Die Schlacht von Marathon 490 vor Christus
Ein kleines Volk gibt sich und Europa eine eigene Identität – Teil II

Kampfszene aus der Schlacht von Marathon auf der Seitenansicht eines Sarkophages. Civico Museo Romano, Brescia.

Büste von Miltiades im Treppenhaus der Universität Tübingen.

Ein Grieche mit Helm kämpft gegen einen weniger gut geschützten Perser.
Vor der Schlacht
Zwei Richtungen standen sich in Athen bei der Wahl der passenden Verteidigungsstrategie gegenüber. Die eine, von Themistokles angeführt, sah im Ausbau der Flotte und der Befestigung der Häfen, vor allem von Piräus, die sinnvollste Vorbereitung. Die andere Fraktion setzte ihre Hoffnung auf die Überlegenheit der griechischen Kampfweise als Hopliten (Schwerbewaffnete) in einer dichtgestaffelten Phalanx (Schlachtreihe). Themistokles, der mehrere Jahre als Archon (hohes Staatsamt) Einfluss auf die Politik nehmen konnte, sah sich zu seiner Überraschung einem neuen Widersacher namens Miltiades gegenüber. Mit seinem vornehmen und geschickten Auftreten gewann er rasch an Einfluss. Dazu kam ein gewichtiger Umstand: Er und die Familie des Adeligen hatten, obwohl in Athen beheimatet, Besitz in Thrakien. Sie waren durch die persischen Aktivitäten in diesem Gebiet mit den Feinden in Berührung geraten und verjagt worden. Miltiades behauptete, das persische Heerwesen aus eigener Erfahrung zu kennen. Er erklärte die Seepläne des Themistokles - zu jener Zeit nur in Teilen ausgeführt - für zu langfristig und konnte sich in der Volksversammlung und bei den obersten Beamten durchsetzen. Da er auch gute Beziehungen zu den Spartanern hatte, sollte die gemeinsame Verteidigung Athens zu Lande gelingen.
Die Perser gingen militärisch verhalten zu Werke und glaubten, dass bei länger anhaltender Bedrohung und der traditionellen Uneinigkeit der Griechen ihre geschickte Einschüchterungstaktik nicht ohne Wirkung bliebe. Und so war es auch. Es gab auf persischer Seite eine Reihe von Griechen, die entweder aus opportunistischen Gründen auf deren Seite kämpften und sich Vorteile bzw. Belohnung davon versprachen, oder dazu gezwungen waren wie die ionischen Griechen, die nach ihrer Niederlage wohl nicht mehr den Mut zu einer erneuten Auflehnung aufbrachten. Die Zeit für eine gemeinsame Kraftanstrengung war um 490 v. Chr. noch nicht reif. (Zehn Jahre später, als die Perser Hellas in noch stärkerem Maße bedrohten, erfasste die meisten der um ihre nationale Existenz Ringenden ein Gemeinschaftsgefühl, das freilich den Verrat bei der Thermopylen-Verteidigung nicht verhindern konnte. Seitdem gedenkt die Welt des Spartanerkönigs Leonidas als tragischem Helden, weil er sein und das Leben seiner Spartaner für die Rettung anderer Griechen eingesetzt hatte. Manchem wird die bekannte Schiller-Übersetzung der dortigen Gedenkplatte im Ton spartanischer Bescheidenheit noch vertraut sein: »Wanderer, kommst du nach Sparta, so verkündige dorten, du habest uns hier liegen (= sterben) gesehen, wie das Gesetz es befahl«.
