Doppelte Dame in Öl bringt Familie zusammen
Gemälde wird zum Auslöser einer kuriosen Geschichte um königlich-bayerischen Zinngießer / Teil II



Dass Fleiß für ein erfolgreiches Arbeitsleben unerlässlich ist, scheinen auch Antons Kinder schon in jungen Jahren verinnerlicht zu haben, denn sowohl Johann Georg als auch dessen ein Jahr jüngere Schwester Sophie sind unter den Schülern, die, wie damals üblich, »der rühmlichen Bekanntmachung« würdig waren, das heißt, sie wurden öffentlich für ihre hervorragenden Leistungen in der Schule prämiert. Ihr Vater Anton Schneider vergaß bei all seinem beruflichen Erfolg aber auch nicht diejenigen, die im Leben weniger gut gestellt waren, denn er war sowohl im »Verein zur Förderung des Gewerbes« Mitglied als auch im »Unterstützungsverein für Oberbayern«, der in Not geratenen Mitbürgern finanziell unter die Arme griff. Doch auch der strebsamste und spendenfreudigste Mensch ist nicht davor gefeit, dass das Schicksal ihm übel mitspielt: Im April 1848 stirbt Anton Schneider, mitten im Berufsleben, im Alter von nur 42 Jahren. Seine Familie muss dabei nicht nur den Verlust des Ehemanns und Vaters verwinden; die Zinngießerei steht von einem Tag auf den anderen auch ohne Chef da. Theresia Schneider macht nun das, was Witwen von Handwerksmeistern über die Jahrhunderte als naheliegende Lösung zum Erhalt des Geschäfts praktizieren, sie heiratete einen der Gesellen namens Wolfmüller.
Doch dieser Schritt scheint bei ihren Kindern nicht uneingeschränkt auf Zustimmung gestoßen zu sein, denn Johann Georg verlässt den Betrieb wie auch seine Geburtsstadt München im Alter von gerade mal 20 Jahren und geht nach Traunstein. Wahrscheinlich hat er sich von der Mutter den Anteil am väterlichen Erbe auszahlen lassen und ist deshalb in der Lage, sich 1851 am Stadtplatz, direkt neben der Kirche, ein Haus in bester Lage zu kaufen. Warum er sich gerade für Traunstein entschied, ist nicht bekannt, aber vielleicht erkannte er die Gunst der Stunde, denn am 25. April hatte ein verheerender Brand 90 Häuser, 30 Scheunen sowie den Turm des Gotteshauses restlos zerstört. Das Anwesen mit der heutigen Hausnummer 16 am Stadtplatz war mit einem verkohlten Dachstuhl davongekommen und stand nach dem Unglück zum Verkauf. Johann Georg Schneider richtete sich im Erdgeschoß eine Zinngießerei ein und trat damit beruflich in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters. Der junge Handwerker scheint sich in der Stadt schnell eingelebt zu haben, denn 1859 gehört er zu den Gründungsmitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr Traunstein und wird auch zu deren Hauptmann bestimmt. Einige Jahre später, ab 1863 wird er auch für mehrere Wahlperioden in das Amt eines Gemeindebevollmächtigten gewählt. Verheiratet ist Johann Georg Schneider mit der 1834 geborenen Anna Rohl. Die beiden bekommen sechs Kinder, darunter den Sohn Josef (1865-1937) und die Tochter Anna Sophie, geb. 1861. Josef sollte der Großvater von Max Schneider werden, Tochter Anna Sophie die Großmutter von Waltraud Panitz – der heutigen Besitzerin des Gemäldes.
Während Josef in seiner Geburtsstadt blieb und die Zinngießerei von seinem Vater Johann Georg übernahm, hatte es Anna Sophie in die Ferne gezogen, wodurch sich die nachfolgenden Generationen dann bald aus den Augen verloren. Nicht anders sollte es den Traunsteiner Schneidern auch mit der Stammfamilie in München gehen. Dort war der fünf Jahre jüngere Bruder Georg Johanns, Anton, in den Betrieb miteingestiegen – und konnte ebenfalls mit seinen Handwerkskünsten glänzen. Wann und warum der Kontakt zwischen den Münchner und Traunsteiner Schneiders abriss, ist nicht bekannt, aber zumindest 1888 dürften die Familien noch einmal miteinander zu tun gehabt haben, denn in dem Jahr starb, für die damalige Zeit hochbetagt im Alter von 82 Jahren, Theresia Schneider, geborene Mailänder. Vielleicht gelangten die beiden Gemälde von Theresias Mutter Juliana im Zuge der Testamentsvollstreckung nach Traunstein an Georg Anton und der wiederum vererbte sie an seine Kinder Josef und Anna Sophie.
