Die Bajuwaren vom Waginger See
Ein Besuch im Bajuwaren Museum erinnert an das Leben unserer Vorfahren

Geborgenes Skelett eines Bajuwaren

Grabbeigaben für Bajuwaren

Die Fibel, ein beliebter Kleiderschmuck der Bajuwaren
Heute besuchen wir das Bajuwaren Museum in Waging am See. Das Land um den Waginger See ist geprägt von den beiden Seen, dem Waginger und dem Tachinger See, die in die sanfte Hügellandschaft des bayerischen Voralpenlandes eingebunden sind. Im Süden schließen die Berchtesgadener und die Chiemgauer Alpen die Szene als eindrucksvolle Kulisse ab.
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass man einen Besuch in Waging eher mit Bergwandern, einer Radtour auf ebenen Straßen oder einem Badevergnügen im See als mit einem Museumsbesuch verbinden mag. Das Bajuwaren Museum steht aber durchaus nicht im Gegensatz zu den touristischen Angeboten in Waging. In der Ortsmitte gelegen, ist das Museum mit dem Verkehrsbüro verbunden. Der Urlauber, der sich dort über Fremdenzimmer und Ausflugsmöglichkeiten erkundigt, findet im ersten Stock kein Museum im üblichen Sinn, das sich auf theoretische Belehrungen beschränkt. In einem hellen Raum, unter einer Lichtkuppel laden Bilder und archäologische Fundstücke zu einem Ausflug in die Welt unserer Vorfahren, der Bajuwaren, ein. Schmuck, Waffen und Gebrauchsgegenstände aus den Waginger Reihengräbern sind ihren virtuellen Trägern so beigegeben, wie sie diese zu Lebzeiten getragen hatten. Bevor wir uns die Ausstellungstücke des Museums näher anschauen, sehen wir uns in Waging etwas näher um. Waging am See ist ein typisch alpenländischer Ort. Die breite, platzähnliche Ortsstraße wird von Häusern eingerahmt, die mit ihrer breiten Schauseite, mit blumengeschmückten Balkonen etwas vom Stolz ihrer Besitzer verraten. Die barocke Kirche beherrscht mit ihrem Zwiebelturm das Zentrum des Ortes. Alles passt hier zueinander und ist zum Lebensraum eines bodenständig verwurzelten Volkes geworden, dessen bajuwarische Vorfahren in Kunst und Kultur eine hohe Entwicklungsstufe erreicht hatten.
Als 1987/88 die Reihengräberfelder westlich des Waginger Friedhofes entdeckt und archäologisch ausgewertet wurden, war klar, dass zu diesem Friedhof der Bajuwaren eine entsprechende Siedlung gehört haben musste. Da archäologische Luftbildaufnahmen keinen erkennbaren anderen Standort ergaben, lag die Vermutung nahe, dass das bajuwarische Waging noch unter dem Boden des heutigen Ortes verborgen liegt. Die Waginger haben ihre Häuser über der Wohnstatt ihrer Vorfahren gebaut.
Wer waren nun die Bajuwaren, über deren Herkunft und Lebensweise kein Geschichtsschreiber berichtet? Die erste Erwähnung der Bajuwaren finden wir beim gotischen Geschichtsschreiber Jordanes um 551 n. Chr. Etwa um die gleiche Zeit 565 schreibt der römische Autor Venatius Fortunatus über seine Reise von Augsburg nach Süden. »Wenn der Weg frei ist und der Baier Dich nicht hindert ... so ziehe weiter über die Alpen.« Diese Feststellung der Existenz der Baiern im 6. Jahrhundert, die mit den Bajuwaren gleichgesetzt werden, gibt freilich noch keine Erklärung über deren Herkunft. Aus dem Wortgebilde »Bajuwaren«, in dem das lateinische Wort »viri« Männer steckt, glaubte man bisher, die Bajuwaren mit den keltischen Boiern identifizieren zu können. Diese These ist wieder aufgegeben worden. Nunmehr geht man davon aus, dass die; »Männer aus Böhmen« ein eigenständiger, im Gebiet des heutigen Tschechien, in Baia, siedelnder Volksstamm waren, der Anfang des 6. Jahrhunderts nach Osten zog und im Gebiet zwischen Donau und Alpen einen neuen Siedlungsraum fand.
