Jahrgang 2014 Nummer 6

Die letzten Stunden von Pompeji

Ausstellung in München über die größte Katastrophe des Altertums

Säulenhalle einer pompejanischen Villa.
Mosaik mit Gartenszene.
Die Helden Achill und Chiron.
Maske aus einem Wandgemälde (Detail).

Am 24. August des Jahres 79 brach über die Stadt Pompeji am Golf von Neapel eine entsetzliche Katastrophe herein. Die Erde bebte, der Vesuv spuckte Rauch und Feuer, glühender Aschenregen und Steine fielen vom Himmel. Ströme von Magma ergossen sich auf die Stadt und überzogen sie innerhalb weniger Stunden mit einem meterdicken Leichentuch, das Mensch und Tier erstickte.

Von den etwa 30 000 Bewohnern Pompejis fand die Mehrheit den Tod. Nur wenige hatten die ersten Anzeichen des Vulkanausbruchs, Erdstöße und die schwarze Wolke über dem Vesuvgipfel, zum Anlass genommen, zum Hafen zu flüchten und sich auf Schiffen in Sicherheit zu bringen.

Die meisten blieben in der Stadt und hofften, der Spuk werde bald wieder aufhören. Aber das war nicht der Fall. Im Gegenteil, der Ascheregen wurde stärker, immer öfter vermischt mit faustgroßen Bimssteinbrocken, die mit rasender Geschwindigkeit vom Himmel fielen, die Hausdächer durchschlugen und Menschen töteten. Ein unbeschreibliches Chaos begann. »Frauen heulten, Kinder wimmerten, Männer schrien«, schreibt der römische Schriftsteller Plinius der Jüngere, der aus der Nähe die Katastrophe beobachtete, »die einen bejammerten ihr eigenes Unglück, andere das ihrer Angehörigen. Es gab sogar Leute, die sich den Tod erbaten. Viele hoben die Hände zu den Göttern, andere riefen, es gebe überhaupt keine Götter mehr und jetzt sei die letzte, ewige Nacht gekommen.«

Im Freien war man dem Bimsstein- und Aschenregen ungeschützt ausgesetzt, im Inneren vom Zusammenbrechen der Dächer und Mauern bedroht. Der Tod schlug in den Villen der Reichen ebenso zu wie in den Hütten der Armen am Stadtrand, im Trubel des Forums wie in der Stille der Gärten. Furchtbar war auch das Schicksal derer, die keinen Versuch zur Rettung machen konnten: Sträflinge, die in Ketten lagen oder jene zwei Gladiatoren, die in der Kaserne angebunden waren, wo über sechzig Tote entdeckt wurden. Am grauenvollsten ist eine Szene im »Haus der Vestalin«, wo ein Hund seinen Herrn angefallen hat.

Seit dem 18. Jahrhundert sind Archäologen dabei, Pompeji und seinen Nachbarort Herculaneum wieder freizulegen. Das Ergebnis der Ausgrabung präsentiert die Ausstellung »Pompeji – Leben auf dem Vulkan« bis 23. März in der Hypo-Kunsthalle in München. Dank der luftdichten Ascheschichten sind die antiken Orte und ihre Bewohner im Moment ihres Untergangs gleichsam konserviert worden. Die verwesten Leichen haben Hohlräume hinterlassen, die mit Gips ausgegossen wurden und auf diese Weise Negativabdrucke der Toten ergaben. Da liegt ein Mann vor seinem Haus, mit einem Schlüssel in der Hand, daneben ein Mädchen, das beide Hände vors Gesicht schlägt, eine Frau presst eine Handvoll Schmuckstücke an die Brust, ein Mann hockt zusammen gekauert am Boden… Apokalypse pur! Dramatischer und schauriger kann man sie nicht ins Bild setzen.

Nach den Ausgrabungen lässt sich die Anlage von Pompeji genau rekonstruieren. Den Mittelpunkt der Stadt bildete das Forum mit Gerichtsgebäude, Markthalle und mehreren Tempeln. Dazu kamen ein Freilufttheater, Thermen, Gasthäuser, Vergnügungsstätten, eine Kaserne für die Gladiatoren. Handwerks- und Gewerbebetriebe sind an den jeweiligen Schildern zu erkennen: eine Bäckerei, eine Fischhalle, eine Goldschmiede. Im sogenannten Haus des Chirurgen wurde ein aus Bronze und Eisen hergestelltes Operationsbesteck gefunden, im Hause eines Gelehrten eine Bibliothek mit mehreren hundert Bänden.

Fußböden und Wände vieler Häuser waren mit Mosaiken geschmückt. In einem Keller lag unbeschädigt ein in Wolle und Leinen gehülltes Silberbesteck. Wunderschöne Marmorstatuen, wertvolle Wandgemälde, Silbergeschirr und Goldschmuck zeugen vom Luxus einer mondänen Gesellschaft. An den Hauswänden haben sich Graffiti erhalten, mit teils politischem, teils privatem Inhalt. »Rufus ist der beste Kandidat«, verkündet eine Inschrift. Auf einer anderen steht: »Tullia - dich liebe ich immer!« Ein offenbar jüdischer Bewohner bringt das Inferno auf den Punkt: »Sodoma und Gomorra!«

Mit über 250 Exponaten vermittelt die Ausstellung in München einen umfassenden Einblick in das Leben der Menschen an den Hängen des Vesuvs vor zweitausend Jahren. Berühmte Kunstwerke wie der bronzene Läufer aus Herculaneum stehen neben neu entdeckten Funden aus der letzten Zeit. Dazu gehört eine 25 Meter lange Mosaik-Brunnenwand aus einem Nymphäum, die anlässlich der Ausstellung restauriert und erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wird. Auch auf das Pompejanum in Aschaffenburg wird eingegangen, mit dem König Ludwig I. nach seiner Rückkehr aus Italien seiner Begeisterung für die römische Kunst und Kultur Ausdruck verlieh.

Julius Bittmann

 

6/2014