Sehr zur Freude von Josefs Enkel Max Schneider weiß Anna Sophies Nachfahrin, Waltraud Panitz, mehr über den Werdegang der Großmutter, womit sich nun eine weitere Lücke in der immer umfangreicheren Familiengeschichte der Zinngießer Schneider füllt. Anna Sophies Biographie ist zugleich auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte: Die Zinngießertochter heiratete einen gewissen Anton Josef Gasser, den sie in Berchtesgaden kennengelernt hatte. Gasser war gebürtiger Südtiroler und nach seiner Militärzeit bei den Tiroler Kaiserjägern als eine Art Reisemarschall in den Dienst einer ungarischen Gräfin getreten. Als Gasser die Bekanntschaft mit Anna Sophie machte, kündigte er bald darauf seine Stellung und ließ die Adelsdame allein ihres Weges ziehen, um die junge Traunsteinerin zu heiraten. Nach der Hochzeit ließ sich das junge Paar in Oberfranken nieder, wo Josef eine Posthalterei erwarb. Doch irgendwie kam er dabei nicht so recht auf die Beine und das junge Ehepaar beschloss, in Gassers Heimat zurückzukehren und sich eine Existenz als Wirtsleute aufzubauen. Doch der uralte Gasthof in Mahr bei Brixen, den sie erwarben, erwies sich auch nicht gerade als Goldgrube und so blieb Anna Sophie, als ihr Mann 1914 starb, mittellos mit zwei halbwüchsigen Buben zurück. Mit Näharbeiten gelang es ihr, die Familie halbwegs über Wasser zu halten, doch die Zeiten waren schlecht, und das nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht. Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Faschisten unter Benito Mussolini an die Macht gelangt und begannen, Kultur und Sprache der bis dahin unter österreichischer Herrschaft stehenden Südtiroler systematisch auszumerzen. Unter anderem wurden die Menschen gezwungen, ihre Namen zu italienisieren, der Schulunterricht auf Deutsch wurde verboten und wer nicht spurte, wurde willkürlich nach Süditalien zwangsumgesiedelt. Die jungen Gassersöhne schlossen sich, wie viele Südtiroler dem Widerstand gegen die Faschisten an. Als sie eines Tages in die Fänge der Polizei gerieten, wurden sie dank ihrer deutschen Staatsbürgerschaft nur über den Brenner nach Tirol abgeschoben, anstatt, wie in derartigen Fällen üblich, in einem Lager irgendwo in Süditalien zu verschwinden. Waltraud Panitz' Vater verschlug es nach der Ausweisung nach Hessen, wo er an der Hochschule für Obst- und Weinbau studierte. Nachdem er eine Familie gegründet hatte, ließ er sich in der Altmark im heutigen Sachsen-Anhalt nieder. Seine Tochter Waltraud, verheiratete Panitz, wuchs in der DDR auf und arbeitete als technische Assistentin im Forschungsinstitut für Genetik und Kulturpflanzen in Gatersleben bei Quedlinburg.
Max Schneider aus Traunstein und sein Münchner Vetter Albert Schneider sind seit ihrer Begegnung in München nicht nur verwandtschaftlich, sondern mehr noch freundschaftlich eng miteinander verbunden. Ihre Cousine Waltraud Panitz kennen sie bisher nur von Briefen oder Telefonaten – doch das soll sich ändern, denn noch in diesem Sommer ist ein großes Treffen geplant. Und damit schließt sich dann der Kreis um eine Familiengeschichte, die, lange in den Schubladen der Historie verwahrt, auf beinahe magische Art und Weise durch eine längst verblichene, »doppelte« Dame in Öl wieder ans Tageslicht kam.
Susanne Mittermaier
Teil I in den Chiemgau-Blättern 29/2014
30/2014