Die persischen Feldherren Datis und Artaphernes (Sohn des gleichnamigen Satrapen von Sardes und Neffe des Großkönigs) planten, die trakischen und makedonischen Eroberungen zu stabilisieren und dann von Norden her gegen Athen und Sparta vorzurücken. Als ob Zeus und die anderen griechischen Götter dies nicht zulassen wollten, setzte ein Sturm am Berg Athos (dem nördlichsten der drei Chalkidiki-Finger mit der heute bekannten Mönchsrepublik) ihrer Flotte derart zu, dass sie ihre Planungen änderten und mit den heil gebliebenen Schiffen auf den Rat des Hippias nun Richtung Athen absegelten. Bei der Insel Euböa bogen sie ab, denn die Stadt Eretria hatte ja den Aufstand ebenso unterstützt und sollte bestraft werden. Die Einwohner wehrten sich zusammen mit den von Athen zu Hilfe geschickten 4000 Hopliten geschickt, doch letzten Endes vergeblich - persische Wühlarbeit und ihr Gold fanden einen Verräter. Gerade noch rechtzeitig konnten sich die Athener retten.(4) Als Folgen wieder: Einäscherung der Stadt und Verschleppung der geeigneten Bewohner. Somit stand einer Landung in Attika nichts mehr im Wege. In Athen schrillten die Alarmglocken. Boten wurden nach Sparta gesandt, die - trotz des alten Rivalitätsverhältnisses - mit der nicht ungünstigen Nachricht zurückkehrten: Hilfe ja, aber nicht sofort. Sie dürften ihre religiösen Regeln nicht verletzen und vor Vollendung des Vollmondes nicht in den Krieg ziehen.
Der Ablauf der Schlacht
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, heißt es. Vielleicht fühlten die Verantwortlichen in der attischen Metropole, dass besondere Zeiten oder Umstände ungewöhnliche Maßnahmen erfordern. Die athenische Verfassung (seit Kleisthenes) gebärdete sich - aus Angst vor Machtmissbrauch - übervorsichtig und sah im Kriegsfall 10 Strategen vor, die sich täglich im Oberbefehl abwechseln sollten. Dieses System wurde zugunsten von Miltiades vorübergehend außer Kraft gesetzt. Er allein sollte die Befehlsgewalt ausüben, aber auch die Verantwortung dafür übernehmen. Er glaubte rasch handeln zu müssen, weil er nicht nur im Angriff die beste Verteidigung sah, sondern auch perserfreundliche Umtriebe erst gar nicht aufkommen lassen wollte. Er machte Volksversammlung und Kriegsrat klar, dass die Götter es lieber sähen, wenn Athen entschlossen handelt, statt abzuwarten. Mit seinen etwa 10 000 Hopliten, davon etwa 1000 aus dem verbündeten Platäa, marschierte er nach Osten. Selbst wehrfähige Sklaven waren eingruppiert. Durch den Pentelikon-Gebirgszug hindurch gelangten sie in ungefähr sieben Stunden an den Rand der Küstenebene von Marathon, wo die beiden Heere in Sichtkontakt miteinander standen, die Perser unten, die Griechen oben. Diese hatten ihr Lager an einer Hügelstellung errichtet, die den Weg nach Athen sperrte. Miltiades ließ am nächsten Tag seine Krieger in Schlachtordnung antreten, um zu sehen, wie die Perser sich aufstellten, deren Schlachtbereitschaft erkennbar war.(5) Aber noch zögerte er mit dem Angriff, da er auf die rechtzeitige Ankunft der Spartaner hoffte. Ein zu langes Warten war jedoch riskant. Er musste allein losschlagen. Am 12. September 490 v. Chr. gab er den Befehl zum Angriff. Die etwa 20 000 Perser (die Zahlen werden von den Geschichtsschreibern uneinheitlich wiedergegeben), Fußvolk und Reiterei, operierten in ihrer gewohnten Taktik: im Zentrum die zu Fuß Kämpfenden, an der Flanke die Reiterei. Die ebene Fläche mit den Bergen dahinter hielten sie für ausreichend, bei unklarem Schlachtverlauf mit der Reiterei die Entscheidung herbeizuführen. Mit Erstaunen sahen sie die heranwuchtende, etwa einen Kikometer breite Eisenwand der attischen Phalanx. Deren Schlagkraft ging von der