Bayerisch-Russische Liebe mit tragischem Ende
Enkel Max I. Josephs heiratet Großfürstin – Nachfahren in Seeon und Stein





Was haben ein bayerischer Herzog, eine russische Großfürstin, Napoleon und die Kaiserin von Brasilien gemein? Ganz einfach: Sie sind miteinander verwandt. Die Fäden dieser Verbindungen laufen in Bayern zusammen, genauer gesagt am Münchner Hof in den 1830er Jahren – und später auch im Chiemgau, in Seeon und Stein an der Traun.
Im Mittelpunkt der Geschichte, die sich nicht nur über mehrere Kontinente, sondern auch über einige Generationen erstreckt, stehen zwei junge Menschen, die eine Zweckheirat eingehen sollen, sich aber trotzdem heftig ineinander verlieben. Bis die beiden Turteltauben allerdings vor den Traualtar treten können, braucht es aber erst ein gehöriges Maß an Diplomatie, denn die Herkunft des Bräutigams ist nicht so makellos, wie sie auf den ersten Blick erscheint.
Max ist der einzige Sohn von Prinzessin Auguste von Bayern, einer Tochter von König Max I. Joseph. Damit wäre er an sich für jedes europäische Herrscherhaus eine mehr als willkommene Partie für deren heiratsfähige Töchter. Hätte es da nicht diesen zweiten Großvater gegeben: Der war nämlich niemand anderer als Napoleon Bonaparte, der wenige Jahrzehnte zuvor aus machtpolitischen Motiven ganz Europa 15 Jahre lang mit Schrecken und Leid überzogen hatte. Opa Napoleon führte aber nicht nur exzessiv Krieg, sondern versuchte auch, seine Stellung durch persönliche Verbindungen mit den alten Adelsfamilien gesellschaftlich zu zementieren. Für seinen adoptierten Stiefsohn, Eugène Beauharnais, gelang es dem französischen Kaiser, die Hand der Wittelsbacher Prinzessin Auguste Amalie zu sichern. Der Verbindung – aus der übrigens ebenfalls eine Liebesehe wurde – entsprossen sieben Kinder, darunter jener Max. Nachdem Napoleons Pläne aber völlig schief gingen und er am Ende auf einer Insel im Atlantik in der Verbannung endete, sollte es für seinen Enkel nicht einfach sein, eine standesgemäße Gattin zu finden. Denn mit dem »korsischen Monster« wie der Ex-Kaiser mitunter tituliert wurde, verwandt zu sein, war für Familien des Hochadels nicht gerade erstrebenswert. Max’ Mutter – sein Vater war früh gestorben – war aber nicht die einzige blaublütige Person, die sich damals Sorgen um eine passende Partie für ihr Kind machte. 1800 Kilometer von München entfernt, in St. Petersburg, grübelte der regierende Zar, Nikolaus I., wo er einen Ehemann für seine Töchter herbekommen könnte. Besonders die kapriziöse Tochter Maria, macht ihm einige Sorgen. Die junge Dame war nämlich nicht nur äußerst selbstbewusst und keck, sie hatte auch freiweg erklärt, ihr Heimatland niemals zu verlassen. Wenn sie einer Heirat zustimme, dann nur unter der Bedingung, dass ihr Zukünftiger mit ihr in Russland leben würde. Damit schieden alle erstgeborenen Söhne herrschender Häuser von vornherein aus, denn ein Kronprinz würde sein Heimatland nie zugunsten einer Heirat verlassen.
