Jahrgang 2011 Nummer 24

»Dein Bild wird ewig leben…«

König Ludwig II. – »ein bayrisch Herz, das jeder ehrt«

Der Vielschichtige: »Ludwig – nur schön!«, Schaufenster der »Deutschen Eiche«, München.

Der Vielschichtige: »Ludwig – nur schön!«, Schaufenster der »Deutschen Eiche«, München.
Der Mädchenhafte: Zeitgenössisches Foto auf M. Hirschfelds Buch »Geschlechtskunde«.

Der Mädchenhafte: Zeitgenössisches Foto auf M. Hirschfelds Buch »Geschlechtskunde«.
Der Angebetete: Bildpostkarte (um 1900), Spruch: »Du brauchst kein Standbild von Stein…«

Der Angebetete: Bildpostkarte (um 1900), Spruch: »Du brauchst kein Standbild von Stein…«
Ein Monarch mit vielen Gesichtern. Eine schillernde Figur. Wie aus dem Himmel gefallen. Einem Heiligen gleich. Schön wie ein Märchen. Jedenfalls der junge, mädchenhaft zarte Kronprinz Ludwig, der, als Enkel Ludwigs I. von Bayern, mit 19 Jahren König – damals schon zum »Märchenkönig« – wurde. Der »eigen« war. Eigensinnig in des Wortes zweierlei Bedeutung: ordentlich, akkurat, etepetete ebenso wie seltsam, wunderlich, verschroben, sonderbar. »Extrig« – das tät auf den Bayernkönig Ludwig II. »eigens« passen. An »Extriger« wara. Koana, den ma packa hätt kenna. Ludwig II. zeigte sich zeitlebens »vielgesichtig« und ist es – seine Bilder, Porträts, Bildnisse, Denkmäler zeigen es – noch heute. »Ein ewig Rätsel…«, das wollte er doch, wie er sagte, bleiben.

So »extrig« wie er war, so sehr gleicht er aber doch auch den Normalsterblichen. Darin nämlich, dass sein »Bild« im Lauf seines allzu kurzen irdischen Lebens – von 1845 bis 1886 dauerte es grad mal wenig mehr als vier Jahrzehnte – nicht nur »verblasste«, sondern sich zum Schlechten veränderte. Am End` kam der wohlgestalte Herrscher, der gute 1,90 Meter maß, schwer daher, war fett geworden, fahl, den Wahnsinn im klein gewordenen Auge, »zahnluckert«. Eine wahrhaft königliche Gestalt löste sich auf, zersetzte sich, als sie noch wandelte. Doch – wer mag König Ludwig II. anschauen, als er jung alt aussah? Wer will das »Bild« im Gedächtnis bewahren, das er auf dem Totenbett abgab? Der Sarg ist ja bis heute zu. Er steht in der St. Michaelskirche zu München – und niemand weiß, ob der Leichnam je drin lag, geschweige denn die Überreste sich, würde er geöffnet, darin zeigen würden.

Die Nachwelt bewahrt sich vielmehr den Engelsgleichen. Den Schmucken. Den Gertenschlanken. Den Zauberhaften, Geschmeidigen. Den sportlichen Reiter in blauer Uniform, dekoriert mit roter Schärpe, auf dem Rücken eines glänzend gebürsteten Rappen daher trabend. Sich selbst stilisierte Ludwig II. zum Schwanenritter – Richard Wagners Lohengrin gleich, der »aus fernem Land, unnahbar euren Schritten« von der Burg Monsalvat herabkam, die sich der Träumer, der Phantast, der Verstiegene, zum Verrückten Herabgewürdigte im vieltürmigen, keusch-weißen Schloss Neuschwanstein in die Realität setzen ließ – mitten in eine überirdisch intakte Landschaft.

Das Schöne liebt man an Ludwig II. – wie er selbst sich mit Schönheit umgab. Mit der anmutigen, freilich auch herben Sisi. Mit einem Wintergarten voller Exotik in den Räumen seiner Residenz. Mit duftenden Rosen auf der Roseninsel im Starnberger See, Kulisse: die Benediktenwand. Mit dem glänzenden Gold, das sein Vor-»Bild« Ludwig XIV., Sonnenkönig, für Versailles verschwendete und das sein Nach-»Fahr«, Ludwig II. für ganz Herrenchiemsee reklamiert hatte. Mit exquisiter Landschaft, magischer Architektur, schönen Menschen. Vorzüglich schönen Männern. Ein Manga zeigt den blutjungen, bubenhaften Ludwig in Uniform und aufgelöstem Haar, wie er sich auf den mädchenhaft-blonden königlichen Reitknecht Richard Hornig wirft – beide auf einem zartrosa dekorierten Bett. Ging doch das Gerücht, das damals lange keiner glauben wollte, dass es Ludwig mit jungen Herren trieb, gut gewachsen, die er in Athen, Nizza und Neapel auftreiben ließ. Er hatte – seinem Großvater ähnlich – auch eine »Schönheitengalerie«: keine feschen Mäderl allerdings, sondern adrette Jungs, nach Art seines ersten Postillons Winzperger, in dem er einen »himmlischen Balduin« sah, der ihm oft im Traum erschien – ein Objekt seiner nicht immer gestillten Sehnsucht.

»Sehnsucht nach dem Paradies« nannte denn auch der Burghausener Stephan Barbarino seine Wiederauflage des »Ludwig II.«-Musicals am Deutschen Theater in München 2005. Auf den Plakaten strahlte damals der Titelheld als militanter Schönling, den Blick abgewandt – ins Irgendwohin. Denn von dieser Welt empfand Ludwig sich nicht, und in Phantasie-Welten, die er sich mit seinen Schlössern schuf, war er stets flüchtig, die Nacht mit ihrem Ungewissen, Geisterhaften, sollte ihn, den Schlittenfahrer durch die Winterfinsternis, so oft es ging umfangen.

Doch sein Volk, Frauen und Männer seines Bayern, wollte ihn im Morgenglanz des Tages sehen. Schon den Fünfjährigen schlug, licht und lauter, Johann von Halbig in schneeweißen Marmor. Stein- und Gipsbüsten und -reliefs entstanden zur Krönung 1864, Elisabet Ney entwarf 1869 eine später in Marmor gehauene Statue: der junge König im Ornat des Großmeisters des Ritterordens des heiligen Georg. Büsten, Standbilder, Reliefs, Fresken, Vignetten, Lüftlmalereien, Gemälde, Karten Ludwigs II. sind über ganz Bayern verstreut, auf Münzen und Medaillen zu sehen, auf Plaketten, die von Fans auf dem Trachtenhut getragen werden, auf Fahnen, die die zahlreichen König-Ludwig-Vereine bei so mancher Festivität schwingen, als (seit 1999) vergoldete Ganzfigur wartet der technikbegeisterte Bayernkönig, sitzend und sinnend am Terminal I des Münchner Franz-Joseph-Strauß-Flughafens – 1992 von Karl Schlamminger aus Aluminium modelliert, modern gekleidet, lässig das Sakko über die Schultern gehängt, ein kleines Flugzeugmodell in der rechten Hand.

Auf einer Bildpostkarte (um 1900) wird einer hübschen Maid aus dem Oberland, die ein Bildnis des Königs Ludwig II. herzeigt, folgender Spruch in den Mund gelegt, den sie an den König selbst richtet: »Du brauchst kein Standbild von Stein, / Du brauchst kein Denkmal aus Erz, / Dein Bild wird ewig leben, / Im treuen Bayernherz«. Internalisiert haben wir, einer Tradition wie schlafwandelnd folgend, in der Tat das geschönte, unversehrt gebliebene Antlitz des jugendlichen Königs – ob wegen seiner Extreme, Exzesse und Exaltiertheiten oder nicht, spielt keine Rolle. Unangetastet, jungfräulich blickt er, das Haupt von funkelnden Sternen umgeben, das schwarze volle Haar sorgsam gescheitelt, geschmückt mit Orden und roter Seidenschärpe, von einem der vielen Bücher, die aus Anlass des 125. Todesjahrs 2011 erschienen sind, den potentiellen Leser an. Ein anderes Buch wiederum ziert ein Bild, das mosaikartig gerastert ist. Aus den Rasterpunkten ergibt sich erst das »Bild«, absichtlich das gealterte, bärtige Antlitz des populärsten aller (keineswegs nur bayerischen) Monarchen.

Es entspricht unserer kritischen, aller Verklärung und Verherrlichung mehr skeptisch als beweihräuchernd gesonnenen, am Ideal-»Bild“ des Vielverehrten, Angehimmelten, aus der Norm Herausgefallenen zu kratzen. Wie das auch an den »Idolen« geschieht, die sich die Pop-Fans schufen – an Michael Jackson etwa, der aber gleichzeitig höchste Verehrung genießt, wenn beispielsweise auf dem Münchner Promenadenplatz sein Andenken mit dem Aufstellen von brennenden Kerzen und Vasen mit frischen Blumen bewahrt wird. Ungeniert stellte 1998 Dieter Olaf Klama mit »Ich, der König« den täglich frisch ondulierten Ludwig II. – nicht dar, sondern an den Pranger. Ein Zeitgenosse des Königs zeichnete diesen bereits mit dem Federkopfschmuck von Lederstrumpf, auf der Roseninsel den Roman »Der letzte Mohikaner« lesend, die Augen nicht auf das aufgeschlagene Buch, sondern in die Weite gerichtet.

Im Schaufenster des Hotels und Badehauses »Deutsche Eiche« in der Münchner Reichenbachstraße, das eine nette Sammlung »frommer« und »frecher« Ludwig II.-Bilder ausstellt, sitzt der Gefeierte, gestresst und schwitzend, von zwei Schwänen flankiert, in der Sauna. Eine von der »Deutschen Eiche« edierte Sonderpostkarte – ein faksimilierter »Baustein zur Errichtung eines Denkmals in Hof i. Bay. für weiland Se. Majestät König Ludwig II.« – fordert dazu auf, »… den weißen Punkt auf der Nase« zu fixieren und »langsam bis 30« zu zählen. »Dann sehe man sofort an einen bestimmten Punkt an der Decke oder an eine helle Wand, zähle bis 10, wo dann König Ludwig II. erscheint, verschwindet und 3mal wiederkommt«. Der »freie Maler und Bastler« Nikolaus Keller, Münchner des Jahrgangs 1965, hängt bei den 3. Thambacher Kunsttagen (Mai/Juni 2011) in einen von weißen Luftballons durchschwebten, himmelblau ausgemalten Raum der Villa Thambach, Landkreis Mühldorf a. Inn, mehrere Plakate mit dem Brustbild des Königs, dessen komische Augenstellung variiert, im majestätischen Military-Look, um einige seiner »Macken« anzuprangern. »Himmelfahrt einer Wasserleiche« betitelte 1986 Michael Matthias Prechtl sein Aquarell, das Ludwig in schwarzen Damenstrümpfen, Spitzenslips, mit Doppelkinn und rosenbekränzt in der Haltung des zum Himmel auffahrenden Jesus interpretierte.

Mit diesen an Spott und Hohn grenzenden Bildern versucht die Kunst, einem vor allem rund um den Starnberger See blühenden Ludwig-Kult entgegen zu treten. Das Ideal wird vom Sockel geholt, jedoch nicht gestürzt. Im Gegenteil: In der witzelnden, kritischen Darstellung des Überhöhten offenbart sich die Auseinandersetzung mit ihm, mit einer Lichtgestalt, deren dunkle Seiten ihn menschlich erscheinen lassen. »Ein Edelweiß so bieder, fromm und echt, / Ein Mann fürs Volk, es war ihm jeder recht«, steht auf einer Bildpostkarte des beginnenden 20. Jahrhunderts. »Drum seinem Andenken Ehr und Preis, / Held Ludwig war ja Bayerns Edelweiß«.

Hans Gärtner


Drei im Jahr des 125. Todestags Ludwigs II. erschienene Bücher über Ludwig II. geben, vom Ansatz her, jeweils ein grundsätzlich anderes »Bild«, doch trifft man auch auf Übereinstimmungen der Sichtweise:

Klaus Reichold und Thomas Endl rücken »Ludwig forever« (Hoffmann und Campe Verlag) sehen ihn als »Popstar des 19. Jahrhunderts«, gehen seinen Träumen und (geheimen) Sehnsüchten nach, indem sie die »Klatschpresse« der Zeit Ludwigs II. heranziehen, um zu möglichst authentischen Aussagen zu kommen und abzurücken von dem Fama-Verhafteten und den vagen Vermutungen.

Dietmar Schulze war fürs Bayerische Landesamt für Denkmalpflege unterwegs, bildet in Schwarzweiß ab und beschreibt detailgenau die »Denkmäler eines Märchenkönigs« (Volk Verlag), die Bad Schwalbach bis Berchtesgaden, von Görlitz bis auf die Insel Mallorca ziehen, sich selbstverständlich in Südbayern verdichten und auch nicht verwirklichte Projekte berücksichtigen.

Alfons Schweiggert ist einem »König zwischen Gerücht und Wahrheit« (Volk Verlag) auf der Spur, indem er Thesen aufstellt, die stimmen oder falsch sind, etwa »Ludwig war ein tiefgläubiger Mensch« oder »Die Separatvorstellungen sind ein Zeichen für Ludwigs geistige Erkrankung«. Insgesamt überprüft Schweiggert 125 Aussagen zu Leben und Tod Ludwigs II. auf ihren Wahrheitsgehalt.


24/2011