Die Bildung junger Mädchen als Lebensauftrag
Karolina Gerhardinger gründet mit ihren Ordensschwestern Hunderte von Schulen weltweit



Für sich selbst wählte sie ein konservatives Leben im Kloster, ihr Engagement um die Erziehung junger Mädchen war für die damalige Zeit jedoch mehr als fortschrittlich: Karolina Gerhardinger wurde als Oberin des von ihr gegründeten Ordens der Armen Schulschwestern zur Wegbereiterin für Generationen von Frauen, die durch bessere Bildung die Chance auf ein Leben abseits von Not und Elend bekamen. Karolina Gerhardinger kam am 20. Juni 1797 als einziges Kind des Schiffermeisters Willibald Gerhardinger und seiner Frau Maria Franziska in Stadtamhof, heute Stadtteil von Regensburg, zur Welt. Während der Vater beruflich viel unterwegs ist auf seinen Fahrten, kümmert sich die Mutter regelmäßig um Sieche im Spittal und weist auch keinen Bettler an der Haustüre ab. Karolina bekommt so von klein auf hautnah mit, was Barmherzigkeit bedeutet – eine Erfahrung, die ihr Leben entscheidend beeinflussen wird. Ist der Vater zu Hause, dann lauscht das Mädchen begierig, was er von der großen weiten Welt erzählt. Als seine Tochter 13 Jahre alt ist, erfüllt Willibald Gerhardinger ihr einen langersehnten Wunsch: Sie darf ihn auf einer seiner Fahrten nach Wien begleiten. Karolina verliert dabei schnell die Scheu vor Fremden, sie ist neugierig und geht offen auf die Menschen zu, was ihr später ihre Arbeit mehr als erleichtern wird. Die Schule besucht sie bei den Schwestern von Notre- Dame, die in Stadtamhof ein Kloster betreiben. Was die fleißige und begabte Schülerin damals nicht ahnen kann: Im Vergleich zum Großteil der Kinder im Bayern des beginnenden 19. Jahrhunderts ist der Besuch einer guten Erziehungseinrichtung ein Privileg, denn vor allem in den Dorfschulen lernen die Sprösslinge nicht viel mehr als den Katechismus herunterleiern und vielleicht noch ihren Namen zu schreiben. Und die wenigen Bildungseinrichtungen, die einen qualitativ hochwertigeren Unterricht anbieten, werden dann auch noch aufgelöst, denn dabei handelt es sich in der Regel um Klosterschulen, die im Zuge der Säkularisation ihre Pforten schließen müssen, wie 1809 auch die Schwestern in Notre-Dame in Stadtamhof. Die Lehrtätigkeit für die rund 120 Schülerinnen übernimmt daraufhin der örtliche Kaplan Maurer, dem zwei der älteren Mädchen, darunter Karolina, als Gehilfinnen zur Seite gestellt werden. Als die Schifferstocher kurz darauf ihr Abschlusszeugnis erhält, willigt sie auf Betreiben Maurers ein, sich zur Lehrerin ausbilden zu lassen, was damals bedeutete, dass die Kandidatinnen vor Ort den älteren Pädagogen über die Schulter schauen mussten.
Nach drei Jahren folgte dann eine Abschlussprüfung, die Karolina 1812 erfolgreich ablegt und sich nun »königliche Lehrerin« nennen darf – mit gerade mal 15 Jahren. Dompfarrer Georg Wittmann überträgt ihr und zwei weiteren ehemaligen Schülerinnen daraufhin offiziell die Leitung der Schule. Obwohl selbst noch blutjung, beweist Karolina, dass sie über einen außergewöhnlichen Weitblick verfügt. Mit Feuereifer macht sie sich daran, den Lehrplan umzukrempeln und die Mädchen vor allem praktisch in Handarbeiten und Haushaltsführung besser auszubilden, denn das sind Bereiche, in denen sich Frauen aus ärmeren Familien, die sonst kaum Chancen auf eine qualifizierte Tätigkeit haben, ihr eigenes Geld verdienen können. Innerhalb weniger Jahre stellt Karolina so eine Bildungseinrichtung auf die Beine, deren Ruf bald weit über die Grenzen Stadtamhofs hinaus bekannt ist.
