Jahrgang 2022 Nummer 35

Der Chiemgau bei den Olympischen Spielen 1972

Hunderte Menschen aus der Region waren in irgendeiner Form daran beteilig

Der Regensburger Walter Röhrl mit seinem Trostberger Beifahrer Hannes Rothfuß beim Start zu einer Sonderprüfung in seinem Ford Capri 2600 RS.
Die Ric Gertys (von rechts): Albert Hopfenauer, Sigi und Gerti Rauchfuß, Paul Komlew und Erwin Kunisch.
Am 23. Mai 1963 trat Ludwig Hinterstocker (rechts) im damaligen Neckarstadion Stuttgart mit den Stuttgarter Kickers gegen Real Madrid an, und traf auf die Fußballlegende Alfredo die Stefano (links).
Christopher Kas und seine Partnerin Sabine Lisicki beim Spiel um den Einzug ins Endspiel der Olympischen Spiele 2012 in London.
Silber bei den Spielen in Tokio 2020 gewann die Seglerin Tina Lutz aus Holzhausen bei Bergen (links) mit ihrer Partnerin Susann Beucke aus Kiel.

Hunderte Menschen aus dem Chiemgau waren 1972 in vielfältiger Weise an den Olympischen Sommerspielen in München beteiligt; sei es als Techniker, Kampfrichter, Helfer oder in anderer Funktion. Einige hundert Chiemgauer nahmen als Organisatoren, Träger der Olympischen Flamme oder als Eskortläufer am Olympischen Fackellauf teil. In den Chiemgau-Blättern vor zwei Wochen haben wir über den Fackellauf durch die Landkreise Berchtesgadener Land und Traunstein bereits ausführlich berichtet. Was im Vorfeld und Umfeld der Spiele alles veranlasst werden musste, damit alles reibungslos läuft, kann man nur erahnen. Anlässlich der Spiele in München fand zum Beispiel auch eine Motorsportveranstaltung statt, die Olympia-Rallye. Die Teilnehmer durchquerten auf ihrer 3400 Kilometer langen Strecke auch Südostbayern. Von Berchtesgaden her kommend absolvierten sie in Ruhpolding eine Wertungsprüfung. Ursprünglich waren es 300 Fahrer. Bis man von Tittmoning über Teisendorf und Berchtesgaden kommend, die Wertungsprüfung im Ruhpoldinger Speedway-Stadion absolvierte, war die Zahl der Teams wegen zahlreicher Ausfälle auf gut die Hälfte geschrumpft.

Motorsport und Spiele:

Olympia-Rallye machte es möglich

In der Zeitung konnte man damals lesen: »Ein motorsportliches Mammutereignis in der Größenordnung der Rallye Monte Carlo oder der East African Safari wird … internationale Rennatmosphäre nach Tittmoning, Ruhpolding und andere Orte der Umgebung bringen. Gemeint ist die Olympia-Rallye, eine Veranstaltung der Superlative. Nachdem der Führende, Achim Warmbold, mit seinem BMW 2002-ti-Werkswagen … bei Kaiserslautern ausgefallen ist, konzentriert sich nun das Interesse auf den Franzosen Bernard Darniche, der derzeit die Führung inne hat.« Im letzten Absatz des Berichtes heißt es: »Und nun noch die Sensation: Der Regensburger Walter Röhrl liegt mit seinem Ford Capri 2600 RS auf dem dritten Platz. Beifahrer von Röhrl ist der Trostberger Hannes Rothfuß, der sich ja schon auf einer ganzen Reihe von Internationalen Rallyes einen Namen gemacht hat.«

In den Siegerlisten tauchten Röhrl/Rothfuß nicht mehr auf. Eine halbstündige Recherche im Internet, um herauszufinden, wie die beiden abgeschnitten haben, verlief erfolglos. Da half »Kommissar Zufall« unserem Autor. Am Tag seiner Internet-Recherche traf er auf einer Geburtstagsfeier in Traunreut einen alten Bekannten, Richard Freundl aus Garching, der selbst Rallyefahrer war. Er erzählte ihm von den Nachforschungen zur Olympia-Rallye und Freundl berichtete, dass er als Einweiser bei der Sonderprüfung im Speedwaystadion in Ruhpolding dabeigewesen sei. Und Walter Röhrl mit seinem Trostberger Beifahrer, so berichtete Freundl weiter, sei etwa 30 Kilometer vor dem Ziel mit einem technischen Defekt am Fahrzeug ausgeschieden.

