Jahrgang 2017 Nummer 16

Die Urhölle im Museumsgarten

Eine frühe Alpenschutzhütte erlebt ihren ersten Frühling auf der Münchner Praterinsel

Die 2016 im Alpinen Museumsgarten aufgestellte »Urhölle« von 1894 war die erste Schutzhütte, die der DAV errichten ließ. (Alle Fotos: Hans Gärtner)
Ein Foto von den Einweihungsfeierlichkeiten der »Urhölle«.
»Hüttengebet«, geschrieben 1979 von einem Bergsteiger aus Abensberg, gerahmt als Wandschmuck der Höllentalgrathütte, die neben der »Urhölle« steht.
Seit Herbst letzten Jahres steht eine frühe alpine Schutzhütte im weitläufigen Garten des Alpinen Museums auf Münchens Praterinsel. Die Hütte, im oberbayerischen Höllental von einem Zimmererteam abgebaut und ins Tal geflogen, gehört jetzt zur neuen Ausstellung des Alpinen Museums, ist sogar ein wesentlicher Teil von ihr. Ein »uriger« Teil, könnte man sagen; denn das frei zugängliche, kleine Bauwerk trägt den Spitznamen »Urhölle«. Es handelt sich um die erste Berghütte, die 1894 der Deutsche Alpenverein (DAV) im Oberen Höllental errichtet hatte. Auf 1387 Metern über dem Meer. Die Bergsteiger sollten vor gut 120 Jahren auf ihrer damals noch um einiges mühevolleren Tour auf Bayerns Höchstgipfel einen annehmbaren Unterschlupf haben. Annehmbar? Aus rohen Fichtenbrettern war das Häusl gezimmert worden. Es wirkt im Garten recht klobig. Es ist nicht größer als 6 mal 7 Meter.

Man muss den Kopf einziehen, um die »Urhölle« zu betreten. Sofort fallen die sieben dicht gedrängten, einfachen Betten auf. Lustigerweise bilden sie kein Matratzenlager, sondern sind mit hölzernen Trennwänden versehen. »Dass keiner zum anderen rüber rollen konnte«, kommentiert eine junge Besucherin. Sie lobt das Hüttl und seine gemütliche Einrichtung. Auf dem nackten Holzesstisch mit Bauernstühlen und Eckbank steht ein Strauß frisch gepflückter Narzissen in der Vase, darüber gibt eine einzelne Glühbirne im Blechteller-Lampenschirm ein überflüssig gutes Licht. »In der Urhölle darf's, scheint's, nicht dunkel sein, damit sich niemand fürchtet«, mutmaßt die Besucherin. Sie ist angetan von dem Raum und bedauert, keine Zeit zu haben für wenigstens eine der vier Hörstationen mit kurzen nachgestellten Unterhaltungen des einstigen Wirtes und seines Personals mit den Hüttenbesitzern und das Abhören der (vielleicht fingierten) Erzählungen von Hüttenbesuchern.

Eine regelrechte, kleine Handbibliothek mit Dokumentationen und reizvollen Schriftproben und Handzeichnungen zur Hüttengeschichte, sehr unterhaltsam und informativ, kann unmittelbar genutzt werden. Da ist zum Beispiel vom legendären Garmischer Zugspitzführer, dem Koser Seppl, zu lesen, der eigentlich Joseph Ostler (1866 - 1934) hieß. 1900, da war er schon fünf Jahre Pächter der Höllentalangerhütte, hatte er sich im schneidigen Bergführer-Outfit für eine Werbepostkarte ablichten lassen. Ein männliches Model der Bergwelt. Die Hütte war jährlich vom 1. Juni bis Ende Oktober geöffnet. Bis 1911 blieb der Seppl dort Wirt. Schwester Gertraud half ihm bei der schweren Arbeit. Sie starb allerdings schon 1897 mit 33 Jahren.

Das Team der breit angelegten, reich bestückten Ausstellung »Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen« (bis 8. April nächsten Jahres) wartet unter Leitung von Friederike Kaiser mit viel Persönlichem auf, das mit Bau, Einrichtung, Geschichte, Bewirtschaftung und -zig damit zusammenhängenden Problemen zu tun hat. Ausgesuchte Memorials und Biografien lassen den Besuch nie langweilig werden. In der »Urhölle« ist einiges über den Bauherrn der Höllentalangerhütte, den Pullacher Unternehmer und Klinkersteinfabrikanten Adolph Wenz (1840 - 1927) zu erfahren. 1893 übernahm er als Referent der DAV-Sektion München das Wettersteingebiet. Er ließ den Klettersteig vom Höllental zur Zugspitze errichten und bleibt Insidern als eifernder, umtriebiger Bauherr des »Münchner Hauses« auf der Zugspitze im Gedächtnis. Adolph Wenz gilt übrigens als Erfinder des Kamera-Selbstauslösers.

Dicht bei der »Urhölle« steht die keineswegs zu übersehende, kleine Höllentalgrathütte aus verzinktem Wellblech. Von der Deutschen Alpenvereins- Sektion München 1963/65 für den Jubiläumsgrat (ragt zwischen Alpspitze und Zugspitze auf) erbaut, war sie bis 2011 in Betrieb. Ein Jahr später kam sie ans Alpine Museum. Ein Abensberger brachte 1979 in etwas eigenwilliger, gut lesbarer Fraktur ein »Hüttengebet« auf Bairisch Deutsch zu Papier. Das Original ist gerahmt worden und zu jedermanns Lektüre an die Wand gehängt. Man muss es nur finden: gleich rechts vom Eingang.

Die »Urhölle« hat vor anderthalb Jahren eine luxuriöse Nachfolgerin gekriegt. Hoch oben im oberen Höllental steht, wie manche den Neubau spöttisch nennen, seitdem der »Luxusschuppen« namens Höllentalangerhütte. Der DAV hat tief in die Tasche gegriffen und für den Bau 5,5 Millionen Euro aufgewandt – kein Fehlgriff. Gewiss hundert Bergsteigern und Bergwanderern beiderlei Geschlechts bietet das langgestreckte, mit Lärchenschindeln verkleidete Gebäude mit Pultdach Übernachtungs- und Bewirtungsmöglichkeiten von bester Qualität. Nix mehr Betten-Lager, nix mehr Plumpsklo, nix mehr drangvolle Enge. Alles ist weit, licht und komfortabel – bis hin zur WLAN-Anlage. Sogar einen Raum für Seminare und Fortbildungen hat man geschaffen. Fotos und Texte von der Einweihung finden sich in der Ausstellung. Spätestens dann, wenn man sich hinein vertieft hat, weiß man, wie deren Titel (auch) zu verstehen ist: »Hoch hinaus!«

 

Dr. Hans Gärtner

 

16/2017