Das Deutsche Reich wurde von Ruhpolding aus regiert
Vor 100 Jahren wurde Georg Graf von Hertling Reichskanzler





Dr. Georg Graf von Hertling, ein 1843 in Darmstadt geborener Hesse, hatte Ruhpolding als seinen Landsitz auserkoren. Er besaß sogar eine Villa an der Brandstätter Straße, die vor vielen Jahren abgebrochen wurde. Hertling war verheiratet mit Anna Freiin von Biegeleben, die einer einflussreichen Beamtenfamilie entstammte. Das Ehepaar Hertling hatte einen Sohn, Karl Graf von Hertling, königlich Bayerischer Kammerherr, Rittmeister a. D. und Regierungsrat, sowie fünf Töchter, davon eine früh verstorben. Eine Tochter war Maria Gisberta Freifrau von Weitershausen, geb. Freiin von Hertling, verheiratet mit Heinrich Freiherr von Weitershausen, königlich Preußischer Oberst a. D. Die Schauspielerin Gila von Weitershausen ist seine Urenkelin.
Nach seiner Habilitation 1867 in Bonn wurde der bekennende Katholik wegen des Kulturkampfes dort erst 1880 auf eine außerordentliche Professur berufen, eine Erfahrung, die dazu beitrug, dass sich Hertling führend an der Gründung der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland beteiligte, deren Präsident er bis zu seinem Tode 1919 blieb. Seit 1875 gehörte er als Zentrumsabgeordneter dem Reichstag an. 1882 wurde er in München schließlich Professor der Philosophie.
1891 wurde Georg Friedrich Karl Freiherr von Hertling »lebenslänglicher Reichsrat der Krone Bayerns «. Dort widmete er sich erst sozialpolitischen, später vor allem außen- und finanzpolitischen Fragen. Von 1909 bis 1912 war er, der sich für die Aussöhnung des deutschen Katholizismus mit dem preußisch-protestantisch geprägten Nationalstaat einsetzte, auch Vorsitzender der Zentrumsfraktion. Am 9. Februar 1912 berief Prinzregent Luitpold von Bayern nach dem Rücktritt von Minister Clemens von Podewils-Dürniz den Philosophieprofessor Hertling zum Vorsitzenden des Bayerischen Ministerrates und Außenminister, also zum Ministerpräsidenten. 1914 wurde er dann zum Grafen ernannt. Damals war auch Georg Eisenberger, der Hutzenauer, ab 1905 als Zentrumsabgeordneter im Bayerischen Landtag vertreten. Dies blieb er, bis er 1919 nicht mehr kandidierte. Anschließend gehörte Hutzenauer von 1919 bis 1932 dem Reichstag an. In diesem Zusammenhang darf auch Anton Pointner, der »Kleingstatter«, nicht vergessen werden, der von 1899 bis 1907 ebenfalls als Zentrumsabgeordneter dem Bayerischen Landtag angehörte und somit der Dritte im Bunde der »Ruhpoldinger Regierenden« war.
Während des Ersten Weltkriegs unterstützte Hertling die Positionen des Reichskanzlers Theobald von Bethmann-Hollweg und lehnte nach dessen Sturz 1917 die Übernahme der Reichskanzlerschaft zunächst ab. Erst nach dem Scheitern von Bethmanns Nachfolger Georg Michaelis, der das Amt nur dreieinhalb Monate innehatte, übernahm der körperlich bereits geschwächte Hertling doch noch in sehr schwieriger Zeit die Ämter des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten. Graf von Hertling wurde am 1. November 1917 von Kaiser Wilhelm II. zum Reichskanzler ernannt. Die Tatsache, dass mit Hertling der erste »Nicht-Preuße« und der erste Katholik in dieses Amt gelangte, sorgte bei den Zeitgenossen für Aufsehen.
Am 30. September 1918 entließ Kaiser Wilhelm seinen Reichskanzler wegen des fehlenden Rückhalts im Reichstag wieder. Der damals bereits 74-jährige Graf von Hertling hatte nämlich bei Amtsübernahme versprochen, die Außenpolitik im Sinne der Friedensresolution zu führen. Angesichts der sich verschlechternden, militärischen Lage forderten die Parteien, darunter auch Hertlings eigene Zentrumspartei, Verhandlungen über einen Separatfrieden mit den Alliierten zu führen, der keine Annexionen umfassen sollte. Als auch die Oberste Heeresleitung am 28. September eine breitere Basis für die Regierung forderte, wohl um die Verantwortung für die Niederlage den demokratischen Parteien aufzubürden, saß Hertling zwischen allen Stühlen. Damit wurde das Ende seiner Kanzlerschaft besiegelt. Die Diskussion um einen Friedensschluss vergiftete das innenpolitische Klima. Nachfolger Hertlings wurde am 3. Oktober Prinz Max von Baden.
Seine Treue zu Ruhpolding währte bis zu seinem Tod. Am 4. Januar 1919 starb er in Ruhpolding. In der Gruftkapelle auf dem Bergfriedhof erinnert eine Marmortafel an den Reichskanzler und an seine Frau, Anna Gräfin von Hertling, geborene von Biegeleben, die nur gut drei Monate nach ihrem Ehemann verstarb. Der damalige Bürgermeister von Ruhpolding, Bartholomäus Schmucker, erinnerte in seinem Nachruf an den Staatsmann. Unter anderem schrieb er: »Wieder einer unserer gewesenen Großen hat das Zeitliche gesegnet. Dr. Georg Graf von Hertling ist am Samstag Abend in Ruhpolding im Alter von 75 ¼ Jahren nach 6tägigem Krankenlager verschieden«. Am Schluss ergänzte er noch: »Ruhig und gottergeben ertrug er sein Krankenlager. Schlafen konnte er nicht, sondern er schaute auf zu etwas Geistund Lichtvollem bis ein sanfter Schlummer ihn erlöste«. Ihm zu Ehren wurde in Ruhpolding auch eine Straße »von-Hertling-Straße« benannt.
Wie heißt es doch im Ruhpoldinger Heimatbuch: »Das Leben dieses Mannes in seiner Bedeutung für die Wissenschaft im Allgemeinen, für die Ehre der katholischen Kirche im Besonderen zu würdigen und die Dienste, die er als Abgeordneter dem Volke und als Ministerpräsident dem Bayernlande geleistet hat, darzulegen, ist eine Aufgabe, die weit über den Rahmen dieses Buches hinausgeht«. Mit der Berücksichtigung in der sehenswerten Ausstellung »Begegnungen, Kultur, Kunst und Gemeinde« die vom 19. August bis 3. September in der »Alten Schule« in Ruhpolding zu sehen sein wird, kommt man der Würdigung des verdienten Mitbürgers Georg Graf von Hertling ein großes Stück entgegen.
Hannes Burghartswieser
Quellennachweis: Ruhpoldinger Heimatbuch, Neuauflage 2016. – »Die Chronik Bayerns«, 2. überarbeitete Auflage 1987. – Archiv der Gemeinde Ruhpolding. – Wikipedia.
32/2017