Jahrgang 2003 Nummer 33

Die Liebesromanze im Salzkammergut

Vor 150 Jahren war die Verlobung von Kaiser Joseph mit Elisabeth in Bayern

Erinnerungsblatt an die Verlobung des Kaisers. Im Hintergrund die Eltern des Bräutigams. Lithographie 1853.

Erinnerungsblatt an die Verlobung des Kaisers. Im Hintergrund die Eltern des Bräutigams. Lithographie 1853.
Ausfahrt des Brautpaars in die Umgebung von Bad Ischl. Ölgemälde um 1855.

Ausfahrt des Brautpaars in die Umgebung von Bad Ischl. Ölgemälde um 1855.
Porträt von Elisabeth von Leo Schöninger, 1854.

Porträt von Elisabeth von Leo Schöninger, 1854.
Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine schicksalhafte Reise, zu der am 15. August 1853 die bayerische Herzogin Ludovika eine Tocher von König Maximilian I. Joseph, mit ihren zwei ältesten Töchtern Helene und Elisabeth von Possenhofen am Starnberger See nach Ischl im Salzkammergut aufbrachen. Offizieller Grund der Reise war der Geburtstag des jungen Kaisers Franz Joseph von Österreich, der traditionsgemäß in Ischl gefeiert wurde.

Aber mit der Einladung hatte Erzherzogin Sophie, die Mutter des Kaisers und Schwester Ludovikas, insgeheim eine andere Absicht verbunden. Franz Joseph sollte an seinem 23. Geburtstag mit der ihm als Braut zugedachten Cousine Helene bekannt gemacht werden.

Die fünfzehnjährige Sisi, wie Elisabeth genannt wurde, hätte ursprünglich gar nicht mitreisen sollen. Aber weil ihr Vater, der eigenwillige Herzog Max, absolut keine Lust verspürte, der Einladung seiner als herrisch geltenden Schwägerin Sophie Folge zu leisten, wurde an seiner Stelle Sisi mitgenommen.

Sisi war ein zartes, quicklebendiges Mädchen mit üppigen dunkelblonden Haaren, die meist zu zwei Zöpfen geflochten waren. Aufgewachsen in der ländlichen Umgebung von Schloss Possenhofen zwischen Wiesen, Wald und See, im vertrauten Umgang mit Tieren, vor allem den geliebten Reitpferden, war Sisi nach den Schilderungen ihrer Verwandten ein richtiger Wildfang, der die Freiheit über alles liebte und dem nichts mehr zuwider war, als die steife Etikette. Deshalb war sie von ihrer Mutter nach der Ankunft in Ischl auch nicht zum Tee-Empfang mitgenommen worden, zu dem Sophie die Gäste in den Salon geladen hatte. Außer dem Kaiser nahmen daran nur die nächsten Verwandten teil.

Helene, die wußte, was auf dem Spiele stand, konnte ihre Befangenheit nur schlecht verbergen. Sisi speiste mit ihrer Gouvernante im Nebenzimme. Aber schon bald lief sie in den Park hinaus, pflückte einen großen Strauß Blumen und betrat damit den Salon. Mit strahlenden Augen begrüßte sie den jungen Kaiser und wirkte dabei wesentlich gelöster und natürlicher, als ihre ältere Schwester.

Franz Joseph empfand wohl Liebe auf den ersten Blick, als er Sisi erblickte. Erzherzogin Sophie schrieb später über die denkwürdige erste Begegnung: »Die liebe Kleine ahnte nichts von dem tiefen Eindruck, den sie auf Franzi gemacht hatte. Er strahlte, wie sein Gesicht strahlt, wenn er sich freut ...« Und Karl Ludwig, der jüngere Bruder des Kaisers, erinnerte sich, »dass in dem Augenblick, als der Kaiser Sisi erblickte, ein Ausdruck so großer Befriedigung auf seinem gesichte erschien, dass man nicht mehr zweifeln konnte, auf wen seine Wahl fallen würde.«