Das Land südlich der Donau gehörte zur römischen Provinz Raetien. Als der Germane Odovaker 476 den letzten römischen Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt hatte, begann mit dem Zerfall des römischen Reiches auch der Abzug der römischen Besatzer in Raetien. Dieser vollzog sich allerdings nicht schlagartig, sondern war in einem längeren Prozess eingebunden. Der römische Legionär Marcus Tullus hatte schon vor Jahren eine Bajuwarin geheiratet. Er dachte natürlich nicht daran, Frau und Kinder zu verlassen, um in Rom einer höchst unsicheren Zukunft entgegenzusehen. So blieb er bei seiner Familie und führte in Waging, oder wie immer der Ort lateinisch geheißen haben mag, ein zufriedenes Leben. So wie Marcus Tullus haben es viele römische Legionäre gehalten. Es kam zu einer völkischen Mischung zwischen den hier verbliebenen Römer, Kelten und den Bajuwaren, denen sich noch andere, in der Völkerwanderung einbezogene Volksgruppen angeschlossen haben. Die Stammesbildung der Bajuwaren ist ein komplexes Geschehen, das bis heute noch nicht vollständig gelöst ist.
Dazu sind in ersten Linie die Langobarden zu rechnen, die im 6. Jahrhundert im Siedlungsraum der Bajuwaren vorübergehend eine Heimstatt gefunden haben. Der Leser mag es dem Autor nachsehen, dass er der Herkunft der Bajuwaren einen so breiten Raum eingeräumt hat. Diese Grundlage dürften aber zum Verständnis der archäologischen Erkenntnisse von der Besiedlung des Waginger Raumes hilfreich sein.
Wenden wir uns nun wieder dem Museum zu. In der dritten Abteilung finden wir archäologisch gesicherte Hinterlassenschaften aus dem römischen Waging. Neben Münzen und Gefäßen aus Keramik fand man 1956 die Grundmauern eines römischen Guthofes, einer »villa rustica«, die auf eine dichte Besiedlung dieses Gebietes etwa seit 15 v. Chr. schließen lässt. In Möckenlohe bei Ingolstadt wurde das Hauptgebäude einer »villa rustica« rekonstruiert. Das Foto der »villa rustica« in Möckenlohe vermittelt eine Vorstellung davon, wie auch die »villa rustica« von Waging ausgesehen haben mag.
Die Auffindung der Reihengräber 1987/88 war eine echte Sensation. 240 Gräber konnten archäologisch erfasst werden. Der Gesamtumfang des Gräberfeldes wurde auf 400 Gräber geschätzt. Die Grabbeigaben waren schon früher begehrte Objekte von Grabräubern. Wurden im benachbarten Gräberfeld von Petting mehr als die Hälfte der Gräber von Grabräubern heimgesucht, so wurden die Waginger Gräber weitgehend verschont und nur zu einem Anteil von 7 % ausgeraubt.
Die den Toten beigegebenen Gegenstände, der Schmuck der Frauen und die Waffen der Männer, sind Zeugnissee für die Lebensweise, Kultur und Religion der Bajuwaren. Vor allem sind sie ein Beweis dafür, dass die Bajuwaren an ein Fortleben nach dem Tode glaubten. So entsprach es der Sitte der Bajuwaren, das Schwert auch ins Grab mitzunehmen, um im Jenseits für alle Fälle gerüstet zu sein. Der Sax, ein kurzes, einschneidiges Schwert, und die Spatha, ein großes, zweischneidiges Schwert, waren die bei den Bajuwaren gebräuchlichen Waffen. An seinem Gürtel trug der Bajuware Schmuck in Form von herabhängenden Gürtelbeschlägen, die auch noch im Jenseits seine soziale Rolle bestätigen sollten, die er in diesem Leben spielte. Die Frau, die mit ihrem Schmuck aus Glasperlen, Halbedelsteinen und Bernstein ihre geachtete Stellung in dieser Gesellschaft auch noch dort drüben weiterhin wahrzunehmen gedachte, war bestrebt, durch ihre Amulette und die ihre Mutterrolle bezeichnenden Symbole ihre weibliche Identität hinüberzuretten. In der fünften Abteilung des Museums blicken wir auf das Skelett eines Bajuware, dessen archäologische Bergung anschaulich demonstriert wird. Die Werkzeuge geben einen Einblick in die Arbeit der Archäologen. »Es dauert etwa 4 Stunden, bis ein Skelett freigelegt, vermessen, gezeichnet und geborgen ist.« (Museumsführer) Das Skelett eines Bajuwaren mag den Betrachter auch zu der Überlegung anregen, neben der sachlichen Information über die Arbeit der Archäologen auch noch über die Vergänglichkeit alles Irdischen und über die Würde nachzudenken, die auch einem Toten noch zukommt. Der vor etwa eineinhalb Jahrtausend geborene Bajuware hat in dieser Welt Höhen und Tiefen durchlebt und ist in der Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tode gestorben.