Bei aller Anerkennung, die sie erhält, spürt sie jedoch bald, dass sie selbst auch noch der Anleitung und Führung bedarf und spekuliert mit dem Gedanken, in ein Kloster einzutreten. Unter Anleitung von Bischof Wittmann legt sich Karolina allerlei Beschränkungen auf, sie betet noch mehr als früher und erprobt sich in Demut und Gehorsam. Seinen Schützling in eine der von der Säkularisation nicht aufgelösten Ordensgemeinschaften ziehen zu lassen, ist allerdings nicht im Sinn von Wittmann: Er schlägt Karolina deshalb vor, ob sie sich nicht vorstellen könne, einen eigenen Orden zu gründen und sich der Erziehung von Mädchen zu widmen. König Ludwig I., der 1825 seinem Vater Max I. Joseph auf dem Thron gefolgt war, erlaubte damals die Wiedereinrichtung von Orden, vor allem, wenn diese sich sozialen oder karitativen Aufgaben widmeten. 1834 erhält Karolina Gerhardinger schließlich die königliche Bewilligung, in Neunburg vorm Wald eine klösterliche Gemeinschaft zu gründen. Neunburg als Standort war vom Wiener Hofkaplan Franz Sebastian Job ins Spiel gebracht worden. Der Beichtvater der aus Bayern stammenden österreichischen Kaiserin Caroline war ein guter Freund Bischof Wittmanns und hatte von Karolinas Vorhaben erfahren. Da der Magistrat von Stadtamhof sich geweigert hatte, eine Klostergründung finanziell zu unterstützen, nahm Karolina das Angebot Jobs an und zog mit zwei Gleichgesinnten nach Neunburg. Ein Jahr später legte sie dann ihre Professur ab und nahm den Ordensnamen Maria Theresia von Jesus an, wobei sie auch gleichzeitig zur Oberin des neugegründeten Instituts Mutter Theresia ernannt wurde.
Die päpstliche Approbation, der »Armen Schulschwestern« oder »Gerhardinger-Schwestern«, wie der Orden im Volksmund auch genannt wurde, erfolgte 1865. Die zunächst kleine Klostergemeinschaft war da schon längst den Kinderschuhen entwachsen und hatte nicht nur 1843 das eigene Mutterhaus nach München verlegt, sondern in den folgenden Jahren auch weitere Einrichtungen, darunter auch etliche im Ausland, gegründet. 1845 ließ ein gewisser Gottlieb von Schröter, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, katholische Siedler nach Amerika zu bringen, dann sogar bei König Ludwig I. anfragen, ob die Schulschwestern nicht auch in den Vereinigten Staaten in Orten mit deutschstämmigen Auswanderern Schulen einrichten könnten. Der bayerische Herrscher musste sich nicht lange überzeugen lassen, schließlich hatte er 1838 auf Bitten des deutschstämmigen und nun in Amerika tätigen Bischofs Friedrich Freese schon den Ludwig-Missions-Verein gegründet, der die Einrichtung von katholischen Institutionen in Übersee finanziell unterstützte.
Nachdem auch Karolina Gerhardinger zugestimmt hatte, nach Amerika zu expandieren, brach sie im Sommer 1847 mit fünf Schwestern, die in Amerika bleiben sollten, von München auf, um in Bremen an Bord des brandneuen Dampfers »Washington« zu gehen mit Ziel New York. Als Schifferstochter waren der Mutter Oberin Reisen auf dem Wasser ja nicht fremd, doch eine Atlantiküberquerung präsentierte sich dann doch etwas anders als eine Plättenfahrt auf der Donau: Wie Spielzeug sei das Schiff von den Wellen hin- und hergeworfen worden und sie selbst sei so seekrank gewesen, »dass nicht ein Tropfen Wasser in mir bleiben wollte«, schildert sie per Post aus New York. Als sie sich nach der Ankunft wieder einigermaßen von den Reisestrapazen erholt hatte, kommt schon das nächste Problem auf sie zu: Von Schröter – im Hauptberuf Historienmaler und offenbar eine etwas zwielichtige Existenz – hatte in München noch volltönig verkündet, dass der geplante Ort für ein Mutterhaus, St. Marys in Pennsylvania, eine prosperierende Stadt sei, deren Einwohner nur darauf warteten, die Schwestern zu unterstützen. Doch der Obere der amerikanischen Redemptoristen, Jakob Neumann, ein gebürtiger Böhme, der sich in New York um die Frauen aus Bayern kümmerte, warnte Karolina, dass von Schröter nicht über den Weg zu trauen sei – was sich dann leider auch bewahrheiten sollte. Und das war noch lange nicht die einzige Katastrophe, die die Reisegruppe erwartete: Auf der Fahrt von New York nach St. Mary klagte die Novizin Emanuela Breitenbach über Unwohlsein.
Bei der Ankunft in Harrisburg, wo die Frauen übernachten wollten, erlitt die junge Frau dann einen Kreislaufkollaps und starb wenige Stunden später. Karolina blieb nichts anderes übrig, als ihren Schützling an Ort und Stelle zu beerdigen und die Reise fortzusetzen, die in der Wildnis Pennsylvaniens von Meile zu Meile abenteuerlicher wurde. Am Maria Himmelfahrtstag erreichten die fünf Schwestern dann völlig erschöpft ihr Ziel, um erschreckt festzustellen, dass Pfarrer Neumann nicht übertrieben hatte: Die angebliche Stadt St. Mary – die deutschen Siedler nannten sie St. Marien – war nichts weiter als ein Kaff mit einigen verstreuten Blockhütten, denen es dann auch noch an der grundlegenden Einrichtung fehlte: In der für die Schwestern bestimmten Behausung gab es weder einen Ofen noch Stuhl oder Bett. Für Karolina Gerhardinger war angesichts dieser Verhältnisse schnell klar, dass sie hier kein Mutterhaus eröffnen würde.
