Altöttinger Drucker löst Reformation in der Schweiz aus
Christoph Froschauer um 1490 in Kastl geboren – Revolte mit Rauchwürsten





Ausgerechnet ein im tiefkatholischen Altötting geborener Buchdrucker hat 1522 in der Schweiz eine religiöse Revolution ausgelöst – und das auch noch auf eine mehr als ungewöhnliche Art und Weise. Denn Christoph Froschauers »Waffe« war nichts anderes als ein Paar vertrockneter Kaminwurzen. Die Würstel erwiesen sich aber – im übertragenen Sinn – als so schlagkräftig, dass sie für die Reformation in der Schweiz die gleiche Wirkung hatten wie Martin Luthers 95 Thesen gegen den Ablasshandel. Über Froschauer selbst ist allerdings nur wenig bekannt und auch, dass er ein gebürtiger Oberbayer ist, war bis in unsere Zeit nicht bekannt. Schuld daran ist ein Brief des Zürcher Pfarrers Leonhard Soerin aus dem Jahr 1546, in dem steht: » … ich schätze Froschauer nicht nur seiner sorgfältigen Bibeldrucke halber, sondern als Landsmann. Froschauer stammt aus »Neapolis Castellum« nahe bei »Veteri Oettingae«, wo ich früher einmal eine Zeit lang Hilfslehrer gewesen bin.« Jenes pompös klingende »Neapolis Castellum« übersetzten die Forscher einfach mit »Neuburg« und liefen bei der anschließenden Suche auf den Landkarten regelmäßig ins Leere. Denn nirgendwo ließ sich ein »Neuburg« finden, in dessen Nähe sich ein »Öttingen« befand.
Ein Sammler lithurgischer Bücher namens Paul Leemann-van Elck machte sich in den 1930er Jahren dann erneut daran, das Rätsel um Froschauers Herkunft zu lösen. Tatsächlich lieferte Leemann-van Elck dann auch eine Theorie, die sehr plausibel ist. Demnach handelt es sich bei »Neapolis Castellum« um die Ortschaft Kastl bei Altötting. Zwar wird der Ort in Urkunden des 16. Jahrhunderts »ad sanctum Castulum«, zum heiligen Kastulus genannt, doch diese Verbindung sei erst später entstanden, so Leemann-van Elcks Argumentation. Zu Froschauers Zeiten – er kam um 1490 zur Welt – sei Kastl tatsächlich eine neue Ansiedlung gewesen, weshalb der Name »Neapolis«, »Neue Stadt«, auch Sinn gemacht habe. Dass Froschauers Oettingen mit dem heutigen Altötting identisch ist, dafür spricht der Vermerk in einem amtlichen Dokument über Eustachius Froschauer, einen Bruder Christophs, der ebenfalls in Zürich lebte, und dessen Herkunft mit »Oettingen us dem Beyerland«, angegeben ist. Wann Froschauer seine Ausbildung zum Drucker begonnen hat, wann und vor allem warum es ihn in die Schweiz verschlagen hat, wird leider in keiner Quelle erwähnt. Bekannt ist nur, dass Christoph sein Handwerk in Augsburg erlernt hat bei Johann Froschauer, der in der Fuggerstadt eine Druckerei betreibt. Dieser Johann Froschauer wird in Biographien als Onkel oder als Vater unseres Christoph bezeichnet. Um das Ganze noch zu komplizieren, benutzte dieser Johann auch noch zwei verschiedene Nachnamen, einmal nennt er sich Froschauer, dann wieder nur Schauer. Unter dem Namen Johann Schauer findet sich in der »Allgemeinen Deutschen Biographie« der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aber eine Lebensbeschreibung, die sich gut mit den bekannten Daten des Christoph vereinigen und deshalb die Vater-Sohn-Version plausibel erscheinen lässt.