Bilder von Historienmalern unterstützen im Waginger Museum die Phantasie der Besucher in der Betrachtung darüber, wie sich das Leben der Bajuwaren gestaltet haben mag. Da sehen wir eine Bajuwarin bei ihrer Arbeit am Webstuhl. Wir erleben in einem anderen Bild den Einzug der Langobarden um 530 bis 540 n. Chr. in das Land der Bajuware am Waginger See. Wenn wir diese Bilder als Illusion einer möglichen historischen Szene begreifen und sie nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hinterfragen, sind sie für das Begreifen des historischen Hintergrundes sicher hilfreich. Die Bilder sind vor allem dazu angetan, Schülern Geschichte als interessante und nachvollziehbare Materie näher zu bringen.
In der nächsten Abteilung werden uns besonders eindrucksvolle Gebrauchsgegenstände von Frauen und Männern präsentiert, die in ihrem Leben eine besondere Rolle spielten und die sie im Jenseits nicht missen wollten. Der auffälligste Schmuck der Bajuwarin war die Fibel, die ähnlich wie eine Sicherheitsnadel das Kleid im Brustbereich zusammenhielt. Nun ist die Funktionalität eines zur alltäglichen Kleidung notwendigen Gegenstandes das Eine, seine kunstvolle Verzierung das Andere.
Die ausgestellten bajuwarischen Fibeln sind Kunstwerke, deren Verzierungen einen zeitlos gültigen Geschmack erkennen lassen. Die Frage von Schülern, wie die Bajuwaren die Fibeln handwerklich hergestellt haben, kann an einem Modell im Museum eindrucksvoll demonstriert werden. Die Harmonie der meist bandförmig den Fibeln aufgeprägten Zierformen würden auch heute noch auf einer Brosche oder einem Armband als Kunst akzeptiert werden. Vielleicht ist der Schmuck in der Art bajuwarischer Fibeln gerade heute wieder modern, weil sich die Kunst unserer Gegenwart mit der Findung neuer, gültiger Formen nicht gerade leicht tut. Die als Repliken im Museum angebotenen Fibeln sind aus dieser Sicht übrigens ein durchaus originelles Urlaubssouvenir. Neben den Fibeln fanden sich in den Frauengräbern auch Ketten und Einzelteile aus Glas und Bernstein. Offensichtlich waren für die Bajuwaren Glas und Bernstein von höchstem Wert. Einen mit magischer Wirkung ausgestatteten Bernstein, dessen Herkunft unbekannt war, trug die Bajuwarin als Zeichen ihrer hohen, sozialen Wertschätzung. Ein im Grab 162 gefundenes goldenes Ohrringpaar dürfte wohl auch in der Welt der Bajuwaren als ein besonderes Schmuckstück angesehen worden sein. Das Streben der Menschen nach Gold ist ein zeitloses, archetypisches Phänomen. »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.« Faust I
Wenden wir uns nun den Gräbern der männlichen Bajuwaren im Museum zu. Der Bajuware nimmt nicht nur seine Waffen, Spatha und Sax, ins Jenseits mit. An seinem Gürtel entdecken wir latzförmige Anhänger mit eingravierten Zierformen. Der ins Jenseits eintretende Bajuware ist nicht nur Kämpfer, sondern auch noch dem Schönen dieser und der erwarteten anderen Welt zugetan. Die Betrachtung dieser bajuwarischen Gürtelzier erinnert den Autor an das heute noch an der bayerischen Tracht gebräuchliche Charivari. Sicher gibt es für einen möglichen Zusammenhang beider Schmuckformen keinen gesicherten Beleg. Warum sollte sich der Besucher des Bajuwaren Museums