Das Gedächtnis aller Seelen im Fegfeuer
Aus dem Buch: »Illustrierte Heiligen-Legende für Schule und Haus«, erschienen im Jahre 1890

Das Gedächtnis aller abgestorbenen, christgläubigen Seelen wurde durch den heiligen Abt Odilo von Clugny zur Einführung gebracht. Der Grund, warum dem Feste Allerheiligen der Allerseelentag folgt, ist die innige Verbindung der triumphierenden Kirche im Himmel (= alle Himmelsbewohner) und der leidenden Kirche im Fegfeuer (= die armen Seelen) mit der streitenden Kirche auf Erden (= alle Gläubigen). Befindet sich auch die streitende Kirche, wie schon ihr Name sagt, in Kämpfen und Gefahren, sowieso die leidende Kirche in Peinen, so sind doch beide durch das dreifache Band des Glaubens, der Hoffnung und Liebe vereinigt, bis sie einst in unvergänglicher Liebe mit der triumphierenden Kirche im Himmel verbunden sein werden. Nachdem wir am Feste Allerheiligen die Fürbitte aller Heiligen und Seelen angerufen haben, sollen wir jenen unsere Teilnahme und Fürsprache zuwenden, denen wir Hilfe bringen können, die sich selbst nicht mehr helfen können, die aber auf unsere Hilfe angewiesen sind, d. i. den armen Seelen im Fegfeuer; jedoch nicht nur heute, sondern jeden Tag. Der Christ, welcher ein liebevolles und dankbares Herz hat, kann unmöglich die teueren Verstorbenen vergessen, von denen er nicht weiß, ob sie nicht etwa noch im Fegfeuer zu leiden haben, also: die Eltern, Geschwister, Verwandte, Wohltäter, Freunde...
Lehre. Beherzige, o Christ! die Worte des heiligen Cäsarius: »Es mag vielleicht jemand sagen: Ich kümmere mich wenig um die Zeit, die ich im Fegfeuer zubringen werde, wenn ich nur zum ewigen Leben gelange. Allein Gott gefällt eine solche Denkungsart nicht. Alle Qualen dieses Lebens können mit dem Feuer des Reinigungsortes nicht verglichen werden. Und wer weiß denn, wie viele Tage, Monate, Jahre er da bleiben wird? Man würde sich fürchten, den Finger ins Feuer zu halten; und man sollte sich nicht fürchten, eine lange Zeit in den verzehrenden Flammen zu sein?« Bete o Christ! mit dem heiligen Augustin: »Reinige mich, o Herr! in diesem Leben, damit ich nach demselben das Reinigungsfeuer nicht nötig habe.«
Kirchengebet. O Gott, du Schöpfer und Erlöser aller Gläubigen! gewähre den Seelen deiner Diener und Dienerinnen die Nachlassung aller Sünden: damit sie die Verzeihung, welche sie immer gewünscht haben, durch fromme Fürbitten erlangen mögen. Amen.
Die Texte unserer „Heiligen-Legende“ stammen alle (wie im Titel angegeben) aus dem Jahr 1890 und geben die Ansichten der damaligen Zeit wieder. Oftmals wurden damals Beschuldigungen gegen Juden oder andere Glaubensgruppen erhoben, die nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis nicht haltbar sind. Wir möchten daher klar stellen, dass die Texte unter diesen Gegebenheiten zu sehen sind und weisen darauf hin, dass mit der Veröffentlichung dieser Originaltexte keineswegs volksverhetzende Propaganda unsererseits betrieben werden soll.
44/2013