Der Erzgießer Ferdinand von Miller
Vor 200 Jahren ist der Schöpfer der Münchner Bavaria geboren




Am gestrigen Freitag, dem 18. Oktober 2013, sind zweihundert Jahre vergangen, dass der Erzgießer Ferdinand von Miller in Bruck, dem heutigen Fürstenfeldbruck, zur Welt gekommen ist. Zahlreiche Bronzegüsse nicht nur in Bayern, sondern auch in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern halten bis heute die Erinnerung an ihn lebendig. Am bekanntesten ist natürlich seine nach dem Entwurf von Ludwig von Schwanthaler gegossene Kolossalstatue der Bavaria auf der Münchner Theresienwiese, mit 16,5 Metern Höhe die größte Bronzestatue seit der Antike. Eine Kopie des Bavariakopfes konnte man kürzlich hautnah bei einer Ausstellung über Leben und Werk Ferdinand von Millers in der Alten Münze in München besichtigen. Hier, in der einstigen »Königlichen Münze« am Hofgraben, befanden sich seine Wohn- und Arbeitsräume; heute hat dort das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege seinen Sitz.
Ferdinand von Miller stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Als Neunjähriger kam er zu seinem Onkel Johann Stiglmaier nach München, der als Münz- und Stempelschneider ein angesehener Mann war. Ferdinand machte eine Lehre als Goldschmied, wechselte dann zurück in die Werkstatt des Onkels, der inzwischen Inspektor der königlichen Münze geworden war. Bei ihm hatte er Gelegenheit, sich mit den Eigenarten des Monumentalgusses vertraut zu machen. Stiglmaier erkannte offenbar das Talent des Neffen und schickte ihn zur weiteren Ausbildung nach Paris, dem damaligen Zentrum des Bronzegusses. Hier lernte der junge Mann die modernen Teilformverfahren mit Sand und die Feuervergoldung großer Bronzestatuen kennen und setzte seine Erfahrungen gleich nach der Rückkehr für den Guss und die Feuervergoldung der Monumentalfiguren der Wittelsbacher Ahnengalerie in der Residenz um.
Als Stiglmaier 1844 starb, wurde Ferdinand vom König zu seinem Nachfolger als Inspektor der Erzgießerei und gleichzeitig zum Professor der Akademie der Künste ernannt. In den Folgejahren baute er die Gießerei zu einem international führenden Unternehmen aus. Bei der Weltausstellung im Londoner Glaspalast erhielt er für den Bronzelöwen auf dem Münchner Siegestor eine Goldmedaille. Durch sein Renommee gelang es ihm, die Marktführerschaft der Pariser Erzgießereien zu brechen und internationale Aufträge einzuheimsen. So goss er die Portale für das Kapitol in Washington, die Standbilder von Simon Bolivar in Bogota und Caracas sowie eine Reihe Reiterstandbilder von amerikanischen Staatsmännern.
Millers Erfolge verschafften ihm breite öffentliche Anerkennung. König Ludwig I. erhob ihn in den persönlichen Adelsstand, den Ludwig II. auf den erblichen Adel erweiterte. Er engagierte sich auch in der Politik, zuerst in der Münchner Stadtvertretung, dann im Bayerischen Landtag und nach der Reichsgründung 1871 im Berliner Reichstag. Von seinen Biographen wird auch sein Einsatz für soziale Fragen und für den Arbeitsschutz hervorgehoben. So verbesserte er die Sicherheitsvorkehrungen in der Gießerei und gründete einen Fonds zur Unterstützung kranker und arbeitsunfähiger Arbeiter.
Millers Ehefrau Anna stammte aus einer Landshuter Beamtenfamilie und gebar 14 Kinder, von denen nur zehn überlebten. Der jüngste Sohn Oskar ist bekannt als der Gründer des Deutschen Museums in München. Für seine vielköpfige Familie erbaute Miller in Niederpöcking am Starnberger See eine Villa, die zum Ausgangspunkt einer ausgedehnten Villenkolonie wohlhabender Münchner werden sollte. Ungeachtet seines Reichtums herrschte in Millers Familie fast übertriebene Sparsamkeit. Wie sein Sohn Ferdinand später erzählte, bestand das gemeinsame Frühstück aus Brennsuppe und trockenem Brot, die Kinder trugen daheim einen mit einer Schnur zusammengehaltenen Baumwollüberwurf, neue Kleidung bekamen grundsätzlich nur das älteste Mädchen und der älteste Bub und gaben diese an die jüngeren Geschwister weiter. »Religion, Vaterlandsliebe, Fleiß, Gehorsam und Einfachheit waren die obersten Erziehungsziele unserer Eltern, und sie gingen uns in Fleisch und Blut über«, heißt es in Ferdinands Erinnerungen.
