Brennende Scheiterhaufen im Bayernland
Wiedertäufer wurden im 16. Jahrhundert gnadenlos verfolgt und hingerichtet



War es bedingungsloses Gottvertrauen oder vielleicht nur ein Moment der Unachtsamkeit, als sich die Männer am 23. April 1585 beim Oberwirt in Geyersberg an einen Tisch setzten und Gebete sprachen – und das nicht nur vor, sondern auch nach dem Essen? Was auch immer der tatsächliche Grund für ihr Verhalten gewesen sein mag, er sollte Georg Bruckmaier, Hans Aichner und Wolff Rauffer das Leben kosten, genauso wie Leonhard Sumerauer aus dem Erzstift Salzburg, der zeitgleich mit dem Trio im Burghauser Gefängnis saß. Ihr Vergehen: Sie hatten sich der Bewegung der Wiedertäufer angeschlossen, deren Mitglieder von der Obrigkeit gnadenlos verfolgt wurden. Dem hatte Sumerauer eigentlich durch Flucht entgehen wollen, doch ein unglücklicher Zufall trieb ihn dann doch noch in die Hände der Schergen: Der Salzburger hatte Anfang November 1584 ein Boot bestiegen, das ihn auf der Salzach flussabwärts außer Landes bringen sollte. Sein Pech war, dass die Schiffsleute, anstatt ihr Gefährt sicher durch die Fluten zu steuern, stattdessen fröhlich vor sich hin zechten, bis sie so betrunken waren, dass sie mit ihrem Boot in Tittmoning an einen Brückenpfeiler krachten. Um von ihrem selbst verursachten Missgeschick abzulenken, erklärten die Schiffer den herbeigeeilten Rettern, dass sie nur verunglückt seien, weil sie einen Wiedertäufer an Bord hätten. Leonhard Sumerauer wurde dann prompt von den örtlichen Schergen verhaftet und nach Burghausen gebracht, wo er, in der Frohnfeste inhaftiert, fünf Monate später Gesellschaft bekam durch die drei Männer, die vom Geyersberger Wirt angezeigt worden waren, weil er in ihnen ebenfalls Anabaptisten vermutete – anständige Christen beteten nämlich nur vor dem Essen und nicht auch noch nach der Mahlzeit. Die vier Wiedertäufer, die 1585 einem bitteren Schicksal entgegensahen, waren beileibe nicht die einzigen, die in Burghausen der Häresie angeklagt waren. Bereits zwei Generationen zuvor hatte es in der Herzogsstadt einen spektakulären Ketzer-Prozess gegeben, den der Stadthistoriker Johann Dorner in seinem Aufsatz: »Die Wiedertäufer im Rentamt Burghausen« aufgerollt hat. Die Informationen darüber stammen aus Rechnungen vom damaligen Landschreiber, woraus hervorgeht, dass sich 1527 sieben Personen wegen Ketzerei verantworten mussten. »Fritz Färber, Wilhelm Maurer und seine Ehefrau, die alte Löchlerin und ihre Tochter Elisabeth sind drei Wochen beim Stadtamtmann im Gefängnis gelegen wegen der Wiedertaufe; deshalb sind die Männer mit dem Schwert hingerichtet, die Weiber ertränkt worden«, so die Notizen des Landschreibers. Ein gewisser Kunz Schmid, der drei Wochen im Gefängnis in der Burg inhaftiert war, starb ebenfalls per Enthauptung; nur Hans Turner, der in Diensten des bayerischen Herzogs stand und auf der Burg gelebt hatte, wurde begnadigt. Als Strafe musste er jedoch sein Leben lang einen grauen Kittel tragen, auf dem zwei Taufsteine als Motiv aufgenäht waren. Die – erneute – Taufe im Erwachsenenalter, daher auch der Name Wiedertäufer bzw. kurz Täufer, war einer der zentralen Punkte, mit der sich diese Bewegung sowohl von der katholischen wie auch der reformatorischen Lehre Luthers unterschied. Demnach sollten Gläubige erst in einem Alter getauft werden, in dem sie sich bewusst selbst dafür entscheiden können. Darüber hinaus lehnten sie die von der katholischen Kirche praktizierte Eucharistie ab, weil sie der Ansicht waren, dass die Hostie sich nicht tatsächlich in den Leib Christi verwandeln lasse.
