Jahrgang 2005 Nummer 18

Cerny und Edmund Eismont, zwei unbekannte Fliegeropfer

Sie starben beim Angriff Amerikanischer Bomber im April 1945

Paula Hummel mit Karl Cerny (rechts) beim Baden am Waginger See

Paula Hummel mit Karl Cerny (rechts) beim Baden am Waginger See
Paula Hummel

Paula Hummel
»Ausländerlager« in der Güterhallenstraße

»Ausländerlager« in der Güterhallenstraße
Vor einigen Jahren fanden sich auf einem Grundstück in der Gemeinde Surberg zwei Steinplatten, die offensichtlich mit dem Bombenangriff auf den Traunsteiner Bahnhof vom 18.4.1945 in Zusammenhang standen und an zwei Gefallene erinnerten. Dieser Aufgabe wurden sie zuletzt nicht mehr gerecht, vielmehr dienten sie zur Befestigung des Gartenweges. Die beiden hellen Steinplatten mit den Maßen 40 mal 50 mal 3 Zentimeter sind nahezu gleichartig in Schrift und Form und tragen folgenden Text:

Hier ruht in Gott/ mein innigstgeliebter Mann/ Eismont Edmund/ geb. 22.8.1897 i. CZERNIAWCZYZNIE/ gest. 18.4.1945 durch Luftangriff/ auf Traunstein/ gewidmet von deiner lieben Frau/ Wanda Eismont
Durch einen Luftangriff a 18.4.45/ verlor ich meinen innigstgeliebten/ Bräutigam Karl Cerny/ geb. 17.3.21 in Pilsen/ gewidmet von deiner lieben Braut/ Paula Hummel/ Traunstein 10.7.45

Da dem derzeitigen Grundstücksbesitzer die Herkunft dieser Tafeln nicht bekannt ist, begannen längere Nachforschungen, die Folgendes ergaben:

Am 26.3.1942 kam der gerade 21 Jahre alt gewordene Ostarbeiter Karl Cerny(1) aus Pilsen nach Traunstein. Der in Böhmen geborene ledige Friseur wohnte nun im »Lager Güterhallenstraße«(2), nahe dem Bahnhof und arbeitete für die Bahn als Rangierer. Auch der verheiratete Bahnarbeiter Edmund Eismont(3) lebte dort. Er war am 22.8.1897 in Tschernowzina geboren und vermutlich von der Bahnmeisterei II in Mühldorf zu einem vorübergehenden Arbeitseinsatz in das Traunsteiner Lager abgeordnet worden.

Das »Lager Güterhallenstraße«

Schräg gegenüber der Güterhalle in der Güterhallenstraße standen die Wohnbaracken eines Ausländerlagers, »Tschechenlager« genannt. An gleicher Stelle ist heute der Park-and-Ride-Parkplatz(4) am Bahnhof. Auf dem Grundstück befanden sich zwei hölzerne parallel angeordnete ebenerdige Gebäude. Das längere enthielt Kantine, Küche, Waschraum und zwei Wohnräume. Letztere waren mit Stockbetten, Tischen und Stühlen ausgestattet. Das andere Gebäude teilten sich Büro und der Brennstoffschuppen für Holz und Kohle. Dazwischen sollte ein Splittergraben Schutz bei Luftangriffen bieten.(5) Zum Nachbargrundstück Richtung Theresienstraße bildete ein niedriger Staketenzaun die Grenze. Das Gelände war also weder abgeschlossen noch bewacht, kein Gefangenen- oder Zwangsarbeiterlager. Die Bewohner konnten sich frei bewegen. Die im Lager wohnenden 15 Personen stammten vor allem aus den Ostgebieten, meistens Tschechen und Polen, auch Deutsche sollen dort gelebt haben.(6) Die Arbeiter waren freiwillig hier anstelle des heimischen Wehrdienstes. Sie wurden von der Reichsbahn z. B. als Hilfsarbeiter, Rangierer oder Gleisbauer benötigt. Rottenführer sorgten für die Arbeitseinteilung und führten die Arbeitstrupps.(7) Für den Betrieb der Kantine sorgten vier Küchenfrauen. Sie versorgten die Eisenbahner und ebenso die Lagerbewohner. Natürlich entstanden auch Kontakte zwischen dem Küchenpersonal und den vorwiegend jungen Lagerinsassen. Bei geschlossenen Windläden und Tanz zum Mundharmonikaspiel konnte man sich in der Kantine näherkommen.(8) Diese Kontakte wurden zwar von Manchen nicht gern gesehen, waren von den Vorgesetzten aber nicht untersagt.

