Jahrgang 2005 Nummer 1

Die Kirche St. Nikolaus in Höslwang

Das Rokokojuwel am Hang bei den Haselstauden

Die St. Nikolauskirche in Höslwang, eine Perle des Rokoko.

Die St. Nikolauskirche in Höslwang, eine Perle des Rokoko.
Gesamtansicht innen

Gesamtansicht innen
Seitenaltar hl. Laurentius

Seitenaltar hl. Laurentius
Nördlich der Hemhof-Eggstätter Seen, wo die Gletscher der Eiszeit das Geröll vor sich hergeschoben und einen ansehnlichen Hügel hinterlassen haben, auf halbem Weg zwischen Halfing und Eggstätt, grüßt von der Höhe her der barocke Zwiebelturm der Kirche von Höslwang ins Land. In der Vorzeit standen auf diesem Hang Haselstauden, nach denen die Leute dem Ort den Namen gegeben haben.

Auch ohne die Kirche wäre Höslwang einen Besuch wert. Unter den Kastanienbäumen des Gasthauses Gehrlein versteckt sich ein Wirtsgarten, der als Schaukanzel einen zauberhaften Blick auf das Land vor den Bergen, den Chiemgau, bietet. Da sind am Horizont die Gipfel der Berchtesgadner und Chiemgauer Berge nebeneinander aufgereiht: Ganz im Osten der Hochstaufen bei Bad Reichenhall, die vielgezackte Kampenwand in der Mitte und im Westen der einem Gugelhupf ähnliche Wendelstein. Unten spiegelt sich der Pelhamer See vor der Kulisse der dunklen Wälder. Da gehen einem die Augen über und die Seele fliegt über die Seen und Wälder zu den Gipfeln der Berge gerade bis an die Grenze der Ewigkeit.

Diese Harmonie der Landschaft teilt sich dem Schauenden mit. Sie findet sich wieder in der Stuckzier der Kirche von Höslwang. Der zarte Rokokozauber an den Wänden und an der Decke der Kirche ist Musik. Blumengirlanden, Bänder, Blüten und miteinander verflochtene Blatt- und Pflanzenteile sind die Melodie, die den Kirchenraum in Schwingungen versetzt. Der Meister brauchte draußen am Wegrand nur stehen zu bleiben und von der Formenvielfalt der Natur einiges mit für seine Dekoration in der Kirche zu nehmen. Natürlich war damit auch eine tieferer Sinn verbunden. Die in den Kirchenraum hereingenommene lebendige Natur ist die Schöpfung Gottes, die ihn auch in seiner Kirche preist.

Als die ursprünglich gotische Kirche im Barock umgestaltet wurde, wurden die Fenster weit aufgebrochen. Seither können die Sonnenstrahlen die goldumrandeten, farbigen Altäre zum Glänzen bringen. Und sie leuchten auch hinauf zur rosafarbenen Decke, auf der die Stuckzier wie ein Tischtuch aus zartem Spitzendekor ausgebreitet ist. Lassen wir das als einen Blick in den Himmel gelten. Es war ein echtes Anliegen barocker Kirchenbaukunst, dem Menschen, der im Alltag Mühsal und Entbehrung auf sich zu nehmen hatte, wenigstens am Sonntag, bei der heiligen Messe, den Himmel schauen zu lassen, der ihm am Ende der Zeiten verheißen ist.

Schon oft habe ich mit Interessierten die Kirche besucht. Eingangs weise ich dabei immer darauf hin, dass es mir schwer falle, die Kirche zu beschreiben. Die Seele muss da schon mitschwingen, muss sich von der Melodie anrühren lassen. Die Erklärung der einzelnen Noten würde auch nicht helfen, eine Komposition zu erklären. So ist das also auch mit dem Sich Einlassen auf den Zauber von Höslwang. Von einem Besuch der Kirche kann da keine Rede sein und für ein nur schnelles »So eben einmal Hereinschauen« ist Höslwang viel zu schade.

Ein Blick in die Geschichte von Höslwang

Nein, Höslwang fordert Zeit zum Betrachten, fordert in erster Linie die Sinne und das Gefühl. Und doch ist dazu ein intellektuell angelegter Hintergrund vor allem aus historischer Sicht kein Widerspruch. Also ein wenig Geschichte: Im Chiemgau ist es häufig zu beobachten, dass Landadelige auf den Moränenhügeln am See, an höchster, gut überschaubarer Stelle ihre Herrensitze bauen, als Burgen, Schlösser oder sonst im Anfang auch nur als befestigte, von einem Ringwall umgebene Holzburgen.