aber nicht auch von phantasiereichen Betrachtungen leiten lassen? An ihrer Kleidung trug die bajuwarische Frau an Lederriemen aneinander gereihte Gegenstände, die sie täglich im Gebrauch hatte, wie Kämme, Messer und Scheren. Eine sogenannte Spinnwirtel erlaubt es, die Trägerin als Weberin anzusehen. Besonders interessant sind die vielfach gestalteten Amulette, die zu Lebzeiten ebenso wie im Jenseits der Abwehr böser Mächte dienten. Perlen waren Gesichter von Dämonen eingeritzt, mit denen diese wahrscheinlich gebannt oder ferngehalten werden sollten. »Tigerschnecken vom Roten Meer sollten vermutlich der Trägerin Fruchtbarkeit bescheren« (Handbuch der Landesausstellung »Die Bajuwaren« 1988 S. 246 ). Die Herkunft der Tigerschnecke lässt übrigens auf eine weitreichende Handelsbeziehung der Bajuwaren schließen.
Der fränkische Missionar Rupertus gründete auf den Ruinen des römischen Juvavum die Klöster St. Peter und Nonnberg und damit Salzburg. Um das Jahr 700 wurde das Gebiet um Waging in die von Salzburg ausgehende christlichen Mission einbezogen. Offensichtlich waren Grabbeigaben mit der neuen Lehre nun nicht mehr zu vereinbaren. Ab dieser Zeit fehlten sie in den bajuwarischen Gräbern. An ihre Stelle traten die den Kleidern der Toten angehefteten Kreuze aus dünnem Blattgold. Auf den Kreuzen sind deutlich die Züge eines Gesichtes zu erkennen. Ist es die Gestalt einer heidnische Gottheit? Oder ist es das Bild des neuen Christengottes? Vielleicht darf beides angenommen werden. Die Bajuwaren wollten ihren Verstorbenen, der herkömmlichen Tradition entsprechend, den Schutz der bisher verehrten Götter sichern, sie aber auch gleichzeitig dem Schutz des neuen Christengottes anvertrauen.
Das Modell eines bajuwarischen Dorfes in der Abteilung 12 des Museums soll dessen wahrscheinliches Aussehen veranschaulichen. Da, wie auch in Waging am See, die ursprünglichen Siedlungen der Bajuwaren von späterer Bebauung überdeckt worden oder landwirtschaftlicher Nutzung des Bodens zum Opfer gefallen sind, gestaltet sich die Spurensuche ganz allgemein schwierig. Aus Luftbildaufnahmen und Verdichtungen im Boden lassen sich Standort und Umfang bajuwarischer Behausung nachvollziehen. Wenn dazu noch ein wenig Phantasie hinzukommt, dann lässt sich ein Bajuwarendorf durchaus real rekonstruieren.
In der gemeinsamen Landesausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg 1988 wurde am Mattsee ein Bajuwarendorf aufgebaut. Ein Foto des Autors von dieser Ausstellung ist auch in diesem Rahmen von Interesse, weil beabsichtigt ist, auch in Waging am See ein Bajuwarenhaus zur Ergänzung des Bajuwaren Museums zu errichten. Behördliche Genehmigungen und die noch nicht entschiedene Standortwahl stehen derzeit dem Projekt noch entgegen.
So bietet das Bajuwaren Museum in Waging am See eine in Bayern seltene Gelegenheit, die Vorfahren der Bayern in ihrem Alltag auf Grund der uns überlieferten Grabbeigaben näher kennen zu lernen. Vieles ist aus ihrem Leben mangels schriftlicher Aufzeichnungen verloren gegangen. Umso mehr verdienen die erhaltenen Schätze der Archäologie unsere Aufmerksamkeit, weil nur ein seiner Vergangenheit bewusstes Volk seine Zukunft sinnvoll zu gestalten vermag.
