Jahrgang 2007 Nummer 37

Die Bavaria, die Siegesgöttin über dem Oktoberfest

Entstehung des größtes Volksfestes der Welt und zu den die Wies’n umgebenden Denkmälern

Die Bavaria hält den Siegeskranz mit der Rechten in die Höhe

Die Bavaria hält den Siegeskranz mit der Rechten in die Höhe
In der Ruhmeshalle sind die Büsten berühmter Persönlichkeiten der bayerischen Geschichte ausgestellt.

In der Ruhmeshalle sind die Büsten berühmter Persönlichkeiten der bayerischen Geschichte ausgestellt.
Die Bavaria mit der Ruhmeshalle im Hintergrund

Die Bavaria mit der Ruhmeshalle im Hintergrund
Am 22. September beginnt in München mit dem Oktoberfest die fünfte Jahreszeit. Wenn der Oberbürgermeister mit dem Ruf »Ozapft is« mit möglichst nur einem Schlag das erste Fass Wiesenbier anzapft, dann ist mit der Wies’n nicht nur für die Münchner sondern auch für viele Besucher aus dem Um- und Ausland das größte Volksfest der Welt eröffnet.

Wenn sich nun auch Leser aus dem Chiemgau, vielleicht einem jährlichen Traditionsbewusstsein verbunden, einen Besuch des diesjährigen Oktoberfestes vornehmen, sollen ihnen einige Gedanken zur Entstehung des Festes und zur Bavaria mitgegeben werden, die auf der Theresienhöhe als bayerische Symbolgestalt auf das ausgelassene Treiben am Oktoberfest herunterschaut.

Es ist schon so, wie mir ein Münchner dieser Tage sagte: »Die Wies’n ist schon lange nicht mehr das, was sie früher einmal war, ein gemütliches Volksfest, das für jeden etwas geboten hat.« Bilder von Besuchern, die zu vorgerückter Stunde grölend auf den Tischen tanzen und randalierende Jugendliche mögen für diese Ansicht sprechen. Aber das ist nur die eine Seite der Wies’n. Wer an einem sonnigen Nachmittag sich in einem der vor den großen Zelten aufgebauten Biergärten setzt, sich eine frische Maß einschenken lässt und eine zünftige Brotzeit bestellt, wird bald zu einer anderen, positiven Betrachtung der Wies’n kommen.

Da braucht man nur die Gesichter der Besucher zu betrachten, um ihre Vorfreude auf den Wies’n-Besuch nachzuempfinden. Da gehen den Kindern vor dem bunt glitzernden Karussell die Augen über. Der ältere Sohn hat sein Taschengeld für mehrere Fahrten mit den verlockenden High-Tech-Maschinen aufgespart. Die Szene wird von einer Geräuschkulisse beherrscht, in die sich die Musik der Fahrgeschäfte mit den kreischenden Mikrofonansagen der Geister- und Achterbahn, der Karussells und einer Ponyreitschule mischen.

Zu dieser melodischen kommt noch eine von geradezu berauschenden Düften getragene Komponente. Da duftet es nach gebratenen Mandeln, Bratwurst und Hähnchen. »Saure Wochen, frohe Feste,« das scheint die Menschen an diesem frühen Nachmittag hierher getrieben zu haben, um sich in aller Ruhe und Beschaulichkeit diesem mit der Weltstadt München verbundenen Volksfest hinzugeben.

Kehren wir noch einmal zu dem Bier und Brotzeit genießenden Wies’n- Besucher zurück. Dann mag sich dieser neben den allgemeinen, das Oktoberfest betreffenden Gedanken auch mit der Frage nach dem Namen und der Entstehung des Festes beschäftigen. Da trifft es sich gut, dass sein Nachbar, ein gebürtiger Münchner und pensionierter Geschichtslehrer noch dazu gerne bereit ist, einiges dazu zu erzählen weiß.

»Die Wies’n,« so berichtet er, »hat ihren Ursprung der Hochzeit des Kronprinzen Ludwig mit der Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahre 1810 zu verdanken. Der Bräutigam war der spätere König Ludwig I., der sich in München mit zahlreichen Prachtbauten verewigt hat. Am Anfang der nach ihm benannten Ludwigstraße steht der König als Denkmal in der Pose eines römischen Feldherrn. Griechischem Stil nachempfundene Bauwerke zieren nicht nur den Königsplatz in München sondern hoch über der Donau in der Befreiungshalle und der Walhalla auch die bayerische Landschaft.