So können wir uns auch die Burg der Herren von Hesilwanch vorstellen, die an der Stelle der heutigen Kirche stand. Als Ministerialen der Erzbischöfe von Salzburg sind die Burgherren schon im frühen Mittelalter bezeugt. Im 13. Jahrhundert erlosch ihr Geschlecht. Bald darauf wurde der Herrensitz in eine Pfarrpfründe umgewandelt, die urkundlich um 1349 Erwähnung findet. Von Halfing, das schon 924 eine Marienkirche hatte, wurde der Sitz der Pfarrei nach Höslwang übertragen. Für die neue Pfarrei bedeutete dies einen wirtschaftlichen und ansehensmäßigen Aufschwung. Die Pfarrpfründe Höslwang entwickelte sich bald zu einer der reichsten und begehrtesten Pfarreien in ganz Oberbayern. Nur das alte Kirchlein, über dessen Aussehen uns nichts bekannt ist und das wahrscheinlich die früher zum Herrenhof gehörige Hofkapelle war, entsprach nicht mehr dem Bild der so angesehenen Pfarrei.

So entstand im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts eine zu dieser Zeit moderne, gotische Kirche, die sicher auch einen ins weite Land hinausgrüßenden spitzen Kirchturm hatte und gut drei Jahrhunderte lang von den Gläubigen als Stätte des Gebets angenommen wurde. Noch in gotischer Zeit wurde an der Südseite in der gesamten Länge der Kirche ein Anbau für die Sakristei, die Allerseelenkapelle und für ein Beinhaus angefügt, der Salzburgischer Bautradition entsprach und den an sich einschiffigen Kirchenbau als etwas unausgewogen erscheinen lässt. 1693 wurde diesem Anbau ein Obergeschoß daraufgesetzt, das nun wie eine seitlich angesetzte Empore wirkt.

Wessobrunner Künstler und die Rokokozier

Erst im Barock, dessen Zeitgeist theatralisch prunkvolle Zier in den Gotteshäuser liebte, stand auch für Höslwang eine entscheidende Wende an. So traf es sich gut, dass Vital Vitzum ( 1732 – 1740 ) als Pfarrherr von Höslwang eingesetzt wurde. Sein Vater war in Salzburg ein wohlhabender Kaufmann. Schon zu Lebzeiten des Vaters und erst recht als Erbe kam der neue Pfarrer zu einem ansehnlichen Vermögen, das er zur Ehre Gottes, aber gleichzeitig auch zur stil- und zeitgerechten Ausstattung seiner Kirche nützte. Der Baumeister Martin Pöllner erhielt den Auftrag für den Bau. Der ortsansässige Kistler Georg Stein und der angesehene Bildhauer Georg Lindt aus Burghausen konnten für die Rokoko-Ausstattung der Altäre gewonnen werden. Die zierliche Stuckdekoration an den Wänden und an der Decke ist Engelmund Landes – geboren 1705 in Wessobrunn - zu verdanken. Im ausgehenden Barock war Wessobrunn die erste Adresse, wenn es galt, Künstler für besonders hervorragende Raumgestaltung zu gewinnen. Mit der Wessobrunner Schule sind Namen wie Franz Xaver Feichtmayer, Joseph Schmuzer und die Gebrüder Zimmermann verbunden. Unter dem Einfluss der Hofkunst in München vollzog sich der Wandel zum feinsten Rokokodekor, der reiches Laub – und Muschelwerk in die Zierformen mit einbezieht.

Es ist schon erstaunlich, dass es dem Höslwanger Pfarrherrn gelang, mit Landes einen Vertreter dieser berühmten Schule zu gewinnen. Aufträge dieser Art waren nicht gerade billig. Und irgendwo dürften auch dem gut betuchten Pfarrherrn Grenzen seines Vermögens gesetzt gewesen sein. Vielleicht ist es darauf zurückzuführen, dass in der Deckendekoration freie Flächen eingefügt sind, in denen üblicher Weise in Kirchen dieser Art leuchtend farbige Bilder zu sehen sind. Wie dem auch sei. Ein Gutes hat die Beschränkung des Stucks bis heute schon. Durch eben den Verzicht auf Malerei tritt die elegante Stuckdekoration besonders wirkungsvoll hervor.

