Der Jesusknabe als »Seelenkind«
Kostbarkeiten aus bayerischen Klöstern




Seelenkind? Seelentröster. Herzenskind. Solche Bezeichnungen für das Christkind drücken eine tiefe, emotionale Bindung aus. Verließen früher Novizen ihre Familie und gingen ins Kloster, um Nonne zu werden, bekamen sie ein »Kindl« mit. Als Krönung ihrer Aussteuer. Je begüterter die abgebende Familie war, desto reicher gestaltete sich die Mitgift.
In den meisten Fällen bestand sie aus einem wächsernen Jesulein. Es lag auf einem seidendrapierten Bettchen, mit Fatschenbändern aus Silberlamé und sündteuren Anhängern – Münzen, Ketten, Ringen, Medaillen – als Auszier. Ein »Trösterlein« blickte die werdende Nonne mit echt wirkenden Glasaugen an. Über der hölzernen, fleischfarbenen Nacktheit, die selbstverständlich verborgen bleiben sollte, trug so ein »Trösterlein« ein knöchellanges Seidengewand, dazu Häubchen, Gürtel, Gängelbänder und Schühchen, bestickt mit Pailletten und mit weichem Leder besohlt.
Die angehende Klosterfrau stellte ihr »Kindl«, wie sie das Jesuskind nannte, altarähnlich in ihrer spärlich möblierten Zelle auf. Sie kleidete es weniger nach ihrem eigenen Geschmack denn nach kirchenjahreszeitlich wechselnder liturgischer Erfordernis. Wie zahlreiche mündliche und schriftliche Überlieferungen bezeugen, herzte und wiegte sie es mütterlich – als wär's ihr eigen Fleisch und Blut.
Mehr als 200-fach begegnet dem Besucher der wunderbaren Ausstellung »Seelenkind« im Freisinger Diözesanmuseum das Christkind. Als Skulptur aus Holz, Wachs oder Elfenbein. Auf Leinwand gemalt oder auf Holz gepinselt. Gedruckt in Betrachtungsbüchern oder als kleines Andachtsbildchen für Truhe, Schrank oder Gebetbuch. Lebensechter sind die herzigen »Pupperl« in eigens für sie hergestellten Kästchen, Glashäuschen und Schreinen geborgen. Diese sind oft vergoldet und mit Samt und Seide dekorativ ausgeschlagen. Hier auf Stühlchen thronend, dort auf Sockeln stehend, die Weltkugel oder den Kreuzstab tragend, schauen den Besucher verschiedene Jesuskind-Figuren an. Manche schauen fröhlich drein, manche verklärt. Die auf Krippenstroh gelegten und von Maria, Joseph, Ochs und Esel samt jubilierender Engelschar behüteten, erheben den rechten Arm zum Segnen.
Bald selbstständig, bald als Zentrum der Heiligen Sippe oder des Heiligen Wandels, ziehen die »Kindl« den Blick der Frommen auf sich. Am originellsten und am ältesten: Das fingerlutschende Jesuskind aus Mindelheim, einer Sitzfigur aus dem 14. Jahrhundert. Alle in Freising versammelten, kostbaren »Seelenkinder« stammen aus bayerischen Frauenklöstern. Die sie liebevoll bis heute hätschelnden Schwestern liehen sie, nicht selten unter Bedauern und nur unter der Zusage höchster Achtsamkeit, für die Zeit der Ausstellung her – manchmal legten sie, nicht ohne Stolz, die possierliche Garderobe bei, die in ihrer Fülle und Vornehmheit, von Kronen und Perlenketten, Brustkreuzen und Beigaben wie Flammenherz oder Weintraube bis hin zu Strümpfen und Schuhwerk, auf liebevoll pfleglichen Umgang am Bergungsort schließen lässt und zum dreiteiligen Ausstellungs-Motto führte: »Verehrt. Verwöhnt. Verklärt«.
Im Mittelpunkt der Verehrung – viele Klöster wie Salzburg oder Altenhohenau bei Wasserburg am Inn wurden, das dürfte vielen auch Nichtgläubigen geläufig sein, zu Christkind- Wallfahrtsstätten – steht der Jesusknabe in seiner menschlichen und göttlichen Natur. Mehrfach weist er bereits in seiner Anfangs-Gestalt auf das bittere Ende hin: Leiden und Kreuzestod. Die manchmal geradezu mystisch in die Kindheit Jesu abgetauchten Nonnen verwöhnten ihren kostbaren Baby-Ersatz nach allen Regeln der Kunst. Ihr »Pupperl« wurde zum »Popperl«. Als konkretes Glaubenszeugnis verklärte manch bayerischer Frauenkonvent seinen »göttlichen Haushalter«, wie da und dort das Christkind liebevoll hieß.
Der vor noch nicht langer Zeit zum Museumsdirektor ernannte, promovierte Münchner Volkskundler und Theologe Christoph Kürzeder, der mit seiner dritten großen Ausstellung binnen weniger Monate wieder Geschmack mit dem außerordentlichen Geschick verbindet, der Öffentlichkeit einen neuen Aspekt von Spiritualität nahezubringen, widmet die Schau all den Nonnen, »die sich mit ihrer radikalen Lebensentscheidung zu einer tiefen Christusbeziehung bekennen«. Christoph Kürzeder und seinem Team gelang mit zahlreichen, oft in Staunen versetzenden, in neues Licht getauchten, nicht selten faszinierenden Details eine sowohl reichhaltige wie kunsthistorisch innovative Präsentation bayerischer Frömmigkeitskultur. Auf den brillanten Katalog (32 Euro an der Museumskasse) mit den farbigen Abbildungen aller Exponate kann man eigentlich nicht verzichten. Allein die ungeschönten, einmal nicht gestellten Einblicke in heutiges Frauenklosterleben mit Schwarzweißaufnahmen des hervorragenden Münchner Fotografen Thomas Dashuber machen das Buch so anziehend wie die Schau selbst.
Dr. Hans Gärtner
Die Ausstellung »Seelenkind«, Diözesanmuseum Freising, ist noch bis zum 10. Februar täglich außer Montag von 10 bis 17 Uhr. Es gibt Gruppenführungen und ein Begleitprogramm.
2/2013