ersten Reihe aus, die sofort durch einen Krieger aus der zweiten ersetzt wurde, wenn einer fiel. Die Perser konzentrierten ihre Bogenschützen und einige Reiterabteilungen auf die dünne Mitte, durchbrachen sie und setzten den Weichenden nach. Die restliche Reiterei war durch die weit auseinander gezogene Schlachtreihe auf der einen Seite durch das Meer und auf der anderen durch das bereits bergige Gelände an der Ausübung ihrer sonstigen Aktionen gehindert und musste zurückweichen, da Miltiades die Flügel verstärkt hatte. Im Einzelkampf zeigten sich die Söhne der attischen Gymnasia (=Trainingsstätten) mit dem Ziel geistiger und athletischer Ertüchtigung (»ein gesunder Geist in einem gesunden Körper«) überlegen. Ebenso hilfreich erwies sich die rasche Zubewegung auf den Feind, die den gefürchteten Pfeilhagel abschwächte. Nicht zuletzt waren die jeweilige Bewaffnung und die Kampfmoral von Bedeutung: Die zwei Meter langen Stoßlanzen der Hellenen, Kurzschwert, bronzebewehrtes Holzschild und eiserne Bedeckung wichtiger Körperteile errangen Vorteile vor persischem Pfeil und Bogen, kurzer Lanze, Schwert sowie geflochtenem Schild und Schuenanzer.(6) Die Schlacht dauerte lang, denn die siegreichen Flügel-Hopliten konnten sich nun wieder der bedrängten Mitte zuwenden, um sie zu stabilisieren. Fußvolk und persische Reiter, von der vordringenden Flügel-Phalanx in die Mitte und Enge getrieben und ihrer ursprünglichen Taktik beraubt, flüchteten auf die Schiffe. Vergeblich versuchten die Athener sich ihrer zu bemächtigen. Sie konnten nur sieben in ihre Gewalt bringen.(7) Wenn wir den Zahlen glauben dürfen, so fielen in der Schlacht 6400 Perser, aber nur 192 attische Krieger. Auch der Verlauf des Geschehens ist bei den verschiedenen Geschichtsschreibern nicht immer einheitlich wiedergegeben. Zu groß wird auf griechischer Seite evtl. (und nur von daher existieren Zeugnisse) die Verlockung gewesen sein, die eigenen Taten zu überhöhen.
Nach der Schlacht
Lange konnten sich die Sieger einer Erholung von der Schlacht nicht hingeben, erkannten sie doch den Plan ihres Gegners, mit Hilfe von Wasser und Wind ihr ursprüngliches Ziel doch noch zu erreichen - auf dem Seewege. Also musste die Vaterstadt gewarnt werden - der Ursprung für die mögliche Legende vom »Marathonläufer«. Er soll vom Schlachtfeld die über 42 km bis ins Zentrum von Athen um sein Leben gelaufen sein, noch den Satz hervorgebracht haben: »Der Sieg ist unser« und tot zusammengebrochen sein. Falls die Geschichte erst eine spätere Erfindung sein sollte, bildet sie doch einen rührend dramatischen Schlusspunkt. Den Spartanern jedoch blieb nichts anderes übrig, als nach ihrer zu späten Ankunft sich das Schlachtfeld zeigen zu lassen, die Taktik des Miltiades zu preisen und wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Noch war der »Schlusspunkt« nicht ganz erreicht. Tatsächlich umsegelte die orientalische Flotte Kap Sunion, die Südspitze Attikas, die wenige Jahre später durch den Bau des heute durch ihre landschaftliche Einzigartigkeit hervorgehobenen Poseidon-Tempels geprägt wird. Wie überrascht und entzaubert müssen sich die Invasoren vorgekommen sein, als sie vor der beabsichtigten Landung wieder eine neue (oder noch die alte?) dicht gestaffelte Phalanx auf den Uferhöhen erblickten? Den Athenern war also nichts anderes übrig geblieben, als wiederum in Eilmärschen zurückzukehren, um der abermals bedrohten Vaterstadt ihren Schutz anzubieten. Wie wäre dann alles ausgegangen, wenn sich die müden Helden noch einmal zum Kampf hätten stellen müssen? Den Persern jedenfalls war die Lust an einem erneuten Kräftemessen vergangen, sie segelten nach Asien zurück - aber nicht für immer!