Leben Cernys

Cerny wohnte rund drei Jahre in dem Lager. Gelegentlich verbrachte er seinen Urlaub zuhause in der Heimat. Hier in Traunstein lernte er die drei Jahre jüngere Paula Hummel kennen und verlobte sich später mit ihr. Dieses hübsche schlanke Mädchen mit dunkelbraunen Augen und mittelblonden Haaren war die jüngste Tochter einer Großfamilie mit 16 Kindern. Die Familie wohnte in der Gasstraße und lebte vom Handel. Cerny war dort gerne gesehen, kam oft nach der Arbeit auf Besuch und zum Essen. In der Freizeit ging er mit Paula ins Kino oder sie fuhren zum Baden.

Fliegerangriff am 18.4.1945

Amerikanische Bomber griffen am 18.4.1945 gegen 14.30 Uhr den Traunsteiner Bahnhof an, warfen 750 bis 800 Stück Sprengbomben(9) ab und zerstörten das ganze Bahnhofsgebiet gründlich. Davon blieb auch das »Tschechenlager« nicht verschont. Mehrere Bombentreffer forderten zahlreiche Opfer. Viele Personen hatten im Splittergraben Schutz gesucht. Ausgerechnet dieser Schutzraum erhielt schwere Treffer. Insgesamt waren unter den Lagerbewohnern sieben Opfer zu beklagen.(10) Unter ihnen auch Karl Cerny. Er wurde erst am nächsten Tag nahe des Lagers um 6 Uhr morgens tot geborgen und von Lagerinsassen Anton Pera identifiziert.(11)

Eismont fand man mit mehreren Anderen ebenfalls erst am 19.4.1945 im Splittergraben des Lagers. Er hatte neben weiteren Papieren auch seinen Dienstausweis der Deutschen Reichsbahn, Bahnmeisterei II Mühldorf, bei sich.(12) Da Angehörige nicht bekannt waren, kamen seine Wertsachen am 26.4.1945 auf Veranlassung des Kriminalaußenpostens Traunstein zur Nachlass-Sicherung an das Nachlassgericht beim Amtsgericht Traunstein.(13)

Beerdigung im Großgrab

Der Bombenangriff auf den Bahnhof hatte rund 120 Tote gefordert, darunter 24 Ausländer. Letztere waren vor allem Bahnarbeiter. Neben den sieben Bewohnern des »Tschechenlagers« waren auch sieben Personen aus dem »Lager Aiging« unter ihnen. Alle Opfer des Fliegerangriffs, sowohl Deutsche als auch Ausländer wurden soweit als möglich identifiziert, Dr. Illing nahm die Leichenbeschau vor und alles wurde gewissenhaft niederschriftlich dokumentiert.

Drei Tage nach dem Fliegerangriff fand die Beerdigung im städtischen Waldfriedhof statt.

Ein Verzeichnis in der Zeitung nannte die Namen der gefallenen »Volksgenossen«. Keinerlei Erwähnung fanden dagegen die ausländischen Opfer. Auch in der Trauerfeier für die Traunsteiner Todesopfer wurde ihrer nicht gedacht. Doch obwohl sie offiziell nicht in Erscheinung traten, wurden sie am 21.4.1945 gemeinsam mit den anderen Toten in einfachen Särgen bestattet. Franz Büttner schreibt dazu in seiner Chronik:

»Das Wetter ist sehr schön. Vormittags um 1/2 9 Uhr war die Beerdigung der Todesopfer – fast 100 Personen- im Waldfriedhof angesetzt. Am linken Hügel der Leichenhalle herunter waren über 60 primitive Särge aufgestellt. An den Seiten der Särge waren die Namen der Toten mit Blaustift flüchtig angeschrieben.« Gleich nach der Feier war wieder ein Fliegerangriff, vor dem die Trauernden Schutz im Wald suchten.

Die vielen Toten des Fliegerangriffs mussten schnell beerdigt werden. Für die meisten von ihnen bestanden im Waldfriedhof noch keine Familiengräber. Aus diesem Grund erfolgte in den Sektionen XXII und XXI des städt. Friedhofes die Anlage zweier Großgräber. Das Stadtbauamt hatte die detaillierten Planungen dazu geliefert.(14) In der Sektion XXII entstand das Großgrab für die »durch Terrorangriff am 18.4.45 gefallenen Volksgenossen«, so die damalige Bezeichnung der deutschen Opfer. Eine 14 Meter lange Grabstätte nahm in einer oberen und einer unteren Reihe je 27 Särge auf.

