Jahrgang 2003 Nummer 20

Altmünchen lebt und macht die Jungen mobil

Die Auer Dult mausert sich vom Tandler-Treff zum beliebten Öko-Markt



Wegerm oidn Glump brauchst net auf d Auer Dult nausgeh, Muatta, des ham ma dahoam aa. – Und dennoch zieht’s die Mutter immer wieder an den Ort ihrer früheren Trouvaillen-Erlebnisse, wo sie ein ausgemergeltes Waschbrettl aus Urgroßmutters Zeit fand, das sie als junges Mädel zum Musi-Machn hernahm und damit großes Aufsehen in der Jugendmusikgruppe von Forstinning erregte. Und der Vater, der später auch mitging auf den »Kunst & Krempel« -Markt in der Au, gleich drüberhalb von der Corneliusbrücke, die über die Isar führt, – der Vater hat genau die gleiche Tabakspfeifn erstanden, die wo scho da Urgroßpapa graucht hat. Aber scho ganz genau die gleiche ...!

Dreimal im Jahr ist »Auer Dult«: die Maidult im Frühjahr, die Jakobidult im Sommer und die Kirtadult (oder preißisch: Kirchweihmarkt) im Herbst. Ina Seidel erinnert sich in ihrem Buch »Drei Städte meiner Jugend« (1960 erschienen; die Seidel ist 1974 fast 90-jährig gestorben), dass die Auer Dult »zweimal im Jahr, im Mai und im Herbst« stattfand, dieser »einzige Tandelmarkt Deutschlands«, wie sie schreibt, »der sich einstmals als Fundgrube von neben altem Gerümpel aller Art feilgebotenen, nur für den Kenner kostbaren Dingen – Möbeln, Porzellan, Glas, Holzfiguren, Büchern, Kupferstichen, Holzschnitten, Noten, kurz, von Kuriositäten, die aufgespürt werden wollten – dem Pariser ‘Flohmarkt’ und ähnlichen Märkten in London zur Seite stellen konnte. Damals hatte dieser bunte Trödelmarkt zu Füßen der Mariahilfkirche noch den geschlossenen Charakter eines Ausverkaufs ganzer Jahrhunderte; nur an seinen Rändern wies er vereinzelt Stände mit billiger Massenware, Lebkuchen, Zuckerwerk und beliebten ‘Schmankerln’ auf. Schloss sich dann an den Besuch der Dult noch ein Spaziergang durch die Vorstadt Au mit ihren niedrigen alten Häusern und an dem der Isar zurauschenden Bach, und schließlich die Rast in einem Biergarten an, wo jeder noch einmal befriedigt musterte, was er erworben – etwa ein Hinterglasbild, eine schöne alte Tasse, kolorierte Stadtansichten oder gar einen kleinen Barockengel auf wackligem Postament – so konnte so ein Ausflug auch den im Kielwasser der Erwachsenen mitgeschleppten Kindern zum Erlebnis werden.«

Was die Münchner Schriftstellerin erinnert, hat heute noch, fast sieben Jahrhundert nach der ersten Erwähnung einer Jakobidult im ältesten Satzungsbuch der Stadt München aus dem Jahr 1312, Gültigkeit. Altmünchen lebt noch. Und die Auer Dult mit ihren Standln und Jahrmarktmäßigen Buden und Karussellen, Schleckwarenverkäufern und Eisausrufern hat etwas Nostalgisch-Historisches, das zu München gehört wie die Frauentürme und das Deutsche Museum (von dem aus es nur ein Katzensprung auf die Auer Dult ist). Zunehmend besinnt sich die den Altertümern gar nicht abholde Jugend auf das »oide Graffl« und schut, dass sie noch ein paar alte Scherbn, einen Ballen Bauernleinen oder ein paar Pressglasleuchter derwischt, die sich doch »so dantschig« in all dem Neo-Plastik-Interieur moderner Wohneinheiten ausnehmen. Was einst »tultmargt« hieß, ist heute ein Treff für solche, die München noch von früher kennen und sich den Charme von Anno Tobak wenigstens ein-, zwei- oder gar dreimal pro Jahr zurückrufen wollen.

Die »Jakobidult« hieß übrigens so, weil sie – zu Anfang des 14. Jahrhunderts – auf dem Sankt-Jakobs-Platz, am Anger, abgehalten wurde. 1791 verlegte man sie dann in den Bereich Kaufinger-/Neuhauserstraße. Eine Art Handwerksmesse war die Dult zu jener Zeit, als von Frankreich her die Revolution herübertönte und die Leute zusehends »aufgeklärter« machte. Nach mehrmaligem »Platzwechsel« kam dieser Münchner Jahrmarkt dann 1905 auf den Mariahilfplatz mit seiner »neigotischen Kirch« und dem beliebten Standesamt zum Heiraten, das gleich nach dem in Schwabings Mandlstraße, am Englischen Garten, im Beliebtheitsgrad folgt. Nur zwischen 1943 und 1946 legte die »Auer Dult«, wie sie längst hieß, eine »Sendepause« ein, um gleich nach Kriegsende wieder auferstehen zu können.