Ausgelassene Partys bei fetziger Musik der Ric Gertys

Stadionsprecher und damit »die Stimme der Spiele« in München war der bekannte Filmschauspieler Joachim »Blacky« Fuchsberger. Für den richtigen Sound aber sorgten fünf junge Musiker aus Traunreut und Umgebung: Die Ric Gertys. Sie spielten an den verschiedenen Veranstaltungsorten der Wettbewerbe und abends in der Discothek im Olympischen Dorf. Nach den Spielen nahm die Karriere der Band um das in Nußdorf lebende Ehepaar Sigi und Gerty Rauchfuß richtig Fahrt auf. Sie spielten bei der Ehrung der Sportler des Jahres in Baden Baden, hatten Auftritte in Berlin und im ZDF bei Dieter Thomas Heck. Zu verdanken hatten sie das nicht nur ihrer grandiosen Musik sondern auch einem Mann, der sie zu jener Zeit mit genialen Marketingideen gemanagt hat: Fernsehkoch Max Inzinger aus Ruhpolding.

Der war jedoch eine ziemlich dubiose Gestalt, saß sogar im Gefängnis und hat auch die Ric Gertys übers Ohr gehauen. Das kam bei einem Auftritt in Berlin für die Firma Jägermeister heraus. Eines der Bandmitglieder plauderte an der Bar mit der Frau von Firmenchef Curt Mast. Die sagte zwar, die Musik der Gruppe aus dem Chiemgau gefalle ihr sehr gut, der Auftritt komme sie aber ganz schön teuer – 10 000 Mark. Die Musiker wurden stutzig: Sie bekamen doch nur 5000. Es stellte sich heraus, dass sich Inzinger zwei Schecks über 5000 Mark ausstellen ließ und den Musikern nur einen davon gab. Von dem zweiten hätten sie vermutlich nie etwas erfahren.

Das war das Ende der Zusammenarbeit, die mit dem Lied für ChiCheng ihren Höhepunkt erreicht hatte. Chi-Cheng war eine chinesische Medaillengewinnerin der Spiele 1968 in Mexiko und konnte verletzungsbedingt in München nicht antreten, Die Chinesen wollten sie aber nicht als Touristin reisen lassen. Max Inzinger hatte die Idee mit dem Lied, sammelte mit der Aktion binnen kürzester Zeit 20 000 Mark Spenden ein und ermöglichte so die Reise der Sportlerin nach München. Die Ric Gertys waren fortan in aller Munde. Mit ihrem Hit »In der Liebe nichts Neues« aus dem Jahr 1971 hatten sie den Grundstein für ihre Bekanntheit gelegt. Ihre Spezialität war es, Hits der Popgrößen jener Zeit originalgetreu nachzusingen – eine klassische Coverband also.

Während der Spiele fuhren die fünf jeden Morgen nach München und mussten im Büro von Sepp Blatter an der Arcisstraße antreten, der unter anderem das Rahmenprogramm der Spiele einteilte. Von ihm erfuhren sie dann, wo sie an diesem Tag auftreten mussten. Blatter wurde später Präsident des Weltfußballverbandes FIFA. Nach der Trennung von Max Inzinger und dem damit einhergehenden Ausfall vieler Engagements half Blatter den Ric Gertys. Er verschaffte ihnen etliche Auftritte in der Schweiz und lud sie privat zum Essen ein. »Es ging schnell wieder aufwärts«, erinnern sich Paul Komlew und Erwin Kunisch. Beide besuchten dieser Tage unseren Autor und erzählten von dieser aufregenden und spannenden Zeit in München. Komlew gründete nach der Zeit bei der Band in Traunreut eine private Musikschule und ein Musikhaus, das er 2020 aus Altersgründen geschlossen hat. Erwin Kunisch, ein begnadeter Gitarrist, schlug die Lehrerlaufbahn ein, ist aber auch schon längst im Ruhestand.

Falschmeldung: 250 Kajaks aus dem Chiemgau

Auf vielerlei Art profitierten auch Firmen aus dem Landkreis Traunstein und der Umgebung von den Olympischen Spielen in München. Stellvertretend nennen wir an dieser Stelle die Firmen Klapfenberger in Trostberg. Sie bekamen einen Großauftrag für das Olympische Männerdorf. Hermann Klapfenberger sen. von der gleichnamigen Stahlbaufirma berichtete in einem Telefonat für diese Reportage, dass das ein wirklich großer Auftrag gewesen sei. Man habe die Schlosserarbeiten für die Dachaufbauten im Olympischen Männerdorf ausführen dürfen. An die zwei Jahre sei man mit »allen Mann« beschäftigt gewesen, um den Auftrag termingerecht und zur Zufriedenheit der Auftraggeber zu erledigen. Auch die heutige Firma Tankbau Klapfenberger war dabei und unter anderem für die Abdichtungen an den Terrassen und den Flachdächern zuständig.