Mit Max von Leuchtenberg, der keinen Thron zu erwarten hatte, fand Nikolaus einen Kandidaten, der eventuell bereit sein könnte, die gestellte Hürde zu überwinden. Er lud den 20-jährigen Prinzen 1837 ein, ihn doch in Russland zu besuchen. Zu der Zeit ist zwar auch noch Tochter Olga als mögliche Heiratskandidatin mit im Spiel, aber bald konzentriert sich Maximilian während seines »blind date« auf deren Schwester Maria: obwohl die beiden jungen Leute nur wenig Zeit zum Kennenlernen haben, finden sie sofort Gefallen aneinander – heute würde man sagen, sie haben sich ziemlich ineinander »verknallt«. In den Monaten nach dem ersten Treffen in Russland kam der Zar dann extra mit seiner Familie nach München, damit sich die Wittelsbacher und Romanows weiter beschnuppern konnten. Offiziell fand man während des Besuchs natürlich nur die freundlichsten Worte füreinander, doch auch bei Königs wurde früher hinter vorgehaltener Hand kräftig gelästert, wie ein Ausspruch von König Ludwig I., dem Onkel Maximilians beweist. Er stellte nach der Abreise des Zaren fest, dass der zwar ein angenehmer Kerl sei, aber: »Die Größe für einen bayerischen Herrscher fehlt ihm vollkommen, dafür ist er einfach nicht gemütlich genug.« Immerhin: Seinem Neffen winkte mit dem regierenden Zaren ein mehr als standesgemäßer und vor allem wohlhabender Schwiegervater. Etliche Punkte des Ehevertrags waren bei aller gegenseitigen Sympathie aber noch immer nicht geklärt.
Da war zum Beispiel das heikle Thema Religion: Max war katholisch, die Braut russisch-orthodox. Für Maximilians Mutter war es ein Unding, dass die möglichen Kinder der beiden ebenfalls orthodox getauft würden. Beinahe genauso schlimm war für die Auguste Amalie die Vorstellung, dass ihr Sohn als Schwiegersohn des Zaren eines Tages gegen Frankreich, dem Heimatland ihres verstorbenen Gatten, in den Krieg ziehen könnte. Ein ums andere Mal beschwor die besorgte Mutter Max, sich in diesen beiden Punkten ja nicht vom Zaren weichklopfen zu lassen. Doch Max wischte die Bedenken der Frau Mama einfach beiseite. Er war inzwischen heftig in die russische Großfürstin verliebt und hatte nicht allzu viel Ohr für Ermahnungen. Zar Nikolaus kam Max dann auch in den strittigen Punkten entgegen. Er erlaubte, dass Max selbst weiter die katholische Religion ausüben könne und er dürfe außerdem so oft nach Bayern reisen, wie er wolle. Dass der Bräutigam von dieser Erlaubnis weidlich Gebrauch machen würde, bewies er schon in der Zeit bis zur Hochzeit. Max reiste gleich mehrmals nach Petersburg und wieder zurück und das ohne jegliche Rücksicht auf seine Gesundheit. Der junge Herzog pflegte nämlich nur im Notfall zu übernachten, ansonsten war er Tag und Nacht mit der Kutsche oder – im Winter – mit dem Schlitten unterwegs.
Die Strecke München - St. Petersburg, Luftlinie 1800 km, legte er jeweils in zehn bis 13 Tagen zurück. Zum Vergleich: Die Tagesetappe einer Postkutsche lag in den 1830er Jahren unter 100 Kilometer, Max fuhr also täglich fast die doppelte Strecke. Ob aus Unwissenheit oder weil er einfach ein draufgängerischer, junger Bursche war: Max hatte es sich auf jeden Fall zu einem Gutteil selbst zuzuschreiben, dass es mit seiner Gesundheit schon vor der Hochzeit nicht zum Besten stand.
Bei seinem letzten Aufenthalt in München im Herbst 1838 fand ihn die Mutter so blass und abgemagert, dass sie ihn beschwor, sich doch besser zu schonen. Trotz seiner Verliebtheit fiel dem 21-jährigen Wittelsbacher die Trennung von seiner Familie und Bayern schwer. Im November hieß es dann aber endgültig Abschied nehmen. Unter Tränen und mit vielen guten Wünschen brach der junge Herzog auf in sein neues Leben.
