Der Industriepionier Josef von Utzschneider
Zu seinen Aufgabengebieten gehörte auch das Salinenwesen in Traunstein




Der Erfolg hat viele Väter – das gilt auch für den erfolgreichen Aufstieg Bayerns von einem Agrarstaat zum Industriestaat, wie er sich seit dem 18. Jahrhundert Schritt für Schritt vollzogen hat. Unter den Männern, die diesen Wandel maßgeblich bewirkt haben, nimmt der Industriepionier Josef von Utzschneider einen führenden Platz ein. Für unsere Region ist Utzschneider in besonderem Maße interessant, weil er das Salinenwesen in Traunstein, Bad Reichenhall und Berchtesgaden erneuerte sowie die Verlängerung der Soleleitung bis nach Rosenheim und den Bau der Rosenheimer Saline in die Wege leitete.
Utzschneider war das, was man heute einen Top-Manager nennt, eine wirtschaftliche Führungskraft von außergewöhnlichen Graden, gleich erfolgreich im Dienst von Kurfürst Karl Theodor und König Maximilian Joseph wie als Privatunternehmer. Wichtige Stationen seiner Karriere: Hofkammerrat, Direktor des Kurfürstlichen Hauptsalzamtes, Referent im Finanzministerium, Vorstand der Vermessungs- und Steuerregulierungskommission und der Kommission für die Tilgung der Staatsschulden, Inhaber einer Reihe von Manufakturen wie einer Lederfabrik, eines mathematisch- mechanischen Instituts für Feinmechanik, einer Zuckerfabrik, Bürgermeister von München und Abgeordneter der Ständevertretung. Das Motto seines Handelns: »Ich will nicht glänzen, sondern nützen.«
Die Wiege Utzschneiders stand in Rieden am Staffelsee, wo er im Jahre 1763 als Sohn eines Kleinbauern und Viehhändlers zusammen mit acht Geschwistern aufwuchs. Schon früh verlor er durch einen Unfall sein linkes Auge. Sein in München lebender Onkel ermöglichte dem aufgeweckten Buben den Besuch des Gymnasiums in München und der Universität in Ingolstadt. Der Onkel war ein Vertrauter der Herzogin Maria Anna aus der bayerischen Linie der Wittelsbacher, der Witwe von Kurfürst Max III. Joseph. Dessen Nachfolger, der pfälzische Vetter Karl Theodor, verfolgte sehr zum Leidwesen seiner Münchner Verwandten den Plan, große Gebiete Bayerns gegen die österreichischen Niederlande auszutauschen.
Eine der schärfsten Gegner dieses Tauschhandels war die Witwe des Kurfürsten, Herzogin Maria Anna. Sie setzte sich mit Friedrich dem Großen in Verbindung, um den Länderschacher zu verhindern. Der 15-jährige Utzschneider wurde als Geheimkurier für den Briefwechsel zwischen der Herzogin und dem Preußenkönig eingesetzt. Ein brisantes Unterfangen für den Halbwüchsigen. Einmal geriet seine Kutsche in eine Polizeikontrolle. Utzschneider konnte nur mit Mühe entkommen und sich zu Fuß nach Berlin durchschlagen. Die Verschwörer erlebten die Genugtuung, dass der Ländertausch letztlich nicht zustande kam. So verdiente sich Utzschneider die ersten Meriten im Dienst des Vaterlands.
Bei der Herzogin hatte Utzschneider künftig einen Stein im Brett. Sie übertrug ihm die Verwaltung ihres Guts Schweiganger, mit 20 Jahren erhielt er die Ernennung zum akademischen Mathematik- und Physiklehrer, ein Jahr später wurde er in das Gremium des Hofkammerrats berufen, wo er sich vor allem dem Forstwesen widmete und die erste Forstschule für Bayern gründete. Künftig sollten alle Forstdienststellen nur studierten Kandidaten mit bestandener Prüfung verliehen werden. Verständlich, dass diese Regelung nicht zu Utzschneiders Beliebtheit beitrug, denn bisher waren diese Stellen meist reine Versorgungsposten gewesen. Auch sein Versuch, in Oberbayern in großem Umfang Moore zu kultivieren, scheiterte weitgehend am Widerstand der Klöster und Landstände, die ihre Jagdprivilegien bedroht sahen.
Dagegen wurde die Neuordnung des Salinenwesens, die er, ausgestattet mit dem klangvollen Titel eines »Hauptsalzadministrators« bis 1799 durchführte, ein voller Erfolg. Es ging um die von dem Schweizer Mechaniker Johann Sebastian Clais geplante Verbesserung der Salzqualität und die Steigerung der Produktion bei gleichzeitiger Holzeinsparung. Die Druckrohre der Soleleitung nach Traunstein und die Vorratsbehälter für die Sole wurden vergrößert und in der Au entstand das 80 Meter lange Karl-Theodor- Sudhaus, in dem alle Phasen der Salzproduktion vom Sieden bis zum Verpacken vereinigt waren.
