Jahrgang 2011 Nummer 41

»Burghausen durch Napoleon Mittelpunkt Europas«

Der Kaiser machte im Feldzug 1809 dort Station – Sein Quartier soll Sitz eines neuen Museums werden

Napoleon, wie er um 1809 ausgesehen haben dürfte

Napoleon, wie er um 1809 ausgesehen haben dürfte
In diesem Gebäude am Burghausener Stadtplatz logierte Napoleon 1809.

In diesem Gebäude am Burghausener Stadtplatz logierte Napoleon 1809.
Der Teller aus Napoleons Speiseservice, der zurückblieb. (Foto: Stadtarchiv Burghausen)

Der Teller aus Napoleons Speiseservice, der zurückblieb. (Foto: Stadtarchiv Burghausen)
»Die Wurzeln des Mythos Bayern in ihren Traditionslinien zeigen Bürgerinnen und Bürger, die im Mittelpunkt stehen, die am Museum mitbauen und so ein großartiges Gedächtnis schaffen«. Mit diesen markigen Worten umschreibt die Bayerische Staatsregierung das geplante Museum der Bayerischen Geschichte. Bis zum 100-jährigen Geburtstag des Freistaates im Jahr 2018, soll dieses Projekt realisiert werden; über den Standort will das Kabinett noch in diesem Herbst entscheiden.

Rund 30 Gemeinden aus ganz Bayern haben sich beworben und versuchen dabei natürlich, mit der eigenen geschichtlichen Vergangenheit zu punkten.

Sollten symbolträchtige Namen und Ereignisse bei der Wahl tatsächlich eine Rolle spielen, dann kann sich Burghausen durchaus Chancen ausrechnen. Als Grenzort mit dem Nachbarn Österreich direkt am gegenüberliegenden Ufer der Salzach hat Burghausen im Lauf der Jahrhunderte genug an »Geschichte« und damit auch Geschichten erlebt. Sogar das Gebäude, in dem ein Teil des Museums untergebracht werden soll, kann sich rühmen, für ein paar Tage »internationale« Bedeutung erlangt zu haben.

Zumindest, wenn es nach dem Salzach- Kreisblatt geht, das am 28. April 1809 – »ebenso pompös als gefällig«, wie ein späterer Chronist spottet, mit folgender Meldung aufwartet: »Heute erschien Er in unserer Mitte, – hier in Burghausen – Burghausen ist heute durch Ihn der Mittelpunkt von Europa. Denn, wo Er sich befindet, ist der Mittelpunkt von Europa!«

»Er« ist Napoleon Bonaparte, der mit einer Armee von rund 100 000 Mann auf dem Weg nach Wien ist, um dort der verfeindeten österreichischen Armee und damit auch Kaiser Franz I. endgültig zu zeigen, wer auf dem Kontinent das Sagen hat. Nur zwei Wochen zuvor hatte Napoleon in Paris die Meldung bekommen, dass österreichische Truppen in Bayern einmarschiert seien. Der Kaiser bricht sofort auf und trifft nach nur fünftägiger Fahrt am 17. April in Donauwörth ein, um von dort aus seine Truppen zusammenzuziehen. Am 19. April erklärt Napoleon den Österreichern den Krieg und es kommt in den folgenden Tagen zu mehreren schweren Aufeinandertreffen der feindlichen Armeen, in deren Reihen, an der Seite Frankreichs, auch zehntausende bayerische Soldaten in den Kampf geschickt werden. Nach mehreren Siegen der Franzosen gelingt es, Regensburg zu stürmen und die Österreicher zum Rückzug nach Böhmen zu zwingen.

Der französische Kaiser beschließt nun, die Österreicher auch auf eigenem Boden herauszufordern. Über Landshut begibt er sich nach Burghausen, wo er am 28. April eintrifft und Quartier bezieht; mit »im Gepäck« rund 100 000 Soldaten.

Die Burghausener Bevölkerung hat zu dem Zeitpunkt gerade eine dreiwöchige Belagerung durch die österreichische Kavallerie hinter sich. Zwar kam es zu keinen größeren Kampfhandlungen, doch Burghausen und die umliegenden Landgerichte wurden zu astronomisch hohen Zwangslieferungen verpflichtet. Innerhalb von weniger als zwei Wochen sollten folgende Lebensmittel abgeliefert werden: 1,6 Millionen Brote, jeweils zwei Pfund schwer, 112 000 Metzen Hafer, 24 000 Zentner Heu, 5300 Zentner Fleisch, 511 Eimer Branntwein und 2044 Eimer Bier. Zudem mussten mehrere Tausend österreichische Soldaten für einige Wochen untergebracht und verpflegt werden. »Um den Feind zu ernähren, musste nun Alles aufs äußerste gepresst werden und der einzige Trost war, die Bayern und Franzosen werden siegen«, beschreibt der Chronist Johann Georg Bonifaz Huber die Stimmung der Bevölkerung.

