Der letzte Xylograph in Deutschland
Das Offizin Rudolph Rieß in der Nürnberger Altstadt

Rudolf Rieß, der letzte Xylograph beim Schneiden eines Druckstockes. Die wassergefüllte Glaskugel fokussiert das Licht auf sein Werkstück.

Das im 15. Jahrhundert im Holztafeldruck hergestellte Blockbuch »ars moriendi« gilt als eine der schönsten Inkunabeln Deutschlands.

Mit dem Chiaroscuro-Verfahren entsteht ein Unikat. Die verschiedenen Farbflächen des Druckes werden aus einem einzigen Druckstock geschnitten bis nur noch die Kontur übrig bleibt.
»Kennen Sie Thailand?« fragt Herr Rieß, »das Wasserzeichen in der 10-Baht-Banknote, das ist von mir. Da drin ist die Wachsform«, erklärt er nicht ohne Stolz und wischt den Staub von dem Kästchen, das er aus einem überquellenden Holzregal zwischen Druckstöcken und Papierstapel herausgefischt hat.
Rudolf Rieß, ein drahtig quirliger Mann, Anfang 70, ist ein wahrer »Jünger der Schwarzen Kunst«. Die Leidenschaft für sein Handwerk ist ihm anzumerken. Wenn er von seinem Bleisatz schwärmt, blitzen die wachen hellen Augen hinter der runden Gelehrtenbrille. Er ist Kalligraph, Kupferstecher, Schriftsetzer, Buchdrucker, Graveur und Xylograph (»einer der ins Holz schreibt«). Der letzte in Deutschland. Sein Offizin in der Schlehengasse 15 besteht aus kleinen verschachtelten Kämmerchen im Souterrain eines Fachwerkhauses aus dem 15. Jahrhundert. Neben der niedrigen Eingangstür steht eine schwere Korrex-Handpresse und dahinter eine altertümlich anmutende Papierschneide-Maschine mit Handbetrieb. Es riecht nach Druckerschwärze und vergilbtem Papier. Bis unter die altersdunkle Holzbalkendecke sind die Räume vollgestellt mit Setzkästen, Steckschriftregalen, Druckstöcken, Farbdosen und Papierstapeln. In einer Vitrine liegt penibel aufgereiht das Handwerkszeug des Xylographen: Grabstichel, Hohl-, Rund- und Knieeisen, Stechbeitel und Grundmeißel. Geräte, wie sie die Formschneider seit Jahrhunderten benutzen.
Holzschnitt und Holztafeldruck gelten als die ältesten mechanischen Vervielfältigungsverfahren. Sie wurden gefördert durch den geistigen Aufbruch im ausgehenden Mittelalter, als der Drang zur freien Rede aufkam und damit der Wunsch, das Aufgezeichnete zu vervielfältigen und zu verbreiten. Souveräne Städte gewannen an Macht. Nicht zuletzt deshalb, weil in ihren Mauern mit dem Holzschnitt und dem Abreibeverfahren die Technik der Vervielfältigung vorhanden war. Auch die Kunst des Papiermachens war bekannt. Im 2. Jahrhundert nach Christus in China erfunden, kam das Papier durch die Araber über Spanien nach Europa. Der Nürnberger Patrizier Ulman Stromer betrieb ab 1390 die erste Papiermühle Deutschlands. Gedruckt wurden Bücher, Spielkarten und Flugblätter. Der empfindliche Holzdruckstock, in den die Buchstaben und Bilder seitenverkehrt geschnitten waren, ließ nur kleine Auflagen zu. Trotzdem gehen wissenschaftliche Schätzungen davon aus, dass die Gesamtauflage aller vor Gutenberg entstandenen Drucke die Millionengrenze deutlich überschritt. Inkunabeln oder Wiegendrucke werden diese, nur noch in wenigen Exemplaren erhaltenen Blätter genannt. Eines der schönsten Beispiele für den Holztafeldruck ist das im 15. Jahrhundert entstandene Blockbuch »Ars moriendi«, eine Sterbelehre in deutscher Sprache.