Ein Großteil der 24 ausländischen Verstorbenen erhielt in der benachbarten Sektion XXI seine Ruhestätte. Dieses Großgrab mit den Maßen 7 mal 2 Meter nahm in 14 Särgen 19 Tschechen, Ukrainer, Polen, Jugoslawen und Franzosen auf und bestand aus einer oberen und einer unteren Reihe. Cerny belegte zusammen mit dem Ukrainer Grigor Krawtschenko in der oberen Reihe Sarg Nr. 8, Eismont Sarg Nr. 10.

Schon bald nach Kriegsende wurden einige der Kriegsopfer aus dem Großgrab der deutschen Verstorbenen in andere Friedhöfe überführt.(15)

Am 26.2.1952 begann der Bau des Ehrenfriedhofes »Hohes Kreuz« und am 30. Mai 1954 erfolgte dessen feierliche Einweihung. Insgesamt 272 Kriegsopfer wurden bis 28.7.1952 aus dem Traunsteiner Waldfriedhof in die neue Anlage überführt, darunter viele der Traunsteiner Fliegeropfer.(16) Die ausländischen Opfer des Angriffs vom 18.4.1945 verblieben weiter im Waldfriedhof. Erst am 13.6.1962 erfolgte deren Überführung nach Hammelburg.(17) Einer der beiden dortigen Kriegsgräberfriedhöfe existiert schon seit dem Ersten Weltkrieg.(18) In ihm sind 273 Angehörige aus ost- und südosteuropäischen Ländern bestattet. Und seit 1962 auch Karl Cerny und Edmund Eismont.

Mit der Überführung nach Hammelburg hatte das Großgrab für Ausländer seine Bestimmung verloren und konnte aufgelassen werden.(19)

Schluss

Mit vorstehenden Betrachtungen ist die Bedeutung der Steinplatten aufgeklärt.

Als Bombenopfer vom 18.4.1945 waren Cerny und Eismont im Großgrab beerdigt. Paula Hummel ließ kurz nach Kriegsende am 10.7.1945 eine Gedenktafel für ihren Verlobten Karl Cerny fertigen; wohl gleichzeitig entstand die ähnliche Tafel von Wanda Ejsmont für ihren Ehemann. Diese Platten verfügen über keinerlei Aufhängevorrichtungen, waren also offensichtlich zum Andenken an die Verstorbenen auf das Großgrab im Waldfriedhof gelegt worden. Mit Auflassung des Ausländergrabes im Sommer 1962 hatten sie ihre Aufgabe verloren.

WS


Erläuerungen:
1: auch Cerni geschrieben, ein häufiger Familienname, übersetzt: Schwarz
2: lt. Eintrag in der Meldekartei
3: auch Ejsmont geschrieben
4: Flurnummer 840
5: Innen ca. 1,5 m breit, an den Wänden Sitzbänke, durch schwere Tür gesichert. Wegen der bedrückenden Enge nicht gerne aufgesucht.
6: lt. Erinnerung Robert Hummel
7: Beim Angriff vom 18.4.1945 war z.B. ein Trupp mit Rottenführer Mayer in Teisendorf beim Gleisrichten und überlebte dadurch.
8: Erinnerung von Frau Waschin
9: lt. Bericht der Schutzpolizei TS vom 27.4.1945
10: Dosondil Jaromir, Kren Josef, Vrlowski Sdenek, Gabriel Karl, Cerny Karl, Ejsmont Edmund, Glyebow Michael, lt. einem Feststellungsbogen undatiert, im Stadtarchiv
11: Niederschrift über die Bergung vom 19.4.45, angefertigt von dem Kriminalaußenposten Traunstein
12: lt. Niederschrift über die Bergung des Toten vom 19.4.45
13: Schreiben von Dienststellenleiter Wagner vom 26.4.45
14: im April 1945
15: siehe Plan des Grabes von März 1947 (Planzeichner Angerer)
16: Alfred Staller im Chiemgaublatt vom 22.5.2004 (Geschichte des Hohen Kreuz)
17: ausgenommen die beiden Franzosen
18: Friedhof an der Hundsfelder Straße, der andere Friedhof beherbergt russische Kriegsgefangene
19: Information des Friedhofverwalters



18/2005