Dass die Österreicher Burghausen Hals über Kopf verlassen, ehe die Truppen Napoleons überhaupt in Sicht sind, ist der List eines heimischen Landwehr-Mannes zu verdanken: Der Tambour Neumaier hatte in der Dunkelheit in der Nähe von Mehring an verschiedenen Stellen französische Märsche mit seiner Trommel geschlagen. Mit durchschlagendem Erfolg: »Die noch auf dem breiten Berge lagernde österreichische Division glaubte die Franzosen im vollen Anzuge begriffen und ging noch in der Nacht nach Braunau.« Als letzte Amtshandlung verbrennen die Österreicher jedoch noch den Teil der Brücke über die Salzach, die zum Habsburgerreich gehört.

Dies ist auch der Grund, warum Napoleon länger als geplant in Burghausen Station machen muss. Die Burghausener sind zwar den Feind los, die Belastungen indes bleiben, denn auch befreundete Soldaten wollen untergebracht und verpflegt werden.

Für die Grenzstadt war es nicht das erste Mal, dass Franzosen sich hier einquartierten, bereits in den vorhergegangenen Koalitionskriegen hatte man Bekanntschaft mit Napoleons Mannen gemacht, allerdings unter umgekehrten Voraussetzungen: Ende des Jahres 1800 war Bayern noch mit Österreich verbündet gewesen; nach der verlorenen Schlacht von Hohenlinden flüchteten die einheimischen Truppen vor den Franzosen über Burghausen ins Salzburgische, eine Woche vor Weihnachten wurde die Stadt den Franzosen unter General Ney übergeben, der über Trostberg nach Burghausen marschiert war. »Wie theuer dieses Neujahr der Stadt kam, mögen einige Auszüge aus dem Regulativ zeigen: Jeder französische Gemeine musste zu seiner guten Kost täglich 1 Maß Bier erhalten, jeder Offizier 1 Flasche Wein. Jedem Bataillons- oder Escadrons-Chef war eine Tafel mit 3 Gedecken, jedem Regimentskommandanten mit 6 zu stellen. Von den Generalen erhielt jeder täglich statt der Natural-Bewirthung 6 Karolin oder 66 fl.« Ende 1805 erhielt Burghausen ein französisches Infanterieregiment zugewiesen; die Soldaten blieben bis zum Beginn des Krieges gegen Preußen im September 1806 dort im Quartier. »Das Regiment wurde so heimisch, dass die Offiziere das Wild ringsum ausrotteten und die Soldaten die Fisch-Wässer entvölkerten«, schimpft der Chronist. Viel Gelegenheit, sich in Burghausen »heimisch« einzurichten, gibt es für die Soldaten 1809 nicht. Bei seinem Eintreffen in Burghausen befiehlt Napoleon, die Brücke so schnell wie möglich zu reparieren und eine zusätzliche Schiffbrücke zu bauen.

Danach begibt sich der Kaiser in sein Quartier im ehemaligen Palais Tauffkirchen, in dem er die Wasserzimmer bezieht. Stolz präsentiert ihm die Landwehr etliche österreichische Beutestücke sowie 30 Kriegsgefangene. Diese werden entwaffnet und zurück in die Heimat geschickt; zwei österreichische Kanonen überlässt Napoleon den Burghausenern als Geschenk.

Mehrmals, so der Chronist, sei Napoleon während seines Aufenthalts auf einen Hügel geritten, um von dort den Fortschritt der Brückenarbeiten zu überwachen. Der Überlieferung zufolge waren die Burghausener ziemlich neugierig auf den gebürtigen Korsen, denn bei seinen kurzen Ausflügen habe immer großes Gedränge geherrscht. Zu sehen bekommen die Schaulustigen einen übergewichtigen 40-Jährigen, 1,68 m groß mit sehr aufrechter Haltung. Sein Kopf saß etwas zu nah auf den Schultern und war von quadratischer Form, seine Nase eher klein und leicht gebogen. Die Augen blau oder grau, Augenbrauen und Wimpern fast schwarz, seine Haare sehr fein und haselnussbraun. Napoleons Gesichtsfarbe war meist bleich, zeitweise ins Gelbe wechselnd. Füße und Hände waren zierlich, in angespannten Momenten hat Napoleon Fingernägel gebissen. Im persönlichen Gespräch scheint Napoleon sehr aufmerksam gewesen zu sein. Eine Angewohnheit von ihm war, sich die Namen seiner Untergebenen mit Hilfe von Listen einzuprägen, bevor er schlafen ging, damit er – wenn notwendig, zum Beispiel bei Inspektionen und Belobigungen, die Soldaten mit Namen ansprechen konnte.