Nachdem Gutenberg die bewegliche Letter erfand, trat der Buchdruck ab 1450 seinen Siegeszug an. Massenhafte Wissensverbreitung wurde möglich. Für den Druck von Illustrationen spielte der Holzschnitt die entscheidende Rolle. Die kraftvolle Linienführung und die bewegten Schraffuren der Bilder von Dürer, Cranach, Altdorfer, Holbein und anderen, zeugen von der Blütezeit der Holzschnittkunst. Es entstand eine Arbeitsteilung. Der Künstler machte den Entwurf. Der Formschneider übertrug die Zeichnung auf die geglättete Langholzplatte. Er kerbte, stemmte und schnitt die Stellen aus, welche im Druck weiß erscheinen sollten. Stehen blieb im Holz, was der Zeichnung des Künstlers entsprach.
Ende des 18. Jahrhunderts erfand der Engländer Thomas Bewick den Holzstich. Er experimentierte mit dem Graveurstichel in Hirnholz. Seine Abbildungen erreichten fast fotografische Qualität. Das Künstlerische trat mehr und mehr in den Hintergrund. Erst die Erfindung der fotochemisch erzeugten Druckplatten verdrängte Ende des 19. Jahrhunderts den Holzstich als wichtigste Illustrations-Druckform.
Wie ein mehrfarbiger Holzstich entsteht
Rudolf Rieß setzt sich an seine Werkbank und legt die polierte Holzplatte auf das mit Sand gefüllte Lederkissen. »Im Hirnholz kann ich Linien im engen Radius ausstemmen«, sagt er, »im Langholzbrett, parallel zur Holzfaser, geht das nicht. Die Messerklinge würde brechen«. Behutsam drückt er das scharfe Eisen in das harte Buchsbaumholz. Der Stichel reagiert auf die kleinste Handbewegung. Er hinterlässt mal eine haarfeine, mal eine dicke Spur. Rieß’ Daumen liegt auf dem Holz wie ein Lineal. »Das wichtigste ist das Licht«, sagt Herr Rieß. Er schwört auf die sogenannte Schusterkugel. Von einer Lampe angestrahlt, erzeugt die mit Wasser gefüllte Glaskugel einen warmen gleichmäßigen Lichtpunkt, der auf das Werkstück fokussiert wird. Schon die Meister des Mittelalters nutzten diese Glaskugel um im flackernden Kerzenlicht präzise arbeiten zu können.
Auf dem Lederkissen von Herrn Rieß entsteht ein mehrfarbiges Exlibris nach dem Chiaroscuro-Verfahren. Auftraggeber ist ein Kunstprofessor aus Mailand. Die Technik wurde von italienischen Renaissance-Künstlern entwickelt. Alle Farben werden aus einem Druckstock geschnitten. Zuerst die Hintergrundfarbe. Nach dem Druck dieser Farbe wird aus der Druckfläche die zweite Farbe herausgeschnitten usw. Zum Schluss bleibt nur noch der Druckstock der schwarzen Kontur übrig. Der Chiaroscuro-Holzschnitt, ist ein Unikat. Weil die Druckstöcke der Grundfarben nicht mehr existieren, ist er nicht wiederholbar.
Exlibris sind kleine gedruckte grafische Kunstwerke. Sie entstanden aus den mittelalterlichen Besitzvermerken mit denen die Klöster ihren Besitzanspruch an wertvollen handgeschriebenen Folianten anzeigten. Sammler aus der ganzen Welt bestellen heute bei Rudolf Rieß individuell gestaltete und in Holz geschnittene Exlibris. Auf seiner Webseite. »http://www.rudolf-riess.de« ist ein ganzer Katalog wunderschöner Motive zu bewundern. Ein Querschnitt seines künstlerischen Schaffens. Exlibris sind neben handgesetzten Glückwunschkarten und Urkunden seine wichtigsten Aufträge. Manchmal entsteht in seiner museumsgleichen Werkstatt auch ein mit Holzschnitten prächtig illustriertes Buch, im Bleisatz gesetzt und in Kleinauflage auf der Handpresse gedruckt.
Eines Tages erhielt Rudolf Rieß vom Albrecht-Dürer-Museum den Auftrag einen verlorengegangenen Druckstock neu zu schneiden. Vorlage war ein vergilbter, stark beschädigter Originaldruck. Mit dem Messer stieß er bald an technische Grenzen. Die engen Rundungen und die Schraffuren des Originals, konnte er nur mit dem Grabstichel erzeugen. »Dürer muss die 300 Jahre später ›erfundene‹ Technik des Holzstiches bereits beherrscht haben«, sagt Herr Rieß, »anders ist die dreidimensionale Wirkung seiner Holzschnitte nicht zu erklären«.
