Die Traunsteiner Jahre eines Nobelpreisträgers
Der Chiemgau war die Wahlheimat des Physikers Johannes Stark – Teil I

Der Physiker Johannes Stark, der im Jahre 1919 für die Entdeckung des nach ihm benannten Stark-Effekts den Nobelpreis erhalten hatte, verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens in Traunstein und ist 1957 hier gestorben. Stark war ein sehr eigenwilliger Mann, seine Sympathien für den Nationalsozialismus und seine antisemitischen Ausfälle gegen seine jüdischen Kollegen haben dazu geführt, dass sein Name heute weitgehend vergessen ist und man sich an den Begründer einer »Deutschen Physik« (im Gegensatz zur »Jüdischen Physik«) nur mit einem gewissen Unbehagen erinnert.
Davon unabhängig mag es aus der Sicht der Lokalgeschichte von Interesse sein, Starks Spuren in Traunstein nachzuzeichnen, wo er nahezu ein Vierteljahrhundert gelebt hat. Und zwar anhand seiner »Lebenserinnerungen«, die er seinen Angaben zufolge im Jahre 1945 im Traunsteiner Gefängnis niedergeschrieben hat, in das er von der amerikanischen Besatzungsmacht eingeliefert worden war.
Johannes Stark zählte 58 Jahre, als er im Jahre 1932 das erste Mal in den Chiemgau kam. Seine Laufbahn als akademischer Lehrer war zu diesem Zeitpunkt beendet. Nach Lehrtätigkeiten als Professor in Aachen und Greifswald war er nach Würzburg gewechselt, hatte aber wegen interner Streitigkeiten nach zwei Jahren seine Professur aus Protest niedergelegt. Da er die Quantentheorie und andere Teile der modernen Physik vehement ablehnte, gelang es ihm trotz Nobelpreises nicht, eine neue Berufung an eine Universität zu erhalten. Verärgert zog sich Stark in seine Oberpfälzer Heimat in der Nähe der Stadt Weiden zurück, richtete sich ein physikalisches Privatlabor ein und wurde Teilhaber einer Porzellanfabrik. Als sich die Fabrik als Misserfolg erwies, ging Stark nach München und baute in Großhesselohe für seine auf fünf Kinder angewachsene Familie eine große Villa, in der er ein Privatlabor einrichtete.
Mit Hitler persönlich bekannt
Anfang der dreißiger Jahre trat Stark in Verbindung mit führenden Politikern aus der Umgebung von Hitler, die den Nobelpreisträger und Physiker von Weltgeltung gerne als Aushängeschild nutzten. Bei einer Versammlung in der Münchner Tonhalle lernte er Hitler kennen und war von ihm eingenommen. »Ich beschloss, ihm zu helfen, die Unterstützung derjenigen Kreise zu gewinnen, die bisher ablehnend oder gleichgültig ihm gegenüberstanden«, schreibt er selbstbewusst in seinen Erinnerungen. Stark verfasste die Broschüre »Hitlers Ziele und Persönlichkeit« und veröffentlichte sie in einem NS-Verlag. Eine zweite Schrift, »Nationalsozialismus und katholische Kirche« übergab Stark bei einer Audienz Hitler persönlich, der einige Änderungen vorschlug.
Das Leben in München konnte einen Mann mit einem so starken Betätigungsdrang auf Dauer nicht befriedigen. »Zur abstoßenden Kraft Münchens kam bei mir die Anziehung des Landlebens auf einem Bauernhof – und die Absicht, für meinen (ältesten) Sohn Hans eine Stätte der Wirksamkeit für sein ganzes Leben zu suchen«, stellt er in seinen Erinnerungen fest. Aus den Mitteln des Nobelpreises war noch genügend Geld übrig. Hans, dessen Studium sich dem Ende näherte, sollte Landwirt werden – und zwar unter der Anleitung des Vaters. Stark suchte lange nach einem geeigneten Hof – es musste in der Nähe der Berge sein, weil Hans ein begeisterter Bergsteiger war.
