Brückenbauer zwischen Deutschen und Russen
Zum 100. Geburtstag des Widerstandskämpfers Alexander Schmorell





Was der Gesuchte verbrochen hat, verrät der Fahndungsaufruf nicht. Der Gesuchte wiederum ahnt nicht, dass er in allen Zeitungen stand – sonst wäre er aus dem Werdenfelser Land, wo er sich versteckt gehalten hatte, wohl kaum ausgerechnet an diesem Tag nach München zurückgekehrt. Mit der Trambahn fährt er nach Schwabing, er hofft, bei einer Bekannten Unterschlupf zu finden. Am späten Abend trifft er am Habsburgerplatz (damals Schönererplatz) ein. Es hatte Fliegeralarm gegeben, die Hausbewohner befinden sich im Luftschutzkeller. Schmorell geht die Treppenstufen hinunter, bleibt an der Tür stehen und will seine Bekannte herausrufen. Doch diese, im 7. Monat schwanger, kann sich, offenbar vor Schreck über sein unvermutetes Erscheinen, nicht vom Fleck rühren. Sie hatte den Steckbrief in der Zeitung gelesen; auch andere erkennen Schmorell. Der Hausmeister überwältigt ihn. Kurz darauf führen ihn zwei herbeigerufene Soldaten ab.
Alexander Schmorell bildet zusammen mit Hans Scholl den Kopf der »Weißen Rose«-Gruppe, die mit Flugblättern massiv zum Widerstand gegen Hitler aufgerufen hat. Wenige Tage zuvor, am 18. Februar, waren die Geschwister Hans und Sophie Scholl beim Verteilen der Flugblätter im Lichthof der Münchner Universität erwischt und verhaftet worden. Schnell war die Gestapo auf die Spur von Schmorell als Mittäter gekommen. Am Abend des 24. Februar wird er gefasst, man bringt ihn in das zuständige Polizeirevier, das Gestapo-Hauptquartier in der Brienner Straße (Wittelsbacher Palais). Am nächsten Morgen findet die erste Vernehmung statt. Was Schmorell wiederum nicht ahnt: Sophie und Hans Scholl, wie auch der Freund und Mitstreiter Christoph Probst, waren bereits hingerichtet worden. Man sagt ihm nichts davon. »Damit wurde ihm die Möglichkeit genommen, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln, die eher die Geschwister Scholl belastete und ihn hätte entlasten können«, so die Historikerin Christiane Moll.
Sofort gibt Schmorell zu, dass er und Scholl die Rädelsführer und Hauptverantwortlichen der Widerstandsaktion Weiße Rose sind. »Mit der Herstellung und Verbreitung unserer Flugblätter wollten Hans Scholl und ich einen Umsturz herbeiführen. Wir waren uns darüber im Klaren, dass unsere Handlungsweise gegen den heutigen Staat gerichtet ist und wir im Ermittlungsfalle mit den schwersten Strafen rechnen müssen. Wir haben uns aber trotzdem nicht davon abhalten lassen in der Weise gegen den heutigen Staat vorzugehen, weil wir beide der Ansicht waren, damit den Krieg verkürzen zu können«, gibt er in der ersten Vernehmung am 25. Februar zu Protokoll.
Die Verhöre, die sich über einen Zeitraum von drei Wochen erstrecken, lassen eine beeindruckende Charakterfestigkeit und Konsequenz des jungen Mannes erkennen: »Was ich damit getan habe, habe ich nicht unbewusst getan, sondern ich habe sogar damit gerechnet, dass ich im Ermittlungsfalle mein Leben verlieren könnte. Über das alles habe ich mich einfach hinweggesetzt, weil mir meine innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat höher gestanden ist.«
Herkunft
Vor hundert Jahren, am 16. September 1917, kam Alexander Schmorell im russischen Orenburg auf die Welt. Sein Großvater, ein Pelzhändler, war von Ostpreußen in die Stadt am Ural ausgewandert. Auch seine Frau stammte aus Ostpreußen. Ihr Sohn Hugo wurde in Orenburg geboren, studierte – unter anderem in München – Medizin und war als Arzt an einer Orenburger Klinik tätig. Er heiratete die Russin Natalia Wwedenskaja. Ihr gemeinsames Kind Alexander war zwei Jahre alt, da starb die Mutter an Typhus. Der Vater heiratete ein zweites Mal, die gebürtige Deutsche Elisabeth Hoffmann. Angesichts zunehmend chaotischer Zustände infolge von Bürgerkrieg, Hungersnot und Typhusepidemie entschloss die Familie sich zur Flucht und verließ Orenburg 1921 mit dem letzten Auswandererzug. Als deutsche Staatsangehörige waren sie zur Ausreise nach Deutschland berechtigt. Nicht so die Kinderfrau des kleinen Alexander: Sie war Russin und hätte nicht ausreisen dürfen. Doch gehörte sie fest zur Familie und sie zurückzulassen, war undenkbar. Also gab man Feodosija kurzerhand als »Franziska Schmorell«, Witwe des Bruders von Dr. Schmorell aus und schmuggelte sie mit nach Deutschland. In München angekommen, kamen sie in einem Haus in der Menterschwaige unter, das sie bald darauf erwerben und ausbauen konnten. Hier kamen Alexanders Halbgeschwister zur Welt, Erich (geb. 1921) und Natascha (geb. 1925).