Aus der Feder des Sohns Ferdinand stammt auch die lebendige Schilderung über die Fertigstellung des Kopfes der Bavaria im Jahre 1844, an der König Ludwig mit seiner Frau Therese und anderen Gästen teilnahm:
»Mein Vater hatte dreißig Arbeiter in dem Kopf der Figur versteckt. Auf den Schultern der Leute standen mein Bruder Fritz und ich. Das hatte mein Vater getan, um den Arbeitern zu beweisen, dass keine Gefahr zu befürchten sei. Die Bürgersängerschaft trug Lieder vor. Dann ließ mein Vater den kolossalen Kopf aus der finsteren Dammgrube heraufziehen. Wie das Haupt, von bengalischem Feuer beleuchtet, so hoch über der Grube stand, dass es frei in der Luft schwebte, wurde innegehalten. Aus dem Kopf schrie es: »Seine Majestät König Ludwig lebe hoch!«
Der König fragte: »Ja, sind denn da Menschen drin?« »Ja, das sind die Arbeiter, die mir beim Gusse geholfen haben.«
Zuerst sind wir Buben erschienen, Fritz und ich, und die Leiter heruntergestiegen. Dann kamen die Arbeiter heraus, einer nach dem anderen machte sein Kompliment. Der König zählte sie und rief bei jedem: »Theres! Noch einer!« Wie es mehr als zwanzig waren, sagte er: »Genug, genug!«
»Ja, Majestät, es sind noch mehr drin.«
»Dann lassen Sie sie herauskommen! Lassen Sie sie herauskommen!...
Am nächsten Tag kam der König schon in aller Frühe zu meinem Vater heraus. »Das war sehr geschickt gemacht, Miller«, sagte er, »wie Sie die Leute immer wieder hineingebracht haben. Man hat gar nichts gemerkt. Sagen Sie mir, Miller, wie haben Sie das gemacht?«
»Die waren alle drin, Majestät.«
»Ach lächerlich, ich liebe solche Scherze nicht. Ich möchte wirklich wissen, wie es war.«
»Ich kann es nicht anders sagen, Majestät.«
»Ah, bah, bah!«
»Wenn es Majestät interessiert, so kann ich die Leute wieder hineinsteigen lassen, damit es Majestät sehen.« Zwei Arbeiter krochen in den Kopf, der König sah hinein und war erstaunt, dass zwei lebendige Menschen drin waren… »Ich habe es gesehen mit eigenen Augen und glaube es doch nicht. Wissen Sie, Miller, das muss die Stadt München sehen, wenn der Kopf auf der Theresienwiese aufgezogen wird.«
Ferdinand von Miller verkörpert den Aufstieg eines Mannes aus einer einfachen Handwerkerfamilie zum einflussreichen und wohlhabenden Großbürger. Seine Karriere spielte sich vor dem Hintergrund einer sozialen Umwälzung ab, als sich Bayern im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich vom Agrarland mit seinen traditionellen Kleingewerben zu einem von Technik und Wissenschaft geprägten Staat mit Großunternehmen wandelte. Durch Freundschaften und Beziehungen verankerte Miller seine Familie in der Münchner Oberschicht und gehörte zu den Honoratioren der Landeshauptstadt. Seine Töchter heirateten in angesehene Bürgerfamilien, die Söhne ergriffen akademische Berufe und machten sich als Ingenieure, Juristen, Professoren und Künstler verdient.
Die letzten Lebensjahre Ferdinand von Millers waren von Krankheit überschattet. Ein Betriebsunfall schränkte seine Bewegungsfähigkeit ein, eine Netzhautablösung ließ ihn halbseitig erblinden, dazu kamen depressive Schübe, die seine Stimmung verdüsterten. Im Alter von 74 Jahren ist er im Kreise seiner Familie gestorben und liegt im Münchner Südfriedhof begraben.
Julius Bittmann
42/2013