Dieter Dörfler
Quellen: Ronald Knöchlein »Das Reihengräberfeld von Waging am See«. Museumsführer »Bajuwaren Museum«. Handbuch der Landesausstellung »Die Bajuwaren« 1988.
2/2007
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass man einen Besuch in Waging eher mit Bergwandern, einer Radtour auf ebenen Straßen oder einem Badevergnügen im See als mit einem Museumsbesuch verbinden mag. Das Bajuwaren Museum steht aber durchaus nicht im Gegensatz zu den touristischen Angeboten in Waging. In der Ortsmitte gelegen, ist das Museum mit dem Verkehrsbüro verbunden. Der Urlauber, der sich dort über Fremdenzimmer und Ausflugsmöglichkeiten erkundigt, findet im ersten Stock kein Museum im üblichen Sinn, das sich auf theoretische Belehrungen beschränkt. In einem hellen Raum, unter einer Lichtkuppel laden Bilder und archäologische Fundstücke zu einem Ausflug in die Welt unserer Vorfahren, der Bajuwaren, ein. Schmuck, Waffen und Gebrauchsgegenstände aus den Waginger Reihengräbern sind ihren virtuellen Trägern so beigegeben, wie sie diese zu Lebzeiten getragen hatten. Bevor wir uns die Ausstellungstücke des Museums näher anschauen, sehen wir uns in Waging etwas näher um. Waging am See ist ein typisch alpenländischer Ort. Die breite, platzähnliche Ortsstraße wird von Häusern eingerahmt, die mit ihrer breiten Schauseite, mit blumengeschmückten Balkonen etwas vom Stolz ihrer Besitzer verraten. Die barocke Kirche beherrscht mit ihrem Zwiebelturm das Zentrum des Ortes. Alles passt hier zueinander und ist zum Lebensraum eines bodenständig verwurzelten Volkes geworden, dessen bajuwarische Vorfahren in Kunst und Kultur eine hohe Entwicklungsstufe erreicht hatten.
Als 1987/88 die Reihengräberfelder westlich des Waginger Friedhofes entdeckt und archäologisch ausgewertet wurden, war klar, dass zu diesem Friedhof der Bajuwaren eine entsprechende Siedlung gehört haben musste. Da archäologische Luftbildaufnahmen keinen erkennbaren anderen Standort ergaben, lag die Vermutung nahe, dass das bajuwarische Waging noch unter dem Boden des heutigen Ortes verborgen liegt. Die Waginger haben ihre Häuser über der Wohnstatt ihrer Vorfahren gebaut.
Wer waren nun die Bajuwaren, über deren Herkunft und Lebensweise kein Geschichtsschreiber berichtet? Die erste Erwähnung der Bajuwaren finden wir beim gotischen Geschichtsschreiber Jordanes um 551 n. Chr. Etwa um die gleiche Zeit 565 schreibt der römische Autor Venatius Fortunatus über seine Reise von Augsburg nach Süden. »Wenn der Weg frei ist und der Baier Dich nicht hindert ... so ziehe weiter über die Alpen.« Diese Feststellung der Existenz der Baiern im 6. Jahrhundert, die mit den Bajuwaren gleichgesetzt werden, gibt freilich noch keine Erklärung über deren Herkunft. Aus dem Wortgebilde »Bajuwaren«, in dem das lateinische Wort »viri« Männer steckt, glaubte man bisher, die Bajuwaren mit den keltischen Boiern identifizieren zu können. Diese These ist wieder aufgegeben worden. Nunmehr geht man davon aus, dass die; »Männer aus Böhmen« ein eigenständiger, im Gebiet des heutigen Tschechien, in Baia, siedelnder Volksstamm waren, der Anfang des 6. Jahrhunderts nach Osten zog und im Gebiet zwischen Donau und Alpen einen neuen Siedlungsraum fand.