Johann Schauer/Froschauer, so ist in diesem Standardwerk zu lesen, stammte ursprünglich aus Greiz und war als wandernder Drucker tätig, ehe er sich um 1480 in München niederließ. Dort soll er 1482 dann auch das erste gedruckte Buch in der Geschichte der Residenzstadt fabriziert haben mit dem Titel: »Das geistund weltliche Rom.« Bis 1494 lassen sich etliche weitere Titel aus der Werkstatt des Meisters in der Rosengasse nachweisen, danach nicht mehr. Ab 1494 ist aber ein Drucker namens J. Schauer in Augsburg zu finden, und das bis mindestens 1520. Die Zeit in München fällt genau in jene Periode, in der Christoph auf die Welt gekommen ist, sein genaues Geburtsdatum allerdings ist nicht bekannt. Da München und Altötting distanzmäßig nicht völlig aus der Welt liegen, könnte es sehr gut sein, dass Johann um 1490 einer jungen Frau aus Altötting über den Weg lief – oder sie ihm – und die beiden für Nachwuchs sorgten.
Der erste schriftliche Nachweis Froschauers in Zürich stammt aus dem Jahr 1517 in Form eines Heiratseintrags. Der aufstrebende Drucker übernahm damit Witwe und Werkstatt seines verstorbenen Meisters Hans Ruegger. Die frühesten, heute noch erhaltenen Werke aus diesem Betrieb, auf denen der Name Froschauer auftaucht, datieren von 1521. Ein Jahr später sorgt Froschauer in seiner neuen Heimat dann selbst für Schlagzeilen, die ihn für immer mit der Geschichte der Schweiz verbinden sollten. Am Aschermittwoch des Jahres 1522 trifft sich in seinem Haus eine Herrenrunde, um der Amtskirche mit einer ungewöhnlichen Aktion an den Karren zu fahren. Anstifter ist Huldrych Zwingli, ein »Leutpriester« und lange treuer Papstanhänger, der sich bald aber zu einem der führenden Köpfe der Reformation entwickeln sollte. Der Bauernsohn, der 1519 ans Zürcher Großmünster gerufen wird, ist der Ansicht, dass sich die Vertreter der katholischen Kirche inzwischen viel zu weit von der ursprünglichen Lehre Christi entfernt haben. Wie Martin Luther stößt auch Zwingli besonders der Ablasshandel sauer auf. Schauplatz des geplanten Frevels ist die gute Stube von Christoph Froschauer, weshalb das Ereignis dann auch als »Froschauer Wurstessen« in die Annalen eingeht. Zwingli und Froschauer waren nicht nur über die Druckerei geschäftlich miteinander bekannt, sie pflegten auch eine enge Freundschaft. Das heute bekannteste Werk aus der Verbindung der beiden ist die »Froschauerbibel«, auch Zürcher Bibel genannt, die, in einer weiterentwickelten Fassung, bis heute in der reformierten Kirche der Schweiz offiziellen Charakter besitzt. Die bekannteste und auch kunsthistorisch bedeutendste Auflage aus dem Hause Froschauer stammt aus dem Jahr 1531 und ist mit 200 Holzschnitten von Hans Holbein dem Jüngeren, bebildert. Ein Teil dieser Auflage wurde aufwändig von Hand koloriert, wovon heute noch drei Stück existieren. Eines davon kam erst 2011 auf kuriose Weise wieder ans Tageslicht. Als der Pfarrer des Zürcher Großmünsters von einem Buchhändler das Angebot bekam, eine Froschauerbibel zu erwerben, erinnerte er sich dunkel an ein Exemplar, das seit ewigen Zeiten ziemlich zerfleddert in seiner Sakristei deponiert war. Die Experten staunten nicht schlecht, als sich das wenig beachtete Buch als kostbares Farbexemplar jener Auflage von 1531 erwies. 3000 Stück stellte Christoph Froschauer von dieser ersten Bibel in seiner Druckerei insgesamt her, was sich als einträgliches Geschäft erwies. Da Froschauer weder mit seiner ersten, noch mit seiner zweiten Frau Kinder hatte, holte er seinen Bruder und dessen Söhne Eustachius jun. und Christoph mit in die Firma. Die beiden Neffen übernahmen nach dem Tod des Onkels dann auch den Betrieb, zu dem inzwischen auch eine Papiermühle gehörte. Christoph Froschauer starb am 1. April 1564 im Alter von etwa 74 Jahre an der Pest. Neben den zahlreichen gedruckten Werken aus seiner Werkstatt, von denen auch die Bayerische Staatsbibliothek u.a. ein Exemplar einer Lutherbibel besitzt, erinnert heute ein Fresko in der Brunngasse 18 an den damaligen Wohnsitz des Druckers, der Gebäudekomplex war noch zu seinen Lebzeiten 1551 in »Froschau« oder »Froschow« nach alter Schreibweise umbenannt worden. Noch heute existiert in Zürich unter dem Namen Orell-Füssli ein Firmenzusammenschluss, u.a. aus Druckereien und Buchhandlungen, der in direkter Nachfolge zu Froschauers Betrieb steht.
Eine Revolte mit Hilfe von Rauchwürsten?
Eine Gruppe illustrer Herren, darunter die Priester Huldrych Zwingli und Leo Jud haben sich am Aschermittwoch des 9. März 1522 zu einer Brotzeit im Haus von Christoph Froschauer eingefunden, die als »Froschauer Wurstessen« in die Geschichte eingehen sollte. Um sich vor ihrer Sündentat noch zu stärken, reicht der Gastgeber erst einmal Fastnachtsküchlein, womit noch alles vollkommen in Butter ist, weil die Küchlein eben jene nicht enthalten, genauso wenig wie Eier, schließlich beginnt heute ja die vorösterliche Fastenzeit. Doch dann kreuzt Christoph Froschauer mit einem langen Messer und mehreren Würsten auf, »die ein Jahr im Kamin hingen, sehr scharf und hart«, wie einer der Beteiligten später petzen sollte. Nachdem die Rauchwürste zerlegt sind, wandern sie Scheibe für Scheibe in die Bäuche der Anwesenden – mit einer Ausnahme: Zwingli begnügt sich mit der Zuschauerrolle. Dafür hält sich dessen Kollege Leo Jud umso mehr schadlos an der scharfen Sünde.
Was nun folgt, hat der rebellische Kreis wohlkalkuliert: Irgendwer in der Runde kann seinen Mund nicht halten und bald weiß ganz Zürich von dem Gottlosen Treiben. Bürgermeister, Rat und Bischof leiten schnell eine Untersuchung ein, denn ihnen ist sehr wohl bewusst, dass dieses Fastenbrechen keine bloße Gedankenlosigkeit, sondern als gezielte Provokation gedacht ist, auch wenn Christoph Froschauer in einem Schreiben an den Rat bekundet, dass »reine Not« ihn zu diesem Schritt gezwungen hätten. Die Buchmesse in Frankfurt stehe vor der Tür und er müsse bis dahin noch so viel schwere Arbeit erledigen, dass er allein »mit muos, und sunst nüt« nicht genug Kraft bekomme »und fisch vermag ich nit aber allwegen ze koufen«. Als Zwingli vor dem Rat erscheinen muss, zeigt der aufmüpfige Pfarrer, obwohl er selbst ja gar keine Wurst gegessen hat, Rückgrat und erklärt den Hintergrund der Aktion: Es stehe nirgendwo in der Bibel geschrieben, dass zu bestimmten Zeiten gefastet werden müsse. Für Zwingli ist das Fastengebot deshalb nichts anderes als eine Machtdemonstration der Kirche gegenüber den Gläubigen. Die folgende Strafe für die Betroffenen fällt ungewöhnlich milde aus: Froschauer muss »Buße tun« und Zwingli erhält Predigtverbot – das er nach nur zwei Wochen übertritt, als er im Großmünster eine flammende Predigt hält mit dem Titel: »Vom Auswählen und Freiheit der Speisen«. Froschauers Buße hält genauso lange – oder kurz – an, denn kaum hat Zwingli seine Brandrede gehalten, bringt der Drucker diese zu Papier und anschließend unter die Bevölkerung. Es folgen nun weitere Gespräche zwischen den Abtrünnigen auf der einen und Kirchenvertretern auf der anderen Seite, wobei die Papstgetreuen mit ihrer Argumentation mehr und mehr an Boden verlieren. Schließlich schlagen sich auch die Stadtoberen auf die Seite Zwinglis, dem aber noch viel mehr auf den Nägeln brennt als nur die Frage, ob er in Zukunft in der Fastenzeit ungestraft Wurst essen darf oder nicht. Der streitbare Reformator stößt mit seinen neuen Ansichten im Volk nicht überall auf Anhänger und bald kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die in einen regelrechten Religionskrieg münden. Zwingli erleidet bei einem dieser Zusammenstöße 1531 einen grausamen Tod. Die Reformation, die mit dem »Froschauer Wurstessen« ihren Anfang nahm, wurde davon aber nicht aufgehalten.
Susanne Mittermaier
16/2014