Neben seiner Werkstatt-Tätigkeit betreut Rudolf Rieß zahlreiche Projekte im Germanischen Nationalmuseum, hält Kurse für Schulklassen und vermittelt den Kindern das faszinierende haptische Erlebnis, mit Bleibuchstaben zu gestalten und das selbstgeschaffene Werk auf der Handpresse zu drucken.
Das Vorbild: Ernst von Dombrowski
Einer der bedeutensten Künstler der Xylographie war Ernst von Dombrowski. »Er war mein Vorbild«, sagt Herr Rieß, »weil bei ihm die schöpferische Intention des Künstlers und die Perfektion des Handwerksmeisters zusammentrafen«. Professor Ernst von Dombrowski lebte und arbeitete nach dem 2. Weltkrieg bis zu seinem Tod im Jahr 1985 in Siegsdorf. Er war Maler, Illustrator und erfolgreicher Buchautor. Seine höchste Meisterschaft erlangte er im Holzschnitt. Mögen seine Bildmotive vom Betrachter unterschiedlich beurteilt werden, unbestritten ist ihre technische Qualität. Die Klarheit der Linien und die Bestimmtheit der Strichführung sind einzigartig. Seine späten Holzstiche wirken so plastisch wie geschnitzte Holzfiguren. Sie erinnern an Skulpturen von Barlach. In der Galerie im Siegsdorfer Rathaus ist Dombrowskis Arbeitsplatz aufgebaut. Auch eine Auswahl seiner Werke ist dort zu besichtigen.
Am Ende unseres Besuches im Offizin Rudolf Rieß öffnet der Meister das geheimnisvolle Kästchen. Es stammt aus der Zeit als er beim weltgrößten Wertpapierdrucker Giesecke & Devriant als Graveur beschäftigt war. In Wachs, in Metall und als Relief in einem Stück feinmaschigem Kupfersieb lächelt uns der jugendliche König Bhumibol entgegen. »In der Papiermaschine wird die Pulpe, der zähflüssige Papierbrei, über das Langsieb geschöpft und getrocknet«, erklärt Herr Rieß. »Das Relief im Kupfersieb, das von einem erhitzten Metallstempel erzeugt wird, bewirkt eine Verdünnung des Breis. Im getrockneten Papier entsteht dadurch an dieser Stelle eine transparente Zeichnung«. Wir halten den 10-Baht-Schein gegen das Licht. Fernöstliche Weisheit verströmend blickt uns der junge König Bhumibol an. Sein geheimnisvolles Lächeln ist eines der vielen handwerklichen Meisterwerke von Herrn Rudolf Rieß.
Otto Huber
22/2007
Rudolf Rieß, ein drahtig quirliger Mann, Anfang 70, ist ein wahrer »Jünger der Schwarzen Kunst«. Die Leidenschaft für sein Handwerk ist ihm anzumerken. Wenn er von seinem Bleisatz schwärmt, blitzen die wachen hellen Augen hinter der runden Gelehrtenbrille. Er ist Kalligraph, Kupferstecher, Schriftsetzer, Buchdrucker, Graveur und Xylograph (»einer der ins Holz schreibt«). Der letzte in Deutschland. Sein Offizin in der Schlehengasse 15 besteht aus kleinen verschachtelten Kämmerchen im Souterrain eines Fachwerkhauses aus dem 15. Jahrhundert. Neben der niedrigen Eingangstür steht eine schwere Korrex-Handpresse und dahinter eine altertümlich anmutende Papierschneide-Maschine mit Handbetrieb. Es riecht nach Druckerschwärze und vergilbtem Papier. Bis unter die altersdunkle Holzbalkendecke sind die Räume vollgestellt mit Setzkästen, Steckschriftregalen, Druckstöcken, Farbdosen und Papierstapeln. In einer Vitrine liegt penibel aufgereiht das Handwerkszeug des Xylographen: Grabstichel, Hohl-, Rund- und Knieeisen, Stechbeitel und Grundmeißel. Geräte, wie sie die Formschneider seit Jahrhunderten benutzen.