Das Land südlich der Donau gehörte zur römischen Provinz Raetien. Als der Germane Odovaker 476 den letzten römischen Kaiser Romulus Augustulus abgesetzt hatte, begann mit dem Zerfall des römischen Reiches auch der Abzug der römischen Besatzer in Raetien. Dieser vollzog sich allerdings nicht schlagartig, sondern war in einem längeren Prozess eingebunden. Der römische Legionär Marcus Tullus hatte schon vor Jahren eine Bajuwarin geheiratet. Er dachte natürlich nicht daran, Frau und Kinder zu verlassen, um in Rom einer höchst unsicheren Zukunft entgegenzusehen. So blieb er bei seiner Familie und führte in Waging, oder wie immer der Ort lateinisch geheißen haben mag, ein zufriedenes Leben. So wie Marcus Tullus haben es viele römische Legionäre gehalten. Es kam zu einer völkischen Mischung zwischen den hier verbliebenen Römer, Kelten und den Bajuwaren, denen sich noch andere, in der Völkerwanderung einbezogene Volksgruppen angeschlossen haben. Die Stammesbildung der Bajuwaren ist ein komplexes Geschehen, das bis heute noch nicht vollständig gelöst ist.
Dazu sind in ersten Linie die Langobarden zu rechnen, die im 6. Jahrhundert im Siedlungsraum der Bajuwaren vorübergehend eine Heimstatt gefunden haben. Der Leser mag es dem Autor nachsehen, dass er der Herkunft der Bajuwaren einen so breiten Raum eingeräumt hat. Diese Grundlage dürften aber zum Verständnis der archäologischen Erkenntnisse von der Besiedlung des Waginger Raumes hilfreich sein.
Wenden wir uns nun wieder dem Museum zu. In der dritten Abteilung finden wir archäologisch gesicherte Hinterlassenschaften aus dem römischen Waging. Neben Münzen und Gefäßen aus Keramik fand man 1956 die Grundmauern eines römischen Guthofes, einer »villa rustica«, die auf eine dichte Besiedlung dieses Gebietes etwa seit 15 v. Chr. schließen lässt. In Möckenlohe bei Ingolstadt wurde das Hauptgebäude einer »villa rustica« rekonstruiert. Das Foto der »villa rustica« in Möckenlohe vermittelt eine Vorstellung davon, wie auch die »villa rustica« von Waging ausgesehen haben mag.
Die Auffindung der Reihengräber 1987/88 war eine echte Sensation. 240 Gräber konnten archäologisch erfasst werden. Der Gesamtumfang des Gräberfeldes wurde auf 400 Gräber geschätzt. Die Grabbeigaben waren schon früher begehrte Objekte von Grabräubern. Wurden im benachbarten Gräberfeld von Petting mehr als die Hälfte der Gräber von Grabräubern heimgesucht, so wurden die Waginger Gräber weitgehend verschont und nur zu einem Anteil von 7 % ausgeraubt.
Die den Toten beigegebenen Gegenstände, der Schmuck der Frauen und die Waffen der Männer, sind Zeugnissee für die Lebensweise, Kultur und Religion der Bajuwaren. Vor allem sind sie ein Beweis dafür, dass die Bajuwaren an ein Fortleben nach dem Tode glaubten. So entsprach es der Sitte der Bajuwaren, das Schwert auch ins Grab mitzunehmen, um im Jenseits für alle Fälle gerüstet zu sein. Der Sax, ein kurzes, einschneidiges Schwert, und die Spatha, ein großes, zweischneidiges Schwert, waren die bei den Bajuwaren gebräuchlichen Waffen. An seinem Gürtel trug der Bajuware Schmuck in Form von herabhängenden Gürtelbeschlägen, die auch noch im Jenseits seine soziale Rolle bestätigen sollten, die er in diesem Leben spielte. Die Frau, die mit ihrem Schmuck aus Glasperlen, Halbedelsteinen und Bernstein ihre geachtete Stellung in dieser Gesellschaft auch noch dort drüben weiterhin wahrzunehmen gedachte, war bestrebt, durch ihre Amulette und die ihre Mutterrolle bezeichnenden Symbole ihre weibliche Identität hinüberzuretten. In der fünften Abteilung des Museums blicken wir auf das Skelett eines Bajuware, dessen archäologische Bergung anschaulich demonstriert wird. Die Werkzeuge geben einen Einblick in die Arbeit der Archäologen. »Es dauert etwa 4 Stunden, bis ein Skelett freigelegt, vermessen, gezeichnet und geborgen ist.« (Museumsführer) Das Skelett eines Bajuwaren mag den Betrachter auch zu der Überlegung anregen, neben der sachlichen Information über die Arbeit der Archäologen auch noch über die Vergänglichkeit alles Irdischen und über die Würde nachzudenken, die auch einem Toten noch zukommt. Der vor etwa eineinhalb Jahrtausend geborene Bajuware hat in dieser Welt Höhen und Tiefen durchlebt und ist in der Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tode gestorben.