Zwei Tage nach ihrer Ankunft in St. Marys nahm die 50-Jährige die erneuten Strapazen der mühseligen Reise durch die Wälder auf sich, um beim Bischof in Pittsburgh vorstellig zu werden, ob er ihr nicht dabei helfen könnte, in seiner Stadt eine Zweigstelle der Schulschwestern zu gründen. Doch der Empfang gestaltete sich mehr als frostig, denn die Exzellenz nahm es der Frau aus Bayern übel, dass sie auf Einladung eines Nicht- Geistlichen – Gottlieb von Schröter – nach Amerika gekommen war. Die Mutter Oberin reiste daraufhin weiter nach Baltimore in Maryland, doch der dortige Erzbischof ließ sie ebenfalls abblitzen. Zum Glück für Karolina gab es hier aber ein Kloster der Redemptoristen, die der Ordensschwester aus Bayern nun zu Hilfe kamen und ihr nicht nur eines ihrer Gebäude zum Verkauf anboten, sondern auch den Erzbischof soweit brachten, dass er die Errichtung von Lehranstalten durch die Schulschwestern plötzlich als ausgezeichnete Idee ansah. Allerdings bestand nun noch das große Problem, wer die Finanzierung in Höhe von 45 000 Gulden übernehmen sollte, denn von Schröter hatte zu allem Ungemach nun auch noch erklärt, dass das ihm vom Ludwig-Missionverein anvertraute Geld längst von den Reisekosten verschlungen worden sei. Karolina Gerhardinger war sich zwar sicher, dass das nicht stimmen könne, doch das nützte ihr im Moment auch nichts. Schweren Herzens schrieb sie in dieser Situation an den bayerischen König, ob er nicht vielleicht noch einmal Geld locker machen könnte. Ludwig I. ließ seine Untertanin im fernen Amerika zum Glück nicht im Stich: 15 000 Gulden steuerte er sofort aus seiner Privatkasse zu und beauftragte darüber hinaus den Ludwig-Missionsverein, die restlichen 30 000 Gulden abzudecken. Das Mutterhaus der »School Sisters of Notre Dame«, kurz SSND, wie der Orden heute noch außerhalb des deutschsprachigen Raums genannt wird, war damit gesichert und bald sollten zahlreiche weitere Einrichtungen in Amerika folgen, darunter sogar Hochschulen.
Nachdem das Geld aus Bayern und darüber hinaus noch elf Schwestern als Verstärkung im Frühjahr 1848 in der Neuen Welt eingetroffen waren, konnte Karolina Gerhardinger dann langsam an ihre Heimkehr denken. Eine letzte anstrengende Aufgabe in Amerika stand ihr allerdings noch bevor: Innerhalb von fünf Wochen absolvierte die tatkräftige Oberin eine gut 4000 Kilometer lange Tour, die sie über Cleveland nach Chicago, Milwaukee, Detroit, Buffalo, New York und Philadelphia wieder nach Baltimore führte, um in den besuchten Orten mit den dortigen Amts- und Würdenträgern die Einrichtung neuer bzw. die Übernahme bereits existierender Schulen zu besprechen. Am 20. Juli 1848 schiffte sich Karolina schließlich in New York ein, um als einzige der vor einem Jahr aufgebrochenen Schwestern nach Hause zurückzukehren. Am 9. August klingelte eine körperlich sichtlich gealterte, aber im Geist von ihrem Missionserfolg beseelte Mutter Oberin an der Tür des Münchner Angerklosters. Dort erhielt sie im November 1848 überraschend Besuch von ihrem königlichen Wohltäter, der während Karolinas Abwesenheit seine Krone hatte ablegen müssen. Ludwig I. dankte Karolina Gerhardinger bei diesem Treffen persönlich für ihr Lebenswerk – und untermauerte seine Wertschätzung mit einer Spende von 5000 Gulden. Auch sein Sohn, König Maximilian II., unterstützte den Orden weiter, wobei er unter anderem veranlasste, dass ein ministerieller Erlass erging, dass die Gerhardinger-Schwestern wo möglich von den staatlichen Behörden unterstützt werden sollten, da sie einen wichtigen Beitrag für die Bildung des bayerischen Volkes leisteten.
Die Mutter Oberin sollte selbst noch lange Gelegenheit haben, sich an den Früchten ihrer Tätigkeit zu erfreuen. Am 9. Mai 1879 starb die Gründerin der Armen Schulschwestern im Alter von 82 Jahren nach längerem Leiden. Zum Zeitpunkt ihres Todes betrieb ihr Orden bereits 300 Einrichtungen in Europa und Übersee und ihr Werk blüht bis heute fort: Knapp 3000 Schulschwestern kümmern sich derzeit noch weltweit um die Erziehung junger Mädchen. Karolina Gerhardinger erfuhr dann posthum noch eine ganz besondere Ehrung ihres Werks: Am 17. November 1985 sprach sie Papst Johannes Paul II. selig.
Susanne Mittermaier
12/2017