Jahrgang 2011 Nummer 13

Auf dem Lechner-Kreuzweg nach Palmberg

Mit einem Besuch am Grab des Dichters Martin Greif, der vor 100 Jahren starb

Wanderziel auf der Anhöhe überm Isenmoos: Palmberger Kirchlein St. Peter und Paul.

Wanderziel auf der Anhöhe überm Isenmoos: Palmberger Kirchlein St. Peter und Paul.
Ruht im Palmberger Frieden: Dichter Martin Greif, vor 100 Jahren in Kufstein gestorben.

Ruht im Palmberger Frieden: Dichter Martin Greif, vor 100 Jahren in Kufstein gestorben.
Anonyme Kreuzwegstation in der Palmberger Kirche, 18. Jh. (Detail): Kreuzabnahme.

Anonyme Kreuzwegstation in der Palmberger Kirche, 18. Jh. (Detail): Kreuzabnahme.
Den schmalen Fußpfad von der Isenbrücke bei Ampfing hinauf zum Palmberger Kirchlein gibt es schon lange. Seit sechs Jahren ist er zum Kreuzweg geworden. Auf den anderthalb Kilometern Weges wird der Wanderer von Stelen und Pfeilersäulen aus hellem, porösem bayerischem Juramarmor begleitet, geschaffen vom Ampfinger Bildhauermeister Ernst Lechner, 1948 in Unterneukirchen, Landkreis Altötting geboren, als Künstler weitum bekannt und mehrmals für sein herausragendes Werk ausgezeichnet.

Der Lechner-Kreuzweg, wie die 14 Stationen im Isental kurz heißen, ist ein Freiluft-Kunstwerk von Bedeutung. Ernst Lechners Namensvetter, Benediktiner-Altabt Odilo Lechner von München-St. Bonifaz und Andechs, hob es durch seine tiefgründigen, in einem Buch der Dachauer Verlagsanstalt Bayerland 2008 mit schönen Fotos und einer guten Einleitung von Heinz-Rudolf Huber aus der Fülle ähnlicher Gestaltungs-Projekte des Leidensgangs Jesu Christi auf den Berg Golgatha in einmaliger Weise heraus.

Golgatha – das ist am Ende des Lechner-Kreuzwegs das Spätbarockkirchlein des Örtchens Palmberg. Gelb gestrichen und weiß abgesetzt, leuchtet es dem Benutzer des Lechner- Kreuzwegs von der Anhöhe als Ziel entgegen. Es hebt sich aus dem dunklen, da und dort wild wuchernden Isenmoos wie ein kleiner Freuden-Schrei empor. Bei klarem Wetter bildet ein leuchtend blauer Himmel die Naturtapete den Hintergrund: ein Stück Oberbayern zum Liebgewinnen. Zwischen uralten, hoch ragenden Bäumen zeigt sich immer wieder einmal, beim leichten Anstieg rechter Hand, das breite Klostergebäude von Zangberg mit der kleinen spitztürmigen Josefskirche.

Doch sind die einzelnen Stationen des modern und bewegend gestalteten Kreuzwegs, der, in seiner schlichten Formgebung ohne jede Farbgebung, gewiss nicht jeden Betrachter auf Anhieb anspricht, Haltestellen der Besinnung: auf des Lebens Gang – vom Quellwasser des Isen-Flüsschens auf die lichte Höhe, die Erlösung und Ewiges Leben verheißt; auf Christi Leidensweg, den abzuschreiten jeden Gläubigen mit Dank und Trauer, Mitgefühl und Hingabe erfüllen soll. Der vom tiefen Gedanken des »Kreuz-Wegs«, der einer alten franziskanischen Tradition entspringt, durchdrungene Ernst Lechner zeigt wenige Figuren. Er spitzt geradezu dramatisch das Geschehen von der Verurteilung und Gefangennahme Jesu bis zur Kreuzigung auf stets auf Wesentliches zu.

Jeder weiß, um welche Station des Kreuzwegs Christi es sich jeweils handelt. Lechner meißelte die erläuternden Schriftzüge in die Bildstöcke und ließ sie absichtlich um den Steinblock herum laufen. Dadurch wird der einer Meditation aufgeschlossene Kreuzweg-Geher geradezu gezwungen, den Bildstock jeweils zu umschreiten – worauf der Text von Heinz-Rudolf Huber gezielt aufmerksam macht. Immer wieder, so ist diesem zu entnehmen, solle man »dahinterkommen und durchblicken« dürfen – ein Konzept, das den Lechner-Kreuzweg von anderen Kreuzwegen ganz grundsätzlich unterscheidet. Etwa auch von dem gemalten Kreuzweg, der, in barocke Theatralik ausstrahlend, das Palmberger Kirchen-Innere schmückt. Dem kunstgeschichtlich »Be-Wanderten« wird aus dem Vergleich beider »Kreuzwege« (dem skulpturalen Lechners durch das Isenmoos mit dem auf Leinwand gemalten der Tafeln in der Kirche) der Unterschied zwischen Abstraktion und Konkretion eines »Bildes« klar.

