Der falsche und der richtige Mozart
Bildnisse des Salzburger Komponisten unter der Lupe





Eine Institution vom Range der »Stiftung Mozarteum« arbeitet gewissenhaft. Bei der Vorbereitung der Ausstellung »Mozart-Bilder - Bilder Mozarts«, die in diesem Jahr bis Mitte April im Salzburger zum Museum gewordenen Wohnhaus der Familie Mozart auf dem Makartplatz, Hausnummer 8, gezeigt wird, ergaben sich Aufsehen erregende Befunde, die geradezu als Sensation gefeiert werden. Muss also wieder einmal erst eine Ausstellung ins Haus stehen, um genauer hinzuschauen? Was in diesem Fall bedeutet, an die relativ weit verstreut existenten Einzel- und Gruppen-Bildnisse des 1756 in Salzburg geborenen »Musik Gott« (C. P. Berger vel Lattner) Wolfgang Amadeus Mozart die Lupe anzusetzen. Was dann Ergebnisse zeitigt, die keineswegs nur die Forschung, sondern auch das Publikationswesen, die Werbung und den nicht zu unterschätzenden Festspielstadt-Tourismus etwas angehen? Wer meint, wir wüssten im Zeitalter der schier grenzenlosen Digitalisierung und der damit einhergehenden Vernetzung mit Hilfe der Elektronik bereits alles, irrt. Wie drei neueste Funde in Sachen W. A. Mozart und bislang bekannter Bildnisse des Salzburger Meisters belegen können.
Der Knabe mit dem Vogelnest
Das in Öl auf Leinwand gemalte Bild »Knabe mit dem Vogelnest«, 80 x 60 Zentimeter, wurde vermutlich 1764 gemalt. W. A. Mozart war damals acht Jahre alt. Schon länger zweifelte man daran, dass es sich bei dem dargestellten, blassen Knaben, der, den Blick in die Ferne gerichtet, verträumt mit großen Augen und ausgeprägter Stirn aus dem Bild herausschaut und in seiner rechten Hand ein Vogelnest hält, auf das die linke Hand deutet, um Wolfgang Amadeus Mozart handelt. Die Ähnlichkeit mit bekannten anderen Bildnissen führte wohl im Laufe der Zeit zu der Annahme, ein »richtiges« Mozart-Abbild vor sich zu haben. Wie die »Stiftung Mozarteum« der Presse mitteilt, wurde eine auf Mozart hinweisende Aufschrift später angebracht: »In dieser Weise wurde es der Stiftung Mozarteum 1924/1925 verkauft.« Aus einem kürzlich aufgefundenen Restaurierungsbericht von 1928 geht laut Stiftung nun eindeutig hervor: Dieses Porträt stellt nicht Wolfgang Amadeus Mozart dar.
Auf dem Original befand sich jedenfalls die ehemalige Aufschrift »W. A. Mozart - 1764« nicht, die stets als Beweis für die Identität landläufig herangezogen worden war. Der Verkäufer des Gemäldes hat also demnach, in der Hoffnung, dadurch den Wert des Bildes beträchtlich zu steigern, den Abnehmer bewusst getäuscht. Der Zustand vor der Restaurierung ist einer nach dem Porträt vor der Veräußerung angefertigten Graphik zu entnehmen. Das Blatt ließ der betreffende Kunsthändler anfertigen, der den »Knaben mit dem Vogelnest« der »Stiftung Mozarteum« verkaufte. Damals gab dieser als Verfertiger einen gewissen Joseph Zoffany an, der von 1733 bis 1810 lebte. Diese Behauptung konnte auf Grund einer vor kurzem erfolgten Untersuchung als unzutreffend zurückgewiesen werden.
Der unvollendete Mozart
»Völlig neu« müsse, so die Salzburger »Stiftung Mozarteum«, eines der weltweit bekanntesten Mozartbildnisse eingeschätzt werden: »Ein ursprünglich kleines Brustbild des Komponisten wurde in späterer Zeit um große Teile ergänzt. Diese Partien blieben aber unvollendet. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.«
Bekannt ist aber dies: Der Maler Johann Joseph Lange (1751 bis 1831) malte im Frühjahr 1789 seinen Schwager. Der modernen Radiologie zufolge war das unvollendete Porträt, das seit langer Zeit als das Mozart-Bildnis schlechthin gilt - es zeigt den Dreiunddreißigjährigen im Profil in sinnender Haltung, den Blick schräg nach unten auf ein imaginäres Stück (Papier? Notenblatt?) gerichtet - zu Lebzeiten des Komponisten höchstwahrscheinlich vollendet war: »Ein kleinerer hochrechteckiger Mittelteil mit Kopf, Hals und Schulterpartie Mozarts wurde auf einer zweiten Leinwand aufgeklebt.«
Eine kleine Unklarheit bleibt dennoch. Bis heute konnte noch keiner stichhaltig begründen, warum die Seitenflächen zur Erreichung des Niveauausgleichs mit Bleiweiß grundiert wurden und eine weitere Leinwand aufgetragen wurde, um erst anschließend die auf dem Bild sichtbaren, »unvollendeten« Partien auszuführen. Ein ungeklärter Rest, mit dem die Forschung wohl weiterleben muss.