Am nächstne Morgen sagte Karl Ludwig zu seiner Mutter: »Mama, die Sisi hat dem Franzi so gut gefallen, viel Besser als die Nene (Kosename für Helene). Du wirst sehen, er wird sie wählen und nicht die ältere Schwester. – »Aber wo denkst du hin, diesen Fratz ...« beschwichtigte Sophie. Doch als kurz darauf Franz Joseph bei ihr eintrat, wurde sie eines Besseren belehrt. »Er sagte mir mit strahlender Miene, dass er Sisi reizend fände«, schrieb die Erzherzogin an Marie von Sachsen. »Ich bat ihn, die Sache nicht zu überstürzen und alles genau zu überlegen, aber er meinte, man dürfe es auch nicht in die Länge ziehen.«

In ihrem Tagebuch notierte die Erzherzogin die schwärmerischen Worte des Kaisers: »Nein, wie süss ist Sisi, frisch wie eine aufspringende Mandel, un welch herrliche Haarkrone umrahmt ihr Gesicht. Was hat sie für liebe, sanfte Augen und Lippen wie von Erdbeeren.« Sophie sah sich verpflichtet eine Lanze für Helene, die ursprüngliche Auserwählte, zu brechen, die mit ihren 19 Jahren viel besser zu ihm passen würde: »Findest du nicht, dass Helene klug ist, dass sie eine schöne, schlanke Gestalt besitzt?« Franz Joseph erwiderte wenig beeindruckt: »Nunja, etwas ernst und schweigsam, gewiss nett und lieb – aber Sisi! Dieser Liebreiz, diese kleinmädchenhafte und doch so süße Ausgelassenheit.«

Am 17. August, dem Vorabend des Geburtstags von Franz Joseph fand ein festlicher Ball statt. Helene trug ein prächtiges weißes Atlaskleid, Sisi ein weißrosa Musselinkleidchen und im Haar einen Diamantpfeil. Auf Bitten von Erzherzogin Sophie tanzte der Flügeladjutand die ersten Tänze mit Sisi, weil der Kaiser selbst noch nicht tanzen wollte, aber Sisi nicht aus den Augen ließ. Zu einem guten Freund äußerte der Adjutant: »Ich glaube, ich habe mit unserer zukünftigen Kaiserin getanzt.«

In der Pause zeigte Franz Joseph Sisi ein Album mit kolorierten Abbildungen von Bewohnern der achtzehn Länder des Kaiserreichs Österreichs in ihren Nationaltrachten. »Das sind alles meine Untertanen,« sagte er erklärend und fügte ein wenig unbeholfen hinzu: »Wolltest du nicht, es wären deine?«

Inzwischen wurde es Mitternacht und nach altem Brauch Zeit für den Kotillon, einen Gesellschaftstanz, den der Kaiser natürlich mit Sisi tanzte. Das hieß, dass die Entscheidung gefallen war. Anschließend überreichte er Sisi sein Blumenbukett zum Zeichen dafür, dass sie seine Auserwählte war. Alle begriffen, was das bedeutete. Für Sisi war alles wie ein schöner Traum. Sophie berichtete ihrer Schwester Marie: »Die Haltung der Kleinen ist so anmutsvoll, vo bescheiden, so untadelig, so graziös, ja beinahe demutsvoll, wenn sie mit dem Kaiser tanzt. Sie war wie eine Rosenknospe, die sich unter den Strahlen der Sonne entfaltet, als sie neben dem Kaiser sass. Sie erschien mir so anziehend, so kindlich bescheiden und doch ihm gegenüber ganz unbefangen.«

Vor dem Schlafengehen sprach Franz Joseph noch einmal mit seiner Mutter, die alle möglichen Einwände gegen die Heirat mit der 15-jährigen Cousine Sisi vorbrachte, doch der Kaiser blieb unbeeindruckt, so dass sich die Mutter bis zum nächsten Tag Bedenkzeit für ihre Einwilligung erbat.