Stark wurde der Hof Eppenstatt, in der (damaligen) Gemeinde Hochberg, ein Anwesen mit 37 Hektar Grund, zum Kauf angeboten. Obwohl er sehr schön inmitten von Wiesen und Feldern gelegen war, hatte er doch auch Nachteile: schlechte Zufahrtswege, ungenügende Stallungen und ein zwar geräumiges, aber doch in vernachlässigtem Zustand befindliches Wohnhaus… Nach einiger Überlegung griff Stark zu. In seinen Erinnerungen heißt es: »Im Januar 1932 erwarb ich den Hof Eppenstatt und baute ihn im Laufe dieses Jahres unter Beihilfe meines herangeholten Sohnes Hans entsprechend meinen Plänen aus. Ich habe dabei eine erstaunliche Arbeit geleistet, wie ich rückblickend anerkennen muss.« Das Wohnhaus musste grundlegend erneuert, die landwirtschaftlichen Gebäude mussten erweitert, die Wiesen drainiert werden. Zwei Arbeiten lagen Stark besonders am Herzen, die Schaffung eines großen Obstgartens und einer guten Zufahrtsstraße. In seinen Erinnerungen schreibt er: »Als Obstgarten hatte ich ausgedehnte Hänge nach Süden und Südwesten gewählt. Sie wurden von Baumgruppen, zu einem Teil von Wald, gesäubert und mit einem mehr als 1000 Meter langen hohen Drahtzaun an starken Pfosten umgeben. Ich pflanzte im Frühjahr in ihm 500 junge Bäume, Apfel-, Birn-, Zwetschgen- und sonstige Pflaumenbäume an, unter Beratung durch den damaligen Bezirksgärtner.
Der Weg, den ich gegen Ende des Jahres anzulegen hatte, sollte Eppenstatt durch eine gute Fahrstraße mit dem nächsten guten Fahrweg verbinden, anstelle eines völlig verfallenen Feld- und Waldweges. Ich musste ihm einen festen Unterbau auf dem lehmigen Untergrund geben. Dazu fehlte mir aber das Steinmaterial in nicht zu großer Entfernung. So entschloss ich mich, als Unterbau einen Weg von unmittelbar aneinandergereihten, hälftig geschlitzten Bohlen zu wählen. Ich brauchte dafür sehr viel Holz, nämlich etwa 3000 Stück zwei Meter lange Prügel, zumeist von Fichten aus meinem eigenen Wald. Sie mussten erst herausgesucht, dann geschlitzt, verlegt und mit einer Kiesdecke aus der eigenen Kiesgrube versehen werden. Es war eine lange Arbeit, die nur langsam fortschritt. Als ich darüber war, kam einmal ein junger Forstmann und meinte geringschätzig: 'Die Bohlen sind ja doch in ein paar Jahren verfault.' Ich sagte: 'Jawohl, sie würden es sein, wenn nicht dauernd die Wagen darüber rollen würden; aber die Quetschung und Erschütterung vertragen die Fäulnisbakterien nicht, und darum wird der Bohlenweg halten.' Ich behielt recht. Noch nach dreizehn Jahren ist von einer Fäulnis an ihnen nichts zu merken.
Der Zufahrtsweg verlangte auch den Bau einer kleinen Holzbrücke, und auf der anschließenden Gemeindestraße ließ ich ebenfalls aus meinem eigenen Holz und auf meine Kosten, der Schnelligkeit wegen, eine hölzerne Brücke durch eine neue ersetzen, damit kurze Zeit danach unsere schweren Möbelwagen ungefährdet darüber fahren konnten.