Schlussbetrachtung
Marathon gehört von der Dimension her nicht zu den großen Schlachten der Weltgeschichte. Viele denken da eher an die Hauptphase der Perserkriege, die sich zehn Jahre später abspielte, mit dem vergeblichen Kampf und Verrat an den Thermopylen oder der List des Themistokles bei Salamis (480 v. Chr.). Alexander der Große hatte bei Gaugamela (331 v. Chr. – heute: Irak) das Persische Weltreich endgültig in die Knie gezwungen, um es dann wieder zu erheben. 451 n. Chr. konnten die Hunnen auf den Katalaunischen Feldern durch den römischen Feldherrn Aëtius gestoppt werden, was aber den Untergang des (West)römischen Reiches allenfalls aufschob. Im frühen Mittelalter gelang es dem fränkischen Hausmeier Karl Martell (der »Hammer« - Großvater Karls des Großen) 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers dem Vormarsch der arabischen Heere nach Europa einen Riegel vorzuschieben usw. Die Aufzählung großer Schlachten könnte fortgesetzt werden. Marathon mag sich mit ihnen an der Zahl der Gefallenen nicht messen können, dennoch ist es für uns auf zweifache Weise von Bedeutung: Das Kriegsglück/ die Strategie trugen wesentlich dazu bei, dass ein Land, ein David, mit dem großen Goliath fertig werden konnte. Und es zeigt weiterhin, dass dem Menschen, einem Volk, einer Nation Kräfte zuwachsen können, die es befähigen, in höchster Not über sich hinauszuwachsen.
Unsere Zeit ist mit pathetischen Worten vorsichtig geworden. Aber es ist interessant zu lesen, wie in einem Geschichtswerk um 1890 die Schlacht von Marathon gewertet wird: »Und es war in der Tat ein ewig preiswürdiger Sieg, der Geist und die Disziplin hatten sich bewährt gegen die physische Übermacht. Der Sturm aus Asien, der das junge Europa bedrohte, war durch die Tüchtigkeit eines heldenmütigen Völkleins abgeschlagen. All das, was Griechenland Großes und Herrliches leisten sollte, stand hier in Frage. Die Helden, die bei Marathon fielen, sind nicht bloß für Athen, für Griechenland gefallen, sie haben für uns alle den Tod erlitten.«(8)
Werner Segerer
Teil I in den Chiemgau-Blättern Nr. 1/2011 vom 8. Januar 2011
Quellennachweise:
4: L. v. Ranke, Weltgeschichte, Bd. 1 Hamburg, 1928, S. 157
5: J. Weiß, Weltgeschichte, Bd. 2, Leipzig 1890, S. 205, S. 205
6: Markov/Helmert, Schlachten der Weltgeschichte, Leipzig, 1978, S. 32
7: H. Berve, Blütezeit des Griechentums, Freiburg, 1961, S. 27
8: J. Weiß, S. 206
2/2011
Zwei Richtungen standen sich in Athen bei der Wahl der passenden Verteidigungsstrategie gegenüber. Die eine, von Themistokles angeführt, sah im Ausbau der Flotte und der Befestigung der Häfen, vor allem von Piräus, die sinnvollste Vorbereitung. Die andere Fraktion setzte ihre Hoffnung auf die Überlegenheit der griechischen Kampfweise als Hopliten (Schwerbewaffnete) in einer dichtgestaffelten Phalanx (Schlachtreihe). Themistokles, der mehrere Jahre als Archon (hohes Staatsamt) Einfluss auf die Politik nehmen konnte, sah sich zu seiner Überraschung einem neuen Widersacher namens Miltiades gegenüber. Mit seinem vornehmen und geschickten Auftreten gewann er rasch an Einfluss. Dazu kam ein gewichtiger Umstand: Er und die Familie des Adeligen hatten, obwohl in Athen beheimatet, Besitz in Thrakien. Sie waren durch die persischen Aktivitäten in diesem Gebiet mit den Feinden in Berührung geraten und verjagt worden. Miltiades behauptete, das persische Heerwesen aus eigener Erfahrung zu kennen. Er erklärte die Seepläne des Themistokles - zu jener Zeit nur in Teilen ausgeführt - für zu langfristig und konnte sich in der Volksversammlung und bei den obersten Beamten durchsetzen. Da er auch gute Beziehungen zu den Spartanern hatte, sollte die gemeinsame Verteidigung Athens zu Lande gelingen.