Der Hochaltar als Bühne

Bei aller Begeisterung für die überreiche Rokokozier, ist nicht zu vergesse, dass die Kirche kein Museum, sondern in erster Linie eine Stätte des Gebetes ist. Nach dem Verständnis des Barocks stand die Ausstattung des Kirchenraums der Bühnenarchitektur nahe. Auch die andachtsvolle Verehrung der Heiligen vollzog sich vor dem Hintergrund kunstvoll eingerichteter Theaterszenerie . »Vergiss nicht, dass das Leben Schauspiel ist und diese Welt die große Bühne ...«, heißt es in einem Gedicht aus dieser Zeit und so dachten auch die Menschen.

Schauen wir uns aus dieser Sicht den Hochaltar etwas genauer an. Als Bühne, von Säulen eingerahmt und von einer aufwendigen Rokokodekoration geschmückt, steht er in der Mitte des lichtdurchfluteten Chores. Auf dem dreiteilig gegliederten Altar wird unten am Tabernakel das Messopfer gefeiert. Die Mitte ist den Heiligen vorbehalten, die den Menschen mit ihrer Fürsprache im Himmel schon auf der Erde begleiten. In der obersten Ebene öffnet sich, hier angedeutet durch das Dreifaltigkeitsbild, der Blick in den Himmel. Johann Georg Lindt hat dieses Meisterwerk 1764 geschnitzt, gleichsam als Rahmen für das farbige Ölbild in der Mitte, das den heiligen Nikolaus in der Glorie, den Schutzpatron der Kirche zeigt. Auf der mittleren Ebene stehen auch die beiden Wetterpatrone und Märtyrer Johannes und Paulus. Es mag sein, dass die beiden Heiligen später, wie Peter vom Bomhard im Kirchenführer schreibt, in ihrem Aussehen verändert worden sind. Als »Schauspieler« sprechen sie auch heute noch, der Altarbühne zugewandt, den Gläubigen mit ihren lebhaften Gesten an. In der »Himmelsetage« des Altars stehen an einer gewagt exponierten Stelle – man muss Angst haben, dass sie herunterfallen – die Heiligen Bartholomäus und Johannes der Täufer. Während letzterer an seine Fahne und dem Lamm Gottes zu seinen Füßen zu erkennen ist, trägt der Heilige Bartholomäus auf der rechten Seite seine abgezogene Haut vor sich her. Die Gläubigen erkannten ihre Heiligen an den Attributen. An die beiden äußersten Enden des Säulenaufbaus hat der Künstler Georg Lindt zwei Vasen gesetzt, aus denen Flammen zum Himmel auflodern.

Unruhig flackernde Flammen, die an den Säulen in die Höhe züngeln sind das eine dynamische Element, das durch die Muschelformen ergänzt wird in die vielseitigen Formen des Hochaltars eingearbeitet sind. Alles erstrahlt im goldenen Glanz. Gold ist die Farbe, mit der allgemein die Vorstellung von königlicher Hoheit, ja vom Himmel selbst verbunden ist. Nach der Geheimen Offenbarung des Johannes ist auch das Neue Jerusalem eine Stadt, die aus reinem Golde gebaut ist. Joh. 21, 16

Die Heiligen Laurentius und Sebastian an den Seitenaltären

Die beiden Seitenaltäre am Chorbogen, die noch dem Kirchenraum angehören, sind schräg gestellt und damit deutlich dem Hauptaltar zugeordnet. Wie die beiden Seiten eines aufgeschlagenen Buches, dessen Seiten mit Gold hinterlegt sind, stehen sie vor den Gläubigen, die an diesen beiden Altären die ihnen zugewandten und ihnen vertrauten Heiligen verehren, während draußen im lichtdurchfluteten Chorraum am Hochaltar das Messopfer zelebriert wird.