Dass Täufer-Anhänger von Anfang an vehement verfolgt wurden, beruhte aber nicht nur in deren unterschiedlicher Auslegung von Taufe oder Abendmahl. Weit gefährlicher waren aus Sicht der Obrigkeit ihre radikalen politischen Ideen, die unter anderem eine strikte Trennung von Staat und Kirche vorsahen und darüber hinaus auch jegliche Art von Krieg ablehnten. Für die etablierten Mächte – weltliche und geistliche Herrscher – war derlei Gedankengut nichts anderes als ein Aufruf zur Revolution, mit dem Ziel, die bestehende gesellschaftliche und politische Ordnung über den Haufen zu werfen. Entstanden ist die Bewegung der Wiedertäufer im Umfeld des schweizerischen Reformators Ulrich Zwingli, dessen Ideen einigen Anhängern nicht weit genug gingen. In den Jahren zwischen 1523 bis 1525 spaltete sich deshalb ein linksradikaler Teil von den Zwingli-Jüngern ab und gründete eine eigene Gruppierung. Deren Gedankengut verbreitete sich dann in kürzester Zeit in Süddeutschland und Österreich, wobei die schnelle Ausdehnung zum Teil auch mit den teilweise parallel laufenden Bauernaufständen in Schwaben und Franken zusammenhängt, die für ähnliche gesellschaftliche Reformen kämpften, wobei beide Gruppen gegenseitig als Katalysatoren fungierten, die die Sache des jeweils anderen befachten. Im Herzogtum Bayern waren die von den revolutionären Bauern verursachten Brandherde zwar überschaubar, doch es kam auch hier zu Verhaftungen und Prozessen, die zum Teil auch mit Todesurteilen für die Angeklagten endeten. Die gemeinsam regierenden bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. gingen schon kurz nach dem Auftauchen der ersten Täufer in Bayern rigoros gegen sie vor und waren 1527 neben den Habsburgern auch die ersten deutschen Landesfürsten, die mit speziellen Wiedertäufermandaten die Bestrafung der Betreffenden gesetzlich regelten. Die ursprüngliche Fassung wurde 1530 dann noch verschärft, indem nun auch Angeklagten, die ihren Glauben widerrufen hatten, zum Tode verurteilt werden konnten.
Der erste Täufer, der in München hingerichtet wurde, war 1527 Georg Wagner aus Emmering, der sich als Schreiner oder Wagner seinen Lebensunterhalt verdiente und als Prediger durch die Lande zog. Möglicherweise war er sogar ein ehemaliger katholischer Geistlicher, denn Herzog Wilhelm IV. versprach ihm eine geistliche Pfründe, wenn er seinem Irrglauben abschwor. Ihm wurde vorgeworfen, er habe gepredigt, dass »die Pfaffen den Menschen die Sünden gar nicht vergeben könnten« und dass Gott gar nicht »leiblicher Weise im Brot sei, welches der Pfaffe vor dem Altar hat.« Wagners Schicksal ist unter anderem im Märtyrerspiegel« festgehalten, einer historischen Chronik über das Leben und Leiden christlicher Märtyrer, die in ihrer Urfassung 1660 zunächst in niederländischer Sprache erschien. Die erste deutsche Auflage wurde 1748 im US-Bundesstaat Pennsylvania gedruckt, wohin zahlreiche Täufer späterer Generationen, auswanderten wie zum Beispiel die Hutterer, einer nach ihrem Gründer Jakob Hutter (1500 - 1536) benannten Gruppierung. Dem Märtyrerspiegel zufolge sei Georg Wagner während seiner Inhaftierung im Münchner Falkenturm 1526 mehrmals so »scharf gepeinigt«, sprich gefoltert, worden, dass Herzog Wilhelm IV. höchstpersönlich ihn angefleht habe, seine Lehren zu wiederrufen. Doch weder die eindringlichen Worte Wilhelms, noch dessen Angebot, ihm eine Pfründe und damit ein finanzielles Auskommen zu gewähren, ja selbst der Besuch von Frau und Kind im Gefängnis zeigte keine Wirkung: Georg Wagner hielt unbeugsam an seinem Glauben fest, worauf er am 8. Februar 1527 vom Scharfrichter »ins Feuer gesteckt wurde«, so der Wortlaut im Märtyrerspiegel. Drei Monate später kam es in München im Zusammenhang mit den Wiedertäufern zu einem spektakulären Ereignis in der Frauenkirche, über das Reinhard Heydenreuter in seinem Buch »Kriminalität in München« berichtet. Demnach sei der verheiratete Messerschmied Ambrosius Lossenhammer während der Wandlung im Gottesdienst am Gründonnerstag aufgestanden und habe gerufen, Gott sei gar nicht in dem Brot, es sei nichts anderes als reines Brot. Der anwesende Bürgermeister Balthasar Barth ließ den aufsässigen Gottesdienstbesucher durch Schergen aus der Frauenkirche entfernen und ins Gefängnis stecken, wo Lossenhammer viermal der Folter unterworfen wurde, bis er seine Äußerung widerrief und um Gnade bat. Doch die half ihm dann nichts mehr: Ende Juli 1527 starb auch er auf dem Scheiterhaufen. Den Aufzeichnungen nach gab es aber durchaus auch Angeklagte, mit denen die Obrigkeit gnädiger verfuhr: Von 29 zu Beginn des Jahres 1528 in München Verhafteten erhielten neun ihr Todesurteil, die restlichen 20 Gefangenen wurden wieder freigelassen. Wie viele Wiedertäufer im Herzogtum Bayern insgesamt ihr Leben lassen mussten, ist aufgrund der unsicheren Quellenlage nicht eindeutig zu bestimmen; die Zahlen schwanken zwischen 100 und 230. Auch über die Gründe, warum bestimmte Personen nicht mit voller Härte bestraft wurden, gibt es nur wenige Informationen. Im Fall von Hans Turner in Burghausen könnte es zum einen an dessen Nähe zum herzoglichen Hof gelegen haben, der ihn vielleicht vor dem Tod rettete, oder seine Richter glaubten ihm seine Version, wonach er »voll des Weins war, als er sich habe taufen lassen.« Wieder nüchtern, habe er seine Tat bereut und sei sofort zu einem Geistlichen gelaufen, um zu beichten, was der Pfarrer dem Gericht gegenüber dann auch bestätigte. Von 18 Wiedertäufern, die im November 1527 in der Salzach- Stadt im Gefängnis lagen, wurden sechs schließlich hingerichtet, die restlichen zwölf demnach ebenfalls freigelassen.