Die Perser gingen militärisch verhalten zu Werke und glaubten, dass bei länger anhaltender Bedrohung und der traditionellen Uneinigkeit der Griechen ihre geschickte Einschüchterungstaktik nicht ohne Wirkung bliebe. Und so war es auch. Es gab auf persischer Seite eine Reihe von Griechen, die entweder aus opportunistischen Gründen auf deren Seite kämpften und sich Vorteile bzw. Belohnung davon versprachen, oder dazu gezwungen waren wie die ionischen Griechen, die nach ihrer Niederlage wohl nicht mehr den Mut zu einer erneuten Auflehnung aufbrachten. Die Zeit für eine gemeinsame Kraftanstrengung war um 490 v. Chr. noch nicht reif. (Zehn Jahre später, als die Perser Hellas in noch stärkerem Maße bedrohten, erfasste die meisten der um ihre nationale Existenz Ringenden ein Gemeinschaftsgefühl, das freilich den Verrat bei der Thermopylen-Verteidigung nicht verhindern konnte. Seitdem gedenkt die Welt des Spartanerkönigs Leonidas als tragischem Helden, weil er sein und das Leben seiner Spartaner für die Rettung anderer Griechen eingesetzt hatte. Manchem wird die bekannte Schiller-Übersetzung der dortigen Gedenkplatte im Ton spartanischer Bescheidenheit noch vertraut sein: »Wanderer, kommst du nach Sparta, so verkündige dorten, du habest uns hier liegen (= sterben) gesehen, wie das Gesetz es befahl«.
Die persischen Feldherren Datis und Artaphernes (Sohn des gleichnamigen Satrapen von Sardes und Neffe des Großkönigs) planten, die trakischen und makedonischen Eroberungen zu stabilisieren und dann von Norden her gegen Athen und Sparta vorzurücken. Als ob Zeus und die anderen griechischen Götter dies nicht zulassen wollten, setzte ein Sturm am Berg Athos (dem nördlichsten der drei Chalkidiki-Finger mit der heute bekannten Mönchsrepublik) ihrer Flotte derart zu, dass sie ihre Planungen änderten und mit den heil gebliebenen Schiffen auf den Rat des Hippias nun Richtung Athen absegelten. Bei der Insel Euböa bogen sie ab, denn die Stadt Eretria hatte ja den Aufstand ebenso unterstützt und sollte bestraft werden. Die Einwohner wehrten sich zusammen mit den von Athen zu Hilfe geschickten 4000 Hopliten geschickt, doch letzten Endes vergeblich - persische Wühlarbeit und ihr Gold fanden einen Verräter. Gerade noch rechtzeitig konnten sich die Athener retten.(4) Als Folgen wieder: Einäscherung der Stadt und Verschleppung der geeigneten Bewohner. Somit stand einer Landung in Attika nichts mehr im Wege. In Athen schrillten die Alarmglocken. Boten wurden nach Sparta gesandt, die - trotz des alten Rivalitätsverhältnisses - mit der nicht ungünstigen Nachricht zurückkehrten: Hilfe ja, aber nicht sofort. Sie dürften ihre religiösen Regeln nicht verletzen und vor Vollendung des Vollmondes nicht in den Krieg ziehen.
Der Ablauf der Schlacht
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, heißt es. Vielleicht fühlten die Verantwortlichen in der attischen Metropole, dass besondere Zeiten oder Umstände ungewöhnliche Maßnahmen erfordern. Die athenische Verfassung (seit Kleisthenes) gebärdete sich - aus Angst vor Machtmissbrauch - übervorsichtig und sah im Kriegsfall 10 Strategen vor, die sich täglich im Oberbefehl abwechseln sollten. Dieses System wurde zugunsten von Miltiades vorübergehend außer Kraft gesetzt. Er allein sollte die Befehlsgewalt ausüben, aber auch die Verantwortung dafür übernehmen. Er glaubte rasch handeln zu müssen, weil er nicht nur im Angriff die beste Verteidigung sah, sondern auch perserfreundliche Umtriebe erst