Zwei historisch belangvolle Grabstätten können auf dem Friedhof von Palmberg besucht werden. Die eine birgt die sterblichen Überreste des vor 30 Jahren gestorbenen CSU-Bundestagsabgeordneten Valentin Dasch aus Palmberg (1930 bis 1981), die andere ist Ziel manchen literarisch Beflissenen unter den Ausflüglern. Am 4. April 1911 wurde – das ist viel zu wenig bekannt – der Leichnam des deutschen Dichters Martin Greif hier in die Erde gesenkt, ganz dicht am Palmberger Kirchlein. So schlicht das mit einem stumpfen Obelisken endende Grabmal aus Kirchheimer Muschelkalk mit dem bronzenen Porträt-Medaillon und der Umschrift »Martin Greif / 1839 - 1911« auch ist – es erlangt gerade dadurch seine Wirkung. Ein Vierzeiler lässt inne halten:

Staub ist Hülle jedem Wesen,
Das hervorgeht in der Zeit,
Und doch kannst du in ihr lesen
Den Beruf zur Ewigkeit.

Greif, der am 1. April 1911 in Kufstein/Tirol gestorben war, wollte nirgendwo anders zur letzten Ruhe gebettet werden als, wie er äußerte, »im Friedhofe zu Palmberg bei Zangberg in einem gemauerten Grabe…« Dass dies Wirklichkeit wurde, verdankte er seinem »lieben Freunde, Herrn Landrat Karl Riedl«. 300 Mark vermachte Martin Greif »der Kirche in Palmberg… für die Überlassung der Grabstätte«. Auch Riedl liegt auf dem Palmberger Kirchhof. Er war ein Jahr nach seinem Dichter-Freund gestorben und ruht in unmittelbarer Nähe.

Wer sich für den zu Lebzeiten um Anerkennung ringenden, heute kaum noch bekannten Poeten Martin Greif (geboren 1839 zu Speyer als Friedrich Hermann Frey) interessiert, lese die feinen, schön bebilderten Beiträge des Töginger Bahnbeamten und Historikers Josef Steinbichler in den »Beiträgen zur Geschichte des Inn- und Isengaues« in »Das Mühlrad«, Band XXXV (1993) und XL (1998). Greif kam mit 17 Jahren nach München, schrieb, von Eduard Mörike gefördert, beachtenswerte Gedichte und mehrere historische Schauspiele, die in Wien, wo er als Journalist tätig war, und – etwa das Drama »Ludwig der Bayer«, uraufgeführt 1892 – in Kraiburg am Inn auf die Bühne gebracht wurden.

Eine Tafel, die den Wanderer einlädt, den Lechner-Kreuzweg von Ampfing nach Palmberg zu gehen, weist freundlich auf den vergessenen Dichter Martin Greif, dessen 100. Todestag wir heuer begehen, hin. Gewiss: Als Lyriker überlebt er so manchen seiner Zunftgenossen, und kein Geringerer als Alois Johannes Lippl, der Münchner Theatermann (1903 - 1957) hatte recht, wenn er sagte, dass »man um eines einzigen solchen Verses willen ein großer Dichter heißen darf«. Dieser »eine« Vers Martin Greifs lautet:

Wenn nach Ruh‘ sich sehnt dein Herz,
Sonst dir alle Wünsche schweigen,
Musst du auf die Berge steigen: -
Stiller wird es himmelwärts.

Wer den Lechner-Kreuzweg geht, schlägt in der Tat die Richtung »himmelwärts« ein. Er sollte, »im Himmel« angelangt, also in St. Peter und Paul zu Palmberg, erbaut Ende des 17. Jahrhunderts, die feinen Schnitzwerke der Gottesmutter mit Kind und der Heiligen Leonhard und Benedikt (1737), den Rokoko-Tabernakel, nicht zuletzt den Kreuzweg an den Kirchenwänden nicht übersehen. Ihn hat uns ein Anonymus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geschenkt. Ernst Lechner, der Schöpfer des nach ihm benannten Kreuzwegs vom Beginn des 21. Jahrhunderts, ist kein Anonymus. Im Gegenteil, sein Ruf als Steinbildhauer reicht weit. Und seine Werkstatt steht in Ampfing.

Dr. Hans Gärtner



13/2011