Die Bootswerft BREWI in Traunstein-Wolkersdorf lieferte 250 Boote für die Teilnehmer der Olympischen Wildwasserwettbewerbe, berichteten die Tageszeitungen während der Olympischen Spiele in München. Das hat aber nicht gestimmt: BREWI lieferte nicht ein einziges Boot und war auch sonst überhaupt nicht in die Spiele eingebunden. Das stellte sich jetzt heraus, als wir für diesen Beitrag Zeitzeugen befragten. Die ersten drei Buchstaben des Firmennamens sind die von Mitinhaber Karl Brenner, der jetzt bestätigt hat, dass in Wolkersdorf nie Wettkampfboote gebaut worden sind. Es gab also auch schon damals Fake News. Autor des Beitrags war übrigens ein angesehener Journalist und Redakteur, der später Chefredakteur einer großen Segelzeitschrift wurde.

Die Wildwasserwettbewerbe fanden im Eiskanal in Augsburg statt – einer künstlichen Wasserstrecke, die noch heute sportlich genutzt wird. 1961 gründeten Franz Wimmer sen. und Karl Brenner unter dem Firmennamen BREWI eine Schreinerei. Durch Ihr Interesse am Wassersport wurden eigene Kajaks, und Kanadier aus GFK entwickelt und gefertigt. Dank dieser modernen Kunststoffe konnte man schon damals Boote bauen, die leicht waren, zugleich aber eine große Festigkeit hatten. Die früher üblichen Faltboote wogen rund 30 Kilo, die Kunststoffboote aus Wolkersdorf nur 16 bis 18 Kilo, Rennboote wogen sogar nur 12 Kilo. Kanurennen gab es während der Olympischen Spiele nicht nur im Augsburger Eiskanal, sondern auch auf der Regattastrecke in München-Feldmoching. Die Mannschaft der Bundesrepublik gewann fünf der 33 Medaillen, die der DDR sechs.

Weltweite Farbbilder dank der Linde in Tacherting

Alle Wettbewerbe der Olympischen Sommerspiele in München wurden weltweit live übertragen. Das hatte es nie zuvor gegeben. Dass das geklappt hat, ist maßgeblich zwei Maschinenbaumeistern der Firma Linde in Tacherting zu verdanken: Xaver Asböck aus Altenmarkt und Hans Gaßner aus Tacherting. Für die Übertragungen war die Deutsche Bundespost zuständig und von der Erdfunkstelle in Raisting am Ammersee aus sollten die Bilder über Satellit in die ganze Welt gesendet werden. Im Innern einer strebenlosen Traglufthalle mit 49 Meter Durchmesser, die als Radarkuppel dient, steht eine Parabolantenne mit 25 Meter Durchmesser. Sie diente bis 1985 dem interkontinentalen Funkverkehr (Telefon und Fernsehen) über Nachrichtensatelliten.

Aufgabe von Asböck und Gaßner war es dafür zu sorgen, dass kleinste Signale ohne störende Nebengeräusche verstärkt werden. Dazu wurden sie über einen künstlichen Rubin geleitet, der in flüssigem Helium auf minus 269 Grad Celsius heruntergekühlt wurde. So konnte man die Signale um das 10 000-fache verstärken. Asböck erzählt, dass das die erste Anlage weltweit war, die so etwas leisten konnte. Es galt zunächst, gasförmiges Helium in flüssigen Zustand umzuformen. Die Expansionsmaschine dafür wurde von Linde in Tacherting entwickelt. Viele Male waren die beiden Mitarbeiter im Vorfeld der Spiele in Raisting, bis alles klappte. Umso entspannter, so erzählt Asbeck, konnte er dann die olympischen Wettbewerbe von daheim aus am Fernseher verfolgen und sich vergewissern, dass er und sein Kollege ganze Arbeit geleistet hatten.