Die Miniatur auf Elfenbein
In einem schmalen Messingrahmen liegt eine eiförmige, auf Elfenbein gemalte Miniatur unter Glas. Sie ist in den Deckel einer Tabakdose aus Schildpatt eingelassen. Die beigegebene Jahreszahl: 1783. Das Oval misst nicht mehr als 3 x 2,5 Zentimeter. Das große Fragezeichen, mit dem bisher dieses winzige, schon immer als Mozart-Bildnis verehrte Stück stets versehen wurde, ist ab sofort unnötig. Es ist durch ein Ausrufezeichen zu ersetzen: Das ist Wolfgang Amadeus Mozart! Die Stiftung konnte nach verlässlichen Forschungen unter Verwendung aller nur möglichen einschlägigen Dokumente und Quellen dieses Porträt eindeutig als Mozart-Bildnis sicherstellen. Auch an der zugehörigen Jahreszahl 1783 ist als Entstehungszeit nicht zu rütteln.
Die Freude ist, vor allem bei der »Stiftung Mozarteum«, wohl aber auch außerhalb ihrer, riesig: Dieses klitzekleine Porträt ist nun, nach allem, was bisher herausgefunden werden konnte – und es gilt als absolut sicher, dass hier nichts zurückgenommen werden muss – das einzige, auf dem W. A. Mozart nach 1781 bis zu seinem Tod »en face« zu sehen ist. Der Siebenundzwanzigjährige schaut auf der Tabakdose allerdings recht bubenhaft in die Welt. Seine Augen sind rund und strahlen Pfiffigkeit, Klugheit, aber auch milde Nachsichtigkeit und Verständnis aus.
Man weist auf eine gewisse Ähnlichkeit dieser Mozart-Miniatur mit einem Stich des Dresdner Kupferstechers Gottschick von 1829 hin. Dieser Kupferstich bringt sein kleines Werk mit einer Miniatur des Wiener Porzellankünstlers Anton Grassi (1755 bis 1807) in Verbindung, von dem Begegnungen mit dem Komponisten in Wien aus der Literatur bekannt sind.
Wolferl oder Nannerl?
Als 2006/2007 sowohl im Kloster Seeon als auch im Seebrucker Haus des Gastes die Ausstellung »Mein Hanserl, liebs Hanserl…«. Wolfgang Amadeus Mozart und das Benediktinerkloster Seeon« (initiiert und wissenschaftlich begleitet von Robert Münster, München) gezeigt wurde, war auch das im Begleitbuch abgebildete, sogenannte Seeoner Mozartbild im Original zu bewundern. Es zeigt ein kleines Kind mit glatten blonden Haaren in Mädchenkleidung zusammen mit einem graufelligen Hund. Die dargestellte junge Person wirkt eher mädchen- als knabenhaft, was insbesondere den Mund und die runden Wangen betrifft.
Eine Urgroßnichte des vom Knaben Wolferl Mozart verehrten und liebevoll »Hanserl« genannten Seeoner Benediktinerpaters Johannes von Haasy, Mauthnerssohn aus Altenmarkt an der Alz, machte das Bild 1981 der Gemeinde Seeon zum Geschenk. Der Überlieferung zufolge zeigt es den kleinen Wolfgang Amadé Mozart. Dass dieser in femininem Gewand porträtiert wurde, ist gewiss keine Seltenheit, im Gegenteil – noch heute werden Buben, zumal auf dem Lande, ein wenig »dantschig« gemalt und verlieren dabei oftmals ihre bubenhaften Züge zugunsten ansprechenderen, feinen Merkmalen in Gesicht und Gehabe. Im Ausstellungsbegleitbuch, das eine kleine Zimelie für Mozart- Freunde und Chiemgau-Liebhaber darstellt, ist als Bildunterschrift zu lesen: »Eine zweifelsfreie Identifizierung steht noch aus. Womöglich könnte hier auch Nannerl Mozart dargestellt sein«.
Die Vermutung um ein weiteres Mozartbildnis betrifft auch den Maler Johann Nepomuk della Croce, von dem die »Stiftung Mozarteum« eine anonyme Kopie eines Mozart-Bildnisses aus dem Jahre 1926 nach dem Original in Bologna 1777 besitzt. Es war für den monastischen Musikologen Giovanni Battista Martini gefertigt worden. Der Salzburger Komponist ist hier, wenig attraktiv, auch unkindlich mit Allongeperücke in feierlichem dunklem Ornat mit weißem Halstuch und daran hängendem Stern dargestellt. Es ist nach Robert Münster der Orden am rotseidenen Band, der Wolfgang Amadeus Mozart sieben Jahre zuvor von Papst Clemens XIX. in Rom verliehen worden war. Zeitgenössische Mozartporträts Als lebende Mozart-Porträtisten wurden zu der Salzburger Mozartbildnis-Ausstellung 2013 die bildenden Künstler Bernhard Martin, geboren 1966 und Martin Marc Brandenburg, geboren 1965, in enger Kooperation mit der bekannten, einflussreichen Salzburger Galerie Thaddeus Ropac eingeladen. Von Martin und Brandenburg sind zeitgenössische Antworten auf die historischen Porträts des berühmtesten Sohnes der Salzachstadt zu erwarten. Die Werke werden im Foyer des Großen Saals des Mozarteums präsentiert. Dazu der Geschäftsführer und Künstlerische Leiter der »Stiftung Mozarteum«, Matthias Schulz: »Dies entspricht dem großen Anliegen der Stiftung Mozarteum, Mozart auch immer mit Zeitgenössischem und der Gegenwart zu verbinden «. Die kleine Seeoner/Seebrucker Mozart-Schau vor sieben Jahren hatte diesen Gedanken bereits Wirklichkeit werden lassen, indem sie einige Werke des Siegsdorfer Malers Walter Angerer d. J., geboren 1940, zeigte, aus denen eine völlig neue, mit bis dato kaum angewandten, speziellen Techniken verfremdete Sicht auf den von Angerer d. J. oft und oft porträtierten Wolfgang Amadeus Mozart ablesbar war.
Dr. Hans Gärtner
7/2013