Jahrgang 2022 Nummer 38

Die Kirche am Kraftort Westerbuchberg

Dorothea Steinbacher führte durch die Kirche Sankt Peter und Paul

Die Kirche von außen mit Friedhof.
Apostel Paulus (mit Schwert und Buch) einer der beiden Kirchenpatrone.
Apostel Paulus (mit Schwert und Buch) der zweite Kirchenpatron.
An der südlichen Langhauswand sind noch Rötelzeichnungen von der Anbetung der Heiligen Drei Könige zu sehen, darüber das ursprüngliche Außenfenster der romanischen Kirche, das bei der Erweiterung im 16. Jahrhundert in das Mittelschiff einbezogen wurde.
Der südliche freskierte Seitenaltar mit den 14 Nothelfern aus den Anfängen des 16. Jahrhunderts, der in das neu gebaute Kirchenschiff integriert wurde.
Anna Selbdritt

Die Isinger Kunsthistorikerin, Autorin und BR-Brauchtumsexpertin Dorothea Steinbacher veranstaltete mit dem Überseer Chor »Il Coro Nuovo« mehrere musikalische Kirchenführungen im Chiemgau, von denen eine zur Kirche Sankt Peter und Paul auf den »Kraftort Westerbuchberg« bei Übersee führte.

Steinbacher ging in ihren Erzählungen zurück bis auf die Zeit des UrChiemsees, wo der Westerbuchberg neben dem Osterbuchberg ein aus dem See ragender Hügel war, der aus hartem Molassegestein bestand. Die Kirche in Westerbuchberg zähle zu den ältesten Kirchen des südlichen Chiemgaus, »ihr Ursprung ist vielleicht schon im achten Jahrhundert gelegt worden«, sagte Steinbacher. Zitiert wurde die Sagensammlerin des Achentals, Anna Kroher, die vom Standort des Kirchleins als besten Platz auf der einstigen Insel sprach. »Auch wenn man sich sonst nicht gern auf Friedhöfen aufhält – hier möchte man zur ewigen Ruhe gebettet werden.«

Die Steine der südlichen Kirchenmauer lassen sich bis auf die Römerzeit zurückführen, vielleicht stand hier ein Kastell, sicher aber ein römischer Wachtturm etwas östlich der Kirche, ein Militärposten der Römer. Von Anna Kroher, die 1930 zur Ehrenbürgerin von Egerndach ernannt wurde, ist überliefert, dass bis Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Mauerquadrat des Wachtturms zu sehen war. Auch wenn davon nichts mehr zu sehen ist, gilt die Besiedelung des Westerbuchbergs bereits zur Keltenzeit als sicher. Zur Besiedelung der Römer passt auch das Patrozinium der Apostelfürsten Petrus und Paulus, denn diese beiden Kirchengründer wurden oft dort zu Patronen ausgewählt, wo der Christianisierung vorchristliche Kultorte vorausgingen, wie am Westerbuchberg.

Die ursprünglich romanische Kirche wurde in der frühen Gotik umgebaut. Es wurde eine Zwischendecke eingezogen und ein Chor und das südliche Seitenschiff angebaut. Das alte ehrwürdige Eingangsportal ist auf der Westseite noch vorhanden. Die romanischen Fresken wurden »durch die gotischen Umbauten brutal zerstört und zerschnitten«, sagte Steinbacher, die selbst bereits »oberhalb der Zwischendecke herumgekrabbelt« ist, um sich ein Bild vom ursprünglichen Zustand zu machen. So sieht man an der südlichen Langhauswand nur noch teilweise eine Rötelzeichnung von der Anbetung der Heiligen Drei Könige. Gegenüber erkennt man Reste eines Wassers mit Fischen. Das ist das Wasser, in dem der riesige heilige Christiophorus stand, dessen oberer Teil sich immer noch oberhalb der gotischen Decke befindet, aber für den Kirchenbesucher nicht mehr sichtbar ist. »Es muss sich um eine mindestens fünf Meter große Malerei gehandelt haben.« Vielleicht ist es so, dass der keltische Held Dagda mit der Keule als ein Vorläufer des Riesen Christophorus gesehen werden könne. Das würde zur Theorie passen, dass am Westerbuchberg alte keltische, heidnische, römische und christliche Epochen ineinanderwirken, so Steinbacher. Oberhalb der gotischen Kirchendecke gebe es noch eine Anna-SelbdrittDarstellung, so Steinbacher. Darauf sind die drei Generationen Anna als Mutter Marias und diese als Mutter Jesu dargestellt. Die AnnaVerehrung und die Verehrung einer mütterlichen Göttin in Dreiergestalt erinnerte vielleicht zu sehr an heidnische Götter. Bis heute bemühe sich die Kirche, die Marienverehrung nach Kräften zu fördern, während die Anna-Verehrung gern vernachlässigt werde. »Das Problem hat man schon im 15. Jahrhundert elegant gelöst, indem man diese Darstellung einfach zubaute«, fasste es Steinbacher zusammen.