In Deutschland führt die Familie Schmorell ihr russisches Leben weiter und pflegt die russische Kultur. Elisabeth legt eine russische Bibliothek an, engagiert russische Lehrer für ihre Kinder und schickt Alexander zu einem russisch-orthodoxen Geistlichen, um ihn in dem Glauben seiner verstorbenen Mutter unterweisen zu lassen. Für den Heranwachsenden ist Feodosija, genannt Njanja (Kinderfrau) eine prägende Gestalt. Zeitlebens – sie stirbt 1960 – spricht sie kein Wort Deutsch. Angelika, Schwester von Christoph Probst und Jugend-Freundin Alexanders, erinnert sich später: »Da war Njanja, die russische Kinderfrau. Eingehüllt in weite bäuerliche Röcke, das braune Mongolengesicht von einem bunten Kopftuch umrahmt, huschte sie leise murmelnd und freundlich gestikulierend in der Küche herum und braute, buk und briet die Lieblingsgerichte für ihren Schurik [Kosename für Alexander]. Wenn wir oben in seinem Zimmer saßen, kam sie immer wieder leise herein, schaute nach dem Samowar, stellte Zucker, süße Warenja [Konfitüre] und kleine Leckerbissen auf den Tisch, hing strahlenden Blickes an Schuriks Gesicht und pries ihn in langen, für mich unverständlichen Sätzen, über die er halb ungeduldig, halb zärtlich lachte.«
In dem jungen Alexander, der Staatsangehörigkeit nach Deutscher, war die Liebe zu Russland und den russischen Menschen also tief eingepflanzt – was den 15-Jährigen jedoch nicht davon abhält, sich auch als Deutscher zu fühlen und im März 1933 zusammen mit seinem Halbbruder Erich der paramilitärischen Jugendorganisation »Stahlhelm« beizutreten. Diese wurde sodann der nationalsozialistischen Bewegung unterstellt, was wohl der Grund dafür war, dass er wenige Wochen darauf in die SA eintritt, obwohl das übliche Eintrittsalter bei 18 lag. Am 1. März 1934 wird er Mitglied der Hitlerjugend. Doch schon bald wandelt sich »Schuriks« Auffassung, wie Erich sich in den 90er Jahren erinnert: »Erstmals beeindruckte mich seine energische und unbedingte Ablehnung gegenüber Hitler im Jahre 1934. Ich war 12 Jahre, Schurik 16 Jahre alt. Es war kurz nach dem sog. Röhm-Putsch. Wir standen mit einigen Buben aus der Nachbarschaft und unterhielten uns über die Geschehnisse. Dabei zögerte Schurik nicht, Hitler einen Mörder zu nennen.« Der passionierte Reiter gehört dem SA-Reitersturm an und legt im Oktober 1936 »mit sehr guten Erfolgen« das SA-Sportabzeichen ab. Doch spätestens 1937 entwickelt Alexander eine kompromisslos ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus.
Gemeinsam mit Christoph Probst – später ebenfalls Mitglied der Weißen Rose – besucht Schmorell das Gymnasium in München. Mit ihm und dessen Schwester Angelika verbringt er häufig die Schulferien in Ruhpolding, wo Vater Probst mit seiner zweiten Frau wohnt. Im März 1937 legt Alexander nach der achten Klasse die Abiturprüfung ab – die Gymnasialzeit in Deutschland war im Zuge der nationalsozalistischen Aufrüstungspolitik um ein Jahr verkürzt worden. Den Reichsarbeitsdienst, zu dem junge Männer vor dem Wehrdienst verpflichtet waren, empfindet er als Zeitverschwendung. Mit der Wut über das unfreie Leben wächst der Wunsch, das Land zu verlassen. »Wenn nicht mein Vater wäre, wäre ich schon längst nicht mehr in Deutschland. Aber was wird aus ihm, wenn sie ihm die Praxis nehmen, wozu sie – im Falle meiner Flucht, sicherlich fähig wären? Nur deshalb ertrage ich alles«, schreibt er im Mai 1937 an Angelika. Der Vater hatte lange dafür kämpfen müssen, dass er in München eine Arztpraxis eröffnen durfte.