»Wiggerl« Hinterstocker: Starkult Anno dazumal

Während die Liste der Olympioniken aus dem Chiemgau, die an Winterspielen teilgenommen haben, ellenlang ist, schafften es bisher erst drei Sportler aus dem Landkreis Traunstein in die Olympiamannschaft bei Sommerspielen: der Fußballer Ludwig Hinterstocker aus Traunstein, der Tennisspieler Christopher Kas aus Trostberg und die Seglerin Tina Lutz aus Holzhausen bei Bergen.

Der erste Bürger aus dem Landkreis Traunstein, der es zu Olympischen Sommerspielen schaffte, war 1952 Ludwig »Wiggerl« Hinterstocker. Unser langjähriger Sportredakteur Hans Helmberger hat sich für sein 2014 erschienenes Buch »Sport im Landkreis Traunstein« auf dessen Spuren begeben. Hier einige Passagen aus dem lesenswerten Sportbuch, das der Landkreis Traunstein herausgegeben hat:

Ludwig Hinterstocker, der Stürmer des 1. FC Traunstein, war in den fünfziger Jahren ein echter Star, denn er hatte es als einer aus der »Fußballprovinz« geschafft, in die Amateur-Nationalmannschaft aufgenommen zu werden und an Olympischen Spielen teilzunehmen. Entsprechend war auch das Presseecho auf den 1931 geborenen »Wiggerl« Hinterstocker, dem die Zeitschrift »Fußball-Amateur – Das Sprachrohr der Amateur-Vereine« anlässlich seiner Berufung ins Aufgebot für Helsinki 1952 einen eigenen Beitrag gewidmet hatte.

»Das Ausland bewunderte die Explosivität des Traunsteiner Naturtalents«, heißt es da, und der Verfasser ließ keinen Zweifel daran, dass er den Traunsteiner in sein Journalistenherz geschlossen hatte. Von 15 000 D-Mark war die Rede, die dem Traunsteiner »Elektrokaufmann« als Handgeld für einen Wechsel geboten worden seien. Dass Hinterstocker solch verlockende Angebote ausschlug, würdigte der Schreiber wie folgt: »Seine noch ausbaufähige Existenz in Traunstein (Traunkraftwerke), sein solider Charakter (kein Zugvogel), seine alte Liebe zum Club (Jugendspieler), und last but not least, seine alte Mutter, die er abgöttisch liebt und für die er rührend sorgt, gaben den Ausschlag. Hinterstocker blieb! Er ist ja noch so jung (20). Sein Ehrgeiz, seine Treue, seine unermüdliche Trainingsarbeit an sich selbst, sein ausgeprägtes Heimatgefühl und sein tiefverwurzelter Familiensinn sind positive Aktiven. Hinterstocker bestieg nicht das 'Vertragsspielerkarussell' – er blieb Amateur.« Der Verfasser des Artikels namens Hans Stumpf kam aus dem Schwärmen über das Traunsteiner Fußball-Aushängeschild nicht mehr heraus: »Wenn der sangesfrohe, stämmig untersetzte Hinterstocker mit mächtigem Brustkorb und wehender blonder Haartolle auf seiner BMW durch Traunsteins Straßen kurvt, reißt es die Traunsteiner Schuljugend: Der Wigg!«

Ja, und so blieb der 1. FC Traunstein auf ewig stolz auf »seinen« Nationalspieler Ludwig Hinterstocker, der Alkohol und Nikotin »wie der Teufel das Weihwasser« meide, der die 100 Meter in 11,1 Sekunden sprintete und der sich im Winter auch als Skispringer betätigte. Aber die Sache mit dem Amateur hat er sich dann doch überlegt: Schon ein Jahr nach den Olympischen Spielen wechselte er zum Süd-Oberligisten VfB Stuttgart, später zu den Stuttgarter Kickers, und in der Schwaben-Metropole fand er auch seine zweite Heimat.

Der Trostberger Christopher Kas verpasste 2012 eine Olympische Medaille

Niemals zuvor hatten in Deutschland so viele Menschen am Bildschirm ein Tennis-Mixed-Spiel verfolgt. Als der gebürtige Trostberger Christopher Kas und seine Partnerin Sabine Lisicki am 4. August 2012, im Halbfinale um den Einzug ins Endspiel aufschlugen, waren bis zu acht Millionen Zuschauer bei der ARD dabei. Kas, heute 42 Jahre alt, muss etwas schmunzeln und sagt: »Das lag nicht nur allein an uns, im Anschluss stand der 100-m-Endlauf mit Usain Bolt an und darauf haben

alle hingefiebert!«. Der Mixed-Wettbewerb stand in London 2012 erstmals wieder seit 1924 im Olympischen Programm.