Als wahrer Spezialist für Konfliktlösungen erwies sich Utzschneider bei seinen Verhandlungen über die Beilegung der Differenzen zwischen Bayern, Salzburg und Berchtesgaden wegen dem Nutzungsrecht an den kurfürstlichen, erzbischöflichen und fürstpröpstlichen Salinen. Zunächst beharrte jede Partei auf ihrem Standpunkt. Utzschneider gelang es in langwierigen Verhandlungen, die Berchtesgadener Salinen samt den Waldungen gegen eine jährliche Pacht von fünfzigtausend Gulden auf Bayern zu übertragen, wofür ihm vom Landesherrn »zum fortwährenden Merkmal landesfürstlichen Dankes« eine lebenslängliche Extrazahlung und die Erhebung in den Personaladel zuteil wurde.
Im Jahre 1799 wurde er vom neuen Kurfürst Maximilian Joseph auf die Schlüsselposition des Geheimen Referendärs ins Finanzministerium berufen. Dort erkannte er schnell die ganze Misere des desolaten Finanzwesens: Den Einnahmen von sechs Millionen Gulden standen zehn Millionen Ausgaben gegenüber. Bayern befand sich praktisch vor dem Staatsbankrott. Einzige Lösung nach Utzschneider: Reduzierung der Ausgaben für den Hof, Tilgung der Staatsschulden mit Hilfe einer Säkularisation der Klöster und Einberufung eines neuen Landtags. Mit diesen Forderungen geriet Utzschneider zwischen die Fronten von konservativen und fortschrittlichen Fraktionen. Offensichtlich hatte er sich in den Ränkespielen zwischen Absolutismus und Revolution verfangen. Man bezweifelte seine Verfassungstreue und er wurde mit 38 Jahren in den Ruhestand versetzt. Immerhin unter Beibehaltung seines vollen Gehalts.
Nun begann Utzschneiders Karriere als Unternehmer. Er baute in München eine Ledermanufaktur auf und erwarb das säkularisierte Kloster Benediktbeuern, um es zum landwirtschaftlichen Musterbetrieb zu machen. Hier gründete er gemeinsam mit Georg von Reichenbach und Josef Liebherr das »Mathematisch-mechanische Institut«, in das auch der geniale Optiker Josef Fraundorfer eintrat und das optische Präzisionsgerät von europäischem Ruf herstellte. Das dazu benötigte Glas von bester Qualität lieferte die eigene Glasschmelze in Benediktbeuern.
Nach sechs Jahren wurde Utzschneider erneut ins Finanzministerium geholt. Als Gründer und Vorsitzender der Steuer-Kataster-Kommission bemühte er sich darum, die Grundsteuer durch Vermessung der Parzellen auf eine neue Basis zu stellen und auch die bisher steuerfreien Güter von Adel und Geistlichkeit der Besteuerung zu unterwerfen. Wenig später wurde ihm zusätzlich die Anstalt für die Tilgung der Staatsschulden- und der Steuerkataster-Kommission zur Leitung anvertraut. Aber mit seinen Plänen einer radikalen Steuerreform konnte er sich beim allmächtigen Finanzminister Graf Montgelas nicht durchsetzen und gab um seinen Abschied ein. Der König wollte ihn wenigstens als Salinenadministrator halten, doch Montgelas sagte dazu Nein. Andernfalls werde er selbst den Hut nehmen, denn er könne »nicht mit einem Manne in amtlichen Beziehungen stehen, der oft zu subordinationswidrigen Ausfällen neige, wenn der verantwortliche Minister seine nicht immer wohldurchdachten Pläne nicht unbedingt billige«. Abgesehen von sachlichen Differenzen stimmte wohl zwischen den beiden Männern die Chemie nicht. Die Stunde für Utzschneiders Reformideen war jedenfalls noch nicht gekommen – er war wie so manches Mal seiner Zeit voraus.
Unbelastet durch öffentliche Ämter konnte sich Utzschneider nun ganz seinen unternehmerischen Aufgaben hingeben. Er gründete eine Tuchmanufaktur, eine Brauerei und eine Zuckerfabrik. Außerdem rief er den Polytechnischen Verein ins Leben und übernahm den Vorsitz des Polytechnischen Zentralinstituts, der späteren Technischen Hochschule. Auch politisch blieb er im Geschäft, wurde zweiter Bürgermeister von München und Abgeordneter der Ständeversammlung.
Utzschneiders Leben endete tragisch. Als er mit der Kutsche zum Landtag fahren wollte, scheuten am Giesinger Berg die Pferde und schleuderten das Gefährt gegen eine Hausmauer. Utzschneider erlitt eine schwere Gehirnerschütterung und mehrere Brüche. Ohne wieder das Bewusstsein zu erlangen, starb er zwei Tage später am 31. Januar 1840. Sein Grab befindet sich am Münchner Alten Südfriedhof unweit der Gräber seiner Mitstreiter Georg von Reichenbach und Josef Fraunhofer.
Julius Bittmann
2/2014