Jahrgang 2003 Nummer 10

»Des gfreut mi heut no...«

Karl Valentins Leben klingt auf sieben neuen CDs wie ein böser Traum

»Des gfreut mi heut no, dass es mir gelungen ist, den heutigen Tag zu erleben«. Karl Valentin scheint mit seinen Sprüchen immer in Fahrt gewesen zu sein. War er ein Überflieger? Ein Aufgedrehter? Oder eher ein scheues Reh? Ein Hypochonder, das weiß man gewiss, war er, der am 4. Juni vorigen Jahres hätte seinen einhundertzwanzigsten Geburtstag feiern können, wäre er nicht am Rosenmontag des Jahres 1948, verbittert und verarmt, in seiner Geburtsstadt München gestorben. Salonhumorist, Volkssänger, Komiker, Kabarettist – egal, wie man ihn heute sieht, ein Original war er, ein hintergründiger Spaßmacher und Wortverdreher, dessen Philosophie sich nicht nur Bert Brecht oder Thomas Mann, sondern viele große, mittlere und sogar kleine Geister von heute anschließen mögen. Denn sie ist und bleibt »umwerfend«:

- »Allein stehende Frau, welche sich endlich mal wieder niedersetzen will, sucht Sessel oder Stuhl zu kaufen. Foto erwünscht.«
- »Liebe liebe Lisi! Lebe für mich!«
- »Nur gut, dass Edison kein Jude war, sonst könnt ma heut wieder Petroleumlampen anzünden.«
- »Schöner Papagei, gut sprechend, samt Messingkäfig entflogen.«

Alles von Karl Valentin. Seine Sprüche sind schriftlich und mündlich überliefert. Original kann man vieles in seinen Stücken -Hörszenen- nun auf insgesamt sieben CDs, alle einzeln schön verpackt und mit einem Einführungstext bestückt, abhören. Das Wiederhören wird zum Erlebnis. Dafür garantieren Schauspieler-Sprecher vom Rang eines Walter Schmiddinger (der auf Teil V leider falsch mit »ie« hinter dem »m« geschrieben steht), Josef Bierbichler, Wolf Euba, Peter Fricke, Gerd Anthoff. Überboten werden diese Glanzlichter bayerischen Zungenschlags nur noch von Karl Valentin und seiner jahrelangen, am Schluss von ihm enttäuschten Partnerin Liesl Karlstadt, die ihn um zwölf Jahre überlebte.

Herausgeber von Karl Valentins »klingender« Biographie »Das Leben des Karl Valentin«, produziert vom mdr, ediert von Audiobuch, zusammen circa 400 Minuten, ISBN 3-033199-80-8 ff., ist Valentin-Experte Michael Schulte. Sieben Jahre vor Valentins Tod in München geboren, in Niederbayern und Damaskus groß geworden, in Göttingen und Frankfurt am Main zum Germanisten und Philosophen avanciert, hat er bereits 1968 erstmals über K. V. publiziert und auch 1976 »Das große Karl Valentin Buch« bei Piper herausgebracht. Er lebt heute in Cincinnati, Ohio und Berlin. Ein Mann, der nicht nur Ahnung hat, sondern kompetent ist, eine »runde« Sache abzuliefern, um auch Verwöhnte und Connaisseure zufrieden zu stellen. Übrigens: Man muss kein Münchner oder auch nur Bayer sein, um Karl Valentins Sprache zu verstehen. Der Sohn eines Hessen (Johann Christoph Fey aus Darmstadt) und einer Sächsin (Maria Johanna Fey, geborene Schatte aus Zittau) sprach von Anfang an niemals bayerische Mundart bei seinen Auftritten, wenn er auch deutlich bayerisch-münchnerisch artikulierte.