52 Jahre besteht der »Verband der Gebrauchtwarenhändler in Bayern e. V.«, dem sich die meisten Tandler anschlossen und wo sie ihre Interessen vertreten sehen. 63 Altwarenhändler gehören diesem Verband heute an. Ihr derzeitiger Präsident Robert Nagl stellt im informativen »Dult-Blattl« seine Aussteller auf dem Platz im Schutz der heiligen »Maria Auxiliarum« vor. Sie nehmen so klangvolle Gehwege wie die Karl-Valentin-, die Schatzsucher-, Tandler- und Raritätengasse ein, so dass man auf Anhieb, das »Dult-Blattl« in Händen, zu seinen Lieblingsgeschäfterln gelangt. Fünfzehn Händler sind nach wie vor nur in ihren Münchner Geschäftsräumen anzutreffen. Aber das Antiquariat Hammerstein in der Türkenstraße, der Uhrenspezialist Wolfgang Paul, der Nachlassauf- und -verkäufer Otto Blum (aus Steinach bei Straubing), der Planegger Buchfuchs Richard Hußlein, das Oberaudorfer Versandantiquariat Rainer Kurz, der »Ofenladner« Gerd Leinberger aus Fürholzen draußen, das Schellingstraßen-Antiquariat des Rainer Köbelin oder Herbert Lipah vom »Kgl. bayer. Lederhosenwahnsinn« und viele andere Händler und Tandler und Altwarentschacherer – die sind alle auf der Auer Dult während der Saison. Die ist heuer vom 26. April bis 4. Mai gewesen und wird vom 26. Juli bis 3. August und letztmals im Jahr 2003 vom 18. bis 26. Oktober stattfinden. Wer’s genau wissen möcht, der rufe beim Geschäftsführer des Verbands, Robert Nagl, an: 089/221880.

»Auf der Auer Dult«, so setzte die Münchner Malerin Franziska Bilek als Text unter ihre Stimmungsskizze (siehe Abbildung) aus dem Piper-Buch »Mir gefällt’s in München« (1958), »kann man alles haben: die Venus von Milo, Gartenzwerge, Kochbücher, Bilderrahmen, Ofenputzmittel, falsche Kelims – garantiert echte Rembrandts, Räuberromane, ‘Die Gartenlaube’ – usw.« Womit sie – noch 45 Jahre später – Recht behält. Nur müsste man noch hinzusetzen: Hosenträger, Lederjacken, Tonzeug, Musikinstrumente, Wundpflaster, Radlschläuch... »Heit hob i wieder ois bei mir, Stieflwix und Goaßlschmier ...« fällt einem da eine Marktfrauen-Ballade ein, als häufig in den Tagen der Faschingsg’stanzlsingerei geträllertes Feilbieterliedl. Die Bilek fährt ja dann auch fort und sagt unumwunden: »Ich schmökere jedes Jahr in den Bücherkisten herum, in der Hoffnung, mein geliebtes, grünes Märchenbuch wieder zu finden...« Selig der, der nicht – oder doch – lang danach suchen muss. Das Münchner Fremdenverkehrsamt rechnet fest mit der jährlich dreimal für die bayerische Landeshauptstadt als Einkaufzentrum werbenden Auer Dult. Wie das Amt mitteilt, bescherte die traditionsreiche Vorstadt-Institution den Händlern der Mai-Dult 2003 Rekordergebnisse. Voll im Trend lagen angeblich Öko-Stände. Müsli-Freaks begegnen also im Schatten der Mariahilfkirche zunehmend Liebhabern des »alten Glump«. Das verträgt sich gar nicht schlecht mit den Körndlfressern und »Bio«-Fans, die schon seit jeher lieber mit Kernseife Hände und sogar Wäsche wuschen als ätzenden Chemiesafterln zugesprochen zu haben. Als »gelungene Synthese von Alt und Neu«, so ein Zeitungsjournalist, könne also die Auer Dult gelten. So kommen mehr und mehr auch junge Leut in die Au, um sich – nach dem Stöbern in Stapeln alter Postkarten oder dem Erwerb eines bemalten Blechkübels, in dem noch die toten Fliegen und Spinnen von der Jahrtausenwende (der vorvorigen, versteht sich) liegen – einen Teller Vollkornflocken mit Bio-Joghurt und Ahronsirup zu genehmigen. Vorbei jedenfalls die Zeiten der künstlich hormonierten Leberkässemmeln auf der Auer Dult.

HG



20/2003