre später, 1901, erkannte Dr. Albert Frank, was diese Entdeckung bedeutete: Mit der »irrtümlichen« Kalkstickstoffsynthese war es erstmals gelungen, die praktisch unbegrenzten Vorräte von Luftstickstoff für die Düngung von Feldern nutzbar zu machen. Die industrielle Verwertung des Verfahrens leitete ab 1908 das Ende der bis dahin weit verbreiteten Kleebrache in der Felderwirtschaft ein. In der Folge wurden die verfügbaren Anbauflächen deutlich ausgeweitet, denn der Mineraldünger Kalkstickstoff steigerte den Ertrag um ein Vielfaches.
Die Versorgung der Bevölkerung mit Brotgetreide in Zeiten rasch fortschreitender Industrialisierung war damit gesichert. Nachdem das Mittel zunächst als Stickstoff- und Kalkdünger Verwendung gefunden hatte, erkannte man schon bald seine zusätzlichen Wirkungen gegen Unkräuter, Schadpilze und tierische Schädlinge. Kalkstickstoff stellte somit nicht nur einen Dünger, sondern auch ein Pflanzenschutzmittel dar, was in einer Zeit der rein mechanischen Unkrautbekämpfung einen großen Fortschritt bedeutete. Von Jahr zu Jahr wurde mehr Kalkstickstoff produziert, um die große Nachfrage halbwegs zu decken. 1910 waren es 30 000 Tonnen, 1928 bereits 1,2 Millionen Tonnen. Keine der Gesellschaften, die heute das Geschäftsfeld Chemie der Evonik Industries AG bilden, hat von der Gründung bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts einen solchen Wandel erlebt wie die am 6. November 1908 als Bayerische Stickstoffwerke AG entstandene SKW Trostberg AG. Ausgangspunkt waren die Ende des 19. Jahrhunderts immer lauter werdenden Forderungen nach einer Regulierung der Alz. Um der jährlich wiederkehrenden Überschwemmungen Herr zu werden, plante die Bayerische Regierung eine weitgehende Kanalisierung desGewässers und den Bau von zwei Wasserkraftwerken. Die erzeugte Energie nutzte man schließlich, um der »Bayerische Stickstoffwerke AG« die energieintensive Produktion von Kalkstickstoff zu ermöglichen. Die Alzkraftwerke wurden 1910 in Betrieb genommen, parallel erfolgte der Aufbau von Produktionsanlagen in Trostberg für den begehrten Dünger. Der enorm große Bedarf der Landwirtschaft an Kalkstickstoff brachte nicht nur der SKW gute Erträge ein, sondern führte auch ab 1915 zum Bau neuer Anlagen in Piesteritz bei Wittenberg im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt und in Königshütte im damaligen Oberschlesien (heute Chorzow). Während das Werk in Chorzow 1922 vom polnischen Staat beschlagnahmt wurde, baute man Piesteritz aus. 1993 übernahm die SKW das Werk wieder; 2002 verkaufte man es an das tschechische Unternehmen Agrofert a. s. Es führt die Geschäfte unter dem NamenSKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH fort.
Über Jahrzehnte wurde die Herstellung von Kalkstickstoff, auch nachdem 1920 bei Hirten eine weitere Anlage und das dritte Wasserkraftwerk hinzugekommen waren, zur Basis der späteren SKW. Den Namen Süddeutsche Kalkstickstoff-Werke AG führte das Unternehmen ab 1939, seit dem Zusammenschluss der Bayerischen Stickstoffwerke AG mit der seit 1920 bestehenden Bayerischen Kraftwerke AG. Der Name von Dr. Albert Frank ist untrennbar mit den Gründerjahren und der frühen Erfolgsgeschichte der SKW verbunden. Am 18. März 1965 ist Frank in New York gestorben.
Klaus Oberkandler
42/2022