Wie eng sich Biograph Michael Schulte an die Fakten hielt, beweist insbesondere die letzte CD, die die Kriegs- und Nachkriegsjahre im Zusammenhang mit Karl Valentins Lebensgang behandelt. 1939 trat Valentin im Färbergraben noch als Volkssänger auf (»Ja, so warn’s, die oidn Rittersleit...!« Mehr als hundert Aufführungen erlebte sein Stück »Unkenstein«, dem allerdings bereits das Doppelbödige und Metaphorische fehlte. Die »Grenze zwischen Humor und Komik ist zunehmend fließend« geworden, urteilt Schulte in aller Härte. Er zeigt Mitgefühl, wenn er von dem Rauswurf Valentins aus seinem Kellerlokal durch die Münchner Behörden spricht, worauf der Geschädigte mit einem Anfall von Zerstörungswut reagierte. Ende November 1940 trat K. V. ein letztes Mal im Deutschen Theater auf. Er zog sich in sein Landhäuschen draußen in Planegg zurück. Hier schrieb er aber weiter. Welch ein Glück für die Hörer des Bayerischen Rundfunks – die Arbeiten für den BR bildeten nahezu die einzige Einnahmequelle. Erfrischende Dialoge (mit Liesl Karlstadt: »Semmel(n)knödel(n)«, 1940) verdanken wir dieser Zeit.

So verhasst Karl Valentin, dem Pazifisten, das Nazi-Militär war – für 75 RM schrieb er Artikel für das Propagandablatt »Die Feldpost«. Josef Bierbichler, der dem Protagonisten die Stimme für manches Zitat leiht, liest Ausschnitte mit gewohntem understatement, valentinesk. Im Gegensatz zu Bierbichler tritt Schmidinger als Moderator viel zu prätentiös in Erscheinung.

Valentins späte Gedichte seien, so Schulte, Ausdruck eines wachsenden Misanthropismus. Verständlich Karl Valentins Tierliebe, das Anlegen eines Fischweihers in seinem Planegger Garten. Im Keller wollte Valentin gar ein Schwein halten, aber die Familie erhob Einspruch. Bald lebten die Feys nur mehr von Ersparnissen und sehr spärlichen Honoraren und Hörfunk-Tantiemen. Am liebsten wäre Karl Valentin wieder in die Stadt gezogen, wo seine Wohnung – im Gegensatz zu seinem Planegger Domizil – ausgebombt war. Dialogen aus den letzten Kriegsjahren, schon »Der überängstliche Hausverkäufer« (1940), erst recht aber »Der ewige Friede« (1946) fehlt bereits der gewohnt »umwerfende« Witz, sie wirken geschwätzig, verraten einen allmählich resignierten Karl Valentin und eine routinierte Liesl Karlstadt. Die hatte sich einige Jahre zuvor von ihrem Partner ganz abgewandt, nachdem sie sich von der bildschönen Annemarie Fischer, Valentins kurzzeitiger Geliebter, ausgestochen sah.

Nach Kriegsende träumte der Münchner Komiker von einer neuen Singspielhalle, von Nonstop-Programmen seiner Platten, einem Panoptikum oder Panorama. Doch der Tod hatte die stärkere Hand. Nicht an einer Erkältung, sondern an seinen vielen Enttäuschungen soll Valentin letztlich gestorben sein. Ein Antrag auf monatlichen Ehrensold fand bei der Stadt München keinen Anklang. Valentin musste sich als Hausierer und Haushaltswarenbastler kümmerlich über Wasser halten. »Wenn i gwisst hätt, dass das Sterbn so leicht is ...« – diese »letzten« Worte schob »Blasius«-Kolumnist Sigi Sommer, wie er selbst bekannt haben soll, Karl Valentin nur unter.

Auch ein kleines Museum war Karl Valentins Traum. 1959 erst soll er verwirklicht werden. Hannes Vogel gründete (und pflegte dreißig Jahre lang sachkundig und enthusiastisch) das »Valentin-Musäum« – jawohl, mit »ä«! – im Isartor. Hier ist »vom pelzverbrämten Winterzahnstocher über Buchbinder Wanningers Telefon bis zur Kindernasenbohrmaschine so manche skurrile Kostbarkeit – unter anderem eine geschmolzene Schneeplastik (!) – zu sehen« – dazu Vogel-Nachfolgerin Gudrun Köhl mit ihrem gewinnenden Lächeln an der Kasse. Senioren haben freien Eintritt. Aber nur, wenn sie 99 Jahre alt und in Begleitung ihrer Eltern sind.

HG



10/2003