Im Juli 1839 wurde in St. Petersburg eine rauschende Hochzeit gefeiert und das junge Ehepaar zog in das prächtig ausgestattete Mariinski-Palais. Innerhalb von zwölf Jahren bekamen sie sieben Kinder – und beinahe schien es, als würde das Märchen nach dem bekannten Muster: »und wenn sie nicht gestorben sind« auf ewig weitergehen.
Doch scheinbar wie aus dem Nichts erhielt die Liebesehe einen tiefen Knacks, über dessen Ursache die Historiker heute noch rätseln. In keinem Brief und keinem Gespräch wurde die Ehekrise damals thematisiert; vermutlich hatte Max aber eine außereheliche Affäre, die Mary ihm mit gleicher Münze heimzahlte. Und auch die Gesundheit des Herzogs von Leuchtenberg – den Titel hatte er von seinem früh verstorbenen Bruder übernommen – gab nun zunehmend Anlass zur Sorge. Die Ärzte diagnostizierten eine schwere Lungenerkrankung, wahrscheinlich Tuberkulose, die vor der Erfindung von Penicillin nicht heilbar war. Der Zar schickte seinen Schwiegersohn zwar noch mit großen Aufwand – in Begleitung einer kompletten Flotte – zur Kur nach Madeira, doch nach Aussagen der behandelnden Spezialisten würde auch das nur eine kurzfristige Besserung der Beschwerden bringen.
1852 war der einst fesche Prinzensohn nur noch ein Schatten seiner selbst, er spuckte Blut und verstarb schließlich am 1. November in St. Petersburg. Das was die Großmutter in München am meisten fürchtete, trat mit dem Tod ihres Sohnes postwendend ein: Die Kinder von Max und Maria erhielten nach dem Tod den offiziellen Namen Romanowsky und wurden ganz im Sinne des russischen Hofes und der russischen Religion erzogen. Der Erbfolge nach war der jeweils älteste Sohn aber weiter Herzog von Leuchtenberg. Diese bayerischen Wurzeln sollten einige Jahrzehnte nach dem Tod Max’ auch für die Geschichte des Chiemgaus von Bedeutung sein, was mit der oben erwähnten Kaiserin von Brasilien zusammenhängt. Eine Schwester von Herzog Max, Amélie, war mit dem brasilianischen Kaiser Dom Pedro verheiratet worden, nach dessen Tod aber nach Europa zurückkehrt. 1845 hatte sie Schloss Stein, und 1852 das säkularisierte Kloster Seeon erworben. Nach ihrem Tod erbte die Schwester Josephine, Königin von Schweden den Besitz und verkaufte ihn postwendend an ihren Neffen, Fürst Nikolaus Romanowskij, dem ältesten Sohn Maximilians und Marias. Da dieser eine nicht standesgemäße Ehe einging, verließ er Russland und lebte lange Zeit in Stein, seine Söhne Nikolaus und Georg verlebten dort ihre Jugend.
Heimat in Stein und Seeon
Ihre militärische Ausbildung absolvierten sie zwar im Heimatland ihrer Eltern, kehrten aber anschließend wieder nach Bayern zurück. Georg lebte ab 1905 mit seiner Familie in Seeon, Nikolaus ging nach Südfrankreich. In der Folge der russischen Revolution 1917 wurde Seeon zum Zufluchtsort zahlreicher russischer Adeliger. Doch die Leuchtenbergs hatten mit dem Sturz der Zarenfamilie auch ihre russischen Besitztümer und damit ihr Vermögen verloren. Ein Teil der Familie wanderte später nach Kanada aus, die Witwe Georg von Leuchtenbergs, Olga, lebte am Ende von der Sozialhilfe und den Zuwendungen Seeoner Bürger. Mit ihrem Tod 1953 schließt sich dann der Kreis um diese bayerische-russische Verbindung, die 1837 mit der Liebesgeschichte von Max und Maria begonnen hatte.
Susanne Mittermaier
7/2014