Anfang des 16. Jahrhunderts entstand in dem neu gebauten Kirchenschiff ein gemalter, freskierter Altar der vierzehn Nothelfer. Diese vierzehn Heiligen, vom Salzburger Keltenforscher Georg Rohrecker despektierlich als »christliches Spezialkommando zur Überwindung bzw. Zähmung des keltischen Glaubens in den Alpen« bezeichnet, führte das Prinzip vorchristlicher Kulte fort, sagte Steinbacher. Jeder von ihnen hatte seine eigenen Zuständigkeiten, die verblüffend an verchristlichte Vorbilder erinnern.

So kann man Ägidius als Nachfolger des keltischen Cernunnos, Dionysius nicht nur vom Namen her als Ersatz für Dionysos ableiten. Und der Kessel des heiligen Vitus, angeblich sein Marterinstrument, stelle vielleicht ein Symbol für Wiedergeburt dar, wie auch der Name des Heiligen, Vitus, annehmen lässt. »Dazu kommen die als Nachfolgerinnen einer dreigestaltigen Muttergöttin oder der geheimnisvollen Bethen eingesetzten drei heiligen Madln Barbara, Katharina und Margareta, so dass alle wichtigen, offenbar vom Volk zäh verteidigten und verehrten alten Götter durch vorchristliche Heilige ersetzt waren.«

Eines der spannendsten Bilder in der Kirche befindet sich mehrmals ebenfalls oberhalb der Zwischendecke über dem gotischen Kreuzrippengewölbe, das für den in der Kirche stehenden Besucher nicht mehr sichtbar ist. In den erhaltenen Freskenresten befinde sich in einer Zierleiste um Anna Selbdritt und in der Kleidung des Christophorus eine gotische Minuskel-Schrift, hinter der sich einer der meistverwendeten Zaubersprüche aus der Antike verbirgt. In fünf Reihen stehen jeweils fünf Buchstaben, ein Feld von 25 Kästchen. Es sind untereinander geschrieben die Buchstaben bzw. Wörter SATOR, AREPO, TENET, OPERA, ROTAS. Das Quadrat lässt sich also von vorne und rückwärts jeweils waagrecht und senkrecht lesen. Immer liest es sich gleich. Die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen lautet: »Sämann Arepo hält mit Mühe die Räder.« Mit christlicher Auslegung könnte man übersetzen »Gott hält die Schöpfung in Bewegung.« Diese Deutung stellt aber nicht ganz zufrieden, weil die Sator-Formel bereits in vorchristlicher Zeit auf Papyri-Inschriften und in den Ruinen von Pompeij gefunden wurde – also nicht christlichen Ursprungs sein kann. Die Buchstaben in anderer Ordnung aufgeschrieben ergeben zweimal dasWort »Paternoster« in Kreuzform, wobei die beiden »n« in der Mitte die Kreuzung bilden. Übrig bleiben jeweils zwei »A« und »O«, die für Alpha und Omega stehen könnten.

Theologen, Mathematiker, Philosophen und Philologen beschäftigen sich mit diesen fünf unscheinbaren Wörtern und finden immer wieder neue Deutungsmöglichkeiten, erklärte Steinbacher. Dem gemeinen Volk waren diese tiefschürfenden Knobeleien nicht bekannt, aber die Menschen waren von der umfassenden Wirkung des magischen Quadrats in vielen aussichtslosen Lagen überzeugt. So wurde die Sator-Formel auf Esszettelchen geschrieben und gegen Fieber oder Tollwut ein genommen und den Tieren zum Fressen gegeben. Auch zur Bekämpfung von Bränden sollte die Formel helfen. Und von der ostpreußischen Halbinsel Samland sei überliefert, dass Anfang des 19. Jahrhunderts der Spruch noch auf ein Stück Zinn graviert wurde, welches nach dreimaligen Umreiten des Feuers »im Namen des dreieinigen Gottes« in die Flammen geworfen wurde.

Wie die Zauberformel in den Chiemgau kam, ist bis heute unklar. Man kennt bis jetzt keinen weiteren Ort, an dem die Formel als Fresko auftaucht.

 

Arno Zandl

 

38/2022