Was der Kaiser in Burghausen an Speisen und Getränken zu sich nahm, ist nicht bekannt. Festgehalten ist nur, dass eine Frau namens »Karpfen-Theres«, mit richtigem Namen Therese Hinterobermaier, von Beruf Fischhändlerin und Besitzerin eines Hauses, »die Speisen, namentlich den Kaffee« bis ins Vorzimmer brachte. Dort nahm ein Mameluk namens Rustan die Verpflegung für seinen Herrn in Empfang. Neben der Fischersfrau kam noch ein weiterer Burghausener zu der Ehre, dem Kaiser persönlich zu Diensten zu sein: Beim Kampf um Regensburg hatte Napoleon, der bis dahin noch nie verwundet worden war, einen Streifschuss am Bein erlitten. Schuhmacher Pracht musste deshalb für den Kaiser einen Schnürstiefel fertigen – wahrscheinlich hatte Napoleon von seinem Feldscher einen dicken Verband bekommen, mit dem er nicht in die üblichen engen Reitstiefel passte. Die Zwangspause in Burghausen nutzte Napoleon, dem nachgesagt wird, dass er nie mehr als drei bis vier Stunden Schlaf brauchte, um die umfangreiche Korrespondenz mit seinen über ganz Europa verstreuten Familienmitgliedern und Truppenteilen auf den neuesten Stand zu bringen.

Eine Hofdame von Napoleons Frau Joséphine, die Comtesse de Rémusat, hat beschrieben, wie der Kaiser seine Post zu erledigen pflegte: »Bonaparte diktierte mit großer Leichtigkeit. Er schrieb nie etwas mit eigener Hand. Seine Handschrift war schlecht und so unleserlich, dass nicht nur andere, sondern er selbst sie nicht entziffern konnte; seine Rechtschreibung war sehr mangelhaft, es fehlte ihm völlig die Geduld, etwas mit eigenen Händen zu tun. Eine eigenhändige Betätigung wurde auch dadurch unmöglich gemacht, dass sein Geist immer viel schneller war, als seine Hände wollten, das war ihm sehr zuwider.

Diejenigen, die seine Diktate aufnahmen…. hatten eine praktikable Kurzschrift entwickelt, bei der die Feder genauso schnell war wie Napoleons Gedanken.«

An einem entscheidenden Punkt im Kriegsgeschehen angelangt, brauchte Napoleon dringend Neuigkeiten aus den anderen Kampfgebieten. Zudem hält er es für an der Zeit, seinen etwas nachlässigen Familienmitgliedern die Zügel anzulegen. Der Kaiser hatte alle nahen Verwandten an die Spitze der im Krieg unterlegenen Königreiche und Fürstentümer gesetzt. Doch diese Throne wackeln und so sieht Napoleon sich gezwungen, zuerst seinem Bruder Jérôme und dann seinem Stiefsohn die Leviten zu lesen. Jérôme, der jüngste der Napoleon-Brüder ist König von Westphalen, einem von Napoleon aus dem Boden gestampften Königreich. Im Volksmund wird er »König Lustik« genannt, was Napoleon aber alles andere als amüsant findet. Zu Jérômes Ehrenrettung ist jedoch anzumerken, dass die neuere Geschichtswissenschaft seine Ansätze, einen reformierten Musterstaat zu schaffen, durchaus anerkennt; er liebt es jedoch, all seine Aktionen mit Pomp und Prunk auszuführen und dafür viel Geld, das er eigentlich gar nicht hat, zum Fenster hinauszuschmeißen. Mit den tristen Alltagsgeschäften eines Monarchen in Kriegszeiten hat es Jérôme dagegen weniger. In den Briefen, die er von Napoleon aus Burghausen erhält, bekrittelt dieser, dass Westphalen »ohne Polizei, ohne Geld, ohne Organisation« sei. Außerdem gehöre es sich für einen König, sich mit den Sitten und Gebräuchen seines Landes vertraut zu machen, um »die Seele der Untertanen« zu erreichen. »Eine Monarchie basiert nicht auf ungeordnetem Luxus«, redet Napoleon Jérôme weiter ins Gewissen. Napoleon schließt mit den Worten, er habe jetzt keine Zeit, weitere Sermone zu halten. Dann knöpft er sich seinen Stiefsohn Eugène de Beauharnais vor. Mit der bayerischen Königstochter Auguste Amalie verheiratet und von Napoleon als Vizekönig in Italien eingesetzt, befindet der sich mit seinen Truppen irgendwo in Oberitalien und kämpft dort ziemlich glücklos gegen Österreich: Napoleon wirft ihm nicht nur vor, den Feind falsch eingeschätzt und dadurch die Oberhand über die Piave verloren zu haben, mit dem Resultat, dass auch Venedig blockiert sei. Vielmehr ärgert ihn noch, dass der Junior, wohl aus Feigheit, wie der Vater vermutet, keine Meldungen macht, wie es um ihn und seine Truppen steht. Um überhaupt etwas zu erfahren, habe er sich bei den Österreichern Informationen beschaffen müssen, schäumt Napoleon. Dabei habe er erfahren, dass diese selbst mehr als erstaunt gewesen seien, dass es Eugène nicht gelungen sei, die Linie an der Piave zu halten. In einem weiteren Schreiben am nächsten Tag will Napoleon wissen, ob Eugène jetzt ganz und gar seinen Kopf verloren habe und schimpft, dass er sein weiteres Vorgehen gegen Österreich nicht planen könne ohne Wissen, was sich in Italien tue.