gar nicht aufkommen lassen wollte. Er machte Volksversammlung und Kriegsrat klar, dass die Götter es lieber sähen, wenn Athen entschlossen handelt, statt abzuwarten. Mit seinen etwa 10 000 Hopliten, davon etwa 1000 aus dem verbündeten Platäa, marschierte er nach Osten. Selbst wehrfähige Sklaven waren eingruppiert. Durch den Pentelikon-Gebirgszug hindurch gelangten sie in ungefähr sieben Stunden an den Rand der Küstenebene von Marathon, wo die beiden Heere in Sichtkontakt miteinander standen, die Perser unten, die Griechen oben. Diese hatten ihr Lager an einer Hügelstellung errichtet, die den Weg nach Athen sperrte. Miltiades ließ am nächsten Tag seine Krieger in Schlachtordnung antreten, um zu sehen, wie die Perser sich aufstellten, deren Schlachtbereitschaft erkennbar war.(5) Aber noch zögerte er mit dem Angriff, da er auf die rechtzeitige Ankunft der Spartaner hoffte. Ein zu langes Warten war jedoch riskant. Er musste allein losschlagen. Am 12. September 490 v. Chr. gab er den Befehl zum Angriff. Die etwa 20 000 Perser (die Zahlen werden von den Geschichtsschreibern uneinheitlich wiedergegeben), Fußvolk und Reiterei, operierten in ihrer gewohnten Taktik: im Zentrum die zu Fuß Kämpfenden, an der Flanke die Reiterei. Die ebene Fläche mit den Bergen dahinter hielten sie für ausreichend, bei unklarem Schlachtverlauf mit der Reiterei die Entscheidung herbeizuführen. Mit Erstaunen sahen sie die heranwuchtende, etwa einen Kikometer breite Eisenwand der attischen Phalanx. Deren Schlagkraft ging von der ersten Reihe aus, die sofort durch einen Krieger aus der zweiten ersetzt wurde, wenn einer fiel. Die Perser konzentrierten ihre Bogenschützen und einige Reiterabteilungen auf die dünne Mitte, durchbrachen sie und setzten den Weichenden nach. Die restliche Reiterei war durch die weit auseinander gezogene Schlachtreihe auf der einen Seite durch das Meer und auf der anderen durch das bereits bergige Gelände an der Ausübung ihrer sonstigen Aktionen gehindert und musste zurückweichen, da Miltiades die Flügel verstärkt hatte. Im Einzelkampf zeigten sich die Söhne der attischen Gymnasia (=Trainingsstätten) mit dem Ziel geistiger und athletischer Ertüchtigung (»ein gesunder Geist in einem gesunden Körper«) überlegen. Ebenso hilfreich erwies sich die rasche Zubewegung auf den Feind, die den gefürchteten Pfeilhagel abschwächte. Nicht zuletzt waren die jeweilige Bewaffnung und die Kampfmoral von Bedeutung: Die zwei Meter langen Stoßlanzen der Hellenen, Kurzschwert, bronzebewehrtes Holzschild und eiserne Bedeckung wichtiger Körperteile errangen Vorteile vor persischem Pfeil und Bogen, kurzer Lanze, Schwert sowie geflochtenem Schild und Schuenanzer.(6) Die Schlacht dauerte lang, denn die siegreichen Flügel-Hopliten konnten sich nun wieder der bedrängten Mitte zuwenden, um sie zu stabilisieren. Fußvolk und persische Reiter, von der vordringenden Flügel-Phalanx in die Mitte und Enge getrieben und ihrer ursprünglichen Taktik beraubt, flüchteten auf die Schiffe. Vergeblich versuchten die Athener sich ihrer zu bemächtigen. Sie konnten nur sieben in ihre Gewalt bringen.(7) Wenn wir den Zahlen glauben dürfen, so fielen in der Schlacht 6400 Perser, aber nur 192 attische Krieger. Auch der Verlauf des Geschehens ist bei den verschiedenen Geschichtsschreibern nicht immer einheitlich wiedergegeben. Zu groß wird auf griechischer Seite evtl. (und nur von daher existieren Zeugnisse) die Verlockung gewesen sein, die eigenen Taten zu überhöhen.