Freiheitsliebe und der Traum von einem selbstbestimmten Leben spiegeln sich in einem Brief an Angelika Probst vom 6. November desselben Jahres: »Die ganze weite Welt steht so noch für mich offen; kein Ziel habe ich mir genommen, keine festen Pläne geschmiedet. Nur etwas schwebt mir immer wieder vor: Freiheit, und dann Glück, Glück und wieder Glück. Vielleicht stelle ich mir alles zu rosig vor – aber doch werde ich ein Leben führen, nicht nach Gesetzen und Vorbildern, sondern nur nach meinem Willen, dann wird es bestimmt schön!« Das Leben im NS-System sollte sich als genaues Gegenteil erweisen – als eine unauflöslich aufeinanderfolgende Kette von Vorgaben und Zwangsverpflichtungen. Auf den sechsmonatigen Reichsarbeitsdienst folgt die 18 Monate dauernde Wehrpflicht. Gegen seinen Willen muss er den Eid auf den Führer leisten.
Schmorell ist vielseitig interessiert, sportlich und handwerklich geschickt, ebenso naturverbunden wie kunstliebend, und bei all dem ein introvertierter Charakter. Die Entscheidung Medizin zu studieren entspricht nicht seinem Herzenswunsch, sondern folgt pragmatischen Erwägungen. Während der Wehrdienstzeit war er als Sanitätssoldat ausgebildet worden. Im März 1939 wird er als Unteroffizier mit der Führungsnote »gut« aus der Wehrmacht entlassen – ein halbes Jahr früher, weil er sich zum Medizin-Studium entschlossen hatte. Doch viel lieber hätte er einen künstlerischen Beruf ergriffen. Er träumt davon, Bildhauer zu werden. Schmorells Nichte Alexa Busch hat diese künstlerische Seite seiner Persönlichkeit in einem Buch näher beleuchtet, das anlässlich seines 100. Geburtstag soeben erschienen ist (ISBN 978-3-9813380-3-4).
Zum Sommersemester 1939 beginnt er sein Medizin-Studium. Anfang April 1940 wird er zum Militärdienst eingezogen. Als Sanitätsunteroffizier kommt er an der Westfront zum Einsatz. Im Herbst wird er beurlaubt, um das Studium fortsetzen und sich auf das Physikum vorbereiten zu können, das er im Januar 1941 mit einer guten Gesamtnote besteht. Im April muss er erneut einrücken, ist als Unteroffizier der Studentenkompanie der Heeres-Sanitätsstaffel München unterstellt.
Bekanntschaft mit Hans Scholl
Hier lernt er den ein Jahr jüngeren Hans Scholl kennen, mit dem ihn bald eine enge Freundschaft verbindet. Im Laufe des Jahres 1941 reift der Entschluss zum Widerstand heran, nachdem die beiden von Judenghettos, Deportierung, Erschießungskommandos und Massenvernichtung durch die SS erfahren. Zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 verbreiten sie unter dem Namen »Weiße Rose« die ersten vier Flugblätter. Schmorell und Scholl fertigen jeder für sich Entwürfe an und einigen sich dann auf einen Text. Darin beklagen sie auch die Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung in Polen. Dieser Massenmord sei »das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen«, steht im zweiten Flugblatt. »Es ist eines der wenigen bekannten Dokumente des deutschen Widerstands, das die Ermordung der jüdischen Bevölkerung öffentlich anprangert«, heißt es dazu in der neuen Ausstellung der »DenkStätte Weiße Rose« am Lichthof der Universität München. Im Elternhaus Schmorells tippen sie die Texte auf einer Schreibmaschine, vervielfältigen sie mittels einer Maschine, stecken die Flugblätter (etwa 100 Stück) in Briefumschläge und versehen sie mit Adresse und Briefmarken.