Dabei war das Match zwischen Kas/Lisicki und den Briten Andy Murray und Laura Robson im mit 15.000 Besuchern ausverkauften Center Court des All England Lawn Tennis und Croquet Club in Wimbledon an Spannung kaum zu überbieten. Die Favoriten aus Großbritannien, permanent angefeuert von ihren Landsleuten, gewannen den ersten Satz 6:1. Kas/Lisicki kamen zurück, holten sich den zweiten Durchgang mit 7:6, so dass der Match-Tiebreak entscheiden musste. Hier waren die Briten mit 10:7 obenauf, zogen ins Endspiel ein, wo sie dann den Weißrussen Max Mirny/Wiktoryja Azarenka 6:2, 3:6, 8:10 unterlagen.

Kas/Lisicki spielten tags darauf um Bronze. Wieder entschieden nur zwei, drei Bälle das Match. Die Amerikaner holten Bronze mit 6:3, 4:6, 10:4. »Es war schon bitter, so nahe an einer Medaille zu sein und dann wirst du Vierter, was keinen interessiert«, sagt Christopher Kas heute. Aber es war trotzdem ein großes Turnier für ihn, immerhin hatte er mit seiner Partnerin in Runde eins die an zwei gesetzten US-Amerikaner Bob Bryan/Lisa Huber und im Viertelfinale die Italiener Bracciali/Vinci ausgeschaltet, Kas schwärmt heute noch: »Für mich ist mit der Teilnahme in London ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.«

Tina Lutz aus Holzhausen bei Bergen holt 2020 in Tokio Silber

Es war der glücklichste Tag in ihrer sportlichen Karriere als Seglerin: Bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio segelte Tina Lutz aus Holzhausen bei Bergen mit ihrer Partnerin Susann Beucke in der Klasse 49erFX zu Silber. Der Jubel war groß im Team, in der Familie, in ihrem Verein, dem Chiemsee Yacht Club in Prien, und natürlich bei Susann Beucke, die bei Kiel im hohen Norden zu Hause ist. Für diesen Beitrag hat Karlheinz Kas über die Karriere der Ausnahmeseglerin recherchiert.

Dass vor allem harte Arbeit hinter Erfolgen unter Segeln steckt, hat Tina Lutz früh erkannt und umgesetzt. Wie bei der Opti-WM 2005. Auf dem Sankt-Moritz See gelang ihr mit dem Sieg als Teenagerin ein historisches Triple: Sie wurde im gemischten Feld mit Buben und Mädchen als erste Deutsche am Steuer Weltmeisterin, war beste Teilnehmerin und siegte auch mit Team Deutschland in der Mannschaftswertung. Damit wurde die damals 14-Jährige in Deutschland über Nacht zum Segelstar. Die junge Seglerin vom Chiemsee wurde als »Jahrhundert-Talent« bezeichnet und oft an ihrer Ausnahmeleistung gemessen.

Die Silbermedaille liegt in ihrer blauen Holzkiste gut sichtbar in der Stube von Tinas Zuhause in Tirol. Gegenüber an der Scheune hängt noch immer die große Olympiaflagge, unter der sie mit Familie und Freunden nach der Rückkehr aus Japan gefeiert haben. »Ich genieße es, das alles zu sehen, weil es unserem Weg recht gegeben hat«, sagt Lutz.Und dort, wo ihre gemeinsame Karriere am Valentinstag 2007 begann, verabschiedeten sich die jungen Damen jetzt, denn sie werden nach 15 Jahren kein Boot mehr gemeinsam besteigen: Als Olympisches Team und strahlende Olympia-Zweite sagten sie bei der 128. Kieler Woche, auf ihrem Lieblingsrevier, Ende Juni Servus.

Jetzt gibt es wichtigeres im Leben von Tina Lutz: Beruflich ist sie in der Personalabteilung eines großen Unternehmens durchgestartet. Dem Segelsport bleibt sie auf verschiedenen Ebenen treu: »Ich möchte als Trainerin in meinem Heimatverein, dem Chiemsee Yacht Club, etwas zurückgeben. Ich möchte den Kids Mut machen, eigene Wege zu gehen und auf ihr Herz zu hören.« Das Olympische Silber aber kann ihr niemand mehr nehmen.

Klaus Oberkandler

35/2022