Nach der Schlacht
Lange konnten sich die Sieger einer Erholung von der Schlacht nicht hingeben, erkannten sie doch den Plan ihres Gegners, mit Hilfe von Wasser und Wind ihr ursprüngliches Ziel doch noch zu erreichen - auf dem Seewege. Also musste die Vaterstadt gewarnt werden - der Ursprung für die mögliche Legende vom »Marathonläufer«. Er soll vom Schlachtfeld die über 42 km bis ins Zentrum von Athen um sein Leben gelaufen sein, noch den Satz hervorgebracht haben: »Der Sieg ist unser« und tot zusammengebrochen sein. Falls die Geschichte erst eine spätere Erfindung sein sollte, bildet sie doch einen rührend dramatischen Schlusspunkt. Den Spartanern jedoch blieb nichts anderes übrig, als nach ihrer zu späten Ankunft sich das Schlachtfeld zeigen zu lassen, die Taktik des Miltiades zu preisen und wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Noch war der »Schlusspunkt« nicht ganz erreicht. Tatsächlich umsegelte die orientalische Flotte Kap Sunion, die Südspitze Attikas, die wenige Jahre später durch den Bau des heute durch ihre landschaftliche Einzigartigkeit hervorgehobenen Poseidon-Tempels geprägt wird. Wie überrascht und entzaubert müssen sich die Invasoren vorgekommen sein, als sie vor der beabsichtigten Landung wieder eine neue (oder noch die alte?) dicht gestaffelte Phalanx auf den Uferhöhen erblickten? Den Athenern war also nichts anderes übrig geblieben, als wiederum in Eilmärschen zurückzukehren, um der abermals bedrohten Vaterstadt ihren Schutz anzubieten. Wie wäre dann alles ausgegangen, wenn sich die müden Helden noch einmal zum Kampf hätten stellen müssen? Den Persern jedenfalls war die Lust an einem erneuten Kräftemessen vergangen, sie segelten nach Asien zurück - aber nicht für immer!
Schlussbetrachtung
Marathon gehört von der Dimension her nicht zu den großen Schlachten der Weltgeschichte. Viele denken da eher an die Hauptphase der Perserkriege, die sich zehn Jahre später abspielte, mit dem vergeblichen Kampf und Verrat an den Thermopylen oder der List des Themistokles bei Salamis (480 v. Chr.). Alexander der Große hatte bei Gaugamela (331 v. Chr. – heute: Irak) das Persische Weltreich endgültig in die Knie gezwungen, um es dann wieder zu erheben. 451 n. Chr. konnten die Hunnen auf den Katalaunischen Feldern durch den römischen Feldherrn Aëtius gestoppt werden, was aber den Untergang des (West)römischen Reiches allenfalls aufschob. Im frühen Mittelalter gelang es dem fränkischen Hausmeier Karl Martell (der »Hammer« - Großvater Karls des Großen) 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers dem Vormarsch der arabischen Heere nach Europa einen Riegel vorzuschieben usw. Die Aufzählung großer Schlachten könnte fortgesetzt werden. Marathon mag sich mit ihnen an der Zahl der Gefallenen nicht messen können, dennoch ist es für uns auf zweifache Weise von Bedeutung: Das Kriegsglück/ die Strategie trugen wesentlich dazu bei, dass ein Land, ein David, mit dem großen Goliath fertig werden konnte. Und es zeigt weiterhin, dass dem Menschen, einem Volk, einer Nation Kräfte zuwachsen können, die es befähigen, in höchster Not über sich hinauszuwachsen.
Unsere Zeit ist mit pathetischen Worten vorsichtig geworden. Aber es ist interessant zu lesen, wie in einem Geschichtswerk um 1890 die Schlacht von Marathon gewertet wird: »Und es war in der Tat ein ewig preiswürdiger Sieg, der Geist und die Disziplin hatten sich bewährt gegen die physische Übermacht. Der Sturm aus Asien, der das junge Europa bedrohte, war durch die Tüchtigkeit eines heldenmütigen Völkleins abgeschlagen. All das, was Griechenland Großes und Herrliches leisten sollte, stand hier in Frage. Die Helden, die bei Marathon fielen, sind nicht bloß für Athen, für Griechenland gefallen, sie haben für uns alle den Tod erlitten.«(8)
Werner Segerer
Teil I in den Chiemgau-Blättern Nr. 1/2011 vom 8. Januar 2011
Quellennachweise:
4: L. v. Ranke, Weltgeschichte, Bd. 1 Hamburg, 1928, S. 157
5: J. Weiß, Weltgeschichte, Bd. 2, Leipzig 1890, S. 205, S. 205
6: Markov/Helmert, Schlachten der Weltgeschichte, Leipzig, 1978, S. 32
7: H. Berve, Blütezeit des Griechentums, Freiburg, 1961, S. 27
8: J. Weiß, S. 206
2/2011