Jahrgang 2014 Nummer 29

Doppelte Dame in Öl bringt Familie zusammen

Gemälde wird zum Auslöser einer kuriosen Geschichte um königlich-bayerischen Zinngießer / Teil I

Juliana Mailänder in doppelter Ausführung: Links das Gemälde aus dem Traunsteiner Heimathaus, rechts das Bild aus Gatersleben.
Georg Schneider hat nach dem Tod des Vaters München verlassen und sich in Traunstein niedergelassen.

Statistiker würden der mathematischen Wahrscheinlichkeit für folgendes Ereignisses wohl ganz viele Nullen verpassen: Ein Mann, der aus dem hunderte von Kilometern entfernten Mecklenburg-Vorpommern stammt, entscheidet sich im Sommer 2010, in Traunstein Urlaub zu machen. Dort verbringt er die Tage nicht nur damit, auf den reichlich zur Auswahl stehenden Bergen der Umgebung herum zu kraxeln, sondern stattet auch dem hiesigen Heimatmuseum einen Besuch ab.

Und dort, irgendwo zwischen Biedermeierstühlen und Bauernschränken springt ihm plötzlich seine Ur-Ur-Uroma ins Auge, besser gesagt deren Konterfei. Allerdings weiß besagter Herr namens Panitz zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, dass es sich dabei um seine Vorfahrin handelt, er ist nur völlig baff, dass das Bild im Traunsteiner Heimathaus genauso aussieht, wie das, was bei seiner Mutter in Gatersleben im Wohnzimmer hängt. Aufgeregt berichtet der Urlauber dem Museumsleiter, Jürgen Eminger, dem er zufällig auf der Treppe begegnet, von seiner Entdeckung. Damit kam eine Geschichte ins Rollen, wie sie sich kein noch so phantasiebehafteter Schriftsteller besser hätte ausdenken können. Und ganz wichtig: Die Story hat auch ein Happy End mit der Wiedervereinigung einer Familie, die gar nichts voneinander wusste, weil sich die Wege ihrer Vorfahren vor mehr als 150 Jahren getrennt hatten.

Wie so oft im Leben, spielte auch eine gehörige Portion Zufall bei der ganzen Sache mit, denn wäre der Besucher aus »Meck-Pomm« eine Woche eher durchs Museum geschlendert, hätte er seine Oma in Öl gar nicht zu Gesicht bekommen. Das Gemälde war nämlich erst wenige Tage vorher aus dem Depot geholt und an die Wand gehängt worden, weil es fotografiert werden sollte.

Dass das Bild bisher nicht ausgestellt war, liegt auch daran, dass über die dargestellte Dame im Dirndl nichts bekannt war: »Wir haben das Bild vor etwa zehn Jahren im Zuge eines Nachlasses bekommen, wussten aber weder, wann genau es entstanden ist, noch, um wen es sich handelt«, berichtet Jürgen Eminger. Als der Besucher ihm von dem Gemäldezwilling berichtet habe, habe er der Sache deshalb auch keinen großen Wert beigemessen, denn: »das passiert immer mal wieder, dass jemand kommt und sagt, so was hab ich bei mir zu Hause auch und am Ende löst sich doch alles in Luft auf.« Als einige Wochen später per Post ein Foto des Panitz'schen Gemäldes eintrudelte, blieb dem Museumsleiter dann aber doch die Spucke weg: Bis auf die unterschiedlichen Farben waren beide Bilder bis in die winzigste Kleinigkeit identisch. Das war aber lange noch nicht alles: Waltraud Panitz, die Mutter des Museumsbesuchers und Besitzerin des Gemäldes in Gatersleben hatte dem Foto eine Erklärung beigefügt, dass auf der Rückseite des Bildes zu lesen sei: »Meine Urgroßmutter Mayländer«.

Das Bild, so Waltraud Panitz, sei über ihre Großmutter Anna Sophie Gasser an sie vererbt worden. Und jene Anna Sophie, auf die sich auch die Widmung bezieht, stammte – wie Jürgen Eminger nun mit großem Erstaunen feststellte – aus Traunstein und hieß mit Mädchennamen Schneider. Der Clou: Das Traunsteiner Bild stammte aus dem Nachlass einer alten Dame mit Namen Lieselotte Schneider – die allerdings Zeit ihres Lebens nicht gewusst hat, dass das Bild eine Vorfahrin von ihr darstellt. »Sie hat es zwar jahrzehntelang in ihrem Haus hängen gehabt, aber sie hat immer gesagt, das Gemälde habe mit uns nichts zu tun«, berichtet ihr Großneffe Max Schneider, der – wieder ein großer Zufall – ein guter Bekannter des Museumsleiters ist, der ihm natürlich postwendend von der unglaublichen Geschichte berichtete.