Holzschnitt und Holztafeldruck gelten als die ältesten mechanischen Vervielfältigungsverfahren. Sie wurden gefördert durch den geistigen Aufbruch im ausgehenden Mittelalter, als der Drang zur freien Rede aufkam und damit der Wunsch, das Aufgezeichnete zu vervielfältigen und zu verbreiten. Souveräne Städte gewannen an Macht. Nicht zuletzt deshalb, weil in ihren Mauern mit dem Holzschnitt und dem Abreibeverfahren die Technik der Vervielfältigung vorhanden war. Auch die Kunst des Papiermachens war bekannt. Im 2. Jahrhundert nach Christus in China erfunden, kam das Papier durch die Araber über Spanien nach Europa. Der Nürnberger Patrizier Ulman Stromer betrieb ab 1390 die erste Papiermühle Deutschlands. Gedruckt wurden Bücher, Spielkarten und Flugblätter. Der empfindliche Holzdruckstock, in den die Buchstaben und Bilder seitenverkehrt geschnitten waren, ließ nur kleine Auflagen zu. Trotzdem gehen wissenschaftliche Schätzungen davon aus, dass die Gesamtauflage aller vor Gutenberg entstandenen Drucke die Millionengrenze deutlich überschritt. Inkunabeln oder Wiegendrucke werden diese, nur noch in wenigen Exemplaren erhaltenen Blätter genannt. Eines der schönsten Beispiele für den Holztafeldruck ist das im 15. Jahrhundert entstandene Blockbuch »Ars moriendi«, eine Sterbelehre in deutscher Sprache.
Nachdem Gutenberg die bewegliche Letter erfand, trat der Buchdruck ab 1450 seinen Siegeszug an. Massenhafte Wissensverbreitung wurde möglich. Für den Druck von Illustrationen spielte der Holzschnitt die entscheidende Rolle. Die kraftvolle Linienführung und die bewegten Schraffuren der Bilder von Dürer, Cranach, Altdorfer, Holbein und anderen, zeugen von der Blütezeit der Holzschnittkunst. Es entstand eine Arbeitsteilung. Der Künstler machte den Entwurf. Der Formschneider übertrug die Zeichnung auf die geglättete Langholzplatte. Er kerbte, stemmte und schnitt die Stellen aus, welche im Druck weiß erscheinen sollten. Stehen blieb im Holz, was der Zeichnung des Künstlers entsprach.
Ende des 18. Jahrhunderts erfand der Engländer Thomas Bewick den Holzstich. Er experimentierte mit dem Graveurstichel in Hirnholz. Seine Abbildungen erreichten fast fotografische Qualität. Das Künstlerische trat mehr und mehr in den Hintergrund. Erst die Erfindung der fotochemisch erzeugten Druckplatten verdrängte Ende des 19. Jahrhunderts den Holzstich als wichtigste Illustrations-Druckform.
Wie ein mehrfarbiger Holzstich entsteht
Rudolf Rieß setzt sich an seine Werkbank und legt die polierte Holzplatte auf das mit Sand gefüllte Lederkissen. »Im Hirnholz kann ich Linien im engen Radius ausstemmen«, sagt er, »im Langholzbrett, parallel zur Holzfaser, geht das nicht. Die Messerklinge würde brechen«. Behutsam drückt er das scharfe Eisen in das harte Buchsbaumholz. Der Stichel reagiert auf die kleinste Handbewegung. Er hinterlässt mal eine haarfeine, mal eine dicke Spur. Rieß’ Daumen liegt auf dem Holz wie ein Lineal. »Das wichtigste ist das Licht«, sagt Herr Rieß. Er schwört auf die sogenannte Schusterkugel. Von einer Lampe angestrahlt, erzeugt die mit Wasser gefüllte Glaskugel einen warmen gleichmäßigen Lichtpunkt, der auf das Werkstück fokussiert wird. Schon die Meister des Mittelalters nutzten diese Glaskugel um im flackernden Kerzenlicht präzise arbeiten zu können.
Auf dem Lederkissen von Herrn Rieß entsteht ein mehrfarbiges Exlibris nach dem Chiaroscuro-Verfahren. Auftraggeber ist ein Kunstprofessor aus Mailand. Die Technik wurde von italienischen Renaissance-Künstlern entwickelt. Alle Farben werden aus einem Druckstock geschnitten. Zuerst die Hintergrundfarbe. Nach dem Druck dieser Farbe wird aus der Druckfläche die zweite Farbe herausgeschnitten usw. Zum Schluss bleibt nur noch der Druckstock der schwarzen Kontur übrig. Der Chiaroscuro-Holzschnitt, ist ein Unikat. Weil die Druckstöcke der Grundfarben nicht mehr existieren, ist er nicht wiederholbar.