Bald darauf, Ende Juli 1942, werden die Mitglieder der Studentenkompanie als Sanitätsfeldwebel zur russischen Front abkommandiert. Mit dabei ist auch Willi Graf, der sich der Weißen Rose anschließt. Hier, beim Osteinsatz, kommt Schmorells Liebe zu Russland voll zur Entfaltung, wie aus Briefen hervorgeht, die er aus Gshatsk (180 Kilometer westlich von Moskau, heute Gagarin) auf Russisch an seine Eltern schreibt. Die Stadt, obwohl bereits zerstört, liegt unter fortdauerndem Artilleriebeschuss der Russen. Zehn Kilometer von der Front entfernt befindet sich in einem Wald das deutsche Lager. Alexander spricht »oft und viel mit der russischen Bevölkerung, mit einfachem Volk und mit Intelligenz, besonders mit Ärzten. Ich habe nur den allerbesten Eindruck gewonnen...«. Er verspürt tiefe Sympathie mit den russischen Bauern und sucht ihre Nähe, trinkt mit ihnen Tee oder Schnaps, geht mit Fischern auf Fischfang. Auch sucht er die Bekanntschaft mit russischen Kriegsgefangenen.
Zweite Phase der Flugblätter
Die Feldfamulatur dauert bis zum 30. November 1942. Ende Januar 1943 erscheint das fünfte Flugblatt der Gruppe. Die Resonanz auf die ersten vier Flugblätter war gering, mit einem erweiterten Adressatenkreis will man jetzt »auf die breite Volksmasse einwirken« (Sophie Scholl). Die Auflage wird auf 3000 erhöht, das Verbreitungsgebiet erstreckt sich neben München jetzt auch auf Augsburg, Stuttgart, Frankfurt am Main und Österreich. Der Kreis der Aktiven hatte sich erweitert. Neben Sophie Scholl gehören Willi Graf, Christoph Probst sowie Professor Kurt Huber zum inneren Kern der Widerstandsgruppe.
Das fünfte Flugblatt mit dem Titel: »Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland. Aufruf an alle Deutsche!« fällt sprachlich klarer und zunehmend politisch aus. Schmorell übernimmt eine Kurierfahrt mit dem Zug nach Salzburg, Linz und Wien. Um unmittelbare öffentliche Wirkung zu erzielen, malen sie außerdem in München auf verschiedene öffentliche Gebäude – an die Bayerische Staatskanzlei und an die Universität, aber auch an die Buchhandlung Hugendubel – Parolen wie »Nieder mit Hitler« oder »Massenmörder Hitler«.
Die offizielle Nachricht von der Niederlage der Deutschen in Stalingrad, die am 3. Februar 1943 durch die Medien geht, bildet den Anlass für ein weiteres, das sechste Flugblatt. Dazu Schmorell im Verhör: »Während Scholl über die Ereignisse in Stalingrad sehr bedrückt war, habe ich mich für Russland sympathisierend über die nun für die Russen geschaffene Kriegslage förmlich gefreut....« Das Flugblatt appelliert an die »deutsche Jugend«, endlich gegen das Hitler- Regime aufzustehen und eine neues, geistiges Europa zu errichten. »Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es... die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes.«
Am 15. Februar macht Schmorell die Flugblätter zusammen mit Hans Scholl und Willi Graf postfertig. Die Adressen stammen diesmal aus einem Vorlesungsverzeichnis, das Professor Huber ihnen gegeben hatte. Drei Tage später, am 18. Februar, kommt es zur Festnahme der Geschwister Scholl, nachdem sie beim Abwurf von Flugblättern in den Lichthof des Universitätsgebäudes von Hausmeister Jakob Schmid entdeckt worden waren. Es war eine spontane Aktion der beiden, die anderen waren nicht darüber informiert. Von Christoph Probst findet die Gestapo bei Hans Scholl den Text für ein Flugblatt. Er wird am 20. Februar in Innsbruck festgenommen. Nur zwei Tage später findet die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof in München statt. Hans Scholl, Sofie Scholl und Christoph Probst werden zum Tode verurteilt und noch am selben Tag enthauptet.
Flucht, Verhaftung und Hinrichtung
Als Hans Scholl bei seiner Verhaftung abgeführt wurde, hatte er seiner Freundin Gisela zugerufen: »Alex ist zu Hause. Sag ihm, ich werde heute Abend nicht kommen!« Dies entgeht der Gestapo nicht, und schon bald identifiziert sie Alexander Schmorell als Mittäter. Als der durch Kommilitonen von der Verhaftung hört, setzt er sich aus München ab. Mit der Bahn fährt er nach Kochel und geht von da zu Fuß weiter zum Walchensee, wo er in der Pension Edeltraut übernachtet. Der Versuch, mit Hilfe einer Freundin ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene in Innsbruck zu erreichen, misslingt. Stattdessen landet er auf Gut Elmau. Hier versteckt er sich mit Hilfe des russischen Kutschers Michail von Protassowsky.
