Jahrgang 2022 Nummer 36

Die Post in Grassau am Birkenweg

Ein fast vergessenes unscheinbares Denkmal mitten in Grassau

Postgebäude im Birkenweg in Grassau (rechts), circa 1955.
Gasthaus zur Post Grassau, 1894
Robert Vorhoelzer
Birkenweg in Grassau, links das Rathaus, rechts altes Postgebäude mit Telefonzelle.
Ehemaliges Postgebäude am Birkenweg in Grassau und späteres Fotofachgeschäft.

1932 wurde im Birkenweg hinter dem Rathaus das neue Postgebäude eröffnet. Es war ein reiner, schlichter Funktionsbau, der sich recht schlicht in die umgebende Bebauung eingliederte. Die Bedeutsamkeit des Gebäudes in architektonischer Hinsicht erschließt sich erst im historischen Kontext und durch den gestaltenden Architekten.

Geschichte der Post in Grassau

Die erste Postagentur in Grassau wurde am 1. November 1853 seiner Bestimmung übergeben. Die postalische Erschließung des südostbayerischen Raums und des Chiemgaus wurde insbesondere durch den Bau der Eisenbahnlinie München – Salzburg im Jahre 1860 gefördert. Damit erhielt auch Grassau einen schnelleren Anschluss an die postalische Welt. Waren bis dahin die Postsendungen mit Pferde- und Carriolposten nach Übersee und von dort nach Grassau zum Gebäude des Gasthofs zu Post gebracht worden, so nutzte die Post ab diesem Zeitpunkt das schnellere und und sicherere Transportmittel Eisenbahn. Mit der Fertigstellung der Anschlussstrecke Übersee – Staudach – Marquartstein 1886 wurde dann die Post zum Bahnhof am östlichen Ortsrand von Grassau gebracht und von dort mit der Pferdepost zur Postagentur im Ortszentrum gegenüber der Kirche befördert.

Danach ging die Entwicklung auch technisch weiter. 1890 wurde eine Telegrafenleitung eingerichtet und schon vier Jahre später das erste Privat-Telefon im Ort installiert. Mit zunehmender Bevölkerungszahl des zentralen Orts im Tal der Tiroler Achen und dem erhöhten Brief- und Paketaufkommen sowie den zunehmenden technischen Anforderungen der telefonischen Kommunikation erwiesen sich die Räumlichkeiten in der Post immer mehr als zu klein. Deshalb begannen in den 30er Jahren die Planungen für ein neues Postgebäude.

Robert Vorhoelzer, Planer neuer Postgebäude in Bayern

Mit dem Poststaatsvertrag 1920 entstand in Bayern als Zeichen der Unabhängigkeit trotz des Übergangs von der Bayerischen Staatspost in die Deutsche Reichspost in Berlin eine eigene Abteilung des Reichspostministeriums mit Sitz in München, die sogenannte Abteilung VI. In dieser Abteilung wurde eine eigenständige Postbauabteilung eingerichtet. Diesen Freiraum nutzten zahlreiche modernistische Architekten um Robert Poeverlein und Robert Vorhoelzer, den Leitern der Bauabteilung, um Neubauten im Stil des Neuen Bauens zu errichten. Dabei war die bayerische Postbauschule die wichtigste Manifestation dieses Baustils in Bayern zwischen 1920 und 1934. Als Initiatoren dieser Schule gelten Robert Poeverlein und vor allem Robert Vorhoelzer mit den namensgebenden Münchner Postbauten am Tegernseer Platz und Goetheplatz.

Neben Vorhoelzer sind dazu Walther Schmidt und Hanna Löv als Wegbereiter dieser »bayrischen Moderne« in der Architektur zu nennen. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 prägte die Architektur der Postbauschule das gesamte Postbauwesen in Bayern. Dies wurde vor allem durch den gestiegenen Bedarf an Dienstgebäuden der Post gefördert – zwischen 1920 und 1935 entstanden etwa 350 Bauten in Dörfern und Kleinstädten.

Planungen von neuen Postgebäuden wurden in Bayern zentral geplant. Dabei machte sich insbesondere der Architekt Robert Vorhoelzer (geboren 13. Juni 1884 in Memmingen; gestorben 28. Oktober 1954 in München) einen Namen. Er gilt als früher Hauptvertreter der ansonsten in Bayern eher unterrepräsentierten klassischen Moderne. Seine Haupttätigkeit entfaltete Vorhoelzer als Oberbaurat der Postverwaltung in Bayern.

Während in der Frühphase seines Werks, etwa beim Postamt Penzberg oder beim Postamt Ismaninger Straße in München der Einfluss des »Heimatstils« erkennbar ist, zeichnete Vorhoelzer später für zahlreiche entschieden moderne und funktionale Postbauten (Postämter, Auslieferungslager, Wohnungsbauten für Postbedienstete und andere) im Stil der Neuen Sachlichkeit verantwortlich. Zu diesen zählen beispielsweise das Postamt an der Tegernseer Landstraße in München-Obergiesing, das Postgebäude am Goetheplatz oder das Postamt am Harras in München-Sendling (1931/1932) mit einem von einer Rotunde abgeschlossenen, vorgelagerten, weißen Amtsgebäude, hinter dem sich hohe Wohnblöcke erheben, die der Platzwand Tiefe geben. Der durchdachte Bezug, den diese Bauten auf die umgebende Stadtlandschaft nehmen, zeigt Vorhoelzer auch als klugen Stadtplaner.

Insbesondere das Erscheinungsbild der Münchener Arnulfstraße wird von zahlreichen VorhoelzerBauten geprägt. Das ehemalige Postamt in Penzberg war das erste Gebäude einer Projektreihe »Landpostamt«.