Am Morgen des Geburtstags war es dann soweit, Erzherzogin Sophie stimmte dem Verlobungsplan zu und hielt auf Bitten Franz Josephs bei Ludovika um Sisis Hand an. Ludovika ließ sich nicht lange bitten. Obwohl sie es bedauerte, dass Helene leer ausging (sie sollte später die Frau des Erbprinzen Maximilian von Thurn und Taxis werden), überwog die Freude, dass eine ihrer Töchter Kaiserin von Österreich wurde. Auch Sisi sprach ihr Ja, wenn auch nicht ohne Zweifel, ob sie der schweren Aufgabe einer Kaiserin gewachsen sein werde. Ludowika soll alle Bedenken mit den Worten zerstreut haben: »Dem Kaiser von Österreich gibt man keinen Korb.«

Noch am gleichen Tag machte Ludovika ihrer Rührung in einem Brief an Auguste Ferdinande von Bayern Luft: »Dass meine Sisi die Braut des Kaisers ist, ist ein so ungeheures Glück und doch eine wichtige, ja schwere Stellung, dass ich in jeder Beziehung recht bewegt bin. Sie ist so jung, so unerfahren, ich hoffe aber, man hat Nachsicht mit dieser großen Jugend! Der Kaiser ... war so rührend, er wollte durchaus nicht, dass man ihr zureden sollte, es müßte ihre freie Wahl sein..., aber es bedurfte keines Zuredens, sie liebt ihn wie es wohl begreiflich ist, und ich darf es sagen, seine freundlich glänzenden Blicke sprechen es aus, dass er sie liebt und sich glücklich fühlt ... Tante Sophie ist sehr gut und lieb zu ihr, und welch ein Trost für mich, sie einer so lieben Schwester – als zweite Mutter – übergeben zu können.«

Wie sich bald herausstellte, empfand Sisi ihre »zweite Mutter« schon sehr bald äußerst äußerst besitzergreifend, um nicht zu sagen tyrannisch; dadurch geriet die Ehe mit dem Kaiser in eine ernste Krise, vor allem als sich die Schwiegermutter dauernd in die Erziehung der Kinder einmischte.

Am 18. August, dem Geburtstag des Kaisers, holte Franz Joseph die bayerischen Gäste im Hotel ab. Man nahm in Sophies Salon gemeinsam das Frühstück ein und besuchte um 11 Uhr den Gottesdienst in der Pfarrkirche von Ischl. Gemäß dem Protokoll blieb Erzherzogin Sophie vor der Kirchentür stehen, um Sisi den Vortritt zu lassen. Die Gemeinde sang die Volkshymne »Gott erhalte, Gott beschütze unseren Kaiser, unser Land«. Am Ende der Messe nahm Franz Joseph Sisi an der Hand, führte sie nach vorn zum Pfarrer und bat: »Ich bitte, Hochwürden, segnen Sie uns, das ist meine Braut«.

Nach allem, was wir wissen, war Sisi die erste große Liebe des Kaisers. In seinen Briefen aus jener Zeit kann er sich gar nicht genug darin tun, seine romantischen Empfindungen für die bayerische Prinzessin zu beteuern. Ganz unerfahren war er aber in der Liebe nicht. Sogenannte »hygienische Damen«, die vom Obersthofmeisteramt nach gründlicher ärztlicher Untersuchung ausgewählt worden waren, hatten ihn in die Geheimnisse der körperlichen Liebe eingeführt, wobei es zu keinerlei emotionalen Bindungen kommen sollte. Diese Praxis war am Kaiserhof seit langem üblich und wurde keineswegs als moralisch anstößig empfunden.

Am Nachmittag fuhr das Brautpaar nach Hallstatt zu einer Verlobungsjause. Als sie nach Ischl zurückkehrten, erwateten sie dort Transparente, Fahnen in den österreichischen und bayerischen Farben und eine Festbeleuchtung. Am Siriuskogel war mit bunten Lampen ein klassischer Tempel in den Himmel gezeichnet mit den Initialen des Paares.

