Jahrgang 2007 Nummer 47

Der Volksempfänger, ein Erfolgsmodell

Im Dritten Reich stand der Rundfunk im Dienst der Propaganda

»Ganz Deutschland hört den Führer mit dem Volksempfänger«, mit diesem Apell warben die Nationalsozialisten auf großen Plakaten für den »deutschen Kleinempfänger«, ein Radiogerät zum Schlagerpreis von 35 Reichsmark. Auf dem Plakat sieht man eine Menschenmenge erwartungsvoll um einen überdimensionalen Volksempfänger geschart, der offenbar gerade eine Rede Adolf Hitlers überträgt.

Die Nationalsozialisten hatten den Wert des Rundfunks als massenwirksames Medium für ihre politische Propaganda früh erkannt. Schom im Jahre 1931 waren von der NSDAP Funkwarte eingesetzt worden, um in die »Domäne einer marxistisch volksfremden Clique« einzudringen, wie es in einer Parteiverlautbarung hieß. Die Rundfunksender wurden angewiesen, als »Herolde des Reichsgedankens« die Erinnerung an die Republik von Weimar und ihre demokratische Verfassung auszulöschen. »Die Zeit des Individualismus ist gestorben«, erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels in einer Ansprache vor den Intendanten und Direktoren der Rundfunkanstalten. »Das Einzelindividuum wird ersetzt durch die Gemeinschaft des Volkes.«

Im Jahre 1933, dem Jahr von Hitlers Machtergreifung, brachte das Propagandaministerium den Volksempfänger (VE) auf den Weg. Für die Werbung wurden aufwändige Kampagnen initiert. Mit Werbewagen und Lautsprecherdurchsagen sollten vor allem die Bewohner in der Provinz und auf dem Land für das neue Medium gewonnen werden. An zentralen Plätzen wurden Prospekte verteilt und Volksempfänger verlost, bei Abendveranstaltungen in Wirtshaussälen Animationsfilme zum Thema Radio vorgeführt. Als erfolgreiche Werbemethode erwies es sich, Volksempfänger probeweise an Interessierte abzugeben und nach einigen Tagen nachzufragen, ob die Betreffenden sich zum Kauf entschlossen hätten. Durch die gezielten Werbeaktionen für das technisch einfach gebaute und konkurrenzlos preiswerte Radiogerät, das bald in einer Reihe von Typen vertrieben wurde, erhöhte sich die Zahl der »Radiohaushalte« zwischen 1933 und 1941 von 25 auf 65 Prozent. Die Erhöhung betraf in erster Linie die Haushalte von Arbeitern und kleinen Angestellten, die sich keinen bis dahin sehr teueren Radioapparate leisten konnten. Die Herstellung des Volksempfängers war der deutschen Rundfunkindustrie übertragen worden. Die Firmen bekamen Produktionsquoten zugeteilt und mussten sich dazu verpflichten, im Niedrigpreisbereich mit keinem Markengerät in Konkurrenz zu gehen. Die auf den Markt gebrachten VE-Typen wurden als Gemeinschaftsprodukte der deutschen Industrie von allen Radioherstellern modellgleich gebaut. Sie waren auf den Empfang ausgesuchter Sender eingestellt und mit der Technik des einkreis-Geradeempfängers ausgestattet. Empfänger mit zusätzlichen Sperrkreisen oder Hilfsfrequenzen kamen bei dem niedrigen Preis nicht in Frage. Allerdings konnte es durch die simple Empfangtechnik beim Hören leicht zu Verzerrungen der Trennschärfe und zu Rückkopplungseffekten kommen, denen man durch Zusatzantennen und Tricks bei der Bedienung abzuhelfen versuchte.

Bei wichtigen Anlässen wie den Nürnberger Parteitagen regten die Parteistellen den sogenannten Kollektivempfang an, um auch Haushalten ohne Radio den Empfang einer Sendung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurden an zentralen Orten Lautsprecher installiert und staatliche Einrichtungen wie Schulen und Rathäuser angewiesen, ihre Radioapparate einzuschalten. Die NS-Rundfunkkorrespondenz empfahl darüberhinaus auch den privaten Radiobesitzern, bei Hitlerreden Fenster und Türen offen zu halten, »damit die Nachbarn an dem Geschehen teilhaben können, denen der Erwerb eines eigenen Radios nicht möglich ist«. Jedoch sollte man beachten, die Geräte exakt einzustellen, »denn wenn durch unsachgemäße Behandlung des Apparats die Rede des Führers zu einem misstönenden, unverständlichen Geräusch wird, dann vergeht sich dieser Volksgenosse gegenüber dem Volksganzen«.

Den Schnäppchenpreis verdankte der Volksempfänger der Rationalisierung und Materialersparnis bei der Herstellung. Auf Eisen, Kupfer und andere devisenpflichtige Stoffe wurde weitgehend verzichtet, ebenso auf Lizenzgebühren von Seiten der Patentinhaber. Für die Gehäuserückseite fand grundsätzlich nur die billige Hartpappe Verwendung. Bis zur Einstellung der Produktion im Jahre 1943 waren, 23 Millionen Geräte, die der Volksmund als »Goebbels-Schnauze« oder »Goebbels-Harfe« bezeichnete, verkauft worden.

Für Joseph Goebbels war der Rundfunk nicht nur ein Instrument zur Manipulation der öffentlichen Meinung, sondern auch eine lukrative Geldquelle, denn der Großteil der Einnahmen aus den Rundfunkgebühren von monatlich zwei Reichsmark floss in die Finanzierung des Propagandaministeriums. Goebbels achtete darauf, dass neben den politischen Sendungen die Unterhaltung nicht zu kurz kam. Schließlich sollten die Hörer bei der Stange gehalten und politisch nicht überfüttert werden, so dass sie dem Empfang treu blieben. Systematisch wurde deshalb die Programmstruktur den Hörerwünschen angepasst und der Anteil der Sendungen mit leichter Musik gesteigert. Der Volksempfänger hat auch in die NS-Kunst Eingang gefunden, und zwar in dem Gemälde »Der Führer spricht« des von Hitler hoch geschätzten Malers Paul Mathias Padua aus Rottach Egern. Es war bei der Großen Deutschen Kunstausstellung 1940 in München ausgestellt. Das Bild zeigt eine ländliche Wohnstube, in der drei Generationen unter einem Hitlerbild versammelt sind und Worten des Führers lauschen, die von einem auf einem Wandbrett postierten Volksempfänger übertragen werden. Am Tich erkennt man eine Ausgabe der »Tegernseer Zeitung« mit der Ankündigung der Führerrede. Die weihevolle Stimmung der Darstellung verleiht dem Bild direkt einen sakralen Charakter und rückt es in die Nähe eines pseudoreligiösen Andachtsbildes.

Julius Bittmann



47/2007