Das Barock, zu dem das Rokoko als Teilbereich am Ende des 18. Jahrhunderts gehört, das als Verfeinerung und Übersteigerung des Barocks zu sehen ist, liebte strenge Parallelität. Eine gedachte, senkrechte Linie durch die Mitte des Hochaltars macht die Gleichartigkeit der beiden Altarhälften deutlich. Ein Vergleich der beiden Seitenaltäre lässt ebenso deren gleichartigen Aufbau erkennen. Im Übrigen ist auch die Stuckdekoration der Decke von diesem Prinzip strenger Parallelität geprägt. Ebenso wie der Hochaltar sind die beiden Seitenaltäre Bühnen mit je einem von Säulen getragenen Aufbau in dem das Namenszeichen Marias eingearbeitet ist.

Die Bühnendekoration des linken Altars ist für den heiligen Laurentius bereitet. Auf einer Wolke sitzend wendet er sich mit ausgebreiteten Händen den Gläubigen zu, die sich ihm im Gebet anvertrauen. Engel tragen vor ihm den Rost, das Werkzeug seines Martyriums. Die beiden Heiligen an seiner Seite sind die Diakone Stephanus und Vincentius von Saragossa. Fast noch dramatischer spricht uns die Bühnenszene auf dem linken Seitenaltar an. Die beiden Assistenzheiligen Georg und Florian genießen als Volksheilige weithin die Verehrung der Gläubigen auf dem Lande. In der Mitte beherrscht der hl. Sebastian die Szene. Mit den Händen an einen Baumstamm gefesselt, wurde er gerade vom Pfeil seiner Peiniger getroffen. Sein gewundener, vom Schmerz verzerrter Körper wird zum Sinnbild für das menschliche Leid schlechthin. Der tödliche Pfeil, die Ursache des Schmerzes, markiert die Mitte der Leidensszene. Engel, auf der rechten Seite nur durch Engelsköpfe angedeutet, bringen ein tröstliches Element in die grausame Marterszene. Die vier von korinthischen Kapitellen gekrönten Halbsäulen rahmen beide Seitenaltäre und unterstreichen den theatralischen Eindruck.

Die Kanzel, ein Blütenkelch

Muschelformen und Flammen als Dekoration finden wird auch an der Kanzel. Wirklich tiefe Kunst hat meist ihr Vorbild in Formen, die die Natur vorgibt. So ist das auch mit der Kanzel, die einem Blütenkelch nachempfunden ist. Der bauchige Kanzelkorb wirkt wie angeflogen. Mit eleganter Leichtigkeit fügt sich das vielfach verschlungene Bandwerk zu rechteckigen Feldern. Der Schlichtheit dieser Verzierung im unteren und im mittleren Teil der Kanzel steht die überquellende Formenvielfalt am Schalldeckel gegenüber. Zierliche Putten sind in zerflatternden Rocaillemotiven eingebunden und drücken in ihrer Körperhaltung die überschäumende Freude aus, die letztendlich den ganzen Kirchenraum beherrscht. Vielleicht ist gerade diese vielfältige, einer Ordnung und Erklärung nicht zugängige Dekoration, die sich gleichzeitig als einheitliches Kunstwerk des Rokoko präsentiert, ein signifikantes Beispiel für diesen Stil. Bei genauerem Hinsehen sind an der Spitze des Schalldeckels der Kanzell Gesetzestafeln und ein Flammenschwert als Sinnbild für das Jüngste Gericht zu entdecken. Ein Fingerzeig an die Gläubigen, schon auf Erden an die Strafen für die Sünden im Jenseits zu denken. Eine Mahnung, die freundlich eingebunden ist in das von Engeln getragene Goldzierrat.

Nun sind die überreichen Rokokoschätze in der Kirche von Höslwang betrachtet. Vielleicht war auch bei einem Gebete an den zu denken, der uns über die Hand begnadeter Künstler das alles geschenkt hat. Im Wirtsgarten des nahen Gasthauses »Gehrlein« haben wir Muße, über das Geschaute nachzudenken und die Tiefe der uns als Schauspiel dargebotenen Kunst zu ergründen. Die Beschreibung in diesem Beitrag kann nur ein Versuch sein, eigenes Interesse im Sinne eines Einsseins mit diesem Kunstwerk zu erwecken. Letztendlich geht es um nicht weniger, als um den Versuch, Musik, die Raummusik von Höslwang, zu beschreiben. Nur in einem Nachklingenlassen dieser Raummusik erschließt sich das tiefe, von Kunst und Gläubigkeit getragene Geheimnis des Rokokojuwels von Höslwang.

DD

Quelle: Kirchenführer von Peter von Bomhard Verlag Schnell und Steiner Regensburg.



1/2005