Jahrgang 2017 Nummer 5

Den Strick für Franziska Kinz!

Zum »Bruderschafts-Zettel« einer unbekannten Traunsteinerin

Der »Bruderschafts-Zettel« – Größe: 50 mal 38 cm – aus dem Altöttinger Kapuziner-Kloster, ausgestellt für die Traunsteinerin Franziska Kinz, 1872.
Schmuckbild (Kupferstich, 18./19. Jahrhundert) »Fruchtreiche Ertz-Bruderschaft « mit dem heiligen Franziskus von Assisi, Engeln und Arme-Seelen-Gruppe.
Martinus Rosshürdts Schrift (Anfang 18. Jahrhundert) für die in die Seraphische Erzbruderschaft »Einverleibten«.
Die lichtumstrahlte »Seraphische« Christus-Vision des heiligen Franziskus von Assisi mit sechs Flügeln (Detail aus dem Kupferstich).
»Strick-Gürtel« und Rosenkranz eines Franziskaners, aus Ludovico Cigolis Barock-Gemälde »Einprägung der Wundmale auf Alverna«.
Handschriftlicher Eintrag der am 18. März 1872 in die »Strick-Gürtel-Erz-Bruderschaft« zu Altötting aufgenommenen »Franziska Kinz von Traunstein«.
Blumenkorb – Zeichen des Gedeihens und Blühen – als Buchschmuck aus Rosshürdts Schrift. (Die Abbildungen stammen vom Autor)

Wie und wann er ins Haus kam, das einige Schätze altbayerischer Frömmigkeitskultur birgt, ist nicht mehr auszumachen. Er lugte eines Tages, der dem Sichten und Ordnen alter verwahrter Gegenstände vorbehalten war, aus einem Stapel von Blättern ähnlichen Ausmaßes hervor und wollte wohl – endlich einmal – in Augenschein genommen werden. Das 50 mal 38 Zentimeter große, mehrmals gefaltete bedruckte Stück starken weißen, leicht stockfleckigen Papiers einen »Zettel« zu nennen, löste beim Betrachter ein Lächeln aus und verstärkte es noch beim Lesen des Textes: »VI. Nach dem Ableben einer einverleibten Person soll dieser Bruderschafts-Zettel in das Kloster der PP. Kapuziner in Altenötting eingeliefert werden …« Da die, wie ganz unten handschriftlich vermerkt, »Im Jahre 1872 den 18. März« in das »Seraphische Verbündniß in der uralten, von vielen Päpsten hochbegnadigten Erz-Bruderschaft S. P. Francisci« eingegliederte Person, die wohl als Traunsteiner Bürgerin gegoltene Franziska Kinz mit Sicherheit längst nicht mehr am Leben ist, trifft ihre wie immer gearteten Erben der (keineswegs weittragende) Vorwurf, der Nr. VI. dieses Dokuments nicht entsprochen zu haben, sonst wäre es nicht in die Sammlung des jetzigen Besitzers gelangt. Dieser möchte sich gegen eine evtl. geäußerte Anschuldigung, den »Zettel« aus dem Altöttinger Kapuzinerkloster verbracht zu haben, verwahren.

Das seltene altertümliche Stück aus der F. C. Kremer'schen Buchdruckerei (A. Manz) in Augsburg gibt Anlass, sich mit dieser Art frommer Druckgrafik – am Beispiel aus dem Altbairischen zwischen Inn und Traun – zu beschäftigen.

Seraphische Bruderschaften

Seit gut anderthalb Jahrtausenden kennt die römisch-katholische Kirche Bruderschaften. Diese übernahmen, als Vorgänger heutiger ähnlicher Gemeinschaften, Clubs oder (caritativer) Verbände allenfalls notwendige Dienste bei Totenbestattungen und in Angelegenheiten der Krankenpflege. Man verbandelte sich freiwillig zu Übung von Werken der Frömmigkeit, des Gebetes, der Buße und Nächstenliebe und half zusammen. Die Laiengruppen verstanden sich als lose, nicht an Regeln oder Gelübde gebundene Zusammenschlüsse.

Die »Seraphische Bruderschaft« vom heiligen Franziskus von Assisi geht vermutlich auf den Kirchenlehrer Bonaventura zurück. 1270 gab es bereits eine Seraphische »Ertz-Bruderschaft, Confalonis genandt«. »Seraphisch« deshalb, weil dem heiligen Franz in Alverna eines Morgens die Engelsgestalt eines Seraphim mit sechs strahlenden Flügeln erschienen war, in der er den Gekreuzigten in einer Vision schaute und in sich spürte. »Unzahlbare Bruderschaften«, Rosenkranzbruderschaften, Marienbruderschaften, Sebastianibruderschaften gab es – letztlich alle zur Ehre Gottes, zur Mehrung der Gottesdienste und zu Gottes Lob und Preis – durch regelmäßigen Empfang der Sakramente, aber auch durch Fasten, Beten und Almosengaben.

Wählte eine Bruderschaft den Namen eines Heiligen, so stellte sie sich unter dessen Schutz. 1707 erschien ein Büchlein für die in Ingolstadt ins Leben gerufene Erzbruderschaft S. Francisci, »von der Chordel oder Strick-Gürtl genandt«. 1722 folgte ein »Neues Büchlein« im Verlag Augustin Bogner, Neuburg a. d. Donau.

Strick-Gürtel

Warum gerade ein Strickgürtel – und kein anderes Band? »Ihr sollt«, so vernahm Franziskus von Assisi einmal eine innere Stimme während einer heiligen Messe, der er beiwohnte, »weder Gold noch Geld in eurem Gürtel haben« (lt. Matth. 10, 9), worauf der Heilige, wie Bonaventura berichtet, den »Riemen« fortgeworfen und ihn gegen einen Strick eingetauscht haben soll.

Ein Strick gehörte also zur Kleidung ausnahmslos aller in die Erz-Bruderschaft S. Francisci »Einverleibten«. Diese Kordel sollte geweiht gewesen und musste nicht aus Leder gefertigt sein, wie etwa der Gürtel der Augustiner. Einer aus »Flachs / Hanff / Garn oder dergleichen Materi, wie sie die Franciscaner zu tragen pflegen« habe vollkommen genügt, sei sogar viel passender für die »Fratres Minores«, die »Minderbrüder«, gewesen.

Papst Sixtus V. hatte in seinem »Geistlichen Schatzbüchlein« bestimmt, dass ein in die Bruderschaft »Einverleibter« mit einer solchen »Chordel … beständig umgürtet verbleibe und selbige nit am Hals / noch an dem Armb / auch nit in dem Sack / sonder(n) mitten umb den Leib / ausser oder unter den Kleydern« zu tragen sich nicht scheue. Auch wenn oberhirtlich nicht angeordnet, wurde den »Brüdern und Schwestern« der Bruderschaft S. Francisci empfohlen, den Strickgürtel in voller Absicht nicht nur im privaten Bereich, sondern auch öffentlich, etwa bei den monatlichen Prozessionen, umzunehmen.

Bedeutung der »Chordel«

Vier »Geheimnisse« wurden der »Chordel« zugeschrieben. Zum einen erinnerte »jener unglückselige Strick« an die Verstrickung des Menschen in die Erbsünde. Bei Josua, Moses Nachfolger und Führer der Israeliten bei der Landnahme, war von einem »rosafarbenen Sail« zu lesen, das Rahab beim Überfall auf die Stadtgemeinde von Jericho aus dem Fenster hatte zur Sicherheit hängen lassen. In ähnlicher Weise bewahrte der Strickgürtel vor Unheil und Überfall. Die Farbe Rosa wies auf das Blut Christi. Auch stand der Strickgürtel für Jesus Christus selbst, »als jenes dreyfaches / unzertrennliches Sail / mit dem dreyfachen Stricklein seiner Gottheit / Seel und Leib zusammen geflochten / welches uns armen Sündern auß lauter Barmherzigkeit« war »herunterlassen worden«. »Strick und Band« wiesen zum Dritten auf den Leidensmann hin, der gefesselt und gebunden nach Golgatha gegangen war. Christus hatte Nachfolge gefordert – was Franziskus von Assisi in besonderer Weise durch seine seraphische Stigmatisierung auf dem Berg Alverna durchlebt und durchlitten hatte. Schließlich steht bei Lukas lapidar zu lesen: »Eure Lenden sollen umgürtet sein«.

Bruderschafts-Kultobjekte

Zu den mit Bruderschaften verbundenen Kultobjekten zählen malerisch gestaltete leinene Fahnen mit bildlichen und textlichen Darstellungen (zum Beispiel des Patronats), einheitliche, eine Bruderschaft als religiös motivierten »Club« erkennbar machende Gewänder, mannshohe glatte oder (für Vorsteher und Älteste reich verzierte) Stäbe mit Signum oder Monogramm der Bruderschaft zur Repräsentation bei Prozessionen, auch eigene Möbel (Kästen, Laden oder Truhen) zur Bergung diverser Gerätschaften), zu denen große hölzerne Wandtafeln gerechnet wurden, die die Namensschilder von Mitgliedern enthielten.

Briefe, »Zettel«, Aufnahmepapiere

Eine Besonderheit stellen die Bruderschafts-Ablassbriefe oder -Urkunden dar. Sie werden zur großformatigen Andachtsgrafik gezählt; enthalten sie doch in der Regel ein auffälliges zentral gesetztes Bild, einen einzelnen, wohl nicht eigens angefertigten, aus dem Schatz der Gebetbuch-Andachtsbildchen oder Kastenbilder entnommenen farblosen Kupferstich. Diese papierenen Bruderschafts-Dokumente haben sich, massenhaft hergestellt, im Nachlassgut derer erhalten, für die sie ausgestellt wurden, wenn sie nicht in Museen und Sammlungen abgewandert sind. Die teilweise auch zur Erinnerungsgrafik gerechneten religiösen Papiere dokumentierten und bestätigten die Aufnahme eines Mitglieds in eine auf dem Papier ausführlich dargestellte Bruderschaft. Handschriftlich mit Namen, Datum und Ort versehen, sollten sie in die Mappe mit persönlichen Wertgegenständen der betreffenden Person Eingang finden und als Ausweis ebenso dienen wie als »Gebrauchsanweisung« für ein gottgefälliges Leben. Großer Wert wurde auf die von Martin Luther für baren, sträflichen Unsinn gehaltenen und daher heftig bekämpften, gegenreformatorisch dann aber wieder neu durchgesetzten Ablässe gelegt, die dem Bruderschaft-Angehörigen von der römisch-katholischen Kirche gewährt wurden: Erlasse zeitlicher Sündenstrafen mit der Maßgabe, gewisse Auflagen strikt zu befolgen und bestimmte ethische, leider auch finanzielle Leistungen zu erbringen, was vor allem den Zorn des Reformators hervorgerufen hat.

»Ausführlicher Unterricht«

Wer einen »Bruderschafts-Zettel« besaß, genoss gewissermaßen lesend den ihm darauf erteilten »ausführlichen Unterricht«. In Abschnitte (von I bis VIII) war dieser »Unterricht« gegliedert. Es handelte sich allerdings mehr um Forderungen als um Belehrungen: Sakramentenempfang, Umgürten durch einen Ordensgeistlichen, Beten einer zwar nicht verbindlichen aber empfohlenen Anzahl »Vater unser« und »Ave Maria«, Tragen des geweihten Gürtels (»um den Leib«, nicht »um den Hals, Arm oder im Sack«), Ersatz des Gürtels bei Verlust, Gottesdienst- und Prozessionsteilnahme, Einlieferung des »Bruderschafts- Zettels« bei Ableben des Mitglieds im Kloster, Erhalt der General- Absolution »von allen Sünden und Censuren der heil. Kirche durch einen Beichtvater des Ordens«, nach Vorschrift zu erfolgendes Beten der »Gesätzl« des »Marianischen Franziskaner-Rosenkranzes«.

Vollkommener Ablass-Erwerb

In den Abschnitten I bis XII geht es um den Erwerb »vollkommener Ablässe«. Schon der Tag der Aufnahme bot die Chance, zeitliche Sündenstrafen erlassen zu bekommen, vorausgesetzt, Buß- und Altarssakrament wurden in tadelloser Weise empfangen. Prozessionen an allen Monatssonntagen boten dazu weitere Gelegenheiten, ebenso Herren- und Marienfesttage, ferner besondere Heiligenfesttage des Kirchenjahres, vom 14. Januar (sel. Bernardus a Corleone) bis zum 19. November (hl. Elisabeth, Königin von Ungarn). Nicht versäumen sollten die »Einverleibten der Strick-Gürtel-Bruderschaft« den Besuch einer Primiz. Wer das tägliche Beten des »Franziskaner-Rosenkranzes« nicht mehr schaffte, konnte es ersetzen durch das Beten des »Magnificat« oder »Ave Maris Stella«. In Betracht gezogen wurden auch: die Teilnahme an 8-tägigen Exerzitien, tägliche kurze Meditationen »des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi«, der »mit reumüthigem Herzen« in Todesgefahr ausgesprochene »süßeste Namen Jesus«, Zueignungen an die Armen Seelen im Fegefeuer »per modum Suffragii oder fürbittweise« und, nicht zu vergessen, Fasten.

Franziska Kinz aus Traunstein

Der Name Franziska Kinz begegnete bereits dem zehnjährigen Schreiber dieser Zeilen – aber keineswegs als der einer Bürgerin von Traunstein, sondern als Hauptdarstellerin in dem Altöttinger »Marienfilm« des »Marienwerks«. Die bekannte Schauspielerin wurde in der Rolle der Mutter des unglücklichen Buben gefeiert, der, fast oder ganz leblos aus dem Mörnbach gefischt, auf den Altar mit der Altöttinger Schwarzen Madonna gelegt, wieder genas, nachdem dessen Mutter sich inständig an die Maria gewandt hatte. Mit diesem Ereignis im 15. Jahrhundert hob die Wallfahrt nach Altötting an. Es war das erste Wunder der Gnadenmutter. Mit der Filmschauspielerin Franziska Kinz, geboren 1897 in Kufstein, gestorben 1980 in Meran, kann die namentlich von dem Kapuziner P. Justin (?) Plaes in den »Bruderschafts-Zettel« eingetragene »Franziska Kinz« nichts zu tun haben. Heute taucht, wie Erkundungen ergaben, der Name Kinz, der Bewohnern der Stadt Traunstein am Ende des 19. Jahrhunderts gehörte, nicht mehr auf.


Dr. Hans Gärtner

 

Verwendete Literatur: »St. Franziskus 1226-1926«, Festschrift zum 700. Todestag des Heiligen, München 1926;
»Lexikon für Kirchliches Kunstgut«, Regensburg 2010;
Wolfgang Brückner: »Populäre Druckgraphik Europas: Deutschland«, München 1975;
Martin Rosshürdt: »Franziskaner Bruderschafts-Büchlein …«, Neuburg a. d. D. 1722.


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