Bilder von Historienmalern unterstützen im Waginger Museum die Phantasie der Besucher in der Betrachtung darüber, wie sich das Leben der Bajuwaren gestaltet haben mag. Da sehen wir eine Bajuwarin bei ihrer Arbeit am Webstuhl. Wir erleben in einem anderen Bild den Einzug der Langobarden um 530 bis 540 n. Chr. in das Land der Bajuware am Waginger See. Wenn wir diese Bilder als Illusion einer möglichen historischen Szene begreifen und sie nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hinterfragen, sind sie für das Begreifen des historischen Hintergrundes sicher hilfreich. Die Bilder sind vor allem dazu angetan, Schülern Geschichte als interessante und nachvollziehbare Materie näher zu bringen.
In der nächsten Abteilung werden uns besonders eindrucksvolle Gebrauchsgegenstände von Frauen und Männern präsentiert, die in ihrem Leben eine besondere Rolle spielten und die sie im Jenseits nicht missen wollten. Der auffälligste Schmuck der Bajuwarin war die Fibel, die ähnlich wie eine Sicherheitsnadel das Kleid im Brustbereich zusammenhielt. Nun ist die Funktionalität eines zur alltäglichen Kleidung notwendigen Gegenstandes das Eine, seine kunstvolle Verzierung das Andere.
Die ausgestellten bajuwarischen Fibeln sind Kunstwerke, deren Verzierungen einen zeitlos gültigen Geschmack erkennen lassen. Die Frage von Schülern, wie die Bajuwaren die Fibeln handwerklich hergestellt haben, kann an einem Modell im Museum eindrucksvoll demonstriert werden. Die Harmonie der meist bandförmig den Fibeln aufgeprägten Zierformen würden auch heute noch auf einer Brosche oder einem Armband als Kunst akzeptiert werden. Vielleicht ist der Schmuck in der Art bajuwarischer Fibeln gerade heute wieder modern, weil sich die Kunst unserer Gegenwart mit der Findung neuer, gültiger Formen nicht gerade leicht tut. Die als Repliken im Museum angebotenen Fibeln sind aus dieser Sicht übrigens ein durchaus originelles Urlaubssouvenir. Neben den Fibeln fanden sich in den Frauengräbern auch Ketten und Einzelteile aus Glas und Bernstein. Offensichtlich waren für die Bajuwaren Glas und Bernstein von höchstem Wert. Einen mit magischer Wirkung ausgestatteten Bernstein, dessen Herkunft unbekannt war, trug die Bajuwarin als Zeichen ihrer hohen, sozialen Wertschätzung. Ein im Grab 162 gefundenes goldenes Ohrringpaar dürfte wohl auch in der Welt der Bajuwaren als ein besonderes Schmuckstück angesehen worden sein. Das Streben der Menschen nach Gold ist ein zeitloses, archetypisches Phänomen. »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.« Faust I
Wenden wir uns nun den Gräbern der männlichen Bajuwaren im Museum zu. Der Bajuware nimmt nicht nur seine Waffen, Spatha und Sax, ins Jenseits mit. An seinem Gürtel entdecken wir latzförmige Anhänger mit eingravierten Zierformen. Der ins Jenseits eintretende Bajuware ist nicht nur Kämpfer, sondern auch noch dem Schönen dieser und der erwarteten anderen Welt zugetan. Die Betrachtung dieser bajuwarischen Gürtelzier erinnert den Autor an das heute noch an der bayerischen Tracht gebräuchliche Charivari. Sicher gibt es für einen möglichen Zusammenhang beider Schmuckformen keinen gesicherten Beleg. Warum sollte sich der Besucher des Bajuwaren Museums aber nicht auch von phantasiereichen Betrachtungen leiten lassen? An ihrer Kleidung trug die bajuwarische Frau an Lederriemen aneinander gereihte Gegenstände, die sie täglich im Gebrauch hatte, wie Kämme, Messer und Scheren. Eine sogenannte Spinnwirtel erlaubt es, die Trägerin als Weberin anzusehen. Besonders interessant sind die vielfach gestalteten Amulette, die zu Lebzeiten ebenso wie im Jenseits der Abwehr böser Mächte dienten. Perlen waren Gesichter von Dämonen eingeritzt, mit denen diese wahrscheinlich gebannt oder ferngehalten werden sollten. »Tigerschnecken vom Roten Meer sollten vermutlich der Trägerin Fruchtbarkeit bescheren« (Handbuch der Landesausstellung »Die Bajuwaren« 1988 S. 246 ). Die Herkunft der Tigerschnecke lässt übrigens auf eine weitreichende Handelsbeziehung der Bajuwaren schließen.