Im Spätherbst zog meine Familie von Großhesselohe zu mir und Hans nach Eppenstatt. Ich muss hier meiner Frau ein großes Lob aussprechen, dass sie sich in ihre neue Rolle der Gutsfrau so rasch und mit Erfolg einlebte. Sie besorgte nicht nur das große Haus, sondern nahm sich auch um die Dienstbotenküche und die Milchkühe an, die Haupteinnahmequelle des Hofes. Unterstützt wurde sie dabei von unserer ältesten Tochter Anneliese, während die Zwillinge noch zur Schule gingen.«
Abrechnung mit seinen Gegnern
Inzwischen begann sich die politische Landschaft in Deutschland grundlegend zu verändern. Hitlers Aufstieg wirkte sich auch in Forschung und Wissenschaft aus. Die Nazis nahmen das internationale Ansehen des Nobelpreisträgers Johannes Stark in ihre Dienste, der schon 1930 Parteimitglied geworden war. Noch im Jahr der Machtergreifung erhielt er die Ernennung zum Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt mit Sitz in Berlin, ein Jahr später zusätzlich zum Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Damit verfügte Stark über einen beachtlichen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Naturwissenschaft, denn die Entscheidung über die Vergabe von Fördermitteln lag in seiner Hand. Er soll Anträge von Wissenschaftlern häufig nur durch sein persönliches Votum abgelehnt haben mit der einfachen Begründung: »Präsident Stark verfügt Ablehnung«. Dass natürlich nur Projekte von solchen Wissenschaftlern Fördergelder erhielten, die auf seiner Linie lagen, liegt auf der Hand. Bei einer Tagung der deutschen Physiker redete Stark Klartext und kündigte an, jetzt habe er die Verantwortung für die deutsche Physik übernommen, so wie Hitler die Verantwortung für das deutsche Volk übernommen habe.
Nun war für Stark der Zeitpunkt gekommen, um mit seinen wissenschaftlichen Gegnern abzurechnen. Gegner waren für ihn alle Vertreter der modernen theoretischen Physik, der Quantentheorie und der Relativitätstheorie, in erster Linie Albert Einstein, mit dem Stark früher sogar freundschaftlich verkehrt hatte. Aber jetzt war Einstein für ihn »die Verkörperung des jüdischen Geistes«. Nach Starks Ansicht seien nur Träger der »nordisch-germanischen Rassenseele« zur uneigennützigen Beobachtung der Naturphänomene« in der Lage, den jüdischen Wissenschaftlern fehle die Fähigkeit zu wahrer schöpferischer Arbeit in den Naturwissenschaften«. Es gebe unter den deutschen Physikern aber auch »weiße Juden« wie Max Planck, Arnold Sommerfeld, Max von Laue und Werner Heisenberg, die »Statthalter des Einsteinschen Geistes« in Deutschland. Diese »weißen Juden« müssten ebenso verschwinden wie die Juden selbst, forderte er.
Stark hatte in Berlin eine herrschaftliche Dienstvilla zur Verfügung. Durch die vielfältigen Verwaltungsaufgaben und Repräsentationspflichten blieb ihm kaum Zeit, zur Familie nach Eppenstatt zu kommen. Doch die »Tretmühle Berlin« setzte seinen Kräften zu. Im Januar 1939 erlitt er bei einem Besuch daheim eine Gehirnblutung, brach zusammen und lag drei Tage bewusstlos. »Durch den Eingriff meiner Ärzte Illing und Schraube, durch die aufopfernde Pflege meiner Frau und durch mein gesundes Herz wurde ich gerettet«, heißt es in den Erinnerungen.
Mit Erreichen des 65. Lebensjahres trat Johannes Stark in den Ruhestand. Den Vorsitz der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatte er schon einige Jahre zuvor abgegeben. Nun hoffte er auf einen friedlichen Ruhestand in Eppenstatt und Traunstein. Aber diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen – die folgenden Jahre wurden die unruhigste Zeit seines Lebens.
Julius Bittmann
10/2013
Teil 2 in den Chiemgau-Blättern Nr. 11/2013 vom 16. März 2013