Weil die Tante keinen Bezug zu dem Bild herstellen konnte, habe sie es dann auch dem Heimatmuseum vermacht, erinnert sich Schneider, dem zwar bekannt war, dass die Frau seines Ur-Ur-Großvaters Mailänder geheißen hat, doch mehr hatte die Familiengeschichte bis dahin nicht hergegeben. Dass er jetzt zu dem Namen plötzlich auch ein Bild hatte, war aber noch nicht alles: mit dem Brief an den Museumsleiter hat Max Schneider – quasi frei Haus – Zuwachs mit einem Familienzweig erhalten, von dessen Existenz er bis dahin gar nichts wusste. Das Kuriose daran: Vor zehn Jahren hatte der studierte Jurist schon ein ähnliches Erlebnis, als er – ebenfalls ganz zufällig – über bis dahin unbekannte Verwandte in München stolperte. Auslöser dieser ersten »Wiederfindung« war damals ein Artikel in der Abendzeitung über das 150-jährige Jubiläum eines Münchner Gastronomiegroßhandels namens Schneider. »Da stand, dass der Firmengründer Anton Schneider hieß und königlich bayerischer Zinngießer gewesen war«, erinnert sich Max Schneider. Über meine Vorfahren wusste ich, dass sie ebenfalls als königlich bayerische Zinngießer in München tätig waren, unter anderem auch ein Anton Schneider.« Er habe noch eine Zeit lang über diesen Zufall gegrübelt, das Ganze aber dann irgendwann wieder vergessen. Ungefähr ein halbes Jahr später habe er einen Artikel gelesen, in dem erwähnt wurde, dass im 19. Jahrhundert etwa 150 000 Menschen in München lebten. »Da ist mir sofort die Sache mit dem Zinngießer wieder eingefallen. Dass es bei dieser Einwohnerzahl zwei königlich- bayerische Zinngießer Schneider mit dem Vornamen Anton gegeben hat, wäre doch sehr ungewöhnlich.« Kurzentschlossen machte Max Schneider die Telefonnummer des Gastronomiegroßhandels ausfindig und rief bei dessen Chef, Albert Schneider, an, ob sie möglicherweise miteinander verwandt sein könnten. Albert Schneider habe ihm zwar erklärt, dass da sicher keine familiäre Verbindung bestehe, aber weil sich die beiden Herren am Telefon auf Anhieb sympathisch waren, beschlossen sie, sich zu einem Plausch in einem Münchner Café zu treffen. Als sie sich dann das erste Mal Auge in Auge gegenüber saßen und über ihr jeweiliges Leben plauderten, stellten Max und Albert Schneider zu ihrem Erstaunen fest, dass sie nicht nur einen ähnlichen beruflichen und privaten Werdegang hatten, sondern auch sonst ziemlich auf »einer Wellenlänge« lagen. An so viel Zufall wollten die beiden dann doch nicht glauben und sie beschlossen, ihre jeweilige Familiengeschichte noch einmal unter die Lupe zu nehmen, ob da nicht doch irgendwo eine Verbindung ans Tageslicht käme. Ihr Gefühl sollte die beiden dann auch nicht trügen:

Es hatte tatsächlich nur einen königlich-bayerischen Zinngießermeister Anton Schneider gegeben, und sowohl Albert als auch Max Schneider stammten von diesem gemeinsamen Urahnen ab. Dass die beiden Familien bislang gar nichts voneinander gewusst hatten, liegt in den Lebensumständen jenes Anton Schneider. Er hatte 1832 in der Schäfflerstraße in München, direkt hinter der Frauenkirche, im Erdgeschoß des Hauses Nr. 15, eine Zinngießerei eröffnet. Zwei Jahre zuvor, im August 1830, war Schneider in den Stand der Ehe getreten mit einer gewissen Anna Theresia Mailänder, Gütlerstochter von Berg bei Landshut – und damit kommt nun unsere Dame in Öl – Juliana Mailänder – wieder ins Spiel, denn sie war, wie sich herausstellen sollte, die Mutter jener Anna Theresia.

Im gleichen Jahr, in dem Anton sein Geschäft gründete, kam auch sein Sohn Johann Georg zur Welt, der am 22. Juli 1832, einen Tag nach seiner Geburt, in der Pfarrei »Unsere Liebe Frau« getauft wird. Dass er, im Alter von nur 19 Jahren, seine Heimatstadt München verlassen und sich in Traunstein ein Haus kaufen würde, hätte sich zu dem Zeitpunkt wohl keiner vorstellen können, denn der Vater war ein erfolgreicher Handwerker, der sogar den Titel eines königlich-bayerischen Zinngießers zugesprochen bekam – ein Privileg, das nur an Personen verliehen wurde, die in ihrem Beruf durch besondere Leistung auffielen – und über entsprechend Bares verfügten. Das Gütesiegel »königlichbayerisch« konnte nur durch Zahlung einer bestimmten Summe erworben werden und galt auch nur für einen bestimmten Zeitraum. Verlängerungen mussten erneut genehmigt – und wiederum bezahlt werden.


Susanne Mittermaier


29/2014

 

Teil II in den Chiemgau-Blättern 30/2014