Zur Entstehung der Burghauser Täufergemeinde vermutet Johann Dorner, dass der am 14. Januar 1528 in Rattenberg in Tirol hingerichtete Leonhard Schiemer, ein vormaliger österreichischer Franziskanermönch, der als Prediger der Täuferbewegung unterwegs war, deren Initiator gewesen sein dürfte, denn nach seiner Verhaftung im tirolerischen Rattenberg gab Schiemer an, dass er unter anderem in Salzburg, Tittmoning, Burghausen, Neuötting und Mühldorf Taufen durchgeführt habe. Die von ihm bekehrten Wiedertäufer mussten dann selbst jederzeit damit rechnen, festgenommen und verurteilt zu werden, wobei einige sich durch Flucht retten konnten, wie zum Beispiel der Burghauser Schulmeister Wolfgang Schernecker, der sich nach Böhmen flüchten konnte, wohingegen seine Frau zwar den örtlichen Häschern entging, dafür jedoch in Passau verhaftet und dort hingerichtet wurde.
Wobei auch Nicht-Täufer belangt wurden, wenn sie jemanden zur Flucht verhalfen oder Unterschlupf gewährten: Alexander Hauser am Wald im Gericht Neuötting bekam zum Beispiel 1556 eine empfindliche Geldstrafe aufgebrummt, weil er einen Wiedertäufer bei sich beherbergt hatte und Jakob Obermaier und Magdalena Reiter aus Reit wurden im gleichen Jahr ebenfalls zu einer hohen Geldsumme verurteilt, weil sie auf ihren Fahrzeugen Täufer »etliche Manns- und Weibspersonen samt ihren Kindern« samt Gepäck von Raitenhaslach nach Burghausen transportiert hatten.
Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die Schiffsleute des Bootes, das Leonhard Sumerauer bestiegen hatte, ihn nach ihrer Kollision sofort verrieten, weil sie so hofften, der drohenden Strafe wegen des unerlaubten Transports eines Täufers zu entgehen. Eigentliches Ziel von Sumerauer dürfte damals Mähren gewesen sein, wohin sich etliche Glaubensbrüder und -schwestern aus allen Teilen Süddeutschlands und Österreichs flüchteten, nachdem sie dort – vorerst noch – unbehelligt ihren Glauben praktizieren konnten. Leonhard Sumerauer sowie die einige Monate später verhafteten Georg Bruckmaier, Hans Aichner und Wolff Rauffer sollten jedoch, anstatt im Exil ein friedliches Leben zu führen, Opfer des letzten großen Wiedertäuferprozesses im Rentamt Burghausen werden, wobei das im Wirtshaus in Geyersberg aufgegriffene Trio, obwohl sie in Burghausen inhaftiert waren, für ihre Hinrichtung nach Ried überstellt wurden. Leonhard Sumerauer musste unter den Augen von Tausenden von Schaulustigen, die sich das Spektakel einer öffentlichen Hinrichtung nicht entgehen lassen wollten, am 5. Juli 1585 in Burghausen seinen letzten Gang antreten. Noch auf dem Weg zur Richtstätte habe ihn der Scharfrichter angefleht, von seinem Irrglauben Abstand zu nehmen, doch der Verurteilte habe nur geäußert, er sei schon vor 20 Jahren vom unrechten Leben abgestanden. Er wolle nun mit seinem Glauben redlich sterben.
Susanne Mittermaier
8/2017