Der Kaindler-Sohn verpasste seinem Lehrer eine Watschn
Die Ruhpoldinger Sommerausstellung befasst sich mit dem örtlichen Schulleben im Wandel der Zeit





Als große Hilfe für den Sammler erwies sich das erstaunliche Erinnerungsvermögen von Loni Daburger (Jahrgang 1918, geb. Hallweger). Durch ihr weitreichendes Wissen gelang es, den betreffenden Jahrgängen Hunderte von Namen zuzuordnen und so die fraglichen Personen eindeutig nach ihrer familiären Abstammung für die nachfolgenden Generationen festzuhalten. Dieser Aspekt kann insbesondere für weitere, persönliche Ahnenforschungen von entscheidendem Vorteil sein. Ihr Sohn Matthias Daburger hat die bestehende Sammlung ergänzt und um die neueren Jahrgänge erweitert. Weitere Ruhpoldinger waren behilflich, und so ist ein umfassendes Kulturgut entstanden, das in seiner Bandbreite die Jahrgänge von 1891 bis 1950 komplett abdeckt. Eine weitere Sequenz mit Fotos von Lehrkräften, Schulgebäuden sowie Ereignissen wie die Heilige Kommunion, Firmung und Ausflügen rundet die interessante Schulhistorie ab.
Da die Schülerinnen und Schüler bei Gruppenaufnahmen fast ausschließlich von ihren Lehrkräften, teilweise auch von der Geistlichkeit flankiert wurden, stellt sich angesichts der vielen vergrämten Mienen automatisch die Frage, inwieweit die damals üblichen Prügelstrafen und Züchtigungen angewendet wurden. Wie oft mag wohl der gefürchtete »Tatzenstecka«, das Lineal, die peitschende Weidenrute auf die kleinen ausgestreckten Handflächen oder gar aufs Hinterteil niedergesaust sein? Wie oft wohl mag der Watschenbaum umgefallen oder ein Büschel Haare in der Hand des Strafenden verblieben sein? Helmut Müller und auch der Schreiber dieser Zeilen waren sicher nicht die Einzigen, die in den »Genuss« verschiedenster Varianten gekommen sind. Da körperliche Bestrafungen und seelische Verletzungen rechtlich abgesegnet und sogar von den Eltern gutgeheißen wurden, gehörten sie einfach zum täglichen Schulbetrieb.
Und das sogar bis in die neuere Zeit. Zwar gab es erstmals in den 1970er Jahren ein offizielles Verbot durch die Landesschulverordnungen, jedoch blieben die jahrhundertelang praktizierten Maßnahmen bis auf Weiteres als probates Mittel in den Köpfen verankert. Mit Rückendeckung für die Lehrkräfte. Noch 1979 stellte das Oberste bayerische Landgericht fest, »… dass auch durch die neuen Schulverordnungen das gewohnheitsrechtlich begründete Züchtigungsrecht für Lehrer nicht außer Kraft gesetzt werden könne.«
Ein Jahr darauf, 1980, wurde in Bayern die Prügelstrafe dann endgültig durch das »Recht auf gewaltfreie Erziehung« verboten.
Freilich muss man in diesem Kontext auch deren damalige Situation verstehen. Überbordende Klassenstärken von 50 bis 70 Kindern, ungenügende Räumlichkeiten, fehlende sanitäre Anlagen, »viehische Rohheit der Schüler«, wie einem Zustandsbericht aus dem Ruhpoldinger Heimatbuch zu entnehmen ist und gewiss andere, dem Schulbetrieb nicht gerade zuträgliche Faktoren werden dazu beigetragen haben, mit sprichwörtlich harter Hand zu Werke zu gehen.
Vielleicht legte man aber auch den Hebräerbrief aus dem Neuen Testament als wohlfeile Legitimation zugrunde, in dem Paulus schreibt: »Denn, wen der Herr liebt, den erzieht er mit Strenge; und wen er als seinen Sohn annimmt, dem gibt er auch Schläge. … In dem Augenblick, in dem wir gestraft werden, sind wir unglücklich und unzufrieden. Aber später zeigt sich …, dass es gut war und dass sie zu Menschen geworden sind, die das Rechte tun und Frieden verbreiten.« Einer, der von dieser göttlichen Absegnung nicht viel hielt, war der Sonntagsschüler Lorenz Gastager, Kaindlersohn in der Schwaig. Er drehte 1825 den Spieß um und vergriff sich in Gegenwart der übrigen Schüler an seinem Lehrer Joseph Höpflinger, gab ihm eine Ohrfeige und »… brachte ihm im Gesicht fünf Kratzer bey, dass er blutete.«
Der beispiellose Vorfall kam bis vor das königliche Landgericht, das prompt zur Bestrafung des Übeltäters eine dreiköpfige Kommission ins Miesenbacher Tal schickte, um dem nicht mal 14 Jahre alten, als äußerst verwegen bezeichneten Knaben »sechs Ruthenstreiche« zu verabreichen. Dass der Bursche dabei nicht im Geringsten schrie, »… hängt alles von einer schlechten Erziehung ab«, wie der Chronist abschließend anmerkte.
Das pikante an der ganzen Sache ist die Tatsache, dass ausgerechnet der Vater des verwegenen Burschen sich als Schulassessor verdingte. Ob er seinen Job letztlich behalten konnte, darüber lässt uns das Heimatbuch im Unklaren.
Ludwig Schick
Quellenachweis: Ruhpoldinger Heimatbuch.
34/2017