Trotzdem bricht Napoleon am 30. April in Burghausen auf und marschiert mit seinen Truppen über die Salzach in Richtung Braunau. Huber benennt in seiner Chronik den zweiten Mai als Aufbruchsdatum Napoleons, er bezieht sich dabei auf ein Tagebuch der Kapuziner. In der persönlichen Korrespondenz des Kaisers erscheint jedoch für den 1. Mai bereits Braunau als Ortsmarke; zudem macht Napoleon weiteren französischen Quellen zufolge am 30. April Station in Ranshofen bei Braunau, wo er wahrscheinlich auch übernachtet. Egal, ob Napoleon Burghausen nach zwei oder erst nach vier Tagen wieder verlassen hat, die Einwohner werden auf jeden Fall froh gewesen sein, den hohen Gast samt Anhang los zu sein.

Grund zum Jubel gab es aber dennoch nicht, denn Burghausen war in den wenigen Tagen nicht nur »Mittelpunkt Europas,« sondern auch »Mittelpunkt alles Elends, das große Massen mit sich bringen. Die Pfarrkirche beherbergte Kriegsgefangene, in der Jesuitenkirche standen Pferde, das Kapuziner-Kloster war mit Soldaten überfüllt, das Spital lag voll von kranken Franzosen und Österreichern. Zu ebener Erde mussten die Bewohner ausziehen, um Pferden Platz zu machen, jeden Winkel des Hauses überdies den Soldaten überlassen.« Die ländliche Bevölkerung wurde ebenfalls nicht geschont: »Als die Bauern, die in diesen Tagen in die Stadt flüchteten, wieder nach Hause zurückkehrten, fanden sie ihre Häuser ohne Meubel, Vieh und Futter.« Innerhalb drei Wochen waren die Burghausener sowie die restliche Bevölkerung des Kreises erst von den Österreichern bis aufs Blut ausgepresst worden, um dann den letzten Rest ihrer Viktualien an die Franzosen abzugeben, von den Schäden an Haus und Hof gar nicht zu sprechen. Zum Glück zeigten sich einige weiter entfernte Gemeinden, die den Repressalien entgangen waren, solidarisch mit der bedürftigen Bevölkerung: Sie spendeten Brot, Eier und Schmalz, um die ärgste Not zu lindern.

Die hinterlassenen »Geschenke« Napoleons sprechen den Lasten und Entbehrungen der Burghausener geradezu Hohn: Die bereits erwähnten Kanonen, die ja noch dazu von den Burghausenern selbst erbeutet worden waren und ein Teller des kaiserlichen Essservices, von dem kein einziger hungriger Burghausener herunterbeißen konnte. Trotzdem wurden die napoleonischen Relikte bis in die heutige Zeit gut verwahrt. Vielleicht bilden sie – neben den zahlreichen Ereignissen in Burghausen, die zweifellos zum »Gedächtnis der bayerischen Geschichte« gezählt werden können – bald den Grundstock eines neuen Museums.


Susanne Mittermaier



41/2011