Die Gestapo bekommt – wie genau, ist nicht geklärt – einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort und schickt zwei Gendarmeriebeamte, um nach Schmorell »vertraulich zu fahnden«. In dieser höchst brenzligen Situation hat er noch einmal Glück. Sein bulgarischer Freund Nikolay Hamazaspian hatte ihm für die Flucht seinen Pass überlassen, den eine Freundin, Lilo Fürst-Ramdohr, so geschickt gefälscht hatte, dass er täuschend echt wirkt. Die Wachtmeister aus Mittenwald, die zur Personenkontrolle anrücken, glauben dem Anschein, dass es sich bei der kontrollierten Person um Hamazaspian handelt. Schmorell aber zieht aus dem Zwischenfall den Schluss, dass er in der Stadt besser unbemerkt untertauchen könne und kehrt nach München zurück. Eine verhängnisvolle Entscheidung. Hier wird er sogleich erkannt und verhaftet.
Nach vierwöchiger Gestapohaft wird Schmorell am 25. März in das Gerichtsgefängnis Am Neudeck verbracht. Der Ermittlungsrichter, Oberamtsrichter Dietz, erlässt Haftbefehl wegen Hochverrats, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung. »In der Anklageschrift wurden Schmorells Widerstandsmotivationen … einzig und allein auf seine russische Identität, seine Sorge um den Gebietsverlust Russlands reduziert«, schreibt Christiane Moll. Schmorell fühlte sich zwar zunehmend als Russe. Doch als es zum Krieg Hitler-Deutschlands gegen Russland kam, empfand er nicht allein Sympathie mit seinen russischen »Brüdern«, wie er es nannte, sondern ebenso auch Verantwortung für Deutschland. »Denn schließlich habe ich auch einen Teil deutschen Blutes in mir, das im gegenwärtigen Krieg massenhaft zugrunde gerichtet wird«, so Schmorell im Verhör. »Es waren also zwei Momente, die mich veranlassten etwas zu unternehmen...«
Der Prozess im Münchner Justizpalast am 19. April unter Vorsitz von Roland Freisler, dem Präsidenten des sogenannten Volksgerichtshofes, endet mit Todesurteilen für Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt Huber. Gnadengesuche, die Angehörige an Heinrich Himmler, den Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei, richten, werden erst von diesem und dann auch von Hitler abgelehnt. Es vergehen fast drei Monate, bis die Hinrichtung vollzogen wird. Sie findet am 13. Juli 1943 in Stadelheim statt.
Das Grab von Alexander Schmorell befindet sich auf dem Friedhof am Perlacher Forst, ganz in der Nähe der Kathedrale der Neumärtyrer der Russischen Auslandskirche. Die russisch-orthodoxe Kirche hat Alexander Schmorell 2012 heiliggesprochen. In Schmorells Geburtsort Orenburg findet im September alljährlich eine Deutsch-Russische Kulturwoche statt, bei der ein Alexander-Schmorell-Stipendium für Studenten der staatlichen Universität vergeben wird.
Für die einen war er ein Verbrecher, für die anderen ist er ein Held und Märtyrer. Nüchtern betrachtet war Alexander Schmorell ein ganz normaler, begabter junger Mann. Und ist vielleicht gerade deshalb als Vorbild für (nicht nur) junge Menschen mehr geeignet als manch hochstehendes, unerreichbar fernes Idol. Schmorell empfand die Pflicht, Widerstand zu leisten gegen ein verbrecherisches Regime. Er tat dies in vollem Bewusstsein möglicher Konsequenzen und bezahlte dafür mit dem Leben.
Die Autorin dankt Alexa Busch für die freundliche Unterstützung.
Heike Mayer
Literatur:
Alexander Schmorell: Gestapo-Verhörprotokolle Februar - März 1943. Hg. von Igor Chramov. Deutsch-russisch. Orenburg 2005.
Alexander Schmorell, Christoph Probst. Gesammelte Briefe. Hg. von Christiane Moll. Berlin 2011.
Hertha Schmorell: Die Familie Schmorell, in: Das russische München. Erinnerungen, Portraits, Aufzeichnungen. München 2010, Seite 144-153.
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