Sowohl der Brautvater, Herzog Max in Bayern, als auch König Maximilian II., der Chef des Hauses Wittelsbach waren inzwischen telegrafisch informiert und um ihre Zustimmung gebeten worden. Während sich Herzog Max persönlich nach Ischl begab, erteilte der bayerische König seine Zustimmung schriftlich. Franz Joseph bedankte sich bei ihm mit herzlichen Worten: »Nachdem dir meine Wahl angezeigt und von dir die Zustimmung erfolgt ist, schreibe ich dir unter den Regungen eines vollkommen befriedigten Herzens. Ich bin doppelt glücklich, dass ich bei der Wahl meiner zukünftigen Lebensgefährtin zugleich mein eigenes innigstes Gefühl zu Rate ziehen konnte und gebe mich vollkommen der freudigen Hoffnung hin, in den vortrefflichen Eigenschaften meiner Braut mein Lebensglück zu finden. Ich brauche dir wohl nicht hinzufügen, dass ich mich umso mehr zu deinem Hause hingezogen fühle, als das Teuerste, was ich bis jetzt besass – meine Mutter- und das Teuerste, was ich fortan besitzen werden – meine zukünftige Frau – demselben angehören; und ich kann nur hoffen, dass diese Verbindung, wenn dies anders noch möglich ist, die Bande, welche unsere Familien umfassen, umso dauernder und fester knüpfen werden.«

Spazierfahrten, Landpartien, Ausflüge und Bälle lösten sich in den folgenden Tagen in buntem Reigen ab, wie Ludovika in einem Brief schreibt: Das hiesige Leben ist äußerst belebt. Sisi ist das noch gar nicht gewöhnt, besonders das späte Schlafengehen... Der Kaiser ist unendlich lieb, un seine große Liebe zu ihr ist ein unausgesprochener Trost für mich, sowie auch die gar so freundliche liebevolle Art meiner Schwester gegen sie. Gott gebe seinen Segen!«

Die »göttlichen Tage von Ischl«, wie der junge Kaiser die Zeit nach der Verlobung nannte, dauerten bis zum 31. August. Dann wurde im festlich geschmückten Salzburg Abschied genommen und Sisi reiste mit ihrer Familie nach Hause zurück. Am 24. April des nächsten Jahres fand in der Augustinerkirche in Wien die Hochzeit statt.

Der Alltag an der Seite des völlig von den Staatsgeschäften in Beschlag genommenen Mannes, überwacht von den mißtrauischen Augen der Schwiegermutter und eingezwängt in die starre Hofetikette legten sich sehr bald wie ein Reif auf die Seele der freiheitsliebenden jungen Kaiserin. Zwei Wochen nach der Hochzeit schrieb Elisabeth ein Gedicht, das ihre Enttäuschung in deutlichen Worten ausdrückt:

Oh, dass ich nie den Pfad verlassen,
der mich zur Freiheit hätt’ geführt.
Oh, dass ich auf der breiten Strassen
der Eitelkeit mich nie verirrt!

Ich bin erwacht in einem Kerker,
und Fesseln sind an meiner Hand.
Und meine Sehnsucht immer stärker –
und Freiheit, du, mir abgewandt!

Ich bin erwacht aus einem Rausche,
der meinen Geist gefangen hielt,
und fluche fruchtlos diesem Tausche,
bei dem ich, Freiheit, dich verspielt!

Noch drastischer drückte sich Kaiserin Elisabeth gegenüber ihrer Lieblingstochter Marie Valerie nach 25 Ehejahren über die Verlobung in Ischl aus: »Die Ehe ist eine widersinnige Einrichtung. Als fünfzehnjähriges Kind wird man verkauft und tut einen Schwur, den man nicht versteht und dann dreißig Jahre oder länger bereut und nicht mehr lösen kann.«

JB



33/2003