Der fränkische Missionar Rupertus gründete auf den Ruinen des römischen Juvavum die Klöster St. Peter und Nonnberg und damit Salzburg. Um das Jahr 700 wurde das Gebiet um Waging in die von Salzburg ausgehende christlichen Mission einbezogen. Offensichtlich waren Grabbeigaben mit der neuen Lehre nun nicht mehr zu vereinbaren. Ab dieser Zeit fehlten sie in den bajuwarischen Gräbern. An ihre Stelle traten die den Kleidern der Toten angehefteten Kreuze aus dünnem Blattgold. Auf den Kreuzen sind deutlich die Züge eines Gesichtes zu erkennen. Ist es die Gestalt einer heidnische Gottheit? Oder ist es das Bild des neuen Christengottes? Vielleicht darf beides angenommen werden. Die Bajuwaren wollten ihren Verstorbenen, der herkömmlichen Tradition entsprechend, den Schutz der bisher verehrten Götter sichern, sie aber auch gleichzeitig dem Schutz des neuen Christengottes anvertrauen.
Das Modell eines bajuwarischen Dorfes in der Abteilung 12 des Museums soll dessen wahrscheinliches Aussehen veranschaulichen. Da, wie auch in Waging am See, die ursprünglichen Siedlungen der Bajuwaren von späterer Bebauung überdeckt worden oder landwirtschaftlicher Nutzung des Bodens zum Opfer gefallen sind, gestaltet sich die Spurensuche ganz allgemein schwierig. Aus Luftbildaufnahmen und Verdichtungen im Boden lassen sich Standort und Umfang bajuwarischer Behausung nachvollziehen. Wenn dazu noch ein wenig Phantasie hinzukommt, dann lässt sich ein Bajuwarendorf durchaus real rekonstruieren.
In der gemeinsamen Landesausstellung des Freistaates Bayern und des Landes Salzburg 1988 wurde am Mattsee ein Bajuwarendorf aufgebaut. Ein Foto des Autors von dieser Ausstellung ist auch in diesem Rahmen von Interesse, weil beabsichtigt ist, auch in Waging am See ein Bajuwarenhaus zur Ergänzung des Bajuwaren Museums zu errichten. Behördliche Genehmigungen und die noch nicht entschiedene Standortwahl stehen derzeit dem Projekt noch entgegen.
So bietet das Bajuwaren Museum in Waging am See eine in Bayern seltene Gelegenheit, die Vorfahren der Bayern in ihrem Alltag auf Grund der uns überlieferten Grabbeigaben näher kennen zu lernen. Vieles ist aus ihrem Leben mangels schriftlicher Aufzeichnungen verloren gegangen. Umso mehr verdienen die erhaltenen Schätze der Archäologie unsere Aufmerksamkeit, weil nur ein seiner Vergangenheit bewusstes Volk seine Zukunft sinnvoll zu gestalten vermag.
Dieter Dörfler
Quellen: Ronald Knöchlein »Das Reihengräberfeld von Waging am See«. Museumsführer »Bajuwaren Museum«. Handbuch der Landesausstellung »Die Bajuwaren« 1988.
2/2007