In dieser Zeit erstellte Vorhoelzer auch die Planungen für das Postamt in Grassau. Dies schlichte funktionale Gebäude mit der unverzierten Außenfassade fällt vor allem durch die hohe Treppe vor dem Eingang auf, die später die ganze Breite des Gehweges überspannte.

Bedeutungsvolle Bauten waren zudem auch das Paketzustellamt in München 1929 mit seinem interessanten Rundbau oder auch das etwas kleinere Stumme Postamt in München. Beide wirkten schon leicht futuristisch in ihrer Gestaltung.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde Vorhoelzer als vorgeblichem »Baubolschewisten« bereits 1933 der Lehrstuhl entzogen, wenngleich er weiterhin als Architekt tätig war. So entstand in dieser Zeit (1936/1937) unter seiner Leitung die Pfarrkirche Maria Königin des Friedens in Obergiesing.

Nach Kriegsende konnte er zunächst seinen Münchner Lehrstuhl wieder einnehmen und wurde 1946 sogar Rektor der Hochschule. Er wurde aber 1947 nach Vorwürfen, welche die Zeit seines türkischen Exils betrafen, wiederum für ein halbes Jahr vom Dienst suspendiert, ehe er schließlich rehabilitiert wurde. In der Nachkriegsdiskussion um den Wiederaufbau Münchens wies Vorhoelzer darauf hin, dass Teile der Stadt bereits vor dem Krieg sanierungsbedürftig gewesen seien und plädierte für einen radikal neuen Bebauungsplan, der insbesondere auf Flachbau und Hochhaus setzte. Seiner Zeit voraus war er zudem mit der Forderung, die Diskussion um den Wiederaufbau »vor aller Öffentlichkeit« zu führen. 1952 wurde Vorhoelzer emeritiert, zwei Jahre später starb er im Alter von 70 Jahren an den Folgen einer Operation.

Sein letztes großes Werk war die monumental angelegte Pfarrkirche St. Josef in Dingolfing, die nach seinem Tod 1954 bis 1956 ausgeführt wurde. Für diese Saalkirche entwickelte Vorhoelzer Motive fort, die er bereits bei der Giesinger Kirche »Maria Königin des Friedens« eingesetzt hatte.

Neues Postamt in der Bahnhofstraße

Mit der Fortentwicklung der Gemeinde Grassau und dem stetig anwachsenden Ausbau der KörtingRadio-Werke kamen immer mehr Aufgaben auf das kleine Postgebäude am Birkenweg zu. In den vorangegangenen Jahren hatte es sich zu einem wichtigen wirtschaftlichen Mittelpunkt der Gemeinde entwickelt. Hier konnte man die ganze Bevölkerung und alle örtlichen Firmen bei ihren Geschäften antreffen. Wegen der kaum zu bewältigenden Belastung entschloss sich die Post ein neues modernes Betriebsgebäude an der Bahnhofstraße zu bauen. Damit sollte nicht nur der gestiegene Raumbedarf gedeckt werden, sondern auch die Voraussetzungen für die technischen Anforderungen der Fernmeldetechnik für die kommenden Jahrzehnte geschaffen werden. Bei der Übergabe des neuen Gebäudes durch den Leiter des Hauptpostamtes Schiele im April 1973 in Anwesenheit von Bürgermeister Steiner und Pfarrer Voggenauer an den Leiter der Poststelle in Grassau, Herrn Ager, wurde zudem betont, dass der Standort bewusst der Entwicklung des Orts folgend etwas mehr im geographischen Mittelpunkt gewählt wurde. Der neue Standort in der Bahnhofstraße sei auf eine zukünftige bauliche Entwicklung Grassaus berechnet, die im Zuge der Nahbereichsplanung dem Hauptort Grassau weitere Bedeutung als wirtschaftliches und vielleicht kulturelles Zentrum des gesamten Achentals zukommen lassen werde.

Das alte Postgebäude am Birkenweg wurde von Hilde Normann übernommen. In den Räumen baute sie ihr Fotostudio und einen Schreibwaren- und Fotoladen aus. Dieser entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einem wichtigen, zentralen Einkaufspunkt für die Grassauer und Achentaler. Dazu dokumentierte die Fotografin und engagierte Mitbürgerin das dörfliche Geschehen und die vielen Familienfeiern akribisch und bewahrte dieses Material auch über Jahrzehnte auf. Mit der Fortentwicklung der digitalen Fotografie und ihrem Tod verlor der Laden immer mehr an Bedeutung, so dass er verkauft wurde und heute leer steht.

Aber auch an der Post in der Bahnhofstraße ging die wirtschaftliche und technische Entwicklung nicht spurlos vorbei. Nach dem Nachlassen des Briefverkehrs durch die Einführung von Fax und E-Mails und vor allem durch die Öffnung der Paket- und Briefbeförderung versucht die Post durch Einsparungen die Kosten zu senken. Dies geschah unter anderem durch den Rückzug aus der Fläche, durch Schließung von vielen Poststellen. So wurde auch die Post in der Bahnhofstraße in eine Postagentur umgewandelt. Ob dies das langfristige Ende der Post am Ort in Grassau bedeutet oder den Beginn einer sinnvollen Neuorientierung, wird sich zeigen. Die Entwicklungen beim Paketdienst laufen so schnell, zum Beispiel durch die vielen Online-Bestellungen und Retouren, dass eine Vorhersage derzeit kaum möglich erscheint.

Das alte Postgebäude im Birkenweg steht im Verkaufsbereich nun schon mehrere Jahre leer und ist kein Schmuckstück für den Ort. Es ist abzuwarten, was der neue Besitzer nun mit dem Gebäude hoffentlich im Interesse der Marktgemeinde Grassau anfangen wird.

 

Olaf Gruß

 

36/2022