Mag sich auch der Ruhm des Königs in seinen Bauwerken erhalten haben, in seiner Ehe war der König alles andere als ein Vorbild für seine Untertanen. In Italien unterhielt Ludwig I. nicht nur künstlerisch ausgerichtete Beziehungen. Für seine Leidenschaft zu weiblichen Schönheiten ist die Schönheitsgalerie im Schloss Nymphenburg ein beredtes Zeugnis. Und Lola Montez, die nur angeblich spanische Tänzerin, war 1848 Anlass zu einem Aufstand von Bürgern und Studenten, der schließlich die Abdankung König Ludwigs I. zur Folge hatte.

An diesen nicht gerade glücklichen Verlauf der königlichen Ehe hat bei der Hochzeit 1810 noch niemand gedacht. Zu den im Anschluss an die Hochzeit veranstalteten Festlichkeiten gehörte auch ein Pferderennen auf der Wiese im Süden der Stadt, dem später eine landwirtschaftliche Ausstellung folgte. Die nach der königlichen Braut benannte Theresienweise behielt den Namen bis heute bei. Aus dem Landwirtschaftsfest wurde das Oktoberfest, das zum größten Volksfest der Welt geworden ist.

Noch als König, rund 40 Jahre später, erinnerte sich Ludwig an die Theresienwiese draußen vor der Stadt, als er Leo von Klenze beauftragte, hier eine Ruhmeshalle für die bedeutendsten Persönlichkeiten der bayerischen Geschichte zu errichten. In der Mitte dieser Ruhmeshalle hatte der König den Platz für die Bavaria vorgesehen, die als Idealfigur Volk und Land Bayern symbolisieren sollte. Dem König, der auch in seinen »griechischen« Bauwerken auf eine symbolträchtige Aussage Wert legte, war die Bavaria als Symbolfigur für sein Königreich ein persönliches Anliegen. Da sie auch heute noch auf das Oktoberfest herunterschaut und es freundlich zu bewachen und zu behüten scheint, sei dem seiner Zeit als technisches Wunder geltenden Denkmal eine nähere Betrachtung angefügt.

König Ludwig I. hatte im Mai 1837 dem Bildhauer Ludwig von Schwanthaler den Auftrag erteilt, das Modell einer Monumentalstatue zu gestalten, die als Bavaria an Glanz und Würde alles bisher Bekannte übertreffen und ein Symbol für das Land und das in seiner Tradition verwurzelte bayerische Volk werden sollte. Den Entwurf für die Statue hat, ebenfalls im Auftrag des Königs, Leo von Klenze gefertigt. Die Zeichnung Klenzes zeigt »eine Dame, kniefrei, die sich mit der Rechten auf eine Hermesstele stützt und mit der Linken einem offensichtlich vor ihr Knienden den Lorbeerkranz reicht.« Leo von Klenze, der den Königsplatz in München mit seinen antiken Bauten gestaltet hat, war ganz der Antike zugetan, was auch im Entwurf für die Bavaria deutlich wird.

Ludwig von Schwanthaler schien von diesem Entwurf nicht besonders begeistert gewesen zu sein und formte sein Modell mit Zügen einer kämpferischen Germanin. Und so steht sie auch heute noch vor uns. Von dem mit einem Lorbeerkranz bedeckten Haupt fließt das Haar in breiten Strähnen über ihren Rücken und bedeckt noch zum Teil das einer Schürze ähnliche Bärenfell. In der Rechten hält sie das Schwert und in der empor gestreckten Linken den Siegeskranz aus Eichenlaub. Zu ihren Füßen thront der Löwe, das bayerische Wappentier. So symbolisiert die Bavaria die ruhmreichen Eigenschaften Bayerns, das sich mit dem Schwert seiner Feinde erwehren kann, dem die Kraft und Stärke eines Löwen eigen ist und das mit dem über allem erhobenem Eichenlaubkranz ein Zeichen für die unverbrüchliche Treue zu seinem Volk und zu seiner Geschichte setzt.

Die Bavaria steht, ihrer überragenden, symbolischen Bedeutung gemäß, auf einem Sockel, zu dem eine Freitreppe empor führt. Die Statue ist der Mittelpunkt der Ruhmeshalle, die Leo von Klenze 1843 bis 1853 erbaut und einem griechischen Tempel nachempfunden hat. Auf Sockeln an der Wand der Ruhmeshalle stehen die Büsten von 77 bedeutenden Persönlichkeiten der bayerischen Geschichte. Leo von Klenze diente dabei die von ihm gestaltete Walhalla bei Regensburg als Vorbild, die Ludwig I. ebenfalls den »rühmlich ausgezeichneten Teutschen« gewidmet hat.

Mit der Bavaria ist Schwanthaler eine in sich geschlossene, ihrer Umgebung angepasste Monumentalplastik gelungen, die in Haltung und Gestik ganz der vorgegebenen Idee einer Idealfigur für Bayern gerecht wird. Kein Wunder also, dass sie in manchen Reiseführern als »Siegesgöttin« angesehen wird. Für die königliche Erzgießerei unter der Leitung von Johann Baptist Stiglmaier und nach dessen Tod von Ferdinand Miller stellte das Projekt eine zunächst schier unlösbar scheinende Herausforderung dar. Noch niemals war irgendwo auf der Welt eine Statue aus Erz in dieser Dimension gegossen worden.

Die Gussform für die Figur bestand aus einem Mantel, einem Gussraum und dem Kern, auf dem die Form der Bavaria herausmodelliert wurde. Die Bronze wurde in dem Zwischenraum zwischen Mantel und Kern gegossen. Nach dem Entfernen des Mantels kam der Kopf der Bavaria ans Tageslicht. Die Statue wurde in vier Einzelteilen gegossen, die dann später zusammengefügt wurden. Das Material war eine Zinnbronze-Legierung, zu der auch das Erz türkischer Kanonen von der Schlacht von Navarino vom 20. Oktober 1827 beigemischt wurde.

Der nach dem Ausgießen der Hohlform verbliebene Innenraum ermöglicht Besuchern heute noch, die Bavaria im Inneren über eine Treppe zu besteigen. In einem engen, steil nach oben führenden Gang schinden wir uns durch den ehernen Leib der Riesendame bis in ihr edles Haupt, im Sommer ein anstrengendes und schweißtreibendes Unternehmen. Aus ihren Augen blicken wir über die Theresienwiese bis hin zur Silhouette von München.

Die Vollendung des Werkes wurde den romantischen Vorstellungen des Königs entsprechend feierlich zelebriert. Der König war anwesend, als der Kopf der Bavaria aus der Sandgrube gehoben wurde. »Männergesang aus dem erzenen Frauenkopf begrüßte den König. Die Sänger entstiegen dem monumentalen Haupt.« Anschließend wurde die Bavaria in einem Triumphzug von der Gießerei in der Erzgießereistraße zur Theresienwiese gefahren. Das Ereignis wurde in einer Fotoreportage festgehalten. Die noch erhaltenen Fotos sind ein historisches Zeugnis der damals noch in den Kinderschuhen steckenden Fotografie.

Die Dame bringt das stattliche Gewicht von 1560 Zentnern auf die Waage. Den Siegeskranz hält sie 18,50 Meter über dem Boden. Allein für ihr edles Haupt wurden 350 Zentner Erz eingeschmolzen. Die Kosten in Höhe von 286 346 Gulden für die Statue und 13 784 Gulden für das Grundstück hat König Ludwig I. aus seiner Privatschatulle getragen. Für Ludwig I., der 1848 wegen der Affäre um Lola Montez abdanken musste, war dies eine beachtliche Summe. Ludwig I. hat in München in der Straße, die seinen Namen trägt, mit dem Königsplatz und nicht zuletzt mit der Bavaria Denkmäler hinterlassen, die sein Angedenken bis heute in Ehren halten.

Dieter Dörfler

Benutzte Literatur: Hans F. Nöhbauer »Die Chronik Bayern« S. 334



37/2007