Exlibris sind kleine gedruckte grafische Kunstwerke. Sie entstanden aus den mittelalterlichen Besitzvermerken mit denen die Klöster ihren Besitzanspruch an wertvollen handgeschriebenen Folianten anzeigten. Sammler aus der ganzen Welt bestellen heute bei Rudolf Rieß individuell gestaltete und in Holz geschnittene Exlibris. Auf seiner Webseite. »http://www.rudolf-riess.de« ist ein ganzer Katalog wunderschöner Motive zu bewundern. Ein Querschnitt seines künstlerischen Schaffens. Exlibris sind neben handgesetzten Glückwunschkarten und Urkunden seine wichtigsten Aufträge. Manchmal entsteht in seiner museumsgleichen Werkstatt auch ein mit Holzschnitten prächtig illustriertes Buch, im Bleisatz gesetzt und in Kleinauflage auf der Handpresse gedruckt.
Eines Tages erhielt Rudolf Rieß vom Albrecht-Dürer-Museum den Auftrag einen verlorengegangenen Druckstock neu zu schneiden. Vorlage war ein vergilbter, stark beschädigter Originaldruck. Mit dem Messer stieß er bald an technische Grenzen. Die engen Rundungen und die Schraffuren des Originals, konnte er nur mit dem Grabstichel erzeugen. »Dürer muss die 300 Jahre später ›erfundene‹ Technik des Holzstiches bereits beherrscht haben«, sagt Herr Rieß, »anders ist die dreidimensionale Wirkung seiner Holzschnitte nicht zu erklären«.
Neben seiner Werkstatt-Tätigkeit betreut Rudolf Rieß zahlreiche Projekte im Germanischen Nationalmuseum, hält Kurse für Schulklassen und vermittelt den Kindern das faszinierende haptische Erlebnis, mit Bleibuchstaben zu gestalten und das selbstgeschaffene Werk auf der Handpresse zu drucken.
Das Vorbild: Ernst von Dombrowski
Einer der bedeutensten Künstler der Xylographie war Ernst von Dombrowski. »Er war mein Vorbild«, sagt Herr Rieß, »weil bei ihm die schöpferische Intention des Künstlers und die Perfektion des Handwerksmeisters zusammentrafen«. Professor Ernst von Dombrowski lebte und arbeitete nach dem 2. Weltkrieg bis zu seinem Tod im Jahr 1985 in Siegsdorf. Er war Maler, Illustrator und erfolgreicher Buchautor. Seine höchste Meisterschaft erlangte er im Holzschnitt. Mögen seine Bildmotive vom Betrachter unterschiedlich beurteilt werden, unbestritten ist ihre technische Qualität. Die Klarheit der Linien und die Bestimmtheit der Strichführung sind einzigartig. Seine späten Holzstiche wirken so plastisch wie geschnitzte Holzfiguren. Sie erinnern an Skulpturen von Barlach. In der Galerie im Siegsdorfer Rathaus ist Dombrowskis Arbeitsplatz aufgebaut. Auch eine Auswahl seiner Werke ist dort zu besichtigen.
Am Ende unseres Besuches im Offizin Rudolf Rieß öffnet der Meister das geheimnisvolle Kästchen. Es stammt aus der Zeit als er beim weltgrößten Wertpapierdrucker Giesecke & Devriant als Graveur beschäftigt war. In Wachs, in Metall und als Relief in einem Stück feinmaschigem Kupfersieb lächelt uns der jugendliche König Bhumibol entgegen. »In der Papiermaschine wird die Pulpe, der zähflüssige Papierbrei, über das Langsieb geschöpft und getrocknet«, erklärt Herr Rieß. »Das Relief im Kupfersieb, das von einem erhitzten Metallstempel erzeugt wird, bewirkt eine Verdünnung des Breis. Im getrockneten Papier entsteht dadurch an dieser Stelle eine transparente Zeichnung«. Wir halten den 10-Baht-Schein gegen das Licht. Fernöstliche Weisheit verströmend blickt uns der junge König Bhumibol an. Sein geheimnisvolles Lächeln ist eines der vielen handwerklichen Meisterwerke von Herrn Rudolf Rieß.
Otto Huber
22/2007