Der römische Münzfund von Mühlthal
Drei Kilogramm Silbermünzen aus dem Inntal geben Rätsel auf





Wolfgang Ager aus Raubling bei Rosenheim ist ein leidenschaftlicher Hobby-Archäologe und Sondengeher. Er hat bei seinen Gängen schon zahlreiche Funde vor allem aus der Römerzeit zu Tage gefördert, die sich heute in regionalen und überregionalen Museen befinden. Im Gegensatz zu manchen privaten Sondengehern, die aus materiellen Motiven handeln und oft mehr Schaden als Nutzen anrichten, arbeitet Wolfgang Ager eng mit dem Landesamt für Denkmalpflege in München zusammen und stellt seine Fundstücke unentgeltlich der Allgemeinheit zur Verfügung. Ein bevorzugtes Forschungsgebiet ist für Wolfgang Ager das Umfeld der einstigen Römerbrücke über den Inn (»Pons Oeni«) wenige Kilometer nördlich von Rosenheim. Hier grenzten die zwei Provinzen Noricum und Raetien aneinander und hier kreuzten sich die Straßen von Salzburg nach Passau und von Innsbruck nach Regensburg. Es gab eine Zollstation, ein Truppenlager, ein Mithras-Heiligtum und mehrere Manufakturen für Tafelgeschirr, die sogenannten Terra Sigillata. Neben dem Militärpersonal und den Zöllnern hatten sich hier im Laufe der Zeit auch viele Zivilpersonen niedergelassen, zum Teil Angehörige der Soldaten, zum Teil Händler und Bauern, die sich um die Versorgung der Truppen kümmerten.
Hier, am rechten Ufer des Inns in der Nähe des heutigen Weilers Mühlthal, machte Wolfgang Ager eine bemerkenswerte Entdeckung. Auf einer schmalen Terrasse am Rande der Innau förderte er bei einer Grabung insgesamt 1289 römische Silbermünzen zutage. Dazu durchgrub er mit bloßen Händen innerhalb von vier Tagen 50 Kubikmeter Erdreich. Die Münzen lagen in einer Tiefe von etwa 40 Zentimetern, verstreut auf einer Fläche von 1,6 Quadratmetern. Direkt über den Münzen befand sich eine Lehmschicht, überdeckt von Kies und einer dünnen Humusschicht.
Mit diesem Fund aus der Spätantike ist Wolfgang Ager nicht nur sein bisher spektakulärster Fund gelungen, sondern der größte Fund römischer Silbermünzen in Bayern überhaupt. Es sind überwiegend Denare aus der Regierungszeit der Soldatenkaiser Septimius Severus (ab 193 n.Chr.), Elagabal und Severus Alexander. Etwa zehn Prozent der Münzen sind Antonine, das sind erstmals unter Kaiser Caracalla geprägte Doppeldenare mit geringerem Silbergehalt. Die jüngsten Münzen wurden unter Gordian III. geprägt, der von 238-244 regierte. Man muss davon ausgehen, dass der ganze Fund aus dieser Zeit stammt. Weitaus die meisten Denare wurden in Rom geprägt, doch sind auch Stücke aus den östlichen Münzstätten des römischen Imperiums, aus Antiochia, Alexandria, Laodicea und Emesa in Syrien vertreten. Wenn man den Wert eines Denars aus der Kaiserzeit mit durchschnittlich acht Euro annimmt, dann sind die Münzen nach unserer Währung ungefähr 9500 Euro wert. Eine ansehnliche Summe! Sie stellte zur damaligen Zeit ein kleines Vermögen dar und entspricht dem Sold eines römischen Legionärs für neun Monate Dienstzeit.
Natürlich wüsste man gerne, wer der Eigentümer des Geldes gewesen ist, ob er es absichtlich vergraben oder ob er es verloren hat – etwa auf der Flucht vor Feinden oder in einer anderen Gefahrensituation, wo der Besitzer Hals über Kopf Leben und Geld in Sicherheit bringen musste. Die Antwort auf diese Fragen ist nicht einfach, meint die Archäologin Michaela Kostial- Gürtler, die sich ausführlich mit dem Münzfund beschäftigt hat. »Über den Besitzer der Münzen lassen sich nur Vermutungen anstellen, aber man kommt zu keinem schlüssigen Ergebnis «, erklärt sie. Die Nähe des Fundplatzes zur Innbrücke, zur Zollstation, zum Militärlager und zum Mithras- Tempel lasse viele Möglichkeiten offen. Der Verlierer könnte sowohl ein Soldat oder ein Zöllner, ein Händler oder ein Gutsbesitzer gewesen sein.
Gegen ein absichtliches Verstecken der Münzen spricht ein fehlendes Behältnis wie eine Kiste oder ein Eisenkessel, aber auch der Umstand, dass die Münzen über eine größere Fläche verstreut waren; auch die Profilaufnahme ergab keine Hinweise auf ein planmäßiges Vergraben. Am wahrscheinlichsten ist nach der Ansicht von Dr. Dietrich Klose von der Staatlichen Münzsammlung in München die Annahme, dass eine plötzliche Katastrophe den Besitzer der Silbermünzen überrascht und zum Verlust des Geldes geführt hat. Es könnte sich dabei nach der Ansicht des Münzexperten um einen feindlichen Überfall oder um eine Naturkatastrophe gehandelt haben.
Die Indizien sprechen eher für eine Naturkatastrophe, meint der Finder Wolfgang Ager. Man könnte sich das folgende Szenario vorstellen: Durch einen starken, wolkenbruchartigen Regen tritt der Bach im nahen Doppelgraben über das Ufer, gleichzeitig strömen Wasserfluten von der Hochterrasse herab in die Innaue. Diese steht schnell unter Wasser. Der Besitzer des Silberschatzes wird von der Überschwemmung überrascht, er will sich und das Geld in Sicherheit bringen, er watet fluchtartig durch das Hochwasser, stolpert in der Eile und verliert die Münzen. Diese werden sofort vom mitgeschwemmten Kies und Lehm – Experten sprechen von Hochflutsediment – überlagert. Dem entspricht exakt die Situation bei der Bergung des Fundes: Eine graue, sterile Schwemmlehmschicht überdeckte die Münzen, einige waren sogar in diese Schicht eingelagert.
Aber wer war der Pechvogel, der eine so große Geldsumme verloren hat? Zu denken wäre an einen Zollbeamten, einen Geschäftsmann oder einen Schankwirt, der das Unwetter herannahen sah und eilig seine Einnahmen in Sicherheit bringen wollte. Aber das Unwetter holte ihn unterwegs ein, beim Kampf mit den Fluten verlor er sein ganzes Geld. Möglicherweise war es auch ein Privatmann, dessen Haus von der Flut bedroht war und der in fliegender Hast sein Vermögen an sich raffte, es aber im Hochwasser verlor und froh sein musste, sein nacktes Leben zu retten.
Julius Bittmann
Literatur: Michaela Kostial-Gürtler und Wolfgang Ager: »Im Hochwasser verloren – Der römische Silbermünzenfund aus Prutting-Mühlthal«, München 2013.
21/2014