Jahrgang 2003 Nummer 18

Das pfeifende »Gänschen« im Hosensack

Die Okarina feiert heuer ihren 150. Geburtstag

»Okarina« heißt übersetzt »Gänschen«. Vor 150 Jahren wurde das Instrument in Italien »erfunden«. – Gefäßflöten gehören freilich

»Okarina« heißt übersetzt »Gänschen«. Vor 150 Jahren wurde das Instrument in Italien »erfunden«. – Gefäßflöten gehören freilich zu den ältesten Musikinstrumenten überhaupt.




Am Anfang steht der Teigroller, denn der Tonklumpen muss erst zu einem glatten Fladen ausgerollt werden. Dann wird das etwa vier Millimeter dicke Blatt über eine Form aus Metall geschlagen, so dass eine Art Tüte entsteht. – Die ersten Schritte von Hobbykeramikern mit dem Fernziel Blumenvase? Nein, die Schüler von Simone Prein und Kurt Posch basteln an einem Musikinstrument: Die Okarina – von vielen milde belächelt als »Spielzeuginstrument« – ist in der Volksmusik wieder zunehmend gefragt. Und viele Volksmusikfreunde haben auch den Ehrgeiz, ein solches Instrument selbst zu bauen. Jedenfalls sind die Kurse der beiden Österreicher immer schon Monate voraus ausgebucht.

Die Okarina ist ein rübenförmiges Ding aus Keramik mit einem Schnabel zum Anblasen. Ein »Hosensack-Instrument«, sagen Volksmusik-Kenner. Also etwas, das man immer bei der Hand hat, so ähnlich wie die Maultrommel oder die Mundharmonika. In einen hohlen Kürbis oder in eine Kokosnuss zu blasen, darauf sind schon urzeitliche Völker gekommen, und auch sie haben die Tonhöhe schon verändert, indem sie Löcher hinein bohrten. Von »Gefäßflöten« sprechen Ethnologen. Die Indianer Mittelamerikas spielten auf Gefäßflöten in Tierform, in China waren solche in Eiform verbreitet. Auch in den Ländern rund ums Mittelmeer griffen Volksmusikanten zur Gefäßflöte.

Die heute in der Volksmusik gebräuchliche Okarina hat vor genau 150 Jahren in Italien ihre Gestalt und ihren Namen bekommen. »Gänschen« heißt Okarina übersetzt. Die kleine Stadt Budrio in der Emilia Romagna ist ihre eigentliche Heimat. Die heute übliche Form, mit Grifflöchern für alle zehn Finger, hat der Hobbymusiker und Tonbrenner Giuseppe Donati entwickelt. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts dachte er darüber nach, wie er wohl aus den auf mittelitalienischen Jahrmärkten verkauften irdenen Vogelstimmen-Pfeifen ein melodiefähiges Instrument machen könnte.

1853 schlug also die Geburtsstunde der modernen »Konzert-Okarina«. Sie hat einen Umfang vom eingestrichenen »c« bis zum zweigestrichenen »f«, also anderthalb Oktaven. Man kann auch alle Halbtöne drauf spielen. In welcher Grundtonart das Instrument dann tatsächlich klingt, hängt von der Größe ab (die Spielstücke werden immer in C-Dur notiert). Giuseppe Donati baute seine Instrumente in allen möglichen Größen, klitzekleine Sopran-Okarinen ebenso wie voluminöse Bass-Okarinen. Bis heute spielten in Budrio und in anderen Gegenden Italiens Ensembles auf bis zu sieben verschiedenen Okarina-Größen. Da können schon mal virtuose Stücke und Opernmelodien erklingen. Übrigens hat sich auch der zeitgenössische ungarische Komponist György Ligeti von der Okarina inspirieren lassen und ein Konzert dafür geschrieben.

»In der alpenländischen Volksmusik spielt die Okarina meist mit einem anderen Instrument im Duo«, sagt Simone Prein, die in der Steiermark auch Spielkurse für Okarina hält. »Okarina mit Akkordeon ist klassisch«, meint sie, »aber auch mit Schwegelpfeife, Geige oder Mundharmonika klingt sie gut.« Zwei oder noch mehr Okarinaspieler müssen schon gut aufeinander eingespielt sein, damit es sauber klingt. »Viele Leute meinen, die Okarina sei ein leicht zu spielendes Instrument. Man braucht aber eine gute Atmung und feine Ohren, denn der Ton ist wankelmütig und man muss sehr genau intonieren.«

Die weitere Geschichte der Okarina: Ihr »Erfinder« Giuseppe Donati ging in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts von Wien aus auf Tournee und löste in vielen Ländern Europas einen Boom für das Instrument aus. In Österreich fand die Okarina vor allem im bürgerlichen Wien ihre Anhänger. Eine Vielzahl von Instrumentenbauern versuchte sich in der Herstellung, wobei vor allem die Instrumente von Heinrich Fiehn internationale Anerkennung fanden. Dann freilich kam sie auch bald wieder aus der Mode und nach dem Krieg erinnerte sich kaum noch jemand an das kleine, handliche Instrument. Ein Volksmusikant aus Südtirol, Franz Kofler, gab vor rund vierzig Jahren neue Impulse. Seither wird die Okarina in der Volksmusik immer beliebter. Sie fehlt heutzutage auf keinem Volksmusikantentreffen im Alpenraum und hat auch anderswo in Europa neue Freunde gewonnen.

Zurück in die Werkstatt der Hobby-Okarinabauer: Die Ton-»Rübe« ist unterdessen mit einem kreisrunden Tonstück zugepappt, der »Schnabel« ist angesetzt. Ein paar Arbeitsstunden sind jetzt schon vorbei. Nun muss das Instrument ein wenig vortrocknen, bevor mit Hilfe einer Schablone die Löcher an den richtigen Stellen angezeichnet und gebohrt werden. Am nächsten Tag geht es ans Feinstimmen (durch Vergrößern oder Verkleinern der Löcher). Dann muss das künftige Musikinstrument zumindest eine Woche trocknen, und schließlich kommt es in den Brennofen.

Beim Trocknen schrumpft der Ton etwas, und beim Brennen wird die Okarina nochmals ein wenig kleiner – das muss man berücksichtigen, denn am Ende soll das Instrument ja in der richtigen Grundtonart klingen. Die Anleitung des Fachmanns ist unverzichtbar, aber die Erfolgsaussichten sind hoch: »In unseren Kursen haben wir bisher an die 180 Instrumente gebaut, und nur zwei sind misslungen«, sagt Simone Prein. Ihr Vorarlberger Kollege Kurt Posch, ebenfalls ein leidenschaftlicher Volksmusikant, ist neben seinem Hauptberuf als Lokführer professioneller Okarinabauer. Zwischen 57 und 105 Euro kostet ein fertiges Instrument. Ein anderer österreichischer Okarinabauer ist Johann Rotter in Oberkappl – aber er macht eher außereuropäische Instrumententypen mit weniger Grifflöchern. Da wackeln die Freunde der »klassischen« Konzert-Okarina unwillig mit den Ohren.

Zwischen 8. und 11. Mai wird der italienische Ort Budrio Ziel von Okarina- und Gefäßflötenspielern aus der ganzen Welt sein. Man feiert den 150. Geburtstag des pfeifenden »Gänschens« mit Konzerten und einem wissenschaftlichen Symposion. Okarina-Ensembles an jeder Straßenecke, Ethno-Musik und sogar eine Jam-Session sind angesagt. Pfeifen wird in der Luft liegen...

RK



18/2003