Die Herkunft der Adelheid von Marquartstein
Die Familienzusammenhänge der ehemaligen Burgherren von Marquartstein bleiben ein Labyrinth

Im Rahmen der Neubearbeitung der »Unterwössener Heimatgeschichte« von Eugen Aschenbrenner wird unter anderem der Frage über die Abstammung der sagenumwobenen, schönen und reichen Adelheid von Marquartstein nachgegangen. Die Notwendigkeit, sich auf dieses Thema einzulassen, ergab sich, weil Aschenbrenner verschiedentlich auf die Herkunft der Besitzer von Burg Marquartstein, der Streichenburg und der Rettenburg eingegangen ist und dabei den damaligen Forschungsstand wiedergegeben hat. Außerdem gehörten die Burg und Alt-Marquartstein bis 1937 zum Gemeindedistrikt Unterwössen.
In der Heimatliteratur haben sich bestimmte Namen in diesem Zusammenhang »eingebürgert«, die man auch noch in neueren Publikationen finden kann. Als Vater der Adelheid wurde in der älteren Literatur Kuno von Rott-Frontenhausen (Benefiziat J. J. Wagner, Geschichte des kgl. bayerischen Landgerichtes Traunstein, 1866, und von Riezler, Große Geschichte Baierns, 8 Bände, ab 1878,) genannt. In der Heimatliteratur finden sich auch Kuno von Mögling (A. Kroher, 1917, letzte Neuauflage 1971) oder Mögling-Frontenhausen (M. u. A. Brunner 1964) sowie in der Veröffentlichung des früheren Heimatpflegers von Staudach-Egerndach, Franz Gaukler, »Die Edlen von Hohenstein, Egerndach und Marquartstein« (1975). Die Grafen von Lechsgemünd tauchen als Vorfahren der Adelheid nicht auf.
Nun ist es nicht so, dass die »Altvorderen« leichtfertig bei ihrem Quellenstudium waren. Die wissenschaftliche Analyse setzt einmal voraus, die alten Schriften lesen zu können. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass die Quellen, zum Beispiel die Gründungsgeschichte des Klosters Baumburg und das Traditionsbuch Baumburg, ihre Angaben vielfach unklar und ohne Jahresangaben gemacht haben. Die Zuordnung der Daten war nur über die Nennung von Schenkungen an das Kloster oder andere Geschehnisse möglich, meist nur aus dem Zusammenhang mit anderen Namen aus dieser Zeit. Es war im 11. Jahrhundert nicht üblich, das Geburtsjahr anzugeben, ein Sterbedatum bestand nur aus Tag und Monat. Dazu kommt, dass die Darstellung schon bei der ersten Niederschrift Anfang des 12. Jahrhunderts im Sinne der bisherigen Klostergründer und zum Ansporn an zukünftige Spender des Klosters verändert wurde.
Die oben genannten Angaben über die Vorfahren der Adelheid beziehen sich seit 200 Jahren auf Koch-Sternfeld (Geschichte des Fürstenthums Berchtesgaden und das seiner Salzwerke, Salzburg 1815). Vom Baumburger Gründungsbericht zitierte dann J. J. Wagner einen längeren Auszug Koch-Sternfelds. Darin ist vom Vater Adelheids als »dem Kaiser eifrig ergebenen Grafen Kuno von Frontenhausen und Moegling« die Rede. Dass dieser Kuno der Graf von Moegling gewesen sein soll, hat aber erst Koch-Sternfeld dem Baumburger Bericht hinzugefügt. Dort heißt es nur, dass sich »der Graf Kuno nach Frontenhausen genannt« habe. Auch konnte widerlegt werden, dass im Investiturstreit der Cuno von Mögling »dem Kaiser eifrig ergeben« gewesen sei. Vielmehr fiel er 1097 auf der Seite der Päpstlichen zusammen mit seinem Sohn Aribo in der Schlacht von Saaldorf bei Salzburg. Aufgrund dieser Fakten kann also der von Koch-Sternfeld bzw. von Wagner, hier ins Spiel gebrachte Kuno von Moegling keinesfalls der Vater von Adelheid gewesen sein.
Dr. Franz Tyroller hat 1953 einen grundlegenden Aufsatz veröffentlicht (Neuburger Kollektaneen-Blatt), der sich mit dem Adel des Hochmittelalters in Bayern und besonders mit den Lechsgemündern beschäftigt. Tyrollers »Genealogie des altbayerischen Adels im Hochmittelalter« (1952 - 1960) ist ein Standardwerk geworden. Dr. Franz Tyroller legte in seinen Stammtafeln dar, dass weder Pfalzgraf Kuno von Rott noch Kuno von Moegling eine Tochter Adelheid hatten. Auch weist Tyroller nach, dass die Pfalzgrafen von Rott – entgegen der Meinung Riezlers – sich nur »von Rott« und nicht auch noch Frontenhausen nannten.
Tyroller machte schließlich plausibel, dass es sich bei dem fraglichen Kuno nur um den bereits genannten Kuno von Lechsgemünd handeln kann. Dessen Frau und damit die tatsächliche Mutter Adelheids war Mathilde von Achalm. Das Ehepaar hatte fünf Söhne und drei Töchter, jüngste Tochter war unsere Adelheid. Alle aufgeführten Söhne lassen sich urkundlich belegen, auch wenn die Zuordnung des Heinrich von Lechsgemünd (gefallen 1078 bei Mellrichstadt) als Sohn oder als Bruder des Kuno unterschiedlich gesehen wird. Bei Dopsch ist es der älteste Sohn und damit der Bruder von Adelheid.
In solchen Details musste Dr. Franz Tyroller von Professor Heinz Dopsch (Universität Salzburg) unter anderem korrigiert werden, doch hat Tyroller die entscheidenden Weichen gestellt. In den umfangreichen genealogischen Beiträgen in »Geschichte von Berchtesgaden« und in der Gründungsgeschichte des Klosters Baumburg in »Baumburg an der Alz« hat Heinz Dopsch die Zusammenhänge der Sighardinger als Vorfahren des Markward und der Lechsgemünder als Vorfahren der Adelheid in der heute anerkannten Version klargestellt. Was die Stifterin des Klosters von Berchtesgaden, Irmgard von Rott, betrifft, die Brunner und Gaukler (wieder nach J. J. Wagner) für die Frau des Kuno von Moegling und die Mutter der Adelheid hielten, so ist das ganze Konvolut ihrer Heiraten und deren Reihenfolge mittlerweile durch Dopsch wohl auch endgültig geklärt worden. Wie die schöne Adelheid war auch Irmgard von Rott dreimal verheiratet. Sie wurde dadurch einmal die Schwägerin von Adelheid zum anderen die Schwiegermutter.
Ein Heimatforscher, der die neuen Erkenntnisse in unserer Region früh publiziert hat, war Walter Reicherseder aus Staudach (Die Gräfin Adelheid von Marquartstein, Chiemgau- Blätter 2/2004). Man könnte meinen, dass diese Korrektur der alten Ansichten ein Rauschen im Blätterwald des Achentals und im Chiemgau verursacht hätte. Auch spätere regionale Veröffentlichungen und Beiträge im Internet schilderten jedoch noch alte genealogische Versionen.
Die jetzt gültige Aufstellung der Stammtafeln zu erklären, kann sicher nicht mit einem Federstrich erledigt sein. Die Klarstellung ist mühsam und nach wie vor ein Wandeln im Labyrinth. In der neuen Chronik von Grassau, Bd. 1 (2010) wurde von Dr. Hans J. Grabmüller neben der Korrektur über Marquart I. und II. die Berichtigung gebracht, »dass Graf Kuno von Frontenhausen 1077 nicht vom Kaiser die Rettenburg und die Streichenburg als Lehen übertragen bekommen habe. Es handelte sich bei diesem Kuno um den Kuno von Lechsgemünd«.
Wie bereits Tyroller darstellte, waren es auch die Lechsgemünder, die im angrenzenden Leukental Besitzungen hatten. So waren Kuno von Lechsgemünd und seine Tochter Adelheid zumindest zeitweilig Nachbarn von Markwart, was sicher die Gelegenheit zur damaligen Entführung bot.
Die Rettenburg und die Streichenburg waren sogenannte Vorburgen, auf denen die Ministrialen der Herrscher von Burg Marquartstein ihren Sitz hatten – auf jeden Fall nicht der Grafen von Rott.
In der Chronik von Siegsdorf, Bd. 1 (2012) stellt Meinhard Schroll die Verhältnisse der Sighardinger und der Gründung von Siegsdorf richtig.
Die Ergebnisse dieser Forschungen betreffen unmittelbar das Achental und die früheste Geschichte der Burg Marquartstein. Deshalb wurde im Kapitel »Burg Marquartstein« der in Arbeit befindlichen, erweiterten Neuauflage der »Unterwössener Heimatgeschichte« der Raum gelassen, dieses Thema zu »entwickeln«. Die »Unterwössener Heimatgeschichte« könnte der »Häuserchronik Oberwössen« und der »Häuserchronik Unterwössen« zeitnah folgen und diese ergänzen